Nehmen uns Roboter die Arbeit weg?

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In den kom­men­den Jahren wird es in Deutsch­land zu einer Umschich­tung von Arbeits­plät­zen kommen. Die gesell­schafts­po­li­ti­sche Her­aus­for­de­rung besteht darin, die Ängste der Men­schen vor dem Wandel auf­zu­grei­fen und abzu­mil­dern, meint der Wirt­schafts­for­scher Thieß Petersen.

Die Digi­ta­li­sie­rung schreitet mit beträcht­li­chen ökono­mi­schen Auswir­kungen voran. Eine Frage ist: Nehmen die Roboter und Computer uns Menschen die Arbeit weg? In den kommenden zehn bis 15 Jahren erscheint mir die Gefahr für Deutsch­land nicht allzu groß. Trotzdem müssen wir mit einschnei­denden Umschich­tungen auf den Arbeits­märkten rechnen. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertels­mann Stiftung und Lehr­be­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Digi­ta­li­sie­rung ist gestaltbar

Die Digi­ta­li­sie­rung von Gesell­schaft und Wirt­schaft folgt keinen Natur­ge­setzen.  Sie ist gestaltbar.  Zahl­reiche Einfluss­fak­toren prägen den digitalen Wandel. Sie sind selbst zu großen Teilen das Resultat poli­ti­scher Entschei­dungen. Drei Beispiele:

  1. Globa­li­sie­rungs­in­du­zierter tech­no­lo­gi­scher Fort­schritt: Der inter­na­tio­nale Wett­be­werbs­druck erhöht in den Unter­nehmen den Anreiz, Roboter und Maschinen einzu­setzen, um die Produk­ti­vität zu erhöhen. Wird der Wett­be­werb durch Subven­tionen und Handels­hemm­nisse abge­schwächt, nimmt das Tempo des digitalen Wandels ab.
  2. Demo­gra­fie­in­du­zierter tech­no­lo­gi­scher Fort­schritt: Die Alterung der Bevöl­ke­rung verschärft den bereits bestehenden Fach­kräf­te­mangel. Die Unter­nehmen setzen daher mehr auf Maschinen und inves­tieren verstärkt in arbeits­spa­rende Tech­no­lo­gien. Wird der Fach­kräf­te­mangel jedoch durch andere Maßnahmen abge­mil­dert – z. B. durch eine bessere Verein­bar­keit von Familie und Beruf, eine längere Lebens­ar­beits­zeit und eine bessere Bildung –, verlang­samt sich die digitale Trans­for­ma­tion der Wirtschaft.
  3. Neue Konsum­kon­zepte: Anbieter der Platt­form­öko­nomie wie Airbnb und Uber machen herkömm­li­chen Anbietern  massiv Konkur­renz. Arbeits­plätze können verloren gehen. Je höher jedoch die staat­li­chen Anfor­de­rungen an die Platt­form­öko­nomie sind, desto unat­trak­tiver wird diese für die Verbrau­cher. Arbeits­plätze bleiben bei den kommer­zi­ellen Anbietern erhalten.

Die Beispiele zeigen, dass die Geschwin­dig­keit des digitalen Fort­schritts beein­flussbar ist. Doch dies ist mit großen Unsi­cher­heiten verbunden.

Ausgangs­punkt der nach­fol­genden Über­le­gungen ist die These, dass Produk­ti­ons­pro­zesse kapital- und tech­no­lo­gie­in­ten­siver werden, vor allem in entwi­ckelten Volks­wirt­schaften, aber auch weltweit. Daraus ergeben sich zwei grund­le­gende Konse­quenzen für den Arbeits­markt: Frei­set­zungs- und Kompensationseffekte.

Frei­set­zungs­ef­fekte der Digitalisierung

Digitale Tech­no­lo­gien haben bereits in vielen Bereichen mensch­liche Arbeits­kräfte ersetzt: Fahr­karten- und Bank­au­to­maten über­nehmen die Tätig­keiten von Schal­ter­be­diens­teten, voll­au­to­ma­ti­sche Produk­ti­ons­an­lagen stellen Güter fast ohne mensch­liche Unter­stüt­zung her und im Finanz­dienst­leis­tungs­sektor ersetzen Online-Banking, Online-Versi­che­rungen und Online-Wert­pa­pier­handel „echte“ Bank­an­ge­stellte, Versi­che­rungs­makler und Aktienhändler.

Die Verdrän­gung mensch­li­cher Arbeits­kräfte durch Roboter, Maschinen, Computer und künst­liche Intel­li­genz führt zu einem Rückgang des gesamt­wirt­schaft­li­chen Beschäf­ti­gungs­ni­veaus. Ökonomen bezeichnen diese Entwick­lung als Freisetzungseffekte.

Kompen­sa­ti­ons­ef­fekte der Digitalisierung:

Neben den direkten Frei­set­zungs­ef­fekten hat die Digi­ta­li­sie­rung auch noch indirekte Auswir­kungen auf den Arbeits­markt. Diese  Effekte können die Frei­set­zungs­ef­fekte der Digi­ta­li­sie­rung – teilweise oder sogar komplett – kompensieren:

  1. Preis­ef­fekt: Reduziert der Einsatz digitaler Tech­no­lo­gien die Produk­ti­ons­kosten, sinkt der Markt­preis der herge­stellten Güter und Dienst­leis­tungen. Im Normal­fall reagieren Konsu­menten darauf mit einer Stei­ge­rung ihrer Nachfrage. Passen sich Unter­nehmen an diese höhere Nachfrage an, benötigen sie dafür zusätz­liche Arbeitskräfte.
  2. Einkom­mens­ef­fekt: Preis­sen­kungen bei Konsum­gü­tern erhöhen die Kaufkraft eines gegebenen Einkom­mens. Wird die zusätz­liche Kaufkraft für Güter und Dienst­leis­tungen ausge­geben, steigt die Konsum­nach­frage, wodurch wiederum die Nachfrage nach Arbeits­kräften wächst.
  3. Wett­be­werbs­ef­fekt: Digi­ta­li­sie­rungs­be­dingte Preis­sen­kungen erhöhen die inter­na­tio­nale Wett­be­werbs­fä­hig­keit der einhei­mi­schen Unter­nehmen, sie können mehr Produkte im Ausland verkaufen. Die Export­stei­ge­rung bewirkt eine Auswei­tung der Produk­tion und Beschäftigung.
  4. Inves­ti­ti­ons­ef­fekt: Die Digi­ta­li­sie­rung betrieb­li­cher Produk­ti­ons­pro­zesse verlangt eine leis­tungs­fä­hige digitale Infra­struktur, wozu entspre­chende private und öffent­liche Inves­ti­tionen erfor­der­lich sind. Die höhere Inves­ti­ti­ons­nach­frage sorgt für eine entspre­chende Güter­nach­frage inklusive einer Produktionsausweitung.

Frei­set­zung oder Kompen­sa­tion: Was überwiegt?

Welche Beschäf­ti­gungs­ef­fekte über­wiegen, bleibt aus theo­re­ti­scher Sicht offen. Daher gibt es eine Vielzahl von Szenarien, die zu unter­schied­li­chen Prognosen für die zukünf­tigen Auswir­kungen der Digi­ta­li­sie­rung auf das Beschäf­ti­gungs­ni­veau führen.

Werden nur die Frei­set­zungs­ef­fekte berück­sich­tigt, können sich erheb­liche Arbeits­platz­ein­spa­rungen ergeben: Frey und Osborne veröf­fent­lichten 2013 eine viel beachtete Studie, in der sie die Wahr­schein­lich­keit berech­neten, dass im Jahr 2035 bestimmte Tätig­keiten in den USA compu­te­ri­siert sein werden. Ihre Einschät­zung (ausgehend von 702 Tätig­keiten): 2035 könnten rund 47 Prozent der ameri­ka­ni­schen Beschäf­tigten durch Computer ersetzt sein (vgl. Frey und Osborne 2013). Bei einem kürzeren Betrach­tungs­zeit­raum und der Berück­sich­ti­gung der Kompen­sa­ti­ons­ef­fekte werden dagegen geringe Arbeits­platz­ver­luste oder sogar Beschäf­ti­gungs­zu­wächse erwartet. Entspre­chende Szenarien für Deutsch­land finden sich z. B. bei Kriechel, Düll und Vogler-Ludwig 2016, BCG 2016, Wolter et al. 2015 sowie BMAS 2019.

Wie sind diese unter­schied­li­chen Einschät­zungen zu bewerten? Meine Einschät­zung lautet wie folgt:

  • In der kurzen Frist (bis 2025) dürften in Deutsch­land die Kompen­sa­ti­ons­ef­fekte über­wiegen, d. h., die Digi­ta­li­sie­rung schafft mehr Arbeits­plätze als sie ersetzt.
  • In der mittleren Frist (bis 2030 oder auch 2035) erwarte ich eine Anglei­chung beider Effekte. Per Saldo kommt es dann nur zu geringen Zuwächsen oder Verlusten an Arbeitsplätzen.
  • In der langen Frist (ab 2040/​50) über­wiegen meiner Einschät­zung nach die Frei­set­zungs­ef­fekte, d. h., es werden mehr Arbeits­plätze durch digitale Tech­no­lo­gien ersetzt als neu geschaffen.

Das bedeutet: Zumindest in den kommenden zehn bis 15 Jahren wird es in Deutsch­land weniger um einen gesamt­wirt­schaft­li­chen Abbau von Arbeits­plätzen gehen und mehr um eine Umschich­tung von Arbeits­plätzen: vom verar­bei­tenden Gewerbe hin zu den Dienst­leis­tungs­bran­chen, von Routine-Tätig­keiten in der Produk­tion hin zu Tätig­keiten in den Bereichen „Orga­ni­sa­tion“, „Kommu­ni­ka­tion“, „Entschei­dung“ sowie „Forschung und Entwick­lung“ und schließ­lich von gering quali­fi­zierter Beschäf­ti­gung hin zu hoch quali­fi­zierter. Aller­dings ist auch zu erwarten, dass in den Arbeits­markt­be­rei­chen, die von der Digi­ta­li­sie­rung profi­tieren (Dienst­leis­tungen, quali­fi­zierte Beschäf­tigte, Forschung & Entwick­lung etc.), nicht alle Arbeit­nehmer sicher sind. Auch hier können selbst einige gut quali­fi­zierte Personen ihre Arbeit verlieren.

Was ist zu tun?

Die gesell­schafts­po­li­ti­sche Heraus­for­de­rung besteht darin, die Ängste der Menschen vor den digi­ta­li­sie­rungs­be­dingten Verän­de­rungen – allen voran vor Einkom­mens- und Status­ver­lusten – aufzu­greifen und abzu­mil­dern. Dafür können viele unter­schied­liche Instru­mente einge­setzt werden:

  • Bildungs- und Quali­fi­ka­ti­ons­an­stren­gungen, um die Erwerbs­tä­tigen auf neue Aufgaben vorzu­be­reiten und so deren Teil­ha­be­chancen am Arbeits­markt zu steigern.
  • Finan­zi­elle Absi­che­rungen bei (tempo­rären) Arbeitsplatzverlusten.
  • Mobi­li­täts­hilfen, die es Arbeits­platz­su­chenden erlauben, Stellen in anderen Regionen als dem eigenen Wohnort anzu­nehmen. Bei dieser „People to Jobs“-Strategie ist u. a. an steu­er­liche Anreize, einen preis­werten und leis­tungs­fä­higen ÖPNV sowie bezahl­baren Wohnraum in Regionen mit Arbeits­platz­zu­wächsen zu denken.
  • Darüber hinaus kann auch eine aktive Gestal­tung der Wirt­schafts­struktur sinnvoll sein, also eine Strategie „Jobs to People“. Dabei werden neue Arbeits­plätze dort geschaffen, wo digi­ta­li­sie­rungs­be­dingte Arbeits­platz­ver­luste auftreten.

Eine wichtige Voraus­set­zung für die Finan­zie­rung dieser Maßnahmen ist eine stabile Einnah­me­basis des Staates. Dem Staat muss es gelingen, die Wert­schöp­fung und die Einkommen der Digi­ta­l­öko­nomie zu erfassen und zu besteuern.

Zudem ist eine sozi­al­po­li­ti­sche Flan­kie­rung der Digi­ta­li­sie­rung erfor­der­lich. Sie dient dazu, den Menschen die Sicher­heit zu geben, die sie brauchen, damit sie den Struk­tur­wandel mitgestalten.

Literatur

BCG (The Boston Consul­ting Group) (2016). Inside Ops – Are your Opera­tions ready for a digital Revo­lu­tion? Boston (http://media-publications.bcg.com/BCG-Inside-OPS-Jul-2016.pdf).

BMAS (Bundes­mi­nis­te­rium für Arbeit und Soziales) (2019). BMAS-Prognose „Digi­ta­li­sierte Arbeits­welt“ – Kurz­be­richt. Berlin (https://www.bmas.de/DE/Service/Medien/Publikationen/Forschungsberichte/Forschungsberichte-Arbeitsmarkt/fb526-1k-bmas-prognose-digitalisierte-arbeitswelt.html).

Frey, C. B., und M. A. Osborne (2013). The Future of Employ­ment: How Suscep­tible are Jobs to Compu­te­ri­sa­tion? Oxford (https://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/downloads/academic/The_Future_of_Employment.pdf).

Kriechel, B., N. Düll und K. Vogler-Ludwig (2016). Arbeits­markt 2030 – Wirt­schaft und Arbeits­markt im digitalen Zeitalter: Prognose 2016. Bielefeld (https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/52096/ssoar-2016-kriechel_et_al-Arbeitsmarkt_2030_-_Wirtschaft_und.pdf?sequence=1).

Wolter, M. I. et al. (2015). „Industrie 4.0 und die Folgen für Arbeits­markt und Wirt­schaft“. IAB-Forschungs­be­richt 8/​2015. Nürnberg (http://doku.iab.de/forschungsbericht/2015/fb0815.pdf).

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