Klima­schutz und Freiheit

Foto: Shutter­stock, Rolf G Wackenberg

Das Klima­schutz-Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts ist in mehrerlei Hinsicht histo­risch. Es macht deutlich: Wer massive Einschrän­kungen vermeiden will, muss ökolo­gische Innova­tionen beschleunigen.

Es ist nicht übertrieben, das Klima­schutz-Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts als histo­risch zu bezeichnen. Nicht nur, weil es die in Artikel 20a des Grund­ge­setzes – „Der Staat schützt auch in Verant­wortung für die künftigen Genera­tionen die natür­lichen Lebens­grund­lagen“ – angelegte Verpflichtung bekräftigt, alles Gebotene zu tun, um den Klima­wandel in beherrsch­baren Grenzen zu halten.

Was an diesem Urteil elektri­siert, ist die sorgfältig ausbuch­sta­bierte Balance zwischen heutiger und künftiger Freiheit. In einem Satz: Die heutige Handlungs­freiheit darf die Lebens­chancen und Handlungs­op­tionen der Zukunft nicht konsu­mieren. Ein „freiheits­scho­nender Übergang in die Klima­neu­tra­lität“ muss das heute Mögliche tun, um die Freiheits­grade von morgen zu sichern. Das Urteil postu­liert einen inter­tem­po­ralen Freiheits­be­griff: Es geht um die „Sicherung grund­rechts­ge­schützter Freiheit über die Zeit“ und die „verhält­nis­mäßige Verteilung von Freiheits­chancen über die Genera­tionen.“ Damit bekommt Freiheit eine Zukunfts­di­mension. Die gleiche Freiheit aller schließt die Freiheit der Künftigen ein.

Bezogen auf den Klima­wandel heißt das: Wenn wir einen großen Teil des noch verfüg­baren Spiel­raums für Treib­hausgas-Emissionen in den nächsten Jahren verfeuern, schränken wir die künftige Handlungs­freiheit über Gebühr ein. Wer den Übergang zu einer klima­neu­tralen Wirtschafts- und Gesell­schaftsform möglichst weit hinaus­schiebt, bürdet damit den Jüngeren noch zu ihren Lebzeiten umso härtere Lasten auf.

Wer daraus aller­dings ein Primat der Ökologie ableiten will, dem sich alles andere unter­ordnen muss, überzieht. Für das Gericht genießt Klima­schutz „keinen unbedingten Vorrang“, sondern muss mit anderen Verfas­sungs­gütern in Ausgleich gebracht werden. Heute wie zukünftig dürfen den Bürgern „keine unzumut­baren Freiheits­be­schrän­kungen auferlegt werden“. Das Grund­recht auf Leben und körper­liche Unver­sehrtheit setzt die anderen Grund­rechte nicht außer Kraft.

Aller­dings wären die abseh­baren Folgen des Klima­wandels so gravierend, dass „das Gewicht des Klima­schutz­gebots bei fortschrei­tendem Klima­wandel weiter zunimmt.“ Das lässt aufhorchen. Welche Eingriffe in die indivi­duelle und wirtschaft­liche Handlungs­freiheit sind legitim, welche nicht? Das Urteil lässt die Frage offen, wo die Grenzen der Freiheits­be­schränkung im Namen des Umwelt­schutzes liegen. Richtig ist, dass ein eskalie­render Klima­wandel mit so massiven Verwer­fungen verbunden sein wird – von sich häufenden extremen Wetter­ereig­nissen bis zum Kollaps ganzer Staaten und zuneh­menden inter­na­tio­nalen Konflikten – dass darin die Gefahr eines perma­nenten Notstands­re­gimes liegt. Aus der Schutz­pflicht des Staates kann aber kein schran­ken­loser Zugriff auf indivi­duelle Freiheits­rechte abgeleitet werden.

Umso wichtiger, dass sich das Verfas­sungs­ge­richt nicht anmaßt, Parlament und Regierung vorzu­schreiben, wie genau die Abwägung zwischen Klima­schutz und anderen Rechts­gütern zu erfolgen hat. Die Entscheidung, in welcher Weise den Gefahren des Klima­wandels entge­gen­ge­wirkt werden soll, bleiben Sache des Gesetz­gebers. Aus dem Gebot, die globale Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, um eine selbst­ver­stär­kende Dynamik des Klima­wandels zu verhindern, folgt kein natur­wis­sen­schaftlich exakt ableit­bares politi­sches Handeln. „Die Entscheidung, welche Klima­er­wärmung hinge­nommen werden soll und darf, (ist) norma­tiver Art und verlangt eine Wertung.“ Das gilt erst recht für die Wahl der angemes­senen Mittel und Instrumente.

Das Urteil verlangt keine schär­feren Klima­ziele bis 2030, wohl aber verbind­li­chere Vorkeh­rungen für die Zeit danach. Das BVerfG verpflichtet den Gesetz­geber zur Fortschreibung der Minde­rungs­ziele für Treib­hausgas-Emissionen über 2030 hinaus, um ein „hinrei­chendes Maß an Entwick­lungs­druck und Planungs­si­cherheit“ zu gewährleisten.

Angesichts der techni­schen und ökolo­gi­schen Dynamik kann das kein detail­lierter Fahrplan sein, sondern ein Mix verbind­licher Ziele und flexibler Instru­mente. Es ist eine Beamten­il­lusion, dass der Übergang zu einer klima­neu­tralen Indus­trie­ge­sell­schaft, die sich in ständiger Inter­aktion mit Wissen­schaft und Technik, globalen Märkten und inter­na­tio­naler Politik bewegt, auf 30 Jahre im Voraus mit genauen jährlichen Zielvor­gaben geplant werden kann. Die ökolo­gische Trans­for­mation ist kein linearer Prozess, sondern vollzieht sich in Innova­ti­ons­sprüngen und Investitionszyklen.

Was es braucht, ist ein Ordnungs­rahmen, der die Innova­ti­ons­dy­namik der Markt­wirt­schaft in eine ökolo­gische Richtung lenkt. Der größte Hebel liegt einem progressiv anstei­genden CO2-Preis. Staat­liche Zielvor­gaben müssen ambitio­niert genug sein, um einen Inves­ti­ti­ons­schub für klima­neu­trale Techno­logien, Produkte und Dienst­leis­tungen auszu­lösen, ohne die Wettbe­werbs­fä­higkeit der Unter­nehmen abzuwürgen. Das Kunst­stück besteht darin, eine hoch komplexe, global vernetzte Indus­trie­ge­sell­schaft im laufenden Betrieb umzubauen.

Der Klima­wandel ist ein globales Phänomen, das nicht allein durch einen natio­nalen Kraftakt gestoppt werden kann. Er erfordert koordi­niertes Handeln der Staaten­ge­mein­schaft. Das ist kein Alibi, abzuwarten und uns aus unseren Verpflich­tungen zu stehlen. Es ist gut, dass das Verfas­sungs­ge­richt darauf insis­tiert. Daraus folgt aber auch, dass unser Beitrag zum Klima­schutz vor allem darin bestehen muss, global anschluss­fähige Lösungen zu entwi­ckeln, die Ökologie und Wohlstand unter einen Hut bringen. Andern­falls laufen alle natio­nalen Anstren­gungen ins Leere. Die Vorstellung, wir müssten uns einschränken, damit der große Rest der Menschheit aufholen kann, ist überholt. Vielmehr müssen wir gemeinsam den Sprung in eine post-fossile Indus­trie­ge­sell­schaft schaffen.

Die im Urteil des BVerfG angelegte Verengung von Klima­schutz auf freiheits-beschrän­kende Eingriffe in die persön­liche Lebens­führung überhöht die restriktive über die innovative Seite des Klima­schutzes. Die Reduktion von Treib­hausgas-Emissionen gegen Null ist auf diesem Weg nicht zu erreichen. Sie erfordert nichts weniger als eine grüne indus­trielle Revolution, eine tiefgrei­fende Verän­derung der Art und Weise, in der wir Energie erzeugen, Mobilität organi­sieren und Güter produ­zieren. Nicht die staatlich erzwungene Verän­derung unserer Lebens­weise, sondern der Aufbruch in die ökolo­gische Moderne ist der freiheits­scho­nende Weg zur Klimaneutralität.

 

Der Kommentar wurde zuerst bei WELT veröffentlicht.

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