Zurück zu 1948: 70 Jahre nach der Gründung Israels geht es wieder ums Ganze
Wenn eine Zwei-Staaten-Lösung auf der Basis der Grenzen von 1967 scheitert, geht es wieder zurück zum Ursprungskonflikt von 1948 – dann steht die Existenz Israels als jüdischer Nationalstaat gegen den Anspruch auf „ganz Palästina“. Die aktuelle Auseinandersetzung um die Grenze zum Gaza ist ein Vorspiel für diesen Kampf ums Ganze. Solange Hamas und die anderen militanten Fraktionen ihren Revanchismus gegenüber Israel nicht aufgeben, wird es keinen Frieden geben.
Verpasste Chancen rächen sich. Nachdem die Anläufe für eine 2‑Staaten-Lösung entlang der Grenzen von 1967 zumindest einstweilen gescheitert sind, geht der palästinensisch-israelische Konflikt immer mehr zurück auf seinen Ausgangspunkt: die Gründung Israels im Mai 1948, den darauf folgenden Krieg, den die arabischen Länder vom Zaun brachen und die Landnahme Israels im Verlauf des Unabhängigkeitskriegs, als einige Hunderttausend Araber teils vertrieben wurden, teils vor den Israelis flohen. Diese Rückwendung zu 1948 bedeutet: der Konflikt geht wieder ums Ganze.
Auf israelischer Seite setzen die Siedlungen die Landnahme fort, auf palästinensischer Seite steht der Ruf nach „Rückkehr“ für die Zerstörung Israels als jüdischer Staat. Für die Hamas und die anderen radikalen palästinensischen Fraktionen ging es nie um einen historischen Kompromiss, allenfalls um einen vorübergehenden Waffenstillstand auf dem langen Marsch zur Rückeroberung „ganz Palästinas“. Aber auch die Fatah hat sich nie vom „Right of Return“ verabschiedet. Vielleicht hatte sie nicht den Mut dazu, vielleicht wollte auch Mahmut Abbas diese Ambivalenz bewusst aufrechterhalten, mit Israel über Frieden zu verhandeln und zugleich die Revision von 1948 im Spiel zu halten.
In den militanten Aktionen gegen die Grenze zwischen Gaza und Israel geht es genau darum: das Recht auf „ganz Palästina“ zu reklamieren. Die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung spielt keine Rolle, sonst würde nicht der letzte funktionsfähige Grenzübergang abgefackelt, durch den in ruhigeren Zeiten jede Woche Tausende Lastwagen mit Hilfsgütern rollen. Man gaukelt den verarmten Massen vor, ihre Zukunft liege im „Land ihrer Väter“ – jenseits der Grenze. Die Hamas begreift sich nicht als zivile Regierung, sondern als Kriegspartei. Sie will nicht aufbauen, sondern zerstören. Für sie ist die Grenze zu Israel eine Frontlinie.
Die Härte, mit der die israelische Armee gegen den Aufruhr vorgeht, soll ein Exempel statuieren: Hände weg von unseren Grenzen. Dabei spielt die Eskalation der Gewalt denjenigen in die Hände, die hier wie dort nicht an die Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz glauben oder sie partout nicht wollen. Auch in Israel gibt es Kräfte, die den Anspruch auf das „historische Israel“ erheben, in dem es keinen Platz mehr für einen palästinensischen Staat gibt. Sie haben in der jetzigen Regierung zumindest eine Sperrminorität.
Der Kampf um die Grenze wird begleitet vom Kampf um die Köpfe. Das palästinensische Narrativ von 1948 als nationale Katastrophe (Nakba) beschwört immer aufs Neue die Opferrolle des eigenen Volkes. Es wird ausgeblendet, dass Flucht und Vertreibung Ergebnis eines verlorenen Vernichtungskriegs gegen Israel waren. Auch die Besetzung der Westbank war Folge eines Krieges, bei dem die Israelis der angedrohten Vernichtung durch eine arabische Koalition unter Nasser zuvorkamen („Wir werden die Juden ins Meer jagen“).
Die Europäer tun den Palästinensern keinen Gefallen, wenn sie ihr Narrativ übernehmen. Solange maßgebliche palästinensische Fraktionen ihren Revanchismus gegenüber Israel nicht aufgeben, wird es keinen Frieden geben. Dazu gehört der Abschied vom „Right of Return.“ Umgekehrt muss auch Israel wissen, dass es Kompromisse eingehen muss, vor allem in der Jerusalem-Frage. Man kann nur hoffen, dass die Chancen auf eine politische Lösung auf der Basis von 1967 nicht endgültig durch eine Neuauflage des Konflikts von 1948 zerstört wird. Die Europäische Union kann wenig mehr tun, als die Option einer friedlichen Lösung auf der Basis von zwei Staaten offen zu halten. In Israel hat das umso mehr Chancen, je entschiedener die Europäer für die Sicherheit des jüdischen Staates eintreten. Das gilt heute vor allem gegenüber der Bedrohung durch den Iran und seine Satelliten. Wenn die Berufung auf die besondere historische Verantwortung der Deutschen gegenüber Israel mehr als eine leere Phrase sein soll, dann gilt sie gegenüber einem Regime, das die Zerstörung des „zionistischen Gebildes“ zu seiner historischen Mission erklärt hat.