Öffent­lich-recht­liche Sender: Was aus liberaler Sicht für eine Reform spricht

Foto: Jürg-Peter Hug, Zürich [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons

Am 4. März stimmen die Schweizer über die Zukunft – oder das abrupte Ende – des öffent­lich-recht­li­chen Rundfunks ab. Die Debatte über eine Reform der Rund­funk­ord­nung schwelt auch bei uns: Zählen wir ARD und ZDF zu den öffent­li­chen Gütern, die von allen Bürge­rinnen und Bürgern finan­ziert werden sollen, oder handelt es sich um ein über­stän­diges Monopol? Sind die großen Rund­funk­häuser mit ihrem Rundum-Glücklich-Angebot noch zeitgemäß oder sollte Quali­täts­jour­na­lismus auf anderem Wege finan­ziert werden? Ein Diskus­si­ons­bei­trag von Karen Horn.

Einst kam die „Tages­schau“ in jedes Wohn­zimmer herein­ge­flim­mert. Diese Zeiten sind vorbei. Das Internet hat das Medi­en­nut­zungs­ver­halten der Menschen radikal geändert, die Infor­ma­ti­ons­ka­näle sind ausein­an­der­ge­laufen. Junge Leute sehen kaum noch fern, hören nur selten Radio, lesen eher keine Zeitung und halten sich, wenn überhaupt, im Internet auf dem Laufenden. Vor allem sie sind nicht damit einver­standen, dass sie für öffent­lich-recht­liche Medi­en­an­ge­bote, die sie nicht nutzen, einen Zwangs­bei­trag entrichten müssen. In Deutsch­land ist eine Gebüh­ren­pflicht für alle Nutzer elek­tro­ni­scher Medien seit 2013 in Kraft; man wollte seiner­zeit den „Schwarz­se­hern“ das Handwerk legen. Die Schweiz wird 2019 nach­ziehen – es sei denn, es kommt vorher zum großen Knall. Denn am Sonntag, dem 4. März, sind die dortigen Wähler aufge­rufen, darüber abzu­stimmen, ob sie dem Bund das Recht entziehen wollen, Empfangs­ge­bühren einziehen zu lassen und Radio- oder Fern­seh­sta­tionen zu subven­tio­nieren („No-Billag-Initia­tive“; die Billag ist das Unter­nehmen, das sich bisher um den Beitrags­einzug kümmert, ähnlich der einstigen deutschen GEZ). Damit wäre die im Jahr 1931 gegrün­dete, in der Rechts­form eines Vereins orga­ni­sierte Schwei­ze­ri­sche Radio- und Fern­seh­ge­sell­schaft (SRG) mit ihren vier landes­sprach­li­chen Unter­neh­mens­ein­heiten über Nacht am Ende. Ihr würde „der Stecker gezogen“, wie ihre Gegner sagen – ohne jeden Übergang, ohne Ersatz, ohne „Plan B“. Einen derart brüsken und voll­stän­digen Sende­schluss für die Öffent­lich-Recht­li­chen kann man selbst dann nicht wollen, wenn einem grund­sätz­lich an einer liberalen Rund­funk­ord­nung liegt, in der Schweiz wie in Deutschland.

Das Problem, das sich aus frei­heit­li­cher Perspek­tive mit dem Öffent­lich-recht­li­chen Rundfunk verbindet, hat vor allem die folgenden drei Komponenten:

(1) Der Zwangs­bei­trag läuft nicht nur dem Frei­wil­lig­keits­prinzip zuwider, sondern auch dem Äqui­va­lenz­prinzip, nach dem man nur für das zahlt, was man tatsäch­lich in Anspruch nimmt. Der Zwangs­bei­trag ist darüber hinaus ein Anachro­nismus in einer Zeit, in der es mit smarter Tech­no­logie leichter möglich sein sollte denn je, Gebühren indi­vi­duell nutzungs­ab­hängig zu erheben. Das übliche Gegen­ar­gu­ment hierzu greift auf den finanz­wis­sen­schaft­li­chen Begriff des öffent­li­chen Gutes zurück. Damit lässt sich recht­fer­tigen, die Bürger auch dann zur Finan­zie­rung heran­zu­ziehen, wenn sie das betref­fende Gut selber gar nicht nutzen, sofern der einzelne immerhin auf Umwegen von dessen Bereit­stel­lung profi­tiert. Wer also nicht fernsieht oder Radio hört, aber der Meinung ist, dass sein Nachbar bei den Öffent­lich-Recht­li­chen etwas Sinn­volles lernen kann, mag die Gebühr in Ordnung finden – voraus­ge­setzt, dass er sie sich leisten kann. Nichts davon ist eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. In Deutsch­land sind die Gebühren mit durch­schnitt­lich 216 Euro im Jahr niedriger als in der Schweiz, wo von 2019 an „ein Franken am Tag“, also 365 Franken im Jahr (umge­rechnet 318 Euro) zu entrichten sein werden. Der Zwangs­bei­trag schafft hier wie dort eine Frus­tra­tion, an die sich im gegen­wär­tigen poli­ti­schen Klima allzu leicht eine allge­meine Medi­en­schelte („System­presse“) anhängen lässt.

(2) Der Wett­be­werbs­vor­teil, der den Öffent­lich-Recht­li­chen durch die Zwangs­ge­bühr zuteil­wird, hemmt das private Medi­en­an­gebot. Sie müssen weniger als ihre privaten Konkur­renten auf die Kosten achten und graben ihnen Markt­an­teile ab. Da sich im Medi­en­be­trieb mitt­ler­weile die Sparten kaum mehr trennen lassen, machen sie dabei nicht nur dem privaten, kommer­zi­ellen Funk und Fernsehen das Leben schwer, sondern – mit dem Angebot von Texten und Werbung im Internet – auch noch den ohnehin bedrängten Print­me­dien und allen anderen, die Inhalte online zur Verfügung stellen. Das übliche Gegen­ar­gu­ment hierzu verweist auf den Auftrag der Öffent­lich-Recht­li­chen, die mediale Grund­ver­sor­gung zu sichern. Doch von einer sonst drohenden Unter­ver­sor­gung kann derzeit beileibe nicht die Rede sein. Die Vielfalt der Inhalte auf den Hunderten von verschie­denen Kanälen ist riesig. Zudem geht das Angebot der Öffent­lich-Recht­li­chen über die Grund­ver­sor­gung weit hinaus.

(3) Wenn man eine Quali­täts­si­che­rung durch die öffent­liche Hand betreiben will, bedeutet das noch nicht zwangs­läufig, dass die Produk­tion des Angebots in der Hand öffent­lich-recht­li­cher Anstalten liegen muss. Was die Öffent­lich-Recht­li­chen produ­zieren und ausstrahlen, ist nach aller Erfahrung nicht ausnahmslos hoch­wertig, und was die Privaten anbieten, nicht immer Schund. Statt selber auf dem Medi­en­markt mitzu­mi­schen, könnte der Staat vielmehr Produk­tionen nach bestimmten Kriterien fördern, unter Wahrung der Subsi­dia­rität; private Anbieter könnten sich in Ausschrei­bungen um Sende­for­mate bewerben, die von einer unab­hän­gigen Kommis­sion festlegt wären. Das übliche Gegen­ar­gu­ment hierzu bringt die Größen­vor­teile bzw. den Fixkos­ten­block ins Spiel, der in der Herstel­lung von Fern­seh­spielen, Repor­tagen und ähnlichem herrscht. Stimmt – aber wo der Markt so groß ist wie in Deutsch­land mit seinen gut 80 Millionen Einwoh­nern, zuzüglich des deutsch­spra­chigen Auslands, sollte es für effizient wirt­schaf­tende Medi­en­un­ter­nehmen trotzdem möglich sein, mit einem Bezahl­mo­dell und Werbe­ein­nahmen die Hürde der hohen „First copy costs“ zu nehmen.

Für eine liberale Reform der Rund­funk­ord­nung spricht mithin einiges. Es ist aller­dings ganz und gar keine schlaue Idee, gleich Tabula rasa zu machen, wie sich das die Heiß­sporne aus dem liber­tären und rechts­po­pu­lis­ti­schen Milieu vorstellen, die in der Schweiz die No-Billag-Initia­tive auf den Weg gebracht haben. Ein großer Knall ist nie gut, er hinter­lässt immer einen Krater. Ein schritt­weises Vorgehen, das Zeit zur Anpassung lässt und Korrek­turen erlaubt, ist immer dann klüger, wenn man wie hier damit rechnen muss, dass die Verän­de­rung in der Gesell­schaft Spuren hinter­lässt. Wenn man die Öffent­lich-Recht­li­chen zwar abspeckt, aber am Leben lässt, ist zu erwarten, dass sie als erfahrene Medi­en­häuser auch ohne ihren verzer­renden Wett­be­werbs­vor­teil wichtige, wenn­gleich schlan­kere Anbieter auf dem Markt bleiben. Als perma­nente Wider­sa­cher sind sie sinnvoll im Wett­be­werb, um dage­gen­zu­halten, wenn sich private Medi­en­oli­go­pole zu bilden drohen. Und auch als mögliche Orien­tie­rungs­marke im öffent­li­chen Diskurs sind sie nicht so schnell entbehrlich.

Was den spezi­ellen Fall der Schweiz angeht, würde die Annahme der Initia­tive am 4. März mit großer Sicher­heit bedeuten, dass mit der SRG auch die Produk­tion landes­spe­zi­fi­scher Inhalte – Berichte aus dem Parlament in Bern, Talkshows mit Schweizer Poli­ti­kern, Repor­tagen aus den Alpen­tä­lern – einginge und in Zukunft ganz unter­bliebe. Es ist ziemlich unwahr­schein­lich, dass Private hier in die Bresche springen könnten und wollten: Der Markt ist viel zu klein. Die Deutsch­schweiz als die größte Sprach­re­gion zählt gerade einmal gut 5 Millionen Einwohner, die fran­zö­sisch­spra­chige Schweiz rund 2 Millionen, das Tessin ganze 350.000, ganz zu schweigen von den 34.000 Räto­ro­manen – da rechnet sich kaum etwas. Das würde zwar noch nicht bedeuten, dass die Schweizer gar keine Möglich­keit mehr hätten, sich über ihr Land zu infor­mieren; schließ­lich gibt es die Print­me­dien und das Internet. Aber der Wett­be­werb um das öffent­liche Infor­ma­ti­ons­an­gebot wäre um ein ganzes Medium ärmer.

Eine moderate Zwischen­lö­sung könnte unter diesen Bedin­gungen so aussehen, dass sich die Bürger – wenn sie das wollen – zwar weiter ein öffent­li­ches Rund­funk­haus leisten, der Bund aber Auftrag und Insti­tu­tion strafft sowie den Privaten mittels Förder­aus­schrei­bungen mehr Raum gibt. Das Ärgernis der Zwangs­bei­träge gälte es in jedem Fall abzu­stellen; statt­dessen wäre eine Kombi­na­tion aus nutzungs­ab­hän­gigen Gebühren und einer Förderung aus allge­meinen Steu­er­mit­teln sinnvoll. Das alles entschei­dende Kriterium bei solchen Reform­schritten ist, ob fairer Wett­be­werb entsteht – ohne Privi­le­gien und ohne Zwang, mit realen Chancen für die Privaten und ihre Kreativität.

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