Öffentliche Investitionen: Ist Deutschland zukunftsfähig?
Seit der Pleite der Bank Lehman Brothers und dem Einbruch der weltweiten Wirtschaft wuchs die deutsche Wirtschaft jedes Jahr. Auch die Beschäftigungszahlen erreichten Rekordwerte. Nun gerät die Konjunktur ins Stocken. Gerade in einer wirtschaftlich unsicheren Zeit stellt sich die Frage, wie gut das deutsche Wirtschaft- und Gesellschaftsmodell auf die Zukunft vorbereitet ist.
Die Eintrübung der wirtschaftlichen Aussichten, die hierzulande im Herbst 2018 einsetzte, ist vor allem auf die Schwächung der Weltwirtschaft und des Welthandels zurückzuführen. Hier erweist sich die hohe Exportabhängigkeit Deutschlands als ambivalent: Wenn die Weltwirtschaft boomt, profitieren die deutschen Unternehmen und deren Beschäftigte von hohen Exporten. Bei einer schwächelnden Weltwirtschaft spüren sie den weltweiten Wirtschaftsabschwung am stärksten. So war es auch nach der Lehmann-Pleite: Während das deutsche Bruttoinlandsprodukt 2009 um fünf Prozent einbrach, war der Rückgang der US-Wirtschaft nur halb so groß.
Investitionslücke bei Infrastruktur
Eine moderne, leistungsfähige Infrastruktur ist Grundvoraussetzung für eine international wettbewerbsfähige Volkswirtschaft. Ob die Voraussetzung in Deutschland derzeit gegeben ist, wird sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik intensiv diskutiert. Auch wenn methodische Schwächen ein eindeutiges Urteil erschweren, gibt es doch Hinweise auf die Existenz einer Investitionslücke in Deutschland.
Eine kürzlich vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und dem gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) gemeinsam veröffentlichte Studie beziffert alleine die „ab dem Jahr 2020 zusätzlich entstehenden öffentlichen Investitionsbedarfe“ für die kommenden 10 Jahre auf mindestens 450 Milliarden Euro. Dabei geht es vor allem um Bereiche wie Bildung, Wohnungsbau, Straßen, die Bahn, den öffentlichen Personennahverkehr und die Dekarbonisierung der Wirtschaft. Da die öffentlichen Investitionen lediglich rund 10 Prozent aller Investitionen in Deutschland ausmachen, ist der gesamtwirtschaftliche Investitionsbedarf wesentlich höher.
Handlungsbedarf bei digitaler Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft
Die digitale Transformation, die gegenwärtig erst am Anfang steht, wird perspektivisch zu einer zentralen Voraussetzung für die Sicherung von Arbeitsplätzen und des individuellen Wohlstands. Neben digitalen Technologien, Robotern und Automaten geht es dabei auch um Künstliche Intelligenz (KI). In den USA und China unterstützen der Staat die Förderung von KI in erheblichem Maße. Die entsprechenden öffentlichen Fördergelder Deutschlands sind im Vergleich dazu gering. Wie Roderick Kefferpütz zurecht feststellt, droht Deutschland beim Sprung in das KI-Zeitalter den internationalen Anschluss zu verlieren.
Ungleichheit ein Unsicherheitsfaktor?
Ob die in Deutschland erreichte Ungleichheit bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen ein Problem darstellt oder nicht, ist immer wieder Thema wirtschaftlicher und politischer Diskussionen. Untersuchungen, die einen Anstieg der Einkommensungleichheit feststellen, rufen reflexartig Widerspruch hervor. Hingewiesen wird auf methodische Unklarheiten, unterschiedliche Interpretationen der Resultate und den internationalen Vergleich, bei dem Deutschland recht gut abschneidet.
Jenseits dieser Diskussion stellt sich jedoch Frage, wie die Menschen in Deutschland die erreichte Einkommen- und Vermögensverteilung einstufen. Eine Anfang Oktober 2019 von Forsa im Auftrag des Forum New Economy durchgeführte repräsentative Bevölkerungsumfrage stellte u. a. die Frage, in wieweit die Befragten der Aussage zustimmen, dass die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland zunehmend zu einem Problem für den sozialen Zusammenhalt in der Bevölkerung wird. Das Ergebnis: 49 Prozent stimmten dieser Aussage voll und ganz zu, 38 Prozent stimmten ihr eher zu. Lediglich 12 Prozent stimmten ihr eher nicht oder überhaupt nicht zu. Wenn große Teile der Bevölkerung tatsächlich der Ansicht sind, dass die Einkommens- und Vermögensverteilung problematisch ist, drohen soziale Spannungen und politische Polarisierung.
Demografischer Wandel schränkt staatliche Handlungsspielräume ein
Es gibt also mit Blick auf die zu erbringenden Leistungen in den nächsten Jahren erhebliche Anforderungen an die Handlungsfähigkeit des Staates: öffentliche Investitionen, die sozial- und bildungspolitische Flankierung des globalisierungs- und digitalisierungsbedingten Strukturwandels, ein Ausgleich der Markteinkommensungleichheit, um nur einige Aufgabenbereiche zu nennen.
Der zu erwartende demografische Wandel – hier vor allem die Alterung der Bevölkerung – erschwert diese Aufgabenerfüllung in dreifacher Hinsicht:
- Eine alternde Bevölkerung benötigt mehr finanzielle Mittel für Renten, Pensionen, Gesundheits- und Pflegeausgaben. Die finanziellen Handlungsspielräume des Staates geraten über diese zusätzlichen Ausgaben unter Druck.
- Wenn es demografisch bedingt weniger Erwerbstätige gibt, sinken für sich genommen die Einnahmen der sozialen Sicherungssysteme. Einnahmeseitig nehmen die staatlichen Handlungsspielräume somit ebenfalls ab.
- Was häufig übersehen wird: Auch realwirtschaftlich verringert die demografische Entwicklung die staatlichen Handlungsspielräume: In einer alternden Gesellschaft gehen tendenziell die Arbeitsproduktivität und das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner zurück. Die gesamtwirtschaftlichen Investitionsmöglichkeiten lassen ebenso nach wie die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Neben den finanziellen Mitteln gehen somit auch die zur Verfügung stehenden Güter und Dienstleistungen, die der Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt, tendenziell zurück.
Was tun?
Die wenigen – und keinesfalls vollständig erfassten – Herausforderungen, die sich für den Staat zukünftig ergeben, erfordern Anpassungen bezüglich der Ausgestaltung des deutschen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells: der sozialen Marktwirtschaft. Die Entscheidung der konkreten Maßnahmen erfordert einen gesamtgesellschaftlichen Entscheidungsprozess, denn anders als in den Naturwissenschaften gibt es bei den meisten volkswirtschaftlichen Problemstellungen keine eindeutig richtige Lösung.
Ob z. B. eine höhere Umverteilung der Einkommen sozialpolitisch geboten ist oder nicht, ist ein Werturteil, für das es keine objektiven Kriterien gibt. Selbst bezüglich der Frage, ob das erreichte Maß der Einkommensumverteilung in Deutschland eine Wachstumsbremse ist und aus diesem – objektiv nachvollziehbaren – Grund reduziert werden sollten, gibt es in der Wissenschaft keinen Konsens.
Immerhin aber bietet sich eine Maßnahme an, über die weitgehend Konsens bestehen sollte: die Erhöhung der öffentlichen Investitionen. Eine sinnvolle Verwendung entsprechender finanzieller Mittel kann einen Beitrag zur Bewältigung der hier skizzieren Herausforderungen leisten:
- Höhere Investitionen steigern die Binnennachfrage und tragen so zur Reduzierung der hohen Exportabhängigkeit bei.
- Investitionen in erneuerbare Energien und ressourcensparende Produktionsverfahren leisten einen Beitrag dazu, dass „sich Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum entkoppeln“ lassen.
- Investitionen in die digitale Infrastruktur verbessern die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.
- Öffentliche Investitionen steigern die gesamtwirtschaftliche Produktivität. Damit erhöht sich auch für private Unternehmen der Anreiz, Investitionen zu tätigen. Mit den daraus resultierenden leistungsfähigen Produktionsanlagen kann eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung für einen hohen materiellen Wohlstand einer alternden Gesellschaft sorgen.
- Schließlich leisten öffentliche Investitionen in den Bereichen frühkindliche Bildung, Ganztagsbetreuung, Wohnungsbau und im Verkehrswesen auch einen Beitrag zur Verringerung der Einkommensungleichheit: Verbesserte Kinderbetreuungsangebote erlauben es Frauen mit Kindern, ihre Arbeitszeit zu verlängern und so ihr Einkommen zu steigern. Kinder aus bildungsfernen Familien können langfristig ihre Arbeitsmarkchancen verbessern. Staatliche Wohnungsbauinvestitionen und eine verbesserte Verkehrsinfrastruktur machen es Menschen mit geringeren und mittleren Einkommen leichter, einen Zugang zum Arbeitsmarkt in Ballungsgebieten zu erhalten.
Auch wenn höhere öffentliche Investitionen kein Allheilmittel sind, können sie einen spürbaren Beitrag dazu leisten, das deutsche Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zukunftsfester zu gestalten.
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