Der CSU-Amoklauf gegen den Islam
Die Christlich Soziale Union – kurz CSU – degradiert den christlichen Glauben zum folkloristischen Dekomaterial. Sie will mit der Ausgrenzung von Muslimen ihre Machtstellung festigen. Damit düngt sie den Boden für die AfD. LibMod-Autor Markus Schubert findet: Niemand veranschaulicht Glaubensmüdigkeit und Wertezerfall anschaulicher als diese CSU.
Wer hätte gedacht, dass man sich im Jahre 2018 (wäre man polemisch, müsste man schreiben: wieder) mit einer deutschen Regierungspartei auseinandersetzen muss, die mit der Ausgrenzung einer religiösen Minderheit im Land ihre Machtstellung festigen will. Wenn es die NPD oder die sich bürgerlich etikettierende AfD wäre, man würde es für dumm, anmaßend oder beschämend halten, aber da es die CSU ist, eine Partei mit Geschichte und Herrschaftserfahrung, ist es ein anderer Fall: Brunnenvergiftung. Pech, wenn man als C‑Partei aus derselben Quelle trinkt.
An der Entchristlichung Bayerns, Sachsens oder Berlins hat der Islam mit all seinen mehr oder weniger radikalen Ausläufern weniger Anteil als die Glaubensmüdigkeit und der Wertezerfall, den niemand so anschaulich macht wie die CSU in ihrer durchaus gottvergessenen Grimmigkeit.
Erst zögert man, auf solche schlicht konstruierten Provokationen einzugehen, um sie nicht aufzuwerten oder weiter zu verbreiten, aber alleine die vielstimmige und nicht abreißende Orchestrierung dieser Parole seit dem Auftakt der Debatte lässt ahnen, dass die CSU dieses Thema zum Leitmotiv einer ganzen Wahlkampagne machen will. Schließlich hat Horst Seehofers Lieblingsklausurgast Viktor Orbán gerade vorgemacht, wie das funktioniert – sogar fast ohne Muslime im Land.
Der Satz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ ist ebenso dumm wie perfide. Er ist gerissen konstruiert, semantisch schillernd, und als legitime Negierung einer Ausgangsthese („Der Islam gehört auch zu Deutschland“ Bundespräsident Wulff 2010) solide getarnt. Wann und wo immer man die Akteure zu stellen versucht, durch gezielte Nachfragen, ballt sich der Satz rasch zusammen, weicht aus, taucht weg und steht doch kurz darauf wieder grell und verletzend da wie zuvor.
Alle drei Elemente dieser Tatsachenbehauptung bleiben bewusst vage: Was ist „der Islam“? Was bedeutet „nicht dazu gehören“? Was meint „Deutschland“?
Ausgrenzung von Muslimen und Anbiederung an die AfD
Bedeutete „der Islam“ die Gemeinschaft der gläubigen Muslime in Deutschland, hieße „nicht dazu gehören“ gerade deswegen verboten sein, meinte „Deutschland“ die Bundesrepublik, deren Grundwerte und deren politisches System im Grundgesetz geregelt sind, dann wäre der Satz zutiefst inhuman und durch und durch unrechtmäßig. Menschen müssten dann aufgrund nicht objektiv messbarer Einstellungen und Überzeugungen ausgebürgert, die Religionsfreiheit in Art. 4 GG ausradiert, Gotteshäuser geschleift und Menschen schließlich deportiert werden. Alles nicht ohne Beispiel, und gerade deshalb ist es so ungeheuerlich, dass die CSU-Vorturner diese Wirkung nicht nur nicht vermeiden, sondern vermutlich kalkuliert haben.
Kaum hatte der CSU-Chef von den Redakteuren der BILD-Zeitung sein inverses Glaubensbekenntnis anlässlich des Amtsantritts aus sich herauspressen lassen, wurde die These in eine Umfrage gespeist – „Stimmen Sie der Aussage zu, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört?“ – Erstaunlich, zu welchen Schlichtheiten Sozialwissenschaftler bereit sind…! – deren Ergebnis dann stolz als Bestätigung der Richtigkeit und Gültigkeit des Seehoferschen Imperativs in die sozialen Medien gefeuert wurde.
In den 75 % Zustimmung kommt dank TV und Social Media nun vieles zusammen und geht wild durcheinander: Steinigungen und Enthauptungen von „Ungläubigen“ und das Hängen von Straftätern durch den IS oder im Iran, Angst vor dem Aussterben der Deutschen oder jedenfalls der Christen in Deutschland, das Verhüllen und Zwangsbeschneiden von Mädchen, das Begrapschen von Frauen, Wasserpfeifen rauchende Männerrunden, Erdogans einpeitschende Stadion-Reden, Messerstechereien und Sprengstoffgürtel, lange Bärte, Vielweiberei, Zwangsverheiratungen und Ehrenmorde, Al Kaida-Attentate und Maschinenpistolensalven beim Jubel darüber auf den Straßen – und über alles hinweg heult der Ruf des Muezzin über deutschen Dächern.
„Unser Land Deutschland“ bedeutet messerscharf codiert: Es ist nicht ihr Deutschland!
Die CSU veredelt dieses Amalgam aus Ängsten, Schrecken und Sorgen mit einem Symbolbild: Eine Frau in einer blauen afghanischen Burka, die Inkarnation der Überfremdungsangst. In Deutschland und selbst im häufig von per Direktflug einreisenden verschleierten Shopping-Kundinnen aus der Golf-Region besuchten München müsste man sich schon sehr anstrengen, um das Kleidungsstück zu entdecken, aber das ist ein anderes Thema.
Die CSU kalkuliert anders: Das klebrige Abziehbildchen reicht, um es bei jedem machistischen Messerangriff in einer deutschen Großstadt, bei jedem nihilistischen Terroranschlag oder bei einer Ein- oder Ausreise eines gefährlichen Dschihadisten nach oder aus dem IS-Gebiet allen CSU-Kritikern ans Revers zu heften: „Wir wollten die Deutschen ja schützen, aber euch war es wichtiger, den Muslimen beizuspringen!“
Unterdessen versucht die CSU-Spitze, ihren ebenso finsteren wie folgenlosen Kernsatz in immer neue, freilich nicht weniger unverbindliche Wortgirlanden zu wickeln, um sich die Schmauchspuren abzuwaschen: „Der Islam ist nicht identitätsstiftend und kulturprägend für unser Land, selbst wenn er Realität in vielen deutschen Städten ist“ (Markus Söder) – „Das Wertefundament in Deutschland beruht auf der christlich-abendländischen Kultur. Daran halten wir fest.“ (Andreas Scheuer) – „Die CSU ist nicht bereit, die kulturelle Identität Deutschlands aufzugeben. Politische Korrektheit ist keine Heimat.“ (Alexander Dobrindt) – Scheinbar erbauliche Sprüche für den Heimatkalender, auch von Bundesheimatminister Horst Seehofer selbst unaufhörlich variiert: „Unser Land Deutschland ist über Jahrhunderte geprägt worden vom Christentum kulturell.“
„Unser Land Deutschland“ bedeutet hier allerdings messerscharf codiert: Es ist nicht ihr Deutschland! (vgl. Alexander Gaulands Kampfansage vom Bundestagswahlabend: „Wir holen uns unser Land zurück.“) Einmal gipfelten Seehofers Erläuterungen darin, von den Muslimen in Deutschland eine „klare Distanzierung von Gewalt“ zu verlangen, eine weitere rechtsstaatliche Ungeheuerlichkeit. Nicht nur, dass unterstellt wird, dass Muslime Gewalt unterstützen, solange sie nicht explizit das Gegenteil aussagen. Es verleiht zugleich den Terroristen, auf deren Taten sich Seehofer offensichtlich als Anlass für eine Distanzierung bezieht, eine quasi-theologische Deutungshoheit über ihre eigenen, zum religiösen Akt überhöhten Mordtaten, so wie es auch der IS im geistig fragmentierten Weltislam für sich reklamiert.
Nicht 5 Millionen gläubiger Muslime leben in Deutschland, sondern wohl eher 1 Million. Wie das?
Dass Muslime in Deutschland anderes im Sinne haben, als ihr Land zu islamisieren, zeigt derweil eindrucksvoll der Religionswissenschaftler Michael Blume, der in seinem Buch „Islam in der Krise“ und vielen Blogbeiträgen das Bild von zweifelnden Menschen zeichnet, die sich mangels Austrittsoption innerlich vom Glauben zurückziehen. Auch der Islam ist in der pluralistischen deutschen Gesellschaft einem Säkularisierungsprozess unterworfen, und auch die Geburtenraten muslimischer Einwanderer sinken aufgrund sozialer Gegebenheiten. Muslime weltweit sind geschockt von Terrortaten im Namen ihres Glaubens (der übrigens vor allem Muslime als Opfer hat), sie blicken entsetzt auf innerislamische Religionskriege und korrupte Regime und erstaunt auf die Aufnahme von muslimischen Kriegsflüchtlingen in Deutschland, Italien und Skandinavien.
Vor allem entzaubert Blume, der in Winfried Kretschmanns Staatsministerium lange für den Kontakt zu nicht-christlichen Religionen zuständig war, die Statistik: Nicht 5 Millionen gläubiger Muslime leben in Deutschland, sondern wohl eher 1 Million. Wie das? Nun, während bei Christen die Taufregister als Basis dienen können und die Kirchenmitgliedschaft bzw. die Austritte präzise erfasst sind, nehmen die Statistiker in Deutschland für die Kategorie ‚Muslime‘ schlichtweg die Nationalität, also die Herkunft (hilfsweise der Eltern) aus muslimisch geprägten Staaten als Grundlage. Die Zahl der vermeintlichen Muslime ist also in Wahrheit die der Menschen mit türkischer, syrischer, afghanischer, albanischer, bosnischer etc. etc. Staatsbürgerschaft. Blume verweist auf anonyme Umfragen, in denen sich eine wachsende Zahl von offiziell als Muslimen gezählten Menschen als konfessionslos bezeichnen oder eben ihre Distanz zu Gemeinden, Gebeten und Riten ihrer Religion bekunden. Er erläutert in einem Blogbeitrag weiter: „Die Säkularisierung unter Christen und Juden wird durch jeden (auch beitragssparenden) Austritt und jede nicht erfolgte Taufe statistisch sichtbar, wohingegen selbst Muslime, die in ihrem ganzen Leben nie eine Moschee von innen gesehen und nie einen Beitrag entrichtet haben, weiterhin als ‚Muslime‘ gezählt werden. Unsere bisherigen, verzerrten Statistiken täuschen eine ‚Islamisierung‘ vor, die sich bei der eigentlich gebotenen Beschränkung auf die realen Mitgliedschaften im Vergleich schnell als Chimäre entpuppen würde.“ Die Islamisierung entpuppt sich hier als Luftnummer, bei der Deutsche unterstellen, anders als im Christentum gebe es im Islam (in Deutschland!) keinen Weg zu Atheismus oder jedenfalls Glaubensferne. Ein formeller „Austritt“ kann bei Muslimen natürlich nirgendwo erfolgen, der Staat hat weder die Aufgabe noch die Handhabe, Religionszugehörigkeiten durch eigene Matrikel o.ä. zu erfassen. Muslimverbände und Islamgegner operieren so in stillschweigender Übereinkunft mit den Geisterzahlen deutscher Statistik. Und auf dieser fußen wiederum Überfremdungsfantasien, wie sie die CSU einerseits aufgreift, andererseits selbst anfacht.
Der Bundesinnenminister macht sich zum Kronzeugen des IS
Ehe wir uns wieder den politischen Absichten der CSU zuwenden: Wie bedeutsam und berechtigt können sie sein, um die verheerenden indirekten Wirkungen ihres Handelns aufzuwiegen? Das unsinnige Claim führt die Integrationsbemühungen zehntausender Menschen ad absurdum. Die Botschaft vor allem an junge Muslime der zweiten oder dritten Einwanderergeneration ist: ‚Du kannst tun und lassen was du willst. Du kannst Deutsch lernen, du kannst studieren, zur Bundeswehr gehen, Theaterregisseur oder Parteipolitiker oder Physiotherapeut werden, Kinder in die Welt setzen oder ein Startup gründen – am Ende gehörst Du doch nicht hierher. Es sei denn, du schwörst Deinem Glauben ab (Und das würden wir dir auch nicht glauben.)‘
Oder wie es der Integrationsforscher Prof. Haci Uslucan von der Universität Duisburg im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst mit Blick auf hier geborene Migranten aus muslimischen Familien formulierte: Man erwarte von ihnen, sich zu integrieren. Gleichzeitig grenze man sie mit Sätzen wie „Der Islam gehört nicht Deutschland“ aus. „Das ist psychologisch vollkommen widersinnig.“
Fataler dabei ist, dass die CSU diese These nicht exklusiv vorbringt: Mit anderer Stoßrichtung, zynischer und grobschlächtiger, aber im Grunde mit derselben Erzählung dringt so der Salafismus und Dschihadismus des IS in seiner vulgären Missionierung unter ungefestigten jungen Muslimen vor: ‚Du gehörst nicht hierher und nicht dazu. Selbst wenn du alles tust, um dich zu integrieren. Der Islam, und nur der Islam, ist deine Identität.‘ Der Bundesinnenminister (!) macht sich hier zum Kronzeugen.
Nichts aus dem Kulturkampf gelernt
Die CSU müsste immun gegen ausgrenzenden Nationalismus sein. Stets und zurecht legte sie Wert darauf, das Lebensgefühl eines Freistaates und seiner Menschen zu verkörpern, die eben nicht „nur“ Deutsche wie der Durchschnitt sind, sondern deren Identität unverzichtbare regionale Komponenten hat. Das hat also mit Heimat, aber natürlich auch eminent mit römisch-katholischen Prägung zu tun. Ebenso wenig wie man sich als Bayer in erster Linie oder gar ausschließlich als Deutscher fühlt, tut man dies als Katholik. Alan Posener fragte daher schon 2015 in der „Welt“ ebenso polemisch wie treffend “Gehört der Katholizismus zu Deutschland?“ und illustrierte noch einmal den damals von Bismarck vom Zaun gebrochenen Kulturkampf gegen die Katholiken im jungen Deutschen Reich der 1870er Jahre. Der Staat bestritt nicht nur religiösen Autoritäten in Rom und den deutschen Bistümern das Recht, in politischen oder gesellschaftlichen Fragen entscheidend Einfluss zu nehmen. Er stellte auch in Frage, ob Katholiken in ihren Parallelwelten vollwertige Patrioten und mithin loyale Bürger sein könnten. Es dauerte lange, bis sich Staat und Kirche darüber verständigten und die Katholiken mit der Zentrumspartei, aus der nach dem Ungeist des NS-Regimes auch CDU und CSU hervorgingen, eine politische Plattform fanden und wählten, die ihnen eine Partizipation im Staat bei fortgesetzter Romtreue sicherte. Dass die CSU heute mit ihrer Herkunft und Prägung bricht, um im Kampf gegen den Islam und sein (angeblich unter deutschen Muslimen geteiltes) Staatsverständnis in die Rolle ihrer damaligen nationalliberalen und ‑konservativen Gegner zu schlüpfen, ist einigermaßen bizarr.
Die Antwort auf das Scheitern: Radikalisierung
Was aber bezweckt die CSU? Welche Strategie steckt dahinter? – Klar, zur Landtagswahl sollen die Wähler, die sich aus Überfremdungs- und Islamisierungsängsten zur AfD verliefen, „zurück“ in den Mutterschoß der CSU finden. Sie und ihre Spitzenmänner sind es, die sich in Bayern und Berlin darum kümmern, dass Ängste ernst genommen werden. Selbst im SPIEGEL-Leitartikel wurde applaudiert: Besser die CSU macht es als niemand oder die AfD. Man könnte annehmen, dass das alles funktionieren kann, wüsste man es nicht besser: Erstens haben CDU und auch CSU bei der Bundestagswahl ungefähr gleichermaßen an AfD und FDP verloren. Zwei Jahre Dauerfeuer aus München mit der Botschaft: ‚Angela Merkel und die CDU versagen im Umgang der Herausforderung Flüchtlinge & Migration‘ haben mindestens außerhalb Bayerns, wo man ja die CSU als heimattreue Alternative im nationalen öffentlichen Diskurs gleichwohl nicht wählen kann, für eine Abwanderung von CDU-Wählern gesorgt. Darunter waren aber natürlich auch Wähler, die sich wegen der CSU als „bucklige Verwandtschaft“ (Cem Özdemir) nicht für die CDU entscheiden wollten. Das könnte der CSU mit Blick auf den anstehenden Wahlkampf in Bayern egal sein (auch wenn ihre Kampagne die Stimmung in ganz Deutschland vergiftet). Aber auch hier lehrt die Erfahrung anderes: Die AfD ist dort und dann erfolgreich, wo und wenn ihr Kernthema die Wahlarena dominiert. Also die Angst vor Zuwanderung, Islam und Europa als Bedrohungen einer nationalen Identität. Die CSU degradiert sich nun zum Stichwortgeber und Themenerhitzer auf dem einzigen Feld, das die AfD im Wahlkampf zuverlässig beackert und aberntet. Was immer die CSU dabei an symbolischen Forderungen erhebt, und wie auch immer sie rhetorisch aufrüstet, die AfD wird klarer, entschlossener, rücksichtsloser auftreten. Die Legitimität ihrer „Sorgen“ wird der AfD dabei täglich aufs Neue von der CSU und vom Freistaat Bayern quasi amtlich bescheinigt. Dass CSU-Politiker ein „bürgerliches Lager“ von Wählern beschwören, um die CSU und AfD konkurrieren, verstärkt diesen Effekt nur noch. Die AfD musste im bayerischen Bundestagswahlkampf im Grunde nur einen einzigen Slogan plakatieren (und hat das fleißig gemacht, ohne zu merken, dass er im übrigen Bundesgebiet mindestens ebenso wirksam gewesen wäre): „Die AfD hält, was die CSU verspricht.“ Er entlarvt nicht nur das Maulheldentum der Christsozialen. Er behauptet auch die Deckungsgleichheit der Forderungen zwischen der rechtsextremen Protestpartei und der eigentlich breit aufgestellten Volks- und Staatspartei in Bayern und leiht sich somit deren Seriosität. Schließlich gibt er dem zweifelnden Wähler ein Funktionsargument an die Hand: Damit die CSU endlich tun darf, was sie sagt, muss ich den Druck von Rechtsaußen auf die Partei verstärken. Auf diese Weise hat sich schon die Linke über viele Jahre an der Seite der SPD mit Proteststimmen vollgesaugt.
Dass der Satz der AfD eine bloße Lüge ist, tut der Sache keinen Abbruch. Natürlich hält sie nicht, was die CSU verspricht. Auch sie verspricht nur, was nicht zu halten ist. Aber niemand wählt die AfD, damit sie etwas hält oder umsetzt. Ihre Wähler wissen, dass das NOCH nicht geht (weil die sozialdemokratisierte CDU, die noch nicht entfesselte CSU, die linksgrünen Medien etc. im Wege stehen).
Aber auch auf dieses Niveau lässt sich die CSU hinab. Den Nimbus der Staatspartei, deren politischer Wille unmittelbar Gesetz wird, gibt sie auf und geriert sich stattdessen als 50+x%-Protestpartei, die man nur ein weiteres Mal bei einer Landtagswahl wählen muss, damit das Wünschen wieder hilft oder, um erneut einen CSU-Granden zu zitieren, die „konservative Revolution der Bürger“ gegen „linke Mainstreameliten“ losbricht, wie Alexander Dobrindt mit den Reizworten der Rechten sinnarm jongliert.
Wie gesagt: Bei den Bundestagswahl 2017 ging die Rechnung der CSU nicht auf: Sie verlor mehr als 10 Prozent der Zweitstimmen, die AfD gewann rund 8, weitere rund 5 die FDP. Die Antwort auf das Scheitern einer Strategie besteht nun in ihrer Radikalisierung.
CSU verliert Christen
Bei all dem riskiert die CSU (und tut das natürlich auch stets im Namen der gesamten Union) den Verlust dezidiert christlicher Wähler. Entschlossene Widerworte für die Islam-Parole des CSU-Chefs kamen ja nicht nur wie zu erwarten war, von Grünen, Sozialdemokraten und Linken, sondern außer von CDU-Politikern vehement vom Münchner Erzbischof Kardinal Marx, der im FOCUS klagte: „Diese Debatte führt zu nichts. […] Ein Blick ins Grundgesetz reicht doch zur Klärung. Artikel 4 garantiert Religionsfreiheit; die ungestörte Ausübung der Religion ist ausdrücklich gewährleistet. Das Recht auf Religionsfreiheit, das ist wirklich Teil unserer Staatsräson.“
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Thomas Sternberg kritisierte in mehreren Interviews einen „starken Antiislamismus in unserem Land.“ Es beunruhige ihn sehr stark, so Sternberg in der Passauer Neuen Presse, „dass versucht wird, Problemlagen auf eine Religion zu übertragen. Das hat es in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts schon einmal gegeben: Damals wurden Pauschalurteile über Juden in die Welt gesetzt. Das hat es den Nazis ermöglicht, den Antisemitismus bis zum größten Verbrechen der Menschheit weiterzutreiben.“ – Wenn in der Parteizentrale einer C‑Partei nicht spätestens hier die Alarmglocken läuten, die einen schweren Ausnahmefehler anzeigen, wann dann?
Christlicher Glaube wird zum staatsumrahmenden Dekomaterial
Wer sich oder anderen die simple Frage stellt, worin die notorisch beschworene „christlich-jüdische Identität“ Deutschland in den vergangenen Jahren am augenfälligsten zum Ausdruck kam, wird sagen müssen: In der an vielen Stellen wie selbstverständlich aufblühenden Willkommenskultur beim Zustrom der Flüchtlinge, die wiederum etwa mit minutenlangem Applaus für die Bundeskanzlerin und CDU-Chefin beim Caritas-Jahresempfang in Köln im April 2016 einen Nachhall fand.
In seiner Videobotschaft zu Ostern hat Bayerns neuer Ministerpräsident Söder zwar Osterhase und Eiersuche beschworen und hinzugefügt: „Es ist aber auch (sic!) ein christliches Fest.“ Um dann aber nur, ohne Gott, Jesus und die Auferstehung auch nur erwähnend zu streifen, das Christentum gegen den Islam auszuspielen, wobei letzterer „kulturgeschichtlich eben nicht eine Wurzel der bayerischen oder deutschen Prägung“ sei – eine semantisch vollends pulverisierte Variante früherer Stanzen dieser Art. „Wir in Bayern jedenfalls feiern Ostern gern. Nicht jeder muss zehnmal in die Kirche gehen, aber die Lebensform, die Lebensweise ist so.“ Hier wird, vorgetragen in heiligem Ernst, der christliche Glaube zum bloßen staatsumrahmenden Dekomaterial degradiert. Was ihn ironischerweise wieder dem Islam in vielen autoritären Staaten recht ähnlich macht.
Als Angela Merkel im September 2015 die Ehrendoktorwürde der Universität Bern entgegennahm, fragte eine ostentativ besorgte Schweizerin in der dem Festakt folgenden Podiumsdiskussion, wie die Kanzlerin „Europa und unsere Kultur“ vor der Islamisierung schützen wolle. Die CDU-Chefin entgegnete mit dem Hinweis, dass knapp 50 Millionen Christen in Deutschland „mal wieder in einen Gottesdienst gehen“ und „ein bisschen bibelfest sein“ könnten. Das ist intellektuell zwar auf den ersten Blick ähnlich schlank geraten wie Söders Verklärung der familiären Eiersuche. Dennoch ist darin der Schlüssel zur Überwindung der ‚Grande Peur‘ vor dem Islam versteckt: Dieser ist dank seiner vielerorts autoritären staatlichen Fesselung einfach etliche Jahrzehnte später dran bei der Säkularisierung als Christen und Juden in den offenen Gesellschaften, in denen sie leben. An der Entchristlichung Bayerns, Sachsens oder Berlins hat der Islam mit all seinen mehr oder weniger radikalen Ausläufern weniger Anteil als die Glaubensmüdigkeit und der Wertezerfall, den niemand so anschaulich macht wie die CSU in ihrer durchaus gottvergessenen Grimmigkeit.
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.