Klimaschutz und Freiheit
Das Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist in mehrerlei Hinsicht historisch. Es macht deutlich: Wer massive Einschränkungen vermeiden will, muss ökologische Innovationen beschleunigen.
Es ist nicht übertrieben, das Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts als historisch zu bezeichnen. Nicht nur, weil es die in Artikel 20a des Grundgesetzes – „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen“ – angelegte Verpflichtung bekräftigt, alles Gebotene zu tun, um den Klimawandel in beherrschbaren Grenzen zu halten.
Was an diesem Urteil elektrisiert, ist die sorgfältig ausbuchstabierte Balance zwischen heutiger und künftiger Freiheit. In einem Satz: Die heutige Handlungsfreiheit darf die Lebenschancen und Handlungsoptionen der Zukunft nicht konsumieren. Ein „freiheitsschonender Übergang in die Klimaneutralität“ muss das heute Mögliche tun, um die Freiheitsgrade von morgen zu sichern. Das Urteil postuliert einen intertemporalen Freiheitsbegriff: Es geht um die „Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit“ und die „verhältnismäßige Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen.“ Damit bekommt Freiheit eine Zukunftsdimension. Die gleiche Freiheit aller schließt die Freiheit der Künftigen ein.
Bezogen auf den Klimawandel heißt das: Wenn wir einen großen Teil des noch verfügbaren Spielraums für Treibhausgas-Emissionen in den nächsten Jahren verfeuern, schränken wir die künftige Handlungsfreiheit über Gebühr ein. Wer den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschafts- und Gesellschaftsform möglichst weit hinausschiebt, bürdet damit den Jüngeren noch zu ihren Lebzeiten umso härtere Lasten auf.
Wer daraus allerdings ein Primat der Ökologie ableiten will, dem sich alles andere unterordnen muss, überzieht. Für das Gericht genießt Klimaschutz „keinen unbedingten Vorrang“, sondern muss mit anderen Verfassungsgütern in Ausgleich gebracht werden. Heute wie zukünftig dürfen den Bürgern „keine unzumutbaren Freiheitsbeschränkungen auferlegt werden“. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit setzt die anderen Grundrechte nicht außer Kraft.
Allerdings wären die absehbaren Folgen des Klimawandels so gravierend, dass „das Gewicht des Klimaschutzgebots bei fortschreitendem Klimawandel weiter zunimmt.“ Das lässt aufhorchen. Welche Eingriffe in die individuelle und wirtschaftliche Handlungsfreiheit sind legitim, welche nicht? Das Urteil lässt die Frage offen, wo die Grenzen der Freiheitsbeschränkung im Namen des Umweltschutzes liegen. Richtig ist, dass ein eskalierender Klimawandel mit so massiven Verwerfungen verbunden sein wird – von sich häufenden extremen Wetterereignissen bis zum Kollaps ganzer Staaten und zunehmenden internationalen Konflikten – dass darin die Gefahr eines permanenten Notstandsregimes liegt. Aus der Schutzpflicht des Staates kann aber kein schrankenloser Zugriff auf individuelle Freiheitsrechte abgeleitet werden.
Umso wichtiger, dass sich das Verfassungsgericht nicht anmaßt, Parlament und Regierung vorzuschreiben, wie genau die Abwägung zwischen Klimaschutz und anderen Rechtsgütern zu erfolgen hat. Die Entscheidung, in welcher Weise den Gefahren des Klimawandels entgegengewirkt werden soll, bleiben Sache des Gesetzgebers. Aus dem Gebot, die globale Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, um eine selbstverstärkende Dynamik des Klimawandels zu verhindern, folgt kein naturwissenschaftlich exakt ableitbares politisches Handeln. „Die Entscheidung, welche Klimaerwärmung hingenommen werden soll und darf, (ist) normativer Art und verlangt eine Wertung.“ Das gilt erst recht für die Wahl der angemessenen Mittel und Instrumente.
Das Urteil verlangt keine schärferen Klimaziele bis 2030, wohl aber verbindlichere Vorkehrungen für die Zeit danach. Das BVerfG verpflichtet den Gesetzgeber zur Fortschreibung der Minderungsziele für Treibhausgas-Emissionen über 2030 hinaus, um ein „hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit“ zu gewährleisten.
Angesichts der technischen und ökologischen Dynamik kann das kein detaillierter Fahrplan sein, sondern ein Mix verbindlicher Ziele und flexibler Instrumente. Es ist eine Beamtenillusion, dass der Übergang zu einer klimaneutralen Industriegesellschaft, die sich in ständiger Interaktion mit Wissenschaft und Technik, globalen Märkten und internationaler Politik bewegt, auf 30 Jahre im Voraus mit genauen jährlichen Zielvorgaben geplant werden kann. Die ökologische Transformation ist kein linearer Prozess, sondern vollzieht sich in Innovationssprüngen und Investitionszyklen.
Was es braucht, ist ein Ordnungsrahmen, der die Innovationsdynamik der Marktwirtschaft in eine ökologische Richtung lenkt. Der größte Hebel liegt einem progressiv ansteigenden CO2-Preis. Staatliche Zielvorgaben müssen ambitioniert genug sein, um einen Investitionsschub für klimaneutrale Technologien, Produkte und Dienstleistungen auszulösen, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen abzuwürgen. Das Kunststück besteht darin, eine hoch komplexe, global vernetzte Industriegesellschaft im laufenden Betrieb umzubauen.
Der Klimawandel ist ein globales Phänomen, das nicht allein durch einen nationalen Kraftakt gestoppt werden kann. Er erfordert koordiniertes Handeln der Staatengemeinschaft. Das ist kein Alibi, abzuwarten und uns aus unseren Verpflichtungen zu stehlen. Es ist gut, dass das Verfassungsgericht darauf insistiert. Daraus folgt aber auch, dass unser Beitrag zum Klimaschutz vor allem darin bestehen muss, global anschlussfähige Lösungen zu entwickeln, die Ökologie und Wohlstand unter einen Hut bringen. Andernfalls laufen alle nationalen Anstrengungen ins Leere. Die Vorstellung, wir müssten uns einschränken, damit der große Rest der Menschheit aufholen kann, ist überholt. Vielmehr müssen wir gemeinsam den Sprung in eine post-fossile Industriegesellschaft schaffen.
Die im Urteil des BVerfG angelegte Verengung von Klimaschutz auf freiheits-beschränkende Eingriffe in die persönliche Lebensführung überhöht die restriktive über die innovative Seite des Klimaschutzes. Die Reduktion von Treibhausgas-Emissionen gegen Null ist auf diesem Weg nicht zu erreichen. Sie erfordert nichts weniger als eine grüne industrielle Revolution, eine tiefgreifende Veränderung der Art und Weise, in der wir Energie erzeugen, Mobilität organisieren und Güter produzieren. Nicht die staatlich erzwungene Veränderung unserer Lebensweise, sondern der Aufbruch in die ökologische Moderne ist der freiheitsschonende Weg zur Klimaneutralität.
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