Proteste in China: „Gib mir Freiheit oder bring mir den Tod!“

Zum ersten Mal seit 1989 richtet sich poli­ti­scher Wider­stand in China gegen die Kommu­nis­ti­sche Partei – und Xi Jinping persön­lich. Das Regime setzt jetzt alles daran, die Proteste zu beenden. Alexander Görlach über die Bedeutung der aktuellen und vergan­gener Protestbewegungen.

Zum ersten Mal seit den Demo­kratie-Protesten im Jahr 1989 formiert sich in der Volks­re­pu­blik massiver Wider­stand gegen die Politik der Kommu­nis­ti­schen Partei und Xi Jinping persön­lich. Wie im Sommer vor 33 Jahren spielen die Univer­si­täten dabei eine Rolle: “Nieder mit der Partei! Nieder mit Xi Jinping” skan­dieren die Studie­renden. Auch vor den Univer­si­täts­toren rufen die Demons­trie­renden: “Keine CPR-Tests! Freiheit!” und “Gib mir Freiheit oder bring mir den Tod!“

Die Nomen­kla­tura hat Diens­tag­nacht alles daran­ge­setzt, dass es nicht wieder zu Erhe­bungen kommt: Die Straßen, auf denen bislang die Demons­tra­tionen statt­fanden, wurden abge­sperrt, die Handys vorbei­lau­fender Passanten auf Videos und Fotos der Proteste unter­sucht. Einige der Demons­trie­renden konnten so per Gesichts­er­ken­nung ausfindig gemacht werden und die Polizei suchte sie zu Hause auf. Jour­na­listen wurden an der Arbeit gehindert, Univer­si­täten in Peking und der Provinz Guangdong haben geschlossen und ihren Studie­renden einen Sonder­ur­laub gegeben, um sie so von weiteren Nacht­wa­chen abzu­halten. Für die Menschen in der freien Welt mögen die spek­ta­ku­lären Bilder aus China ein Novum darstellen. Das sind die Proteste aber nicht:

NGOs zählen in den letzten sechs Monaten bis zu 735 Demons­tra­tionen in China

Nicht-Regie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen haben seit 18. Mai dieses Jahres bis zu 735 Demons­tra­tionen gezählt, aller­dings waren davon nur etwa rund 50 gegen die Corona-Maßnahmen gerichtet. Rund 230 Proteste gab es, als die Immo­bi­li­en­blase platzte und es Aber­tau­sende drohte, ihre Erspar­nisse, die sie in Wohnungen gesteckt hatten, zu verlieren. Weitere Gründe für Proteste waren eine Banken­krise, im Zuge derer Sparer kein Geld mehr abheben konnten. Und: Aufgrund der Covid-Pandemie ist die Wirt­schaft am Boden, weswegen die Jugend­ar­beits­lo­sig­keit mit rund 20 Prozent so hoch ist wie nie. Das Magazin The Economist hat die verschie­denen Daten aus einem Land, in dem es – ginge es nach Macht­haber Xi Jinping – eigent­lich überhaupt keinen poli­ti­schen Wider­stand geben sollte, zusam­men­ge­tragen und aufbe­reitet.

„China braucht keinen Kaiser“

Xi Jinping hatte sich gerade bei einem pompös insze­nierten XX. Partei­kon­gress Mitte Oktober zum dritten Mal zum Präsi­denten ausrufen lassen. Nach innen und außen sollte das Stabi­lität und Macht­fülle ausstrahlen. Nun rufen die Demons­tranten “China braucht keinen Kaiser”. Die jüngsten Proteste zielen ausschließ­lich auf das Ende des Lockdowns, mit dem die Menschen aller­dings die Forderung nach Demo­kratie, Meinungs­frei­heit und Rechts­staat­lich­keit verknüpfen. Derzeit müssen rund 400 Millionen Menschen in der Volks­re­pu­blik in einem Lockdown ausharren.

Xi Jinping hat sein poli­ti­sches Geschick mit der Bewäl­ti­gung der Corona-Krise verknüpft Das scheint in einer Diktatur, in der es keine Parteien und keine Wahlen gibt, und in der ein Macht­wechsel nur durch natür­li­chen Tod oder Meuchelei des Führers herbei­ge­führt werden kann, erst einmal nichts zu bedeuten. Aller­dings haben die Chinesen, histo­risch betrachtet, Erfahrung mit dem Sturz absoluter Herrscher: Fünf der 17 Dynastien des Alten China wurden gestürzt, weil Wasser­knapp­heit zu einer Hungersnot führte. Als diesen Sommer in China Seen und Flüsse austrock­neten, herrschte auf einmal so etwas wie Panik in Peking.

Xi Jinping setzt auf das Primat der Ideologie

Xi Jinping, der auf seinen Vor-vor-vorgänger Deng Xiao-ping wenig gibt, wird sich nun an ihn halten: Denn Deng, der im Westen gerne als Reformer Chinas gefeiert wird, hat den Befehl zur Erschie­ßung der Studie­renden auf dem Platz des Himm­li­schen Friedens am 4. Juni 1989 gegeben. Was Deng und Xi eint, ist ihre Ablehnung der Demo­kratie. Gewiss, Deng war ein Reformer, ein wirt­schaft­li­cher aller­dings. Und von ihm stammt letztlich die Wette, auf die die KP seit ihm gesetzt hat: Wir verschaffen der Bevöl­ke­rung stei­genden Wohlstand, die Bevöl­ke­rung zweifelt im Gegenzug die Allein­herr­schaft der Partei nicht an. Xi hat diese Abmachung aufge­geben. Er setzt auf das Primat der Ideologie und seine Vorherrschaft.

Die nächsten Tage werden für die Proteste entschei­dend sein

Die nächsten Tage werden entschei­dend sein: Bislang gingen Menschen in allen Landes­teilen auf die Straße. Das ist ein Unter­schied zu 1989, wo sich die Massen­pro­teste in Peking abspielten – und somit ein Vorteil für die aktuelle Bewegung. Ein Nachteil ist, dass die Proteste, gemessen an den 95 Millionen Partei­mit­glie­dern der 1,4 Milli­arden Chinesen, derzeit zahlen­mäßig so klein sind, dass ein Groß­auf­gebot der Polizei die Menschen bereits einschüch­tern konnte.

Ob dies das Ende der Proteste bedeutet, ist derzeit ungewiss. Mitte Oktober gab es eine oder einen Mutigen, der als Protest ein Banner an einer Brücke in Peking befes­tigte, auf dem gefordert wurde, dass der “Diktator und Staats­ver­räter Xi” aus dem Amt gejagt werde. Dieser Protest wurde behupt und beklatscht. Sechs Wochen darauf folgten tausende Menschen diesem Aufruf, nächste Woche könnten es hundert­tau­sende sein. Manchmal fangen große Bewe­gungen klein an.

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