On the Road: Krieg in Jemen – „Keine Sorge, ich komme durch“
Der Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi in Istanbul durch ein saudisches Killerkommando hat weltweit für Empörung gesorgt. Der Krieg im Jemen, für den das Königreich mitverantwortlich ist, erregt hingegen kaum internationale Aufmerksamkeit. Unser Autor hat in Malaysia den jemenitischen Flüchtling Rashid getroffen, der seinen Vater und seinen Bruder verloren hat – aber nicht seine Hoffnung.
Das ist die Geschichte von Rashid, der vor drei Jahren vor saudischen Bombardements und pro-iranischen Milizen aus dem Jemen in den Sudan geflohen ist und nun seit einigen Monaten in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur lebt. Ein freundlicher, zurückhaltender Mann, der in Wirklichkeit ein klein wenig anders heißt.
„Ich hab keine Angst, vor niemandem. Mein neues Umfeld hier in Kuala Lumpur liest bestimmt keine deutschen Websites, wohl niemand in der jemenitischen Flüchtlings-Community tut das. Dafür bekomme ich beim Surfen mit, wie sich der heuchlerische Westen plötzlich die Augen reibt, nachdem die Saudis in Istanbul diesen Journalisten zerstückelt haben. Wie die deutsche Regierung sich dazu durchgerungen hat, keine Waffen mehr an die Wahabiten zu liefern, mit denen auch im Jemen gemordet wird.“
Rashid klickt auf seinem iPhone eine Fotostrecke an und plötzlich wird die Rede vom dünnen Firnis der Zivilisation greifbar: Ein weltneugieriger Teenager mit blauschwarz schimmerndem Wuschelhaar im Kreis seiner offensichtlich wohlhabenden Familie in Jemens Hauptstadt Sanaa, bei Dinner und Garten-Picknick, zusammen mit Schul‑, später dann Uni-Freunden in die Handy-Kamera strahlend oder mit modestem Stolz eine Auszeichung in den Händen haltend.
Die Saudis wollen Sanaa „befreien“
„Ich will nicht angeben, aber das ist halt immer wieder passiert, dass ich Jahrgangsbester geworden bin. Lag wahrscheinlich auch am Schachspielen, das den Verstand schärft. Hat mir mein Vater beigebracht – hier siehst du uns im Wohnzimmer beim Spiel. Da waren aber schon die einigermaßen ruhigen Zeiten vorbei, die schiitischen Huthi-Rebellen hatten Sanaa überrannt, während sich Teile der sunnitischen Stämme mit al-Quaida-Ablegern verbündeten. Auch war da bereits mein bester Freund von Heckenschützen erschossen worden und Vater und Mutter entwarfen täglich neue Wegpläne für mich, damit ich halbwegs sicher zur Uni und zurück komme. Dann begannen die saudischen Bombardements, um die Hauptstadt zu ‚befreien‘. Mein Vater wurde unter den Trümmern seiner Möbelfabrik begraben und auch mein ältester Bruder fand den Tod. Meine Mutter schrie immer wieder: ‚Dabei sind wir doch Sunniten!‘ Und als ich ihr antwortete, dass all die Bezeichnungen und Traditionen der wahre Grund für den Jahrhunderte alten Zwist seien, schrie sie auch mich an. Dann wurde sie wieder ruhiger und drängte mich, den Jemen zu verlassen, während sie Zuflucht fand in einem halbwegs sicheren Dorf.“
Rashids Stimme klingt fester, umso größer die Entfernung zu jenem jemenitischen Restaurant in Kuala Lumpurs Vergnügungsviertel Bukit Bintang wird, in dem wir zuvor gegessen haben, an einem Terrassen-Tisch inmitten von Diwanen, auf denen Bärtige ausgestreckt liegen, an Wasserpfeifen saugen und halblaut miteinander plaudern. „Eine reine Männerwelt und die Gespräche voller Schmerz, der nirgendwo hinführt. Eimal habe ich Luisa, meine brasilianische Freundin aus der englischen Sprachschule, hierher gebracht, weil sie – genau wie du – unbedingt einmal Sahawiq, Lahma Mahshoosha und Fattah probieren wollte. Als ich die scheelen Blicke meiner Landsleute sah, ihr missmutiges Glotzen, weißt du, was ich da gedacht habe? Vielleicht ist es genau das! Hat weder mit Shia noch mit Sunni zu tun, sondern mit der Art, wie sie dahin existieren. Ganz im Unterschied zu Kuala Lumpur, wo selbst die Käppchenträger gut drauf sind und nicht ausspucken, wenn sie an einem Tao- oder Hindu-Tempel oder an einer Kirche vorbeigehen.“
23 Jahre alt und schon eine Glatze
Rashid lächelt, nimmt den schicken Hut, den er auch jetzt am Abend noch trägt, kurz vom Kopf und wischt sich mit einem penibel gefalteten Tuch den Stirnschweiß ab. „Siehst du die Glatze? 23 Jahre alt und schon kahlköpfig. Einige sagen, in Kombination mit meinem Dreitagebart sehe es umwerfend aus, und weil sie es gut meinen, erzähle ich ihnen nicht, wann das begonnen hat mit dem unaufhaltsamen Haarausfall. Nämlich als Vater und mein großer Bruder umkamen. Als einer meiner Onkel uns jegliche Hilfe verweigerte, wegen alten Geschichten, die „Männersache“ waren und von denen der Rest der Familie nichts wusste. Als einer von Vaters Brüdern mich in den Sudan lotste und mir half, dort Arbeit zu finden. Als dann dieser Wohltäter – „Wir sind doch eine Familie und gute Muslime, mein alles geliebter Neffe!“ – anfing, nachts an mir herumzufummeln. Seitdem fallen mir die Haare aus.“
Rashids Stimme bricht nicht, während er erzählt. Nur, dass er vielleicht ein wenig schneller läuft, die Rolltreppe links der verkehrsreichen Jalan Imbi hoch und auf der anderen Seite wieder herunter, hinein in den riesigen, hell erleuchteten Konsumtempel des Times Square, dessen Anonymität ihm offensichtlich keine Angst macht. „Hier im Starbucks glotzt kein einziger von den Malaien, wenn ich Englisch spreche. Seit ein paar Monaten bin ich jetzt hier und jeden Tag wird mein Englisch besser. Tagsüber jobbe ich mit meinen Cousins in einem kleinen Café, in dem ich in der Küche stehe oder Tee bringe. Und abends büffle ich für die Uniprüfung, damit ich das Stipendium bekomme. Die Cousins sehen mich komisch an, erzählen lieber von chinesischen Huren, denen sie es angeblich besorgen, „ungläubigen Hündinnen“. Und wie sie über mich gelacht haben, als mich letzte Woche dieser alte Engländer aus der Facebook-Schachgruppe blockiert hat! Da musste auch ich lachen – über sie und den Alten. ‚Junge, wenn du gewinnst, gebe ich dir alles‘ hatte er mir vor der Partie geschrieben, ein bisschen zu selbstsicher gegenüber einem jungen Exil-Jemeniten. Tja, ich habe dann das virtuelle Spiel gewonnen, unerwartet schnell. Noch während ich ihm danach ein paar ironische Zeilen schrieb, blockierte er mich. Dachte wohl, ich wolle ihn um Geld anhauen. Wahrscheinlich einer, der ein Problem mit seiner ‚Ehre‘ hat – wie meine Cousins.“
Rashid lächelt erneut, sagt dann mit unerwarteter Heftigkeit: „Es ist Vergessen, Verdrängen, freundliche Verachtung und ebenso freundliche Neugier, die dich retten. Und außerdem: Die Welt besteht ja nicht nur aus Mördern und Idioten, oder?“
Jüngste Nachricht von Rashid, 23 Jahre alt und temporär in Malaysia geduldeter Flüchtling: Es hat geklappt mit dem Stipendium. „Nur meine Freude durfte ich nicht allzu offen zeigen. Die lieben Cousins wären sonst womöglich böse geworden, und gerade jetzt kann ich es mir nicht leisten, obdachlos zu werden in Kuala Lumpur. Aber keine Sorge, ich komme durch.“
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