Treffen sich ein Clown und ein Präsident

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Der Comedian Wolodymyr Selenskyj und der amtie­rende Präsident Petro Poroschenko stehen sich in der Stichwahl um die ukrai­nische Präsi­dent­schaft gegenüber. Die meisten Beobachter schreiben dem Polit-Neuling Selenskyj geringe Siegchancen zu. Bleibt die Frage: Woher sollen plötzlich die Wähler kommen, die Poroschenko zum Triumph verhelfen könnten?

Zwei Tage nach der ersten Runde der ukrai­ni­schen Präsi­dent­schaftswahl sind 98,9 Prozent der Stimmen ausge­zählt. Der Comedian Wolodymyr Selenskyj geht mit rund 30 Prozent favori­siert in die Stichwahl gegen den amtie­renden Präsi­denten Petro Poroschenko. Poroschenko, den einige Beobachter im Dezember bereits abgeschrieben hatten, erreichte nur 15,9 Prozent. Damit trennen ihn und Selenskyj fast zweieinhalb Millionen Stimmen. Verschiedene Wahlbe­ob­achter, wie die NGO OPORA, bezeich­neten die Wahlen als größten­teils fair. Es habe, so Olga Aivazovska, die Direk­torin von OPORA, weniger Verstöße gegeben als 2014. Inter­na­tionale Beobachter bestä­tigen diese Einschätzung. 

Portrait von Mattia Nelles

Mattia Nelles lebt norma­ler­weise in der Ukraine, wo er zur Ostukraine arbeitet.

Zu den wenigen Überra­schungen des Wahlabends gehört das starke Abschneiden von Igor Smeschko. Die sechs Prozent­punkte des ehema­ligen Geheim­dienst­chefs hatte keine Umfrage vorher­ge­sehen. Damit landete Smeschko nur knapp einen Prozent­punkt hinter Anatolij Hryzenko, dem Hoffnungs­kan­di­daten vieler Maidan-Aktivsten.

Bedeu­tender ist das schwache Abschneiden von Ruslan Koshu­lynskyi, dem gemein­samen Kandi­daten der Natio­na­listen und Rechts­extremen, der lediglich 1,6 Prozent der Stimmen erzielte. Das ist insofern beein­dru­ckend, als das Ukraine-Bild im Westen vielfach von der russi­schen Propa­ganda beein­flusst wird, wonach die Ukraine ein faschis­ti­sches Land sei. Während fast in ganz Europa rechts­po­pu­lis­tische Parteien starke Wahler­geb­nisse erzielen, scheint die Ukraine bis dato trotz Krieg im Donbass und schwie­riger wirtschaft­licher Lage eine Ausnahme zu sein. Auch die jüdischen Wurzeln des Kandi­daten Selenskyj sind im Wahlkampf bisher kaum ein Thema gewesen.

Wenig überra­schend ist auch die theatra­lisch insze­nierte Niederlage von Julija Tymoschenko, die noch am Wahlabend eigene Nachwahl­be­fra­gungen veröf­fent­lichte, die sie ganze vier Prozent­punkte vor Poroschenko zeigten. Die ehemalige Premier­mi­nis­terin stellte am Dienstag bei einer Presse­kon­ferenz die Ergeb­nisse der Wahl in Frage, sagte aber, dass sie nicht vorhabe, die Ergeb­nisse gerichtlich anzufechten, da diese unter Kontrolle des Präsi­denten stünden.

Der zum Teil offene Hass gegen Poroschenko ist schwer zu greifen

Am 21. April haben die Ukrainer nun die Wahl zwischen dem aktuellen Präsi­denten und dem Polit-Novizen. Rational spricht einiges für eine Wiederwahl Poroschenkos. Wer kann sich schon vorstellen, dass der 41-jährige Selenskyj mit dem seit über 18 Jahren regie­renden ehema­ligen KGB-Agenten Wladimir Putin über Krieg und Frieden verhandelt?

Doch diese Überle­gungen greifen zu kurz. Zu aufge­wühlt sind die Emotionen und zu groß ist die Frustration mit Poroschenkos politi­schem Kurs in vielen Teilen des Landes. Noch vor der ersten Wahlrunde gaben zwei Drittel der Wähler an, dem Präsi­denten nicht zu vertrauen. Jeder zweite Wähler gab sogar an, den Präsi­denten unter keinen Umständen wählen zu wollen. Selenskyj hingegen genießt ein relativ geringes Anti-Rating und nur jeder fünfte Wähler würde ihn nicht wählen wollen. Dieser zum Teil offene Hass gegen Poroschenko ist schwer zu greifen. Er hat rationale wie irrationale Gründe.

In fast schmerz­hafter Erinnerung ist vielen Bürgern der geheime Urlaub des Präsi­denten auf den Malediven, der etwa 500 Tausend Euro gekostet haben soll. Hinzu kommt eine Reihe von Skandalen, die in der Regel Personen aus dem Umfeld des Präsi­denten betreffen. Zuletzt musste Poroschenko seinen engen Vertrauten und stell­ver­tre­tenden Leiter des Natio­nalen Sicher­heits­rates entlassen, weil dessen Sohn tief in Korruption im Vertei­di­gungs­sektor verwi­ckelt sein soll. Kurzum, die Unzufrie­denheit mit Poroschenko –trotz einiger außen­po­li­ti­scher Erfolge –ist immens.

Poroschenkos Problem­zonen sind der Süden und der Osten 

Die zentrale Frage der nächsten Wochen wird sein, ob sich der Hass gegen den Amtsin­haber als größer heraus­stellt als die Furcht, von einem schwachen und vielleicht sogar inkom­pe­tenten Präsi­denten geführt zu werden. Poroschenko steht vor der wohl schwie­rigsten Heraus­for­derung. Sein bishe­riger Kurs hat ihm zwar den Einzug in die Stichwahl gesichert, aber ihm nur 16 Prozent der Stimmen beschert. Jetzt muss der Präsident sich neu erfinden, um Wähler im Zentrum, im Süden und im Osten des Landes anzusprechen. Dafür müsste er wohl den natio­nal­kon­ser­va­tiven Kurs hinter sich lassen, der bisher kaum politische Früchte getragen hat.

Poroschenko konnte lediglich die Oblaste Lwiw und Ternopil sowie die Mehrheit der Stimmen in der Diaspora gewinnen. Es gelang ihm aber weder in Kyjiw noch in seiner Heimat­oblast Winnyzja, eine Mehrheit zu erringen. Im Zentrum des Landes schloss der Amtsin­haber trotz größter Wahlkampf­aus­gaben und großer medialer Präsenz in verschie­denen Fernseh­sendern von Oligarchen schlecht und im Süden sowie Osten des Landes sogar besonders schlecht ab. Charkiw, Odessa und Dnipro­pe­trowsk illus­trieren das Problem. In Dnipro­pe­trovsk, der Oblast, aus der Selenskyj stammt, bekam Poroschenko lediglich 8,2 und der Comedian 45 Prozent der Stimmen. In den Oblasten Charkiw und Odessa erreichte Poroschenko trotz Allianz mit den korrupten Bürger­meistern nur 8,5 und 9 Prozent der Stimmen, während Selenskyj 36,4 bzw. 41,6 Prozent erzielte.

Noch am Wahlabend deutete Poroschenko an, dass er auf Krawall gebürstet ist. In einem Briefing nach der Bekanntgabe der Nachwahl­be­fra­gungen sagte der Präsident: „Er [Putin] träumt von einem weichen, unter­wür­figen, freund­lichen, kichernden, unerfah­renen, schwachen und ideolo­gisch amorphen und politisch unsicheren Präsi­denten. Werden wir ihm dieses Geschenk machen?” In einer Rede in seinem Wahlhaupt­quartier ging er noch weiter in die Offensive: “Wir werden einer Puppe von Kolomo­j­sykyj keine Change geben”. Selen­skyjs Unerfah­renheit und seine Verbindung zu dem Oligarchen Ihor Kolomo­jskyj stehen also bisher im Fokus der Angriffe. Unklar ist jedoch, inwiefern diese Angriffe dem Präsi­denten nutzen. Bisher verliefen die meisten Versuche, den Comedian direkt oder indirekt zu diskre­di­tieren, ins Leere. Der Journalist Ian Bateson fragte bei Twitter, warum enttäuschte Wähler plötzlich zu Poroschenko überlaufen sollten, wenn ein Oligarch wie Poroschenko einen anderen kriti­siere. Auch die Betonung der eigenen Erfahrung ist Chance und Gefahr zugleich. Viele Wähler unter­stützen Selenskyj schließlich, gerade weil sie das Estab­lishment, für das Politiker wie Poroschenko stehen, so sehr verachten.

Im TV-Duell könnten sich beide blamieren

Große Hoffnungen liegen auf dem TV-Duell, das voraus­sichtlich in zwei Wochen im öffentlich-recht­lichen Fernsehen ausge­strahlt wird. Es ist das erste Mal, dass Poroschenko und Selenskyj aufein­an­der­treffen werden. Beide könnten sich blamieren. Bis dato hat Selenskyj in seinem Wahlkampf kritische Medien und klassische Kampa­gnen­auf­tritte gemieden. Die Erwar­tungen an den Kandi­daten sind aber gestiegen, sich und sein Programm zu erklären. Am Wahlabend gab Selenskyj deswegen bekannt, noch vor der Wahl die Top fünf seiner Berater bekannt­zu­geben. Selen­skyjs Strategie könnte sich darauf beschränken, Fehler zu vermeiden, sich als neues Gesicht zu präsen­tieren und immer wieder auf die Missstände im Land hinzu­weisen. Am Wahlabend schloss der Kandidat eine Allianz mit Tymoschenko aus und bezeichnete sie als „Kandi­datin der Vergan­genheit“. Tymoschenko ihrer­seits gab auf einer Presse­kon­ferenz bekannt, Selenskyj nicht ausdrücklich unter­stützen zu wollen. Trotzdem ist es unwahr­scheinlich, dass ihre Wähler dem politi­schen Erzfeind Poroschenko ihre Stimme geben werden.

Die pro-russi­schen Kandi­daten Jurij Boiko und Oleksandr Wilkul erhielten zusammen 15 Prozent und sie und ihre Wähler lassen sich mit Sicherheit kaum von Poroschenko überzeugen. Auch der fünft­plat­zierte Zentrist Hryzenko gab am Wahlabend auf einer Presse­kon­ferenz bekannt, dass er weder Poroschenko noch Selenskyj unter­stützen werde. Bleibt die Frage, woher der große Teil der Wähler kommen soll, die Poroschenko zum Sieg verhelfen könnten. Denn die Kampagnen-Maschi­nerie und die emotio­nalen Angriffe des Poroschenko-Lagers gegen Selenskyj haben bis dato kaum gewirkt.

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