Meine Vision: Wie man die Paläs­ti­nenser und die Israelis retten kann

Foto: Imago

Samer Abdel­razzak Sinijlawi ist während der ersten Intifada groß geworden. Als Jugend­licher wurde er inhaf­tiert und hat ausge­rechnet im Gefängnis die andere, die israe­lische Sicht auf den Konflikt kennen­ge­lernt. Der aktuellen politi­schen Situation zum Trotz glaubt er an eine fried­liche Lösung zwischen Israelis und Paläs­ti­nensern – mithilfe eines von Vertrauen und gegen­sei­tiger Empathie getra­genen Dialogs. Auch der Westen könne dazu beitragen.

Der Konflikt zwischen Israelis und Paläs­ti­nensern wird oft als unlösbar angesehen, als eine Angele­genheit zweier natio­naler Bewegungen mit unver­ein­baren Bestre­bungen um ein winziges Stück Land. So hat es sich fast ein Jahrhundert lang angefühlt, und vielleicht nie mehr als im vergan­genen Jahr des Zorns und der Trauer.

Eine Kindheit in Jerusalem

Als Paläs­ti­nenser, der in der Altstadt von Jerusalem geboren wurde, die Besatzung miterlebt hat und fünf Jahre lang in einem israe­li­schen Gefängnis saß, sehe ich dennoch einen Ausweg. Selbst heute, da der Schmerz noch so frisch ist, glaube ich, dass es für Paläs­ti­nenser möglich ist, unseren paläs­ti­nen­si­schen Staat zu bekommen, und dass die beiden Völker neben­ein­ander existieren können. Aber um dorthin zu gelangen, müssen beide Seiten ihr Denken – und ihre Führung – radikal ändern.

Die Zukunft, die ich mir vorstelle, ist in gewisser Weise in einer Vergan­genheit verwurzelt, an die ich mich aus meiner Kindheit in den frühen 80er Jahren erinnere. In den belebten Straßen der Altstadt wusste man, welcher Gemein­schaft man angehörte, dennoch teilten sich alle denselben Raum. Als Junge, bevor ich überhaupt verstand, wer über wem stand, wusste ich nur, dass am Ende der Woche alle beschäftigt waren – Juden zur Synagoge gingen, Christen zur Kirche gingen und Muslime dem Klang des Muezzins zum Gebet folgten. Meine Familie ist musli­misch, aber ich besuchte eine christ­liche Schule. Ich habe nie in Frage gestellt, wie natürlich diese vielschichtige Realität war.

Wichtige Erkennt­nisse im Gefängnis

Doch dann, im Jahr 1987, begann die Erste Intifada. Ich war 14 Jahre alt. Auf einmal fühlte ich mich in den Konflikt hinein­ge­zogen, angezogen von dem, was ich auf der Straße hörte und im Fernsehen sah, war eine eindeu­tigere Geschichte als das, was ich in Jerusalem kannte – der Kampf meines Volkes, bewaffnet mit Steinen, das sich gegen Panzer auflehnte. Ich wollte auch Steine werfen, um mich als Teil davon zu fühlen. Das habe ich dann auch getan. Und wie viele meiner Freunde im Teenager­alter wurde ich schließlich verhaftet und von einem Militär­richter zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Dieser Moment war der schmerz­haf­teste meines Lebens. Meine Kindheit war vorbei. Ich konnte die Highschool nicht abschließen. Aber meine Erfahrung im Gefängnis hat mich auf unerwartete Weise verändert. Dort habe ich eine andere Art von Bildung erhalten. Ich wurde zum Sprecher gewählt, um mit den Gefäng­nis­be­hörden zu verhandeln, sei es um besseres Essen oder um Sonder­ge­neh­mi­gungen für Famili­en­be­suche zu erhalten. Und mein Verständnis für meinen Feind wuchs.

Ängste auf beiden Seiten

Draußen auf der Straße trugen wir Paläs­ti­nenser Kufijas, die unsere Gesichter verdeckten, und sie sahen uns nur durch das Zielfernrohr eines Gewehrs. Aber jetzt lernte ich einige Israelis kennen. Ich konnte ihre Augen sehen, und sie konnten meine sehen. Ich lernte Hebräisch. Ich lernte ihre Namen. Und ich sah zum ersten Mal, dass diese Menschen, die ich als meine Unter­drücker gefürchtet hatte, ihre eigenen Ängste hatten. Sie hatten Angst vor uns, den Paläs­ti­nensern, vor der Gewalt, die wir ihnen zufügen könnten, vor der Gewalt, die wir ihnen zufügten. Es fällt meinem eigenen Volk, das sich durch die israe­lische Macht unter­drückt fühlt, schwer, dies zu verstehen, aber die Ängste der Israelis sind real, nicht übertrieben oder erfunden. Die Bilder vom 7. Oktober haben sich in ihre Köpfe einge­brannt. Vor allem seit dem Massaker wünschen sie sich die Art von Sicherheit, die sich jeder von uns wünschen würde, und sie werden die Sicherheit ihrer Familien niemals aufs Spiel setzen. Sie sind kein selbst­mör­de­ri­sches Volk.

Ich habe auch gelernt, wie man mit Israelis verhandelt. Vielleicht aufgrund ihrer eigenen Geschichte des Überlebens können sie stur sein. Man kann nicht erwarten, dass man mit Druck etwas erreicht. Glauben Sie mir, die Paläs­ti­nenser haben es versucht: Jahrzehn­telang bestand die Strategie darin, Gewalt gegen Israelis anzuwenden und gleich­zeitig die Welt anzuflehen, Israel zu Zugeständ­nissen zu zwingen. Aber das hat nicht funktio­niert. Der Versuch, den ameri­ka­ni­schen Präsi­denten dazu zu bringen, Zuckerbrot und Peitsche bei den Israelis anzuwenden, ist sinnlos. Wir müssen direkt mit ihnen verhandeln. Das ist der einzige Weg. Und so wie wir Bedürf­nisse haben – Würde, Rechte, Unabhän­gigkeit – haben auch sie Bedürf­nisse, und wir müssen Wege finden, ihnen ihre Sicherheit zu garan­tieren und ihre Ängste zu besiegen.

Würde und Sicherheit

Oft habe ich mir vorge­stellt, der Konflikt habe eine DNA. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist ein Strang, der andere ist der Wunsch nach Würde. Um das zu verstehen, brauchte ich keine besondere Ausbildung. Es gehört zur Realität, Paläs­ti­nenser zu sein. Wir leben in einem Zustand ständiger Demütigung: an jedem Kontroll­punkt, jedes Mal, wenn wir eine Grenze überqueren müssen, wenn Siedler im Westjor­danland unsere Leute angreifen und töten und unsere Felder ungestraft nieder­brennen. Die Hälfte unseres Lebens scheinen wir damit zu verbringen, in einer Schlange zu warten, während ein israe­li­scher Soldat mit einer Waffe über uns steht. Uns fehlt es an Freiheit. Uns wird die grund­le­gende Menschen­würde verweigert. Und diese Existenz, in der wir uns für immer mit Füßen getreten fühlen, ist seit mindestens drei Genera­tionen die unsere.

Dies ist die DNA, der Wunsch nach Sicherheit und Selbst­be­stimmung. Indem Menschen guten Willens diese beiden Wünsche anerkennen und sich um sie kümmern – anstatt Recht von Unrecht zu trennen oder die Geschichte zu wieder­holen –, können sie den Konflikt lösen. Ich bin Teil einer Initiative, die von Ehud Olmert, dem ehema­ligen israe­li­schen Premier­mi­nister, und Nasser al-Kidwa, dem ehema­ligen paläs­ti­nen­si­schen Außen­mi­nister, organi­siert wurde, um genau das zu erreichen. Wir wollen einen Waffen­still­stand in Gaza und eine Rückkehr der Geiseln, die seit dem 7. Oktober von der Hamas festge­halten werden, und wir haben die Details einer Zweistaa­ten­lösung ausge­ar­beitet, indem wir einen Plan für die Festlegung der Grenzen, die Bestimmung des Status von Jerusalem und den Wieder­aufbau von Gaza vorschlagen.

Ein Plan mit vielen Hindernissen

Die Konturen sind nicht schwer vorstellbar, aber es stehen viele Hinder­nisse im Weg. Ich sehe vier Haupt­hin­der­nisse, zwei innerhalb unserer eigenen Gesell­schaften und zwei von außen.

Der israe­lische Premier­mi­nister Benjamin Netanjahu und seine rechts­ge­richtete Regierung sind nicht daran inter­es­siert, den Paläs­ti­nensern Zugeständ­nisse zu machen. Sie sehen uns kaum und sind darauf bedacht, unsere Forde­rungen auf unbestimmte Zeit zu ignorieren. Aber ich glaube nicht, dass sie die Mehrheit der Israelis reprä­sen­tieren, die Netanjahu nicht mögen und wollen, dass seine Herrschaft endet. Ich glaube, dass dieje­nigen, die jede Woche zu Zehntau­senden in Tel Aviv und Jerusalem protes­tieren, wissen, dass der Status quo für beide Völker nicht akzep­tabel ist.

Das Problem der politi­schen Führung in Israel…

Das ist das erste Hindernis: Netanjahu und seine reaktio­nären, rassis­ti­schen Verbün­deten. Die Israelis müssen einen Weg finden, ihn und die Extre­misten abzuwählen. Nichts wird sich ändern, solange die israe­li­schen Staats- und Regie­rungs­chefs nicht den Nutzen der Schaffung eines paläs­ti­nen­si­schen Staates erkennen und nicht mit einer solchen Gleich­gül­tigkeit gegenüber unserem Leben und unseren Bedürf­nissen handeln. Aber das zweite Hindernis, das ich sehe, liegt für mich näher und ist ebenso entscheidend: die korrupte und unfähige Führung von Mahmud Abbas, dem Präsi­denten der Paläs­ti­nen­si­schen Autonomiebehörde.

… und auf paläs­ti­nen­si­scher Seite

Ich habe Abbas zum ersten Mal als Teil einer Fatah-Jugend­de­le­gation kurz nach dem Ende der Ersten Intifada getroffen. Nachdem ich 1993 aus dem Gefängnis entlassen worden war, engagierte ich mich in der Partei, die damals die größte Fraktion in der paläs­ti­nen­si­schen Politik war. Meine Delega­ti­ons­kol­legen und ich waren in unseren Zwanzigern; Abbas war damals in seinen Fünfzigern und der zweite Mann in der Fatah. „Ihr seid die Anführer von morgen“, sagte er uns. Heute ist Abbas fast 90 und wir sind in unseren 50ern. Im Laufe der Jahre hat er sich dafür einge­setzt, dass das von ihm verspro­chene Morgen nie eintritt. Er wurde 2005 für vier Jahre zum Präsi­denten gewählt. Er hat fast 20 Jahre lang regiert, ohne eine einzige Wiederwahl. In dieser Zeit hat er unsere Demokratie, unsere Sicherheit, unsere Wirtschaft und unsere Würde gefährdet.

Abbas verlor die Parla­ments­wahlen 2006 an die Hamas und im darauf­fol­genden Jahr den Gazastreifen an die Hamas. Aber er hätte die letzten zwei Jahrzehnte nutzen können, um das Westjor­danland aufzu­bauen und trans­pa­rente, rechen­schafts­pflichtige Insti­tu­tionen zu schaffen, die eine blühende Alter­native zur Hamas darstellen würden. Dass er dies nicht getan hat, ermög­lichte es den Extre­misten, das Vakuum zu füllen. Erst 2021 sagte Abbas die geplanten Wahlen ab, diesmal nachdem sich die Fatah in drei Fraktionen gespalten hatte. Die jüngere, reform­ori­en­tierte Fatah-Führungs­kräfte waren bereit, diese Alter­native zu schaffen, und hätten mögli­cher­weise ein Gegen­ge­wicht zum Extre­mismus geboten, der zum 7. Oktober geführt hat. Aber Abbas stand ihnen im Weg.

Politi­scher Wechsel!? Eine breite Koalition

Die Paläs­ti­nenser wollen Verän­derung. Umfragen zufolge wünschen sich etwa 90 Prozent der Bevöl­kerung einen Rücktritt von Abbas. Aber seine Absetzung ist nicht nur für das Westjor­danland und die Möglichkeit von Verhand­lungen mit den Israelis wichtig. Sie ist auch für den „Tag danach“ in Gaza von entschei­dender Bedeutung. So brutal und unter­drü­cke­risch das Hamas-Regime auch war, die Menschen in Gaza wollen nicht, dass die Hamas durch Abbas ersetzt wird.

Statt­dessen sollten die paläs­ti­nen­si­schen Politiker eine Einheits­re­gierung bilden, der überpar­tei­liche nationale Persön­lich­keiten angehören: Fatah-Refor­misten wie al-Kidwa, der ehemalige Sicher­heitszar Mohammed Dahlan und, mit etwas Glück, der inhaf­tierte Fatah-Führer Marwan Barghouti; und sogar Mitglieder nicht-extre­mis­ti­scher islamis­ti­scher Fraktionen wie die Ra’am-Partei, die im israe­li­schen Parlament vertreten ist. Diese breite Koalition wäre für den Wieder­aufbau des Gazastreifens und seine Verei­nigung mit dem Westjor­danland verant­wortlich. Sie würde die Unter­stützung der arabi­schen Länder und der inter­na­tio­nalen Gemein­schaft benötigen – und natürlich die Anerkennung durch Israel.

All dies ist unmöglich, solange Netanyahu und Abbas an der Macht bleiben, weshalb sie die größten internen Hinder­nisse darstellen. Aber es gibt auch zwei externe Hindernisse.

Externe Hinder­nisse: Iran, Saudi-Arabien und extre­mis­tische Stimmungen im Westen

Das erste ist offen­sichtlich: Der Iran ist der gemeinsame Feind sowohl der Israelis als auch der Paläs­ti­nenser, die Frieden wollen, sowie aller gemäßigten Kräfte im Nahen Osten. Der Iran hat die Hamas und die Hisbollah unter­stützt, deren Ideologien und Handlungen zu nichts anderem als endlosen Kriegen führen werden. Die beste Möglichkeit, dem Iran entge­gen­zu­wirken, besteht für Israel darin, Bezie­hungen zu den Emiraten und den Saudis sowie zu einer refor­mierten Paläs­ti­nen­si­schen Autono­mie­be­hörde aufzu­bauen. Aber um dies zu erreichen, müssen Abbas und Netanjahu gehen.

Das zweite externe Hindernis mag überra­schend erscheinen, aber es ist nicht weniger wichtig, es anzuer­kennen: die extremen Gefühle im Westen. Ich denke, dass einige von denen, die sich als Pro-Paläs­ti­nen­sisch bezeichnen und sich unter der paläs­ti­nen­si­schen Flagge auf der Straße versammeln und Slogans wie „Vom Fluss bis zum Meer wird Palästina frei sein“ rufen, uns wirklich schaden – und ich würde dasselbe über einige dieser westlichen Regie­rungen sagen, die sich unter der israe­li­schen Flagge versammeln und sich als Pro-Israe­lisch bezeichnen und darauf bestehen, Israel bedin­gungslose Unter­stützung für die Fortsetzung des Krieges in Gaza zu gewähren. Diese Unter­stüt­zungs­wellen haben die Positionen von Hamas und Netanjahu nur verhärtet. Sie üben den falschen Druck aus: gegen Kompro­misse, sie sind dagegen, einander zu begegnen und Wege zu finden, sich anzunähern. Sie entfremden die Israelis und Paläs­ti­nenser im Alltag. Was mich betrifft, gibt es nur eine Idee, hinter der man sich versammeln kann; nur einen pro-israe­li­schen, pro-paläs­ti­nen­si­schen Slogan: „Stoppt den Krieg und befreit die Geiseln.“ Alles andere ist nicht hilfreich.

Ich weiß, wie schwer diese Hinder­nisse zu überwinden sein werden. Als Paläs­ti­nenser bin ich an endlosen Herzschmerz gewöhnt. Es ist viel einfacher, selbst­ge­recht zu bleiben und zu glauben, dass sich die Dinge mit genug Geschrei oder Raketen zum Besseren wenden werden. Aber das werden sie nicht, nicht so lange die beiden Seiten nicht anfangen, einander ehrlich zu betrachten.

Die Kraft des Dialogs

Ich habe im Laufe der Jahre mit vielen Israelis gesprochen, nachdem ich zum inter­na­tio­nalen Sekretär der Fatah-Jugend und dann zum Leiter der israe­li­schen Bezie­hungen für die Partei gewählt wurde. Mit vielen von ihnen bin ich eng befreundet, und zwar nicht nur mit Menschen aus dem linken und dem Mitte-Spektrum, sondern auch mit denen aus dem rechten Spektrum. Aus all diesen Gesprächen habe ich einige Lektionen gelernt.

Vor allem habe ich beschlossen, sie nicht zu hassen. Aus einem einfachen Grund: Wir haben sie getötet und sie haben uns getötet. Hass hat für die Paläs­ti­nenser nie etwas anderes gebracht als noch mehr Leid. Außerdem habe ich beschlossen, die Israelis nie über Moral zu belehren, darüber, was sie tun und was sie nicht tun sollten. Statt­dessen konzen­triere ich mich auf meine Seite, auf das Beispiel, das ich gebe.

Deshalb habe ich Anfang des Jahres Kfar Aza, einen der Kibbuzim, die am 7. Oktober angegriffen wurden, einen Kondo­lenz­besuch abgestattet. Vor laufenden Kameras habe ich die Taten der Hamas verur­teilt. Ich wollte nicht, dass die Geschichte dokumen­tiert, dass kein Paläs­ti­nenser seine Stimme gegen diese Gräueltat erhoben hat. In Kfar Aza – eine Meile von der Stadt Beit Hanoun entfernt, jenseits der Grenze im Gazastreifen – konnte ich Rauch sehen und Bomben hören, und ich wusste, was dort geschah, aber ich war nur gekommen, um anzuprangern, was die Hamas im Namen der Paläs­ti­nenser, in meinem Namen, getan hatte. Eines Tages wird ein Israeli vor uns stehen und anprangern, was in Gaza geschehen ist. Ich muss ihnen keine Lektion erteilen. Ich kann ihnen nur mein Beispiel anbieten.

Paläs­ti­nenser sollten den ersten Schritt machen

Ich weiß, dass es umstritten ist, das zu sagen, aber deshalb denke ich, dass die Paläs­ti­nenser den ersten Schritt machen müssen. Für uns ist es dringender als für die Israelis. Sie leiden zwar auch unter dem Konflikt, aber nicht so sehr wie wir. Sie können noch 75 Jahre warten, bis es für sie notwendig wird, das Land zu teilen. Wir können nicht noch 75 Stunden warten. Sie haben eine Luftwaffe, wir nicht. Sie haben Panzer, wir nicht. Jahrzehnt für Jahrzehnt haben wir mit ihnen keine Fortschritte erzielt. Als pragma­ti­scher Mensch bin ich zu dem Schluss gekommen, dass wir etwas anderes versuchen sollten.

Gegen­seitig Vertrauen aufbauen

Die Paläs­ti­nenser müssen eine Strategie entwi­ckeln, die der Sicherheit der Israelis Priorität einräumt – nicht um der Israelis willen, sondern im Interesse unseres eigenen Landes. Wir müssen dafür sorgen, dass die paläs­ti­nen­sische Autono­mie­be­hörde Gewalt­taten von Paläs­ti­nensern angemessen unter Strafe stellt – genauso wie Israel die Gewalt von Siedlern im Westjor­danland beenden und respek­tieren muss, dass das Leben von Paläs­ti­nensern genauso heilig ist wie das Leben von Israelis. Beide Seiten in diesem Konflikt müssen ihre Gewalt­ten­denzen unter Kontrolle bringen. Und dann lautet unsere Botschaft an die Israelis: „Mehr für Mehr“. Wenn wir dafür sorgen, dass Sie sich sicherer fühlen, wenn wir Insti­tu­tionen aufbauen, die Gewalt wirksam bekämpfen, die eine erfolg­reiche Wirtschaft für Paläs­ti­nenser aufbauen, die Stabi­lität und Trans­parenz schaffen, dann erwarten wir von Ihnen mehr Würde, Freiheit und Vertrauen.

Die Zweistaa­ten­lösung scheint derzeit unmöglich, daher müssen wir sie Schritt für Schritt aufbauen und „Mehr für Mehr“ bieten. Dann sind wir bereit für die schwie­rigen Entschei­dungen. Dies muss an der Spitze beginnen, weshalb mir der Führungs­wechsel so wichtig ist. Die Menschen müssen sehen, wie Vertrauen entstehen kann. Wenn ich der Premier­mi­nister des zukünf­tigen Staates Palästina wäre, würde ich mir wünschen, dass der israe­lische Premier­mi­nister mein bester Freund ist. Ich würde ihn und seine Familie zum Abend­essen einladen, so dass sie meine Frau und meine Kinder kennen­lernen können. Gegen­sei­tiges Vertrauen zwischen den führenden Perso­nenwird dazu beitragen, Vertrauen unter den Menschen zu schaffen.

Selbst heute, nachdem im vergan­genen Jahr in Gaza Zehntau­sende getötet wurden, bin ich immer noch der Meinung, dass die Mehrheit der Paläs­ti­nenser und Israelis einen Ausweg aus dieser Situation finden will.

Visionen für die Zukunft

Ich habe mich kürzlich entschlossen, einen Master-Abschluss in Konflikt­lösung an der Hebräi­schen Univer­sität in Jerusalem zu machen. Jeden Montag, wenn ich zum Unter­richt erscheine, bekomme ich eine anschau­liche Vorstellung davon, wie die Zukunft aussehen könnte. Als ich jünger war, schien die Hebräische Univer­sität für Paläs­ti­nenser tabu zu sein; selbst nur am Tor des Campus vorbei­zu­gehen, fühlte sich illoyal an. Aber heutzutage sind fast 20 Prozent der Studie­renden Araber, und es gibt viele junge Frauen, die Hijabs tragen.

Wenn ich mir diese Studenten ansehe, sehe ich, dass viele von ihnen, Israelis und Paläs­ti­nenser gleicher­maßen, fast identische Anhänger tragen, die dasselbe Gebiet darstellen – zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer –, das jede Seite in seiner Gesamtheit für ihr eigenes Volk beansprucht. (Und ich wette, dass beide Anhänger in derselben Fabrik in China herge­stellt wurden.) Aber dann besuchen sie dieselben Kurse und hören denselben Profes­soren zu, und manchmal weist ein Professor zwei israe­lische und zwei paläs­ti­nen­sische Studenten derselben Arbeits­gruppe zu, und diese Studenten, jeder mit seiner eigenen Kette, arbeiten zusammen. In diesem Moment werden ihre Unter­schiede irrelevant; sie versuchen nur, ihr Studium zu meistern. Und ich verspreche Ihnen: Sie wollen sich nicht gegen­seitig ins Meer werfen.

Sie tragen diese Anhänger, weil sie verwirrt sind, weil ihre politische Führung ihre Gedanken vergiftet haben. Diese jungen Menschen, die so gut zusam­men­ar­beiten können, die wissen, wie man gibt und nimmt, wissen bereits, wie man Nachbar­schaft lebt. Sie brauchen nur eine Führung, die diese Möglichkeit stärkt. Diese Führung gibt es derzeit nicht, und darin liegt der wahre Feind sowohl für die Israelis als auch für Palästinenser.

*Die nach dem ehema­ligen israe­li­schen Premier, Ehud Olmert, und dem einstigen Außen­mi­nister der paläs­ti­nen­si­schen Autono­mie­be­hörde, Nasser al-Kidwa, benannte Initiative schlägt einen gemein­samen Plan zur Wieder­her­stellung des Friedens in der Region vor, der auch die Abtretung von Gebieten im Westjor­danland an Israel und umgekehrt vorsieht.

Der Artikel wurde zuerst in „The Atlantic“ veröffentlicht.

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