Der CSU-Amoklauf gegen den Islam

Quelle: BMVI/​Flickr

Die Christlich Soziale Union – kurz CSU – degra­diert den christ­li­chen Glauben zum folklo­ris­ti­schen Deko­ma­te­rial. Sie will mit der Ausgrenzung von Muslimen ihre Macht­stellung festigen. Damit düngt sie den Boden für die AfD. LibMod-Autor Markus Schubert findet: Niemand veran­schau­licht Glaubens­mü­digkeit und Werte­zerfall anschau­licher als diese CSU.

Wer hätte gedacht, dass man sich im Jahre 2018 (wäre man polemisch, müsste man schreiben: wieder) mit einer deutschen Regie­rungs­partei ausein­an­der­setzen muss, die mit der Ausgrenzung einer religiösen Minderheit im Land ihre Macht­stellung festigen will. Wenn es die NPD oder die sich bürgerlich etiket­tie­rende AfD wäre, man würde es für dumm, anmaßend oder beschämend halten, aber da es die CSU ist, eine Partei mit Geschichte und Herrschafts­er­fahrung, ist es ein anderer Fall: Brunnen­ver­giftung. Pech, wenn man als C‑Partei aus derselben Quelle trinkt.

An der Entchrist­li­chung Bayerns, Sachsens oder Berlins hat der Islam mit all seinen mehr oder weniger radikalen Ausläufern weniger Anteil als die Glaubens­mü­digkeit und der Werte­zerfall, den niemand so anschaulich macht wie die CSU in ihrer durchaus gottver­ges­senen Grimmigkeit. 

Erst zögert man, auf solche schlicht konstru­ierten Provo­ka­tionen einzu­gehen, um sie nicht aufzu­werten oder weiter zu verbreiten, aber alleine die vielstimmige und nicht abrei­ßende Orches­trierung dieser Parole seit dem Auftakt der Debatte lässt ahnen, dass die CSU dieses Thema zum Leitmotiv einer ganzen Wahlkam­pagne machen will. Schließlich hat Horst Seehofers Lieblings­klau­surgast Viktor Orbán gerade vorge­macht, wie das funktio­niert – sogar fast ohne Muslime im Land.

Der Satz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ ist ebenso dumm wie perfide. Er ist gerissen konstruiert, seman­tisch schil­lernd, und als legitime Negierung einer Ausgangs­these („Der Islam gehört auch zu Deutschland“ Bundes­prä­sident Wulff 2010) solide getarnt. Wann und wo immer man die Akteure zu stellen versucht, durch gezielte Nachfragen, ballt sich der Satz rasch zusammen, weicht aus, taucht weg und steht doch kurz darauf wieder grell und verletzend da wie zuvor.

Alle drei Elemente dieser Tatsa­chen­be­hauptung bleiben bewusst vage: Was ist „der Islam“? Was bedeutet „nicht dazu gehören“? Was meint „Deutschland“?

Ausgrenzung von Muslimen und Anbie­derung an die AfD

Bedeutete „der Islam“ die Gemein­schaft der gläubigen Muslime in Deutschland, hieße „nicht dazu gehören“ gerade deswegen verboten sein, meinte „Deutschland“ die Bundes­re­publik, deren Grund­werte und deren politi­sches System im Grund­gesetz geregelt sind, dann wäre der Satz zutiefst  inhuman und durch und durch unrecht­mäßig. Menschen müssten dann aufgrund nicht objektiv messbarer Einstel­lungen und Überzeu­gungen ausge­bürgert, die Religi­ons­freiheit in Art. 4 GG ausra­diert, Gottes­häuser geschleift und Menschen schließlich depor­tiert werden. Alles nicht ohne Beispiel, und gerade deshalb ist es so ungeheu­erlich, dass die CSU-Vorturner diese Wirkung nicht nur nicht vermeiden, sondern vermutlich kalku­liert haben.

Kaum hatte der CSU-Chef von den Redak­teuren der BILD-Zeitung sein inverses Glaubens­be­kenntnis anlässlich des Amtsan­tritts aus sich heraus­pressen lassen, wurde die These in eine Umfrage gespeist – „Stimmen Sie der Aussage zu, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört?“ – Erstaunlich, zu welchen Schlicht­heiten Sozial­wis­sen­schaftler bereit sind…! – deren Ergebnis dann stolz als Bestä­tigung der Richtigkeit und Gültigkeit des Seehof­erschen Imperativs in die sozialen Medien gefeuert wurde.

In den 75 % Zustimmung kommt dank TV und Social Media nun vieles zusammen und geht wild durch­ein­ander: Steini­gungen und Enthaup­tungen von „Ungläu­bigen“ und das Hängen von Straf­tätern durch den IS oder im Iran, Angst vor dem Aussterben der Deutschen oder jeden­falls der Christen in Deutschland, das Verhüllen und Zwangs­be­schneiden von Mädchen, das Begrap­schen von Frauen, Wasser­pfeifen rauchende Männer­runden, Erdogans einpeit­schende Stadion-Reden, Messer­ste­che­reien und Spreng­stoff­gürtel, lange Bärte, Vielwei­berei, Zwangs­ver­hei­ra­tungen und Ehren­morde, Al Kaida-Attentate und Maschi­nen­pis­to­len­salven beim Jubel darüber auf den Straßen – und über alles hinweg heult der Ruf des Muezzin über deutschen Dächern.

„Unser Land Deutschland“ bedeutet messer­scharf codiert: Es ist nicht ihr Deutschland!

Die CSU veredelt dieses Amalgam aus Ängsten, Schrecken und Sorgen mit einem Symbolbild: Eine Frau in einer blauen afgha­ni­schen Burka, die Inkar­nation der Überfrem­dungs­angst. In Deutschland und selbst im häufig von per Direktflug einrei­senden verschlei­erten Shopping-Kundinnen aus der Golf-Region besuchten München müsste man sich schon sehr anstrengen, um das Kleidungs­stück zu entdecken, aber das ist ein anderes Thema.

Die CSU kalku­liert anders: Das klebrige Abzieh­bildchen reicht, um es bei jedem machis­ti­schen Messer­an­griff in einer deutschen Großstadt, bei jedem nihilis­ti­schen Terror­an­schlag oder bei einer Ein- oder Ausreise eines gefähr­lichen Dschi­ha­disten nach oder aus dem IS-Gebiet allen CSU-Kritikern ans Revers zu heften: „Wir wollten die Deutschen ja schützen, aber euch war es wichtiger, den Muslimen beizuspringen!“

Unter­dessen versucht die CSU-Spitze, ihren ebenso finsteren wie folgen­losen Kernsatz in immer neue, freilich nicht weniger unver­bind­liche Wortgir­landen zu wickeln, um sich die Schmauch­spuren abzuwa­schen: „Der Islam ist nicht identi­täts­stiftend und kultur­prägend für unser Land, selbst wenn er Realität in vielen deutschen Städten ist“ (Markus Söder) – „Das Werte­fun­dament in Deutschland beruht auf der christlich-abend­län­di­schen Kultur. Daran halten wir fest.“ (Andreas Scheuer) – „Die CSU ist nicht bereit, die kultu­relle Identität Deutsch­lands aufzu­geben. Politische Korrektheit ist keine Heimat.“ (Alexander Dobrindt) – Scheinbar erbau­liche Sprüche für den Heimat­ka­lender, auch von Bundes­hei­mat­mi­nister Horst Seehofer selbst unauf­hörlich variiert: „Unser Land Deutschland ist über Jahrhun­derte geprägt worden vom Chris­tentum kulturell.“ 

Portrait von Markus Schubert

Markus Schubert ist Moderator beim Hörfunk­sender NDR Info.

„Unser Land Deutschland“ bedeutet hier aller­dings messer­scharf codiert: Es ist nicht ihr Deutschland! (vgl. Alexander Gaulands Kampf­ansage vom Bundes­tags­wahl­abend: „Wir holen uns unser Land zurück.“) Einmal gipfelten Seehofers Erläu­te­rungen darin, von den Muslimen in Deutschland eine „klare Distan­zierung von Gewalt“ zu verlangen, eine weitere rechts­staat­liche Ungeheu­er­lichkeit. Nicht nur, dass unter­stellt wird, dass Muslime Gewalt unter­stützen, solange sie nicht explizit das Gegenteil aussagen. Es verleiht zugleich den Terro­risten, auf deren Taten sich Seehofer offen­sichtlich als Anlass für eine Distan­zierung bezieht, eine quasi-theolo­gische Deutungs­hoheit über ihre eigenen, zum religiösen Akt überhöhten Mordtaten, so wie es auch der IS im geistig fragmen­tierten Weltislam für sich reklamiert.

Nicht 5 Millionen gläubiger Muslime leben in Deutschland, sondern wohl eher 1 Million. Wie das?

Dass Muslime in Deutschland anderes im Sinne haben, als ihr Land zu islami­sieren, zeigt derweil eindrucksvoll der Religi­ons­wis­sen­schaftler Michael Blume, der in seinem Buch „Islam in der Krise“ und vielen Blogbei­trägen das Bild von zweifelnden Menschen zeichnet, die sich mangels Austritts­option innerlich vom Glauben zurück­ziehen. Auch der Islam ist in der plura­lis­ti­schen deutschen Gesell­schaft einem Säkula­ri­sie­rungs­prozess unter­worfen, und auch die Gebur­ten­raten musli­mi­scher Einwan­derer sinken aufgrund sozialer Gegeben­heiten. Muslime weltweit sind geschockt von Terror­taten im Namen ihres Glaubens (der übrigens vor allem Muslime als Opfer hat), sie blicken entsetzt auf inner­is­la­mische Religi­ons­kriege und korrupte Regime und erstaunt auf die Aufnahme von musli­mi­schen Kriegs­flücht­lingen in Deutschland, Italien und Skandinavien.

Vor allem entzaubert Blume, der in Winfried Kretsch­manns Staats­mi­nis­terium lange für den Kontakt zu nicht-christ­lichen Religionen zuständig war, die Statistik: Nicht 5 Millionen gläubiger Muslime leben in Deutschland, sondern wohl eher 1 Million. Wie das? Nun, während bei Christen die Taufre­gister als Basis dienen können und die Kirchen­mit­glied­schaft bzw. die Austritte präzise erfasst sind, nehmen die Statis­tiker in Deutschland für die Kategorie ‚Muslime‘ schlichtweg die Natio­na­lität, also die Herkunft (hilfs­weise der Eltern) aus musli­misch geprägten Staaten als Grundlage. Die Zahl der vermeint­lichen Muslime ist also in Wahrheit die der Menschen mit türki­scher, syrischer, afgha­ni­scher, albani­scher, bosni­scher etc. etc. Staats­bür­ger­schaft. Blume verweist auf anonyme Umfragen, in denen sich eine wachsende Zahl von offiziell als Muslimen gezählten Menschen als konfes­si­onslos bezeichnen oder eben ihre Distanz zu Gemeinden, Gebeten und Riten ihrer Religion bekunden. Er erläutert in einem Blogbeitrag weiter: „Die Säkula­ri­sierung unter Christen und Juden wird durch jeden (auch beitrags­spa­renden) Austritt und jede nicht erfolgte Taufe statis­tisch sichtbar, wohin­gegen selbst Muslime, die in ihrem ganzen Leben nie eine Moschee von innen gesehen und nie einen Beitrag entrichtet haben, weiterhin als ‚Muslime‘ gezählt werden. Unsere bishe­rigen, verzerrten Statis­tiken täuschen eine ‚Islami­sierung‘ vor, die sich bei der eigentlich gebotenen Beschränkung auf die realen Mitglied­schaften im Vergleich schnell als Chimäre entpuppen würde.“ Die Islami­sierung entpuppt sich hier als Luftnummer, bei der Deutsche unter­stellen, anders als im Chris­tentum gebe es im Islam (in Deutschland!) keinen Weg zu Atheismus oder jeden­falls Glaubens­ferne. Ein formeller „Austritt“ kann bei Muslimen natürlich nirgendwo erfolgen, der Staat hat weder die Aufgabe noch die Handhabe, Religi­ons­zu­ge­hö­rig­keiten durch eigene Matrikel o.ä. zu erfassen. Muslim­ver­bände und Islam­gegner operieren so in still­schwei­gender Überein­kunft mit den Geister­zahlen deutscher Statistik. Und auf dieser fußen wiederum Überfrem­dungs­fan­tasien, wie sie die CSU einer­seits aufgreift, anderer­seits selbst anfacht.

Der Bundes­in­nen­mi­nister macht sich zum Kronzeugen des IS

Ehe wir uns wieder den politi­schen Absichten der CSU zuwenden: Wie bedeutsam und berechtigt können sie sein, um die verhee­renden indirekten Wirkungen ihres Handelns aufzu­wiegen? Das unsinnige Claim führt die Integra­ti­ons­be­mü­hungen zehntau­sender Menschen ad absurdum. Die Botschaft vor allem an junge Muslime der zweiten oder dritten Einwan­de­rer­ge­neration ist: ‚Du kannst tun und lassen was du willst. Du kannst Deutsch lernen, du kannst studieren, zur Bundeswehr gehen, Theater­re­gisseur oder Partei­po­li­tiker oder Physio­the­rapeut werden, Kinder in die Welt setzen oder ein Startup gründen – am Ende gehörst Du doch nicht hierher. Es sei denn, du schwörst Deinem Glauben ab (Und das würden wir dir auch nicht glauben.)‘

Oder wie es der Integra­ti­ons­for­scher Prof. Haci Uslucan von der Univer­sität Duisburg im Gespräch mit dem Evange­li­schen Presse­dienst mit Blick auf hier geborene Migranten aus musli­mi­schen Familien formu­lierte: Man erwarte von ihnen, sich zu integrieren. Gleich­zeitig grenze man sie mit Sätzen wie „Der Islam gehört nicht Deutschland“ aus. „Das ist psycho­lo­gisch vollkommen widersinnig.“

Fataler dabei ist, dass die CSU diese These nicht exklusiv vorbringt: Mit anderer Stoßrichtung, zynischer und grobschläch­tiger, aber im Grunde mit derselben Erzählung dringt so der Salafismus und Dschi­ha­dismus des IS in seiner vulgären Missio­nierung unter ungefes­tigten jungen Muslimen vor: ‚Du gehörst nicht hierher und nicht dazu. Selbst wenn du alles tust, um dich zu integrieren. Der Islam, und nur der Islam, ist deine Identität.‘ Der Bundes­in­nen­mi­nister (!) macht sich hier zum Kronzeugen.

Nichts aus dem Kultur­kampf gelernt

Die CSU müsste immun gegen ausgren­zenden Natio­na­lismus sein. Stets und zurecht legte sie Wert darauf, das Lebens­gefühl eines Freistaates und seiner Menschen zu verkörpern, die eben nicht „nur“ Deutsche wie der Durch­schnitt sind, sondern deren Identität unver­zichtbare regionale Kompo­nenten hat. Das hat also mit Heimat, aber natürlich auch eminent mit römisch-katho­li­schen Prägung zu tun. Ebenso wenig wie man sich als Bayer in erster Linie oder gar ausschließlich als Deutscher fühlt, tut man dies als Katholik. Alan Posener fragte daher schon 2015 in der „Welt“ ebenso polemisch wie treffend “Gehört der Katho­li­zismus zu Deutschland?“ und illus­trierte noch einmal den damals von Bismarck vom Zaun gebro­chenen Kultur­kampf gegen die Katho­liken im jungen Deutschen Reich der 1870er Jahre. Der Staat bestritt nicht nur religiösen Autori­täten in Rom und den deutschen Bistümern das Recht, in politi­schen oder gesell­schaft­lichen Fragen entscheidend Einfluss zu nehmen. Er stellte auch in Frage, ob Katho­liken in ihren Paral­lel­welten vollwertige Patrioten und mithin loyale Bürger sein könnten. Es dauerte lange, bis sich Staat und Kirche darüber verstän­digten und die Katho­liken mit der Zentrums­partei, aus der nach dem Ungeist des NS-Regimes auch CDU und CSU hervor­gingen, eine politische Plattform fanden und wählten, die ihnen eine Parti­zi­pation im Staat bei fortge­setzter Romtreue sicherte. Dass die CSU heute mit ihrer Herkunft und Prägung bricht, um im Kampf gegen den Islam und sein (angeblich unter deutschen Muslimen geteiltes) Staats­ver­ständnis in die Rolle ihrer damaligen natio­nal­li­be­ralen und ‑konser­va­tiven Gegner zu schlüpfen, ist einiger­maßen bizarr.

Die Antwort auf das Scheitern: Radikalisierung

Was aber bezweckt die CSU? Welche Strategie steckt dahinter? – Klar, zur Landtagswahl sollen die Wähler, die sich aus Überfrem­dungs- und Islami­sie­rungs­ängsten zur AfD verliefen, „zurück“ in den Mutter­schoß der CSU finden. Sie und ihre Spitzen­männer sind es, die sich in Bayern und Berlin darum kümmern, dass Ängste ernst genommen werden. Selbst im SPIEGEL-Leitar­tikel wurde applau­diert: Besser die CSU macht es als niemand oder die AfD. Man könnte annehmen, dass das alles funktio­nieren kann, wüsste man es nicht besser: Erstens haben CDU und auch CSU bei der Bundes­tagswahl ungefähr gleicher­maßen an AfD und FDP verloren. Zwei Jahre Dauer­feuer aus München mit der Botschaft: ‚Angela Merkel und die CDU versagen im Umgang der Heraus­for­derung Flücht­linge & Migration‘ haben mindestens außerhalb Bayerns, wo man ja die CSU als heimat­treue Alter­native im natio­nalen öffent­lichen Diskurs gleichwohl nicht wählen kann, für eine Abwan­derung von CDU-Wählern gesorgt. Darunter waren aber natürlich auch Wähler, die sich wegen der CSU als „bucklige Verwandt­schaft“ (Cem Özdemir) nicht für die CDU entscheiden wollten. Das könnte der CSU mit Blick auf den anste­henden Wahlkampf in Bayern egal sein (auch wenn ihre Kampagne die Stimmung in ganz Deutschland vergiftet). Aber auch hier lehrt die Erfahrung anderes: Die AfD ist dort und dann erfolg­reich, wo und wenn ihr Kernthema die Wahlarena dominiert. Also die Angst vor Zuwan­derung, Islam und Europa als Bedro­hungen einer natio­nalen Identität. Die CSU degra­diert sich nun zum Stich­wort­geber und Themen­er­hitzer auf dem einzigen Feld, das die AfD im Wahlkampf zuver­lässig beackert und aberntet. Was immer die CSU dabei an symbo­li­schen Forde­rungen erhebt, und wie auch immer sie rheto­risch aufrüstet, die AfD wird klarer, entschlos­sener, rücksichts­loser auftreten. Die Legiti­mität ihrer „Sorgen“ wird der AfD dabei täglich aufs Neue von der CSU und vom Freistaat Bayern quasi amtlich bescheinigt. Dass CSU-Politiker ein „bürger­liches Lager“ von Wählern beschwören, um die CSU und AfD konkur­rieren, verstärkt diesen Effekt nur noch. Die AfD musste im bayeri­schen Bundes­tags­wahl­kampf im Grunde nur einen einzigen Slogan plaka­tieren (und hat das fleißig gemacht, ohne zu merken, dass er im übrigen Bundes­gebiet mindestens ebenso wirksam gewesen wäre): „Die AfD hält, was die CSU verspricht.“ Er entlarvt nicht nur das Maulhel­dentum der Christ­so­zialen. Er behauptet auch die Deckungs­gleichheit der Forde­rungen zwischen der rechts­extremen Protest­partei und der eigentlich breit aufge­stellten Volks- und Staats­partei in Bayern und leiht sich somit deren Serio­sität. Schließlich gibt er dem zweifelnden Wähler ein Funkti­ons­ar­gument an die Hand: Damit die CSU endlich tun darf, was sie sagt, muss ich den Druck von Rechts­außen auf die Partei verstärken. Auf diese Weise hat sich schon die Linke über viele Jahre an der Seite der SPD mit Protest­stimmen vollgesaugt.

Dass der Satz der AfD eine bloße Lüge ist, tut der Sache keinen Abbruch. Natürlich hält sie nicht, was die CSU verspricht. Auch sie verspricht nur, was nicht zu halten ist. Aber niemand wählt die AfD, damit sie etwas hält oder umsetzt. Ihre Wähler wissen, dass das NOCH nicht geht (weil die sozial­de­mo­kra­ti­sierte CDU, die noch nicht entfes­selte CSU, die links­grünen Medien etc. im Wege stehen).

Aber auch auf dieses Niveau lässt sich die CSU hinab. Den Nimbus der Staats­partei, deren politi­scher Wille unmit­telbar Gesetz wird, gibt sie auf und geriert sich statt­dessen als 50+x%-Protestpartei, die man nur ein weiteres Mal bei einer Landtagswahl wählen muss, damit das Wünschen wieder hilft oder, um erneut einen CSU-Granden zu zitieren, die „konser­vative Revolution der Bürger“ gegen „linke Mainstrea­me­liten“ losbricht, wie Alexander Dobrindt mit den Reizworten der Rechten sinnarm jongliert.

Wie gesagt: Bei den Bundes­tagswahl 2017 ging die Rechnung der CSU nicht auf: Sie verlor mehr als 10 Prozent der Zweit­stimmen, die AfD gewann rund 8, weitere rund 5 die FDP. Die Antwort auf das Scheitern einer Strategie besteht nun in ihrer Radikalisierung.

CSU verliert Christen

Bei all dem riskiert die CSU (und tut das natürlich auch stets im Namen der gesamten Union) den Verlust dezidiert christ­licher Wähler. Entschlossene Wider­worte für die Islam-Parole des CSU-Chefs kamen ja nicht nur wie zu erwarten war, von Grünen, Sozial­de­mo­kraten und Linken, sondern außer von CDU-Politikern vehement vom Münchner Erzbi­schof Kardinal Marx, der im FOCUS klagte: „Diese Debatte führt zu nichts. […] Ein Blick ins Grund­gesetz reicht doch zur Klärung. Artikel 4 garan­tiert Religi­ons­freiheit; die ungestörte Ausübung der Religion ist ausdrücklich gewähr­leistet. Das Recht auf Religi­ons­freiheit, das ist wirklich Teil unserer Staatsräson.“

Der Präsident des Zentral­ko­mitees der deutschen Katho­liken Thomas Sternberg kriti­sierte in mehreren Inter­views einen „starken Antiis­la­mismus in unserem Land.“ Es beunruhige ihn sehr stark, so Sternberg in der Passauer Neuen Presse, „dass versucht wird, Problem­lagen auf eine Religion zu übertragen. Das hat es in der ersten Hälfte des vergan­genen Jahrhun­derts schon einmal gegeben: Damals wurden Pauschal­ur­teile über Juden in die Welt gesetzt. Das hat es den Nazis ermög­licht, den Antise­mi­tismus bis zum größten Verbrechen der Menschheit weiter­zu­treiben.“ – Wenn in der Partei­zen­trale einer C‑Partei nicht spätestens hier die Alarm­glocken läuten, die einen schweren Ausnah­me­fehler anzeigen, wann dann?

Christ­licher Glaube wird zum staats­um­rah­menden Dekomaterial

Wer sich oder anderen die simple Frage stellt, worin die notorisch beschworene „christlich-jüdische Identität“ Deutschland in den vergan­genen Jahren am augen­fäl­ligsten zum Ausdruck kam, wird sagen müssen: In der an vielen Stellen wie selbst­ver­ständlich aufblü­henden Willkom­mens­kultur beim Zustrom der Flücht­linge, die wiederum etwa mit minuten­langem Applaus für die Bundes­kanz­lerin und CDU-Chefin beim Caritas-Jahres­empfang in Köln im April 2016 einen Nachhall fand.

In seiner Video­bot­schaft zu Ostern hat Bayerns neuer Minis­ter­prä­sident Söder zwar Osterhase und Eiersuche beschworen und hinzu­gefügt: „Es ist aber auch (sic!) ein christ­liches Fest.“ Um dann aber nur, ohne Gott, Jesus und die Aufer­stehung auch nur erwähnend zu streifen, das Chris­tentum gegen den Islam auszu­spielen, wobei letzterer „kultur­ge­schichtlich eben nicht eine Wurzel der bayeri­schen oder deutschen Prägung“ sei – eine seman­tisch vollends pulve­ri­sierte Variante früherer Stanzen dieser Art. „Wir in Bayern jeden­falls feiern Ostern gern. Nicht jeder muss zehnmal in die Kirche gehen, aber die Lebensform, die Lebens­weise ist so.“ Hier wird, vorge­tragen in heiligem Ernst, der christ­liche Glaube zum bloßen staats­um­rah­menden Dekoma­terial degra­diert. Was ihn ironi­scher­weise wieder dem Islam in vielen autori­tären Staaten recht ähnlich macht.

Als Angela Merkel im September 2015 die Ehren­dok­tor­würde der Univer­sität Bern entge­gennahm, fragte eine osten­tativ besorgte Schwei­zerin in der dem Festakt folgenden Podiums­dis­kussion, wie die Kanzlerin „Europa und unsere Kultur“ vor der Islami­sierung schützen wolle. Die CDU-Chefin entgegnete mit dem Hinweis, dass knapp 50 Millionen Christen in Deutschland „mal wieder in einen Gottes­dienst gehen“ und „ein bisschen bibelfest sein“ könnten. Das ist intel­lek­tuell zwar auf den ersten Blick ähnlich schlank geraten wie Söders Verklärung der familiären Eiersuche. Dennoch ist darin der Schlüssel zur Überwindung der ‚Grande Peur‘ vor dem Islam versteckt: Dieser ist dank seiner vielerorts autori­tären staat­lichen Fesselung einfach etliche Jahrzehnte später dran bei der Säkula­ri­sierung als Christen und Juden in den offenen Gesell­schaften, in denen sie leben. An der Entchrist­li­chung Bayerns, Sachsens oder Berlins hat der Islam mit all seinen mehr oder weniger radikalen Ausläufern weniger Anteil als die Glaubens­mü­digkeit und der Werte­zerfall, den niemand so anschaulich macht wie die CSU in ihrer durchaus gottver­ges­senen Grimmigkeit.

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