Offener Bürger­krieg innerhalb der US-Republikaner

Foto: Shutterstock, Johnny Silvercloud
Foto: Shutter­stock, Johnny Silvercloud

Die Abwahl Donald Trumps hat nicht zu einer Neuaus­richtung der Republi­ka­ni­schen Partei geführt. Seine Anhänger betrachten tradi­tio­nelle GOP-Politiker wie Mitt Romney (immerhin letzter Präsi­dent­schafts­kan­didat vor Trump) als Verräter und wählen beken­nende Verschwö­rungs­theo­re­tiker in verant­wor­tungs­volle Positionen. Eine Analyse von Richard Volkmann.

Erinnert sich noch jemand an den Wahlsieg von Brian Kemp? Im November 2018, vor gefühlt einem Menschen­leben also, ließ Kemp sich von den Republi­kanern für die Wahl als Gouverneur in seinem Heimat­staat Georgia aufstellen und gewann. Sein Sieg war überra­schend knapp – bei vier Millionen Wählern trennten ihn gerade einmal 55.000 Stimmen von der demokra­ti­schen Kandi­datin Stacey Abrams – aber unter dem Strich stand für die GOP die Vertei­digung des Gouver­neurs­amtes gegenüber einer linken Demokratin: Mission accom­plished. Umgekehrten machten das knappe Ergebnis, das drama­tur­gisch perfekte Kandi­da­tenpaar von altem weißen Trump-Unter­stützer und progres­siver schwarzer Frau, dazu immer wieder aufflam­mende Vorwürfe von Wähler­un­ter­drü­ckung und nicht zuletzt die Tatsache, dass Kemp als amtie­render Secretary of State seine eigene Wahl zu beauf­sich­tigen hatte, ihn in Kreisen der Demokraten zur Hassfigur.

Tempi passati. Gerade einmal zwei Jahre später gilt Kemp bei den Demokraten wieder als Respekts­person und Politiker mit Rückgrat, während er in der GOP heute weitgehend persona non grata ist. Sein Vergehen aus Sicht der Republi­kaner: Nach dem knappen, aber mehrfach bestä­tigten Wahlsieg von Joe Biden in Georgia hatte Kemp die Wahler­geb­nisse offiziell beglaubigt. Dazu war er als Gouverneur von Amts wegen verpflichtet, doch Amtswege zählten bekanntlich nicht mehr viel für weite Teile der republi­ka­ni­schen Partei, zumindest nicht, solange sie nicht zu Donald Trump führten.

Koordi­na­ten­ver­schiebung in der GOP

Das Beispiel Kemp zeigt, wie schnell und wie nachhaltig die Koordi­naten innerhalb der GOP sich in den vergan­genen Jahren verschoben haben. Die Geschichte des konser­va­tiven Heils­bringers, der nach dem 3. November 2020 binnen weniger Wochen zum Ausge­sto­ßenen wurde, ist auch die Geschichte einer Partei, deren Radika­li­sierung längst ein kriti­sches Maß erreicht hat und die in naher Zukunft die Frage zu beant­worten hat, was sie eigentlich sein will: Ein klassi­sches Projekt des politi­schen Konser­va­tismus oder parla­men­ta­ri­sches Vehikel von Donald Trumps Ego.

Nun sind die Republi­kaner als eine von nur zwei Parteien notwen­di­ger­weise ein großes Zelt, und Fraktions- und Lager­bildung gehörten schon immer zum politi­schen Alltag. Auch die aktuellen Inter­es­sen­gruppen sind kein origi­näres Produkt der Trump-Ära, der Riss zwischen Basis und Elite ist mindestens so alt wie die „Tea Party“-Revolte in den frühen 2010ern. Neu ist hingegen, dass mit Trumps Vorwahlsieg 2016 eine Bewegung in einer der beiden Parteien Fuß fassen konnte, die das Wählbar­keits­ar­gument, sonst der natür­liche Goldstandard jeder Demokratie, de facto ablehnt und so die demokra­tische Funktion der Partei als Zusam­men­schluss Gleich­ge­sinnter mit politi­schen Zielen damit aushöhlt.

Owning the libs

An die Stelle des klassi­schen Partei­pro­gramms tritt längst mehr und mehr „negative partis­anship“, d.h. die Sabotage der Gegen­seite im politi­schen Alltag. „Owning the libs“, in sehr zahmer Übersetzung ungefähr „es den Linken zeigen“, ist in den Red States mindestens im letzten Jahrzehnt vielfach zur Ersatz­re­ligion geworden, die normales politi­sches Engagement erübrigt. Wer so denkt, für den sind die Demokraten keine politi­schen Gegner mehr, sondern Feinde, die keinen Entgeg­nungen und Wider­le­gungen mehr verdienen, sondern Tadel, Verachtung und Hass. Nicht mehr die ausge­fuchste Politik gewinnt, sondern der beste Soundbite und das am härtesten triggernde Argument.

Dieser hyper­per­for­mative Ansatz passt aller­dings überhaupt nicht zum Modus Operandi der republi­ka­ni­schen Funkti­ons­elite, die teils seit Jahrzehnten verlässlich Kühe handelt und mit mal mehr, mal weniger Anstand politische Inter­essen verfolgt. Versierte Macht­po­li­tiker wie der langjährige Mehrheits­führer im Senat Mitch McConnell, der ehemalige Sprecher des Reprä­sen­tan­ten­hauses Paul Ryan und der langjährige Senator Lindsey Graham hatten stets klare Vorstel­lungen davon, wie Amerika auszu­sehen hatte: Viel Freiheit für die Wirtschaft, ein properes Militär, schlanke Steuern und allgemein wenig staat­liche Eingriffe. Das gefiel nicht jedem, aber es war ein Programm, das man unter­stützen oder ablehnen konnte.

Der Opfer­komplex des mächtigsten Mannes der Welt

Dass gerade die Altge­dienten mit der nihilis­ti­schen Feuer­walze eines Donald Trump weder menschlich noch politisch etwas anzufangen wussten, liegt auf der Hand, aber auch in diesen Kreisen musste nach 2016 jeder sehen, wo er bleibt. Einige wenige Kongress­ab­ge­ordnete versuchten mit geringem Ertrag ihr Glück als Marken­bot­schafter der „alten“ GOP, während das Gros der Partei längst mit sicherem oppor­tu­nis­ti­schen Gespür den neuen politi­schen Fixstern umkreiste. Stramm Wertkon­ser­vative brachten eilig ihre öffent­lichen Positionen mit denen einer Basis in Einklang, die längst keine Politik mehr verlangte, sondern vollauf damit zufrieden war, gemeinsam mit dem mächtigsten Mann der Welt einen Opfer­komplex zu kultivieren.

Mit diesem Arran­gement konnten die meisten in der GOP gut leben, solange Trump im Weißen Haus saß und die Partei zumindest Teile des Kongresses kontrol­lierte. Die Wahl von 2020 überstand es aller­dings nicht.

Stali­nis­ti­scher Hass auf Verräter im eigenen Lager

Dabei schien Trumps Niederlage gegen Joe Biden im ersten Moment genau das zu sein, was die heimlichen Trump-Verachter unter den Republi­kanern sich jahrelang erhofft hatten: Schmerzlich eindeutig und durch den Verlust jahrzehn­te­langer GOP-Hochburgen wie Georgia und Arizona auch hinrei­chend demütigend, dass ein Neuanfang möglich schien. Als aber Trump und seine juris­tische League of Evil daraufhin zum Kreuzzug gegen Dominion bliesen, wurde schnell klar: Es würde bei der Hoffnung bleiben. Während der Noch-Präsident über Wochen rechtlich, politisch und persönlich aus allen Rohren feuerte, fand die staats­treue GOP vom Tag der Niederlage am 7. November über die Abstimmung der Wahlmänner am 14. Dezember bis hin zum in Infamie fortle­benden 6. Januar keine klare Linie mehr. Der Sturm auf das Kapitol selbst vertiefte den Riss zwischen den Mandats­trägern auf Bundes­ebene und einer Basis, die in bester stali­nis­ti­scher Tradition mehr als ihre eigent­lichen Feinde vor allem die Verräter der Revolution im eigenen Lager hasste, noch weiter.

Patrioten von Q‑Anon

Und auch seitdem wurde es nicht besser. Zahlreiche lokale Verbände der GOP gaben sich nach dem 6. Januar alle Mühe, immer neue Abgründe politi­scher Idiotie auszu­loten. In Arizona sprach die Partei einen offizi­ellen Tadel („censure“) gegen Gouverneur Doug Ducey aus, der es wie Brian Kemp gewagt hatte, seine Amtspflichten höher einzu­schätzen als seine persön­liche Loyalität zu Donald Trump; den ehema­ligen Senator Jeff Flake und die Witwe von John McCain (!) maßre­gelte man gleich mit.
Der Landes­verband in Hawaii erklärte in einem später gelöschten Twitter-Thread, die Anhänger von QAnon seien in erster Linie „Patrioten“ und getrieben von „einer tiefen Liebe zu Amerika“, hier trat die Landes­vor­sit­zende kurz darauf zurück. Und die GOP in Oregon schoss mit einem Beschluss des Partei­vor­standes, der den Sturm auf das Kapitol offiziell als „False Flag“-Aktion bezeichnete und explizit mit dem Reichs­tags­brand verglich, gleich einen ganzen Vogel­schwarm ab. Nimmt man noch die teils promi­nenten Kongress­ab­ge­ord­neten wie etwa die Vorsit­zende der House Republican Confe­rence Liz Cheney hinzu, gegen die ihre Heimat­ver­bände (und sogar ihre Familien) bereits in verschie­dener Form vorge­gangen sind, weil sie für das Impeachment gegen bzw. die Verur­teilung von Donald Trump gestimmt haben, wird klar, dass die Brücken zwischen Basis und Partei­führung im Winter 2021 lichterloh in Flammen stehen.

Die MAGA-Mütze als Insignium religiöser Überzeugung

Die ganze Ohnmacht der republi­ka­ni­schen Führungs­riege zeigte sich zuletzt in Unter­wer­fungs­gesten wie der des Minder­heits­führers im Reprä­sen­tan­tenhaus, Kevin McCarthy, der Ende Januar in Mar-a-Lago zu Kreuze kriechen durfte, aber auch im Unver­mögen gestählter Polit­ve­te­ranen wie Mitch McConnell, den Weg des in den Kreis­ver­bänden brodelnden Magmas an die Oberfläche irgendwie zu lenken. Weit davon entfernt, der Partei den Weg vorzu­geben, mäanderte selbst der gewiefte McConnell seit November von der Erklärung, Trump habe jedes Recht, die Wahl vor Gericht prüfen zu lassen, zur Feststellung, mit der Abstimmung der Wahlmänner habe Biden nun doch gewonnen, einer deutlichen Zurück­weisung Trumps am 6. Januar, dem Vorwurf, der Präsident habe den Sturm auf das Kapitol „provo­ziert“ und einem dröhnend lautem Nachdenken über eine Verur­teilung im Impeachment-Verfahren hin zur Entscheidung des Freispruchs, der er sodann umgehend eine flammende Rede über Trumps Schuld folgen ließ.
Zusätzlich erodiert wurde die Autorität der Partei­führung noch im ersten Standoff mit den neuge­wählten Abgeord­neten, für die die MAGA-Mütze kein strate­gisch gewähltes Kostüm mehr ist, sondern Insignium ihrer religiösen Überzeugung. Dass zum Beispiel die QAnon-nahe Abgeordnete Marjorie Taylor Greene aus Georgia ihre Ausschuss­funk­tionen verlor, war eine Entscheidung der demokra­ti­schen Mehrheit im Reprä­sen­tan­tenhaus und eben nicht der GOP, die sich zur Wahrung des inneren Friedens entschied, weder gegen Taylor Greene noch gegen Liz Cheney vorzu­gehen. Nur so konnte der offene Krieg – noch – vermieden werden.

Ob aber von Krieg überhaupt die Rede sein sollte, wenn eine Seite so deutlich im Vorteil ist, bleibt disku­tabel. Politiker wie Taylor Greene treffen den Geschmack der Basis derzeit erkennbar deutlich besser als die Vertreter der klassi­schen GOP, und mit jeder Legis­la­tur­pe­riode, die die Partei Trumps Würge­griff nicht abschüttelt, wächst die Zahl der Überzeu­gungs­täter in verant­wort­licher Position. Solange Oppor­tu­nisten wie Ted Cruz oder der zu unsäg­licher Bekanntheit gelangte Josh Hawley ihre politische Zukunft auf Trump verwetten, werden prinzi­pi­en­treue Abgeordnete wie Liz Cheney, Adam Kinzinger oder Ben Sasse es schwer haben, der Basis den Schaum vor dem Mund wieder abzuwi­schen. Wenn nicht mehr nur ein Mülleimer brennt, sondern der ganze Wald, ist es mit ein paar wenigen Feuer­lö­schern eben nicht mehr getan.

Das gilt übrigens auch für Brian Kemp, der sich 2022 in Georgia zur Wiederwahl stellt. Donald Trump hat bereits angekündigt, einen konser­va­tiven Vorwahl­gegner gegen ihn zu unterstützen.

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