Wie Rechtspopulisten versuchen, russlanddeutsche (Spät‑)Aussiedler/innen in sozialen Medien für ihre Sache zu gewinnen
Rechtspopulistische bis ‑extreme Akteure sprechen immer wieder Russlanddeutsche als Zielgruppe an und nutzen dafür zunehmend auch soziale Netzwerke. Dabei versuchen sie, ihre politischen Ziele mit den Erfahrungswelten der Russlanddeutschen zu verknüpfen. Eine Untersuchung von Social-Media- und Messenger-Inhalten aus entsprechenden Quellen zeigt: Es werden zahlreiche Repräsentations- und Identifikationsangebote gemacht, die an die konkreten Ängste, Brüche und Ausgrenzungserfahrungen der Community anknüpfen. Außerdem zeigt sich: Rechtsextreme und ‑populistische Parolen und Vereinnahmungsversuche blieben mangels demokratischer Gegenstimmen häufig unwidersprochen. Eine Recherche von Iliane Kiefer, Paula Mangold und Sergej Prokopkin.
Öffentliches Zerrbild über politische Einstellungen der Russlanddeutschen
2016 rückte der „Fall Lisa“¹ (Spät-)Aussiedler/innen in der öffentlichen Wahrnehmung in ein Licht, das der Gruppe pauschal politische Einstellungen zwischen nationalkonservativ und rechtsextrem zuschrieb. Medienbeiträge mit Titeln wie Rechtsruck in „Klein-Moskau„² (Spiegel) förderten ein verzerrtes Bild, das Russlanddeutsche zum neuen Stammklientel rechter Parteien erklärte. Erste Studien zum Wahlverhalten von Einwander/innen konnten jedoch zeigen, dass diese Darstellung nicht haltbar ist: Zwar sind vor allem ältere (Spät-)Aussiedler/innen tendenziell eher konservativ eingestellt, die Berichterstattung wird jedoch weniger durch tatsächliches Wahlverhalten, sondern vielmehr durch stereotype Diskurse bestimmt.³
Ein kurzer Blick in die Geschichte
1941 begann mit dem Ostfeldzug von Wehrmacht und SS der Vernichtungskrieg des Deutschen Reichs gegen die Sowjetunion. Die dort ansässige deutsche Minderheit erlitt unter dem Vorwurf der Kollaboration Repressionen der stalinistischen Behörden. Sie wurden als Volksgruppe nach Sibirien und Kasachstan deportiert, unter Sonderaufsicht gestellt und mussten bis 1955 Zwangsarbeit verrichten. Auch danach konnten deutsche Sprache und Kultur oft nur im Verborgenen gelebt werden. Die Bundesrepublik sagte den Russlanddeutschen aufgrund des von Deutschland verantworteten Kriegsfolgenschicksals Aufnahme und die deutsche Staatsbürgerschaft zu. Rechtliche Grundlagen hierfür wurden mit dem Bundesvertriebenengesetz von 1953 und dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz von 1993 geschaffen.⁴ Auf dieser Grundlage kamen allein nach 1990 mehr als 2 Mio. russlanddeutsche (Spät-)Aussiedler/innen⁵ in die Bundesrepublik.
Rechtsextreme auch unter Russlanddeutschen
Die Mehrheit der Russlanddeutschen ist demokratisch eingestellt. Damit soll jedoch nicht bestritten werden, dass – nicht anders als in der sonstigen Bevölkerung – auch unter Russlanddeutschen durchaus Personen mit ausgeprägt rechten Einstellungen und entsprechendem Wahlverhalten sowie rechtsextreme Gruppierungen existieren. Diese Netzwerke pflegen Verbindungen nach Russland, zu rechtsextremen Parteien wie der NPD, dem Arminius-Bund und der Partei DIE EINHEIT (zwei von Russlanddeutschen gegründete rechtsextreme Kleinstparteien) sowie zu russlanddeutschen Biker- und Kampfsportgruppen. Insgesamt treten die Akteure dieser Netzwerke zwar in den Sozialen Medien laut auf, waren jedoch bislang wenig einflussreich.
Vereinnahmung durch rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien und Gruppen
Auf der anderen Seite versuchen Kräfte aus dem rechten Spektrum seit jeher, (Spät-)Aussiedler/innen für sich zu gewinnen. Vor allem über soziale Medien sprechen sie die russlanddeutsche Community gezielt an. Sie versuchen, ihre Inhalte und politischen Ziele mit den Erfahrungen und Lebenswelten der Russlanddeutschen zu verknüpfen. Mit wenigen Ausnahmen sind rechtsextreme und ‑populistische Kräfte derzeit die einzigen politischen Akteure, welche die russlanddeutsche Community mit einer zielgerichteten Ansprache zu erreichen versuchen. Die systematische Nutzung von Sozialen Medien und Messenger-Diensten verschärft dieses Problem. Weil demokratische Akteure hier weniger präsent sind, gibt es in den geschlossenen Diskursräumen der sozialen Medien kaum Widerspruch. Die unter Russlanddeutschen durchaus vorhandenen Gegenmeinungen werden nicht abgebildet, populistische rechtsextreme Akteure erlangen deshalb oft die Diskurshoheit.
Repräsentations- und Identifikationsangebote von rechts
Wie gelingt es rechtspopulistischen bis ‑extremen Akteuren, ihre politischen Ziele mit den Erfahrungswelten der Russlanddeutschen zu verknüpfen? Eine Untersuchung von Social-Media- und Messenger-Inhalten aus rechten Quellen zeigt: Die Akteure machen zahlreiche Repräsentations- und Identifikationsangebote an die Gruppe der (Spät-)Aussiedler/innen. Sie können dabei mangels Gegenstimmen in diesen Räumen unangefochten agieren und spielen gezielt mit Verunsicherungen im Selbstverständnis von Russlanddeutschen, die mit den Brüchen in ihrer Migrationsbiographie und erlebter Ausgrenzung zusammenhängen.
Zum einen wird die russische Sprache strategisch genutzt, etwa durch Präsenz in russischen Social-Media-Kanälen oder durch Übersetzungen von Meldungen aus deutschen Medien ins Russische. Durch eine tendenziöse, nicht wortgetreue Übersetzung trägt diese vermeintliche Serviceleistung zu einer verzerrten Wahrnehmung der tatsächlichen Berichterstattung bei. Neben der russischsprachigen Adressierung wird der Community auch das Angebot einer politischen Interessensvertretung, etwa hinsichtlich einer Verbesserung der Rentensituation und der Vertretung von Russlanddeutschen in Parlamenten gemacht, sowie Angebote einer symbolischen Repräsentation wie z.B. durch Gedenk-Postings zum „Tag der Russlanddeutschen“.
Darüber hinaus wird versucht, an den Lebenswirklichkeiten der Russlanddeutschen anzuknüpfen, um populistische und z.T. menschen- und verfassungsfeindliche Inhalte zu verbreiten. Konflikte und Bedürfnisse von (Spät-)Aussiedler/innen werden nur scheinbar aufgegriffen und vereinfachte Antworten geliefert. Gleichzeitig werden Ängste befeuert und so der Boden für Ressentiments bereitet. Es entsteht ein sich selbst verstärkender Kreislauf. Die Anknüpfungspunkte sind vielfältig und zum Teil auch widersprüchlich, wie im Folgenden gezeigt wird.
Sechs rechtspopulistische Verknüpfungsstrategien und Argumentationsfiguren
Vermittlung eines völkisch-identitären Verständnisses von Gesellschaft
Die rechtsextreme Partei NPD nimmt das Festhalten der Russlanddeutschen an Sprache und Kultur für ihr völkisch-nationalistisches Weltbild in Anspruch.
Rechtspopulisten setzten beim traumatischen Verfolgungsschicksal der Russlanddeutschen in der Sowjetunion an. Die Bewahrung der eigenen Kultur in der Diaspora hatte für Russlanddeutschen viele nachteilige Konsequenzen. Dieses Festhalten an deutscher Sprache und Kultur unter widrigen Umständen wird jedoch von Rechtspopulisten für ihre rassistische Politik nutzbar gemacht, die darauf abstellt, ein völkisch verstandenes Deutschtum gegen Einwanderung und Vielfalt abzuschotten. Sie legen den (Spät-)Aussiedler/innen nahe, sich aufgrund ihrer Abstammung als „Volksdeutsche“ zu verstehen. Die blutsmäßige Abstammung wird so gegenüber dem Bekenntnis als Kriterium der nationalen Zugehörigkeit in den Vordergrund gerückt. Damit wird ein problematisches Verständnis der deutschen Nation als ethnisch und kulturell homogene „Volksgemeinschaft“ vermittelt, das mit der realen ethnisch-kulturellen Vielfalt nicht vereinbar ist. Die Relevanz eines völkischen „Patriotismus“ wird betont und behauptet, der Stolz auf das eigene Deutschsein würde in Deutschland unterbunden. Mit dieser Argumentation wird (Spät-)Aussiedler/innen ein Identifikationsangebot gemacht, das auf die widersprüchliche Erfahrung der Diskriminierung als Deutsche in der Sowjetunion und als „Russen“ in Deutschland reagiert.
Behauptung eines „Bevölkerungsaustauschs“: Rassismus und Islamfeindlichkeit
Viele (Spät-)Aussiedler:innen haben aufgrund ihrer deutschen Abstammung, aber auch wegen ihres christlichen Glaubens in der atheistischen Sowjetunion Diskriminierungserfahrungen gemacht. Von rechten Kräften wird daran angeknüpft mit dem Ziel, unter (Spät-)Aussiedler/innen Ängste vor einer Wiederholung dieser Diskriminierung in Deutschland zu entfachen. Unterfüttert wird diese Argumentation mit der angeblichen Bedrohung durch einen insgeheim geplanten „Bevölkerungsaustausch“ bzw. durch die vermeintlich ungesteuerte Zuwanderung speziell von als muslimisch markierten Personen.
Mit der vermeintlichen „Bedrohung durch Muslime“ geht die Vorstellung einer „abendländischen“ kulturellen Homogenität einher.
In den untersuchten Netzwerken werden auch verschwörungsideologische Inhalte wie der eines angeblich vorsätzlichen „Völkermords“ an den Deutschen verbreitet.
In einer WhatsApp-Gruppe geteiltes SharePic der rechten Medienplattform clashdaily.com.
Wahlweise „echte Deutsche“ oder „bessere“ Migrant/innen
(Spät-)Aussiedler/innen werden in Deutschland häufig widersprüchlich wahrgenommen bzw. erfahren widersprüchliche Zuschreibungen. Zum einen erhalten sie direkt bei der Ankunft in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft und sind damit rechtlich klar als Deutsche anerkannt. In der Sowjetunion war das „Deutschsein“ über „ein gemeinsames Schicksal als Opferkollektiv“ und „über die ‚institutionalisierte Ethnizität‘ im sowjetischen System definiert.“⁶ In Deutschland erfahren sie wiederum häufig eine Stigmatisierung als „Russen“ bzw. „Ausländer“. Tatsächlich war für viele der Umzug nach Deutschland nicht nur ein „Heimkehren“, sondern auch ein Kulturschock, verbunden mit Enttäuschungen und einem Einleben in unbekannte Strukturen und eine neue Sprache – kurz gesagt: eine typische Migrationserfahrung.
Diese ambivalente Position zwischen „Deutschsein“ und „Migrationserfahrung“ wird von rechtspopulistischen und rechtsextremen Akteur/innen genutzt, um ihre völkischen und rassistischen Haltungen im Bereich Migrationspolitik zu verbreiten. Zum einen werden Russlanddeutsche hier als „die besseren Migranten“ und somit als Kontrastfolie für „schlechte Migranten“ benutzt, von denen stereotype Bilder gezeichnet werden. Den Regierenden wird vorgeworfen, andere Einwanderergruppen gegenüber den Russlanddeutschen zu bevorzugen und im Gegenzug von „den Anderen“ keine Integrationsbemühungen zu fordern. Zugleich wird aber auch das Argument bedient, die (Spät-)Aussiedler/innen seien gar keine Migrant/innen, da sie ja Deutsche sind. Bei (Spät-)Aussiedler/innen wird damit das Bedürfnis nach Selbstvergewisserung als Deutsche bedient. Gleichzeitig kann das Befeuern rassistischer Motive im Zusammenhang mit der Debatte um das „Deutschsein“ und Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft dazu beitragen, dass in der Gruppe der (Spät-)Aussiedler/innen die Angst vor (erneuter) Ausgrenzung geschürt wird. Russlanddeutsche haben schließlich in Deutschland auch die Erfahrung der Diskriminierung als „Russen“ und der Stigmatisierung als „kriminell“ machen müssen. So verstärken rechtsalternative Akteure den Bedarf an Selbstvergewisserung als Deutsche bei (Spät-)Aussiedler/innen, der mit der Bestätigung der Zugehörigkeit bedient werden kann. Auffällig ist dabei, dass Russlanddeutsche durch ihre Identität, die das Deutschsein, aber auch ihre Vergangenheit in der Sowjetunion einschließt, entweder als „Vorzeigemigranten“ oder als „echte Deutsche“ dargestellt werden können.
Das Video „9 Gründe für Russlanddeutsche die AfD zu wählen“ zeigt die Russlanddeutschen als „bessere Migrant:innen“ in Abgrenzung zu „Flüchtlingen“.
Antiliberalismus und Eliten-Bashing: „Merkel muss weg!“
Ausgehend von der historisch gewachsenen Bindung an die CDU/CSU konstruieren Akteure im rechten Spektrum ein homogenes Bild der (Spät-)Aussiedler/innen als politisch besonders konservativ und unterschlagen dabei, wie heterogen die Gruppe inzwischen in ihrer Parteienpräferenz ist. Im gleichen Zug werden die Unionsparteien zunehmend als „zu liberal“ und „zu wenig national“ dargestellt, sodass sie nicht mehr als konservative Interessenvertretung tauglich erscheinen. Zudem werden etablierte Parteien als „Altparteien“ bzw. „Parteien-Kartell“ verunglimpft. Politische Eliten werden als schwach, unfähig oder korrupt diffamiert und damit die Entfremdung von den demokratischen Institutionen vorangetrieben. Das Generalmisstrauen gegen die Demokratie wird auch mit der Verschwörungsideologie gefüttert, die Regierenden bzw. „der Staat“ arbeiteten gegen die eigene Bevölkerung. Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien und Gruppierungen bieten sich demgegenüber als „wahre“ Vertreter konservativer und christlicher Werte an, mischen diesem Programm jedoch gleichzeitig ihre rechtsextremen und antiliberalen Positionen unter.
Als „muslimisch“, „linksextrem“ und „queer“ stilisierte Figuren werden hier als Bedrohung für das Christentum aufgezeigt, die unter den Augen des Staats agieren.
Damit wird versucht, (Spät-)Aussiedler/innen, die konservative Werte vertreten, in ihrer Parteipräferenz zu verunsichern und sie als Unterstützer der eigenen Parteien und Gruppen zu gewinnen. Die gezielte Vermischung konservativer und christlicher Botschaften mit rechtsextremen, antiliberalen und antisemitischen Positionen soll dazu führen, dass extremistische Positionen als vermeintlich konservative übernommen werden.
In einem SharePic aus einer rechtsgerichteten WhatsApp-Gruppe mit vielen russlanddeutschen Mitgliedern wird George Soros, der mit den Open Society Foundations Bürgerrechtsorganisationen und Demokratie fördert, als Teufel dargestellt. Viele rechte Akteure unterstützen antisemitische Verschwörungsideologien, die Soros für die Fluchtbewegungen 2015 verantwortlich machen und Stereotype einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung bedienen.„Lügenpresse“ – von der angeblich eingeschränkten Meinungsfreiheit
Für viele (Spät-)Aussiedler/innen bedeutete das Leben im politischen System der Sowjetunion, dass sie Zensur und fehlende Meinungs- und Pressefreiheit erleben mussten. Diese Erfahrung wird von rechtsextremen und ‑populistischen Akteuren mit dem Slogan „Lügenpresse“ und einer angeblich eingeschränkten Meinungsfreiheit aufgegriffen. Es wird versucht, bei (Spät-)Aussiedler/innen die Sorge vor einer erneuten Einschränkung ihrer Freiheitsrechte zu schüren, damit sich antiliberale und rechtsextreme Kräfte als Verteidiger der Freiheit anbieten können.
Ein SharePic der Identitären Bewegung, das in russlanddeutschen WhatsApp-Gruppen geteilt wurde.
Russland-Verbindungen: Antiamerikanismus und autokratische Systeme als Vorbild
Trotz vielfacher negativer Erfahrungen in der Sowjetunion, etwa der strukturellen Benachteiligung als Deutsche, verbinden ein Großteil der (Spät-)Aussiedler/innen ihre persönlichen Kontakte, Sprachkenntnisse oder kulturelle Sozialisation mit Russland bzw. ihrem (post-)sowjetischen Herkunftsland. Politische Konflikte zwischen Deutschland und Russland können daher zu Identitätskonflikten führen. Sie werden von rechtsnationalen Akteuren genutzt, um Rückhalt für ihre Forderung nach einer kremlfreundlichen Außenpolitik zu gewinnen. Die positive Bewertung von Putins autoritärer Regierung ist teilweise mit Antiamerikanismus verquickt, in anderen Fällen werden illiberale Politiker wie Trump, Putin und Xi Jinping als positive Vorbilder dargestellt.
In der Facebook-Gruppe „Russlanddeutsche für Deutschland“ wird Putin als Verteidiger von Angriffen aus „dem Westen“ stilisiert.
In einem verschwörungsideologischen Post aus einer Facebook-Gruppe mit vielen russlanddeutschen und russischsprachigen Mitgliedern werden die illiberalen Führungspersonen Trump, Putin und Xi als Wahrer des „Weltfriedens“ bezeichnet.
In derselben Facebookgruppe wird Angela Merkel als ‚Krankheit‘ für Deutschland dargestellt. Mit einem ‚Schluck Putin‘ erscheint Deutschland in den Farben der Reichskriegsflagge, die eine hohe Symbolkraft in rechtsextremen Kreisen hat.
Fazit
Auch wenn Social-Media- und Messenger-Inhalte in ihrer Masse und stetigem Wandel nie in Gänze erfasst werden können, zeigen die Beobachtungen sehr eindeutig: Nationalistische, rassistische und antiliberale Akteure nutzen diese Kanäle gezielt, um russlanddeutsche (Spät-)Aussiedler/innen als Unterstützer zu gewinnen. Auch wenn die Follower- und Kommentar-Zahlen in den einschlägigen Kanälen relativ gering erscheinen, beeinflussen sie doch massiv die öffentliche Wahrnehmung der Spätaussieder/innen als vermeintlich rechtslastiger Gruppe. Die Verknüpfung russlanddeutscher Erfahrungen und Lebenswelten mit rechtsextremen und ‑populistischen, antidemokratischen Positionen ist keineswegs zwangsläufig. Jedoch sind vor allem in den Messenger-Diensten kaum Akteure mit pro-demokratischen, pluralistischen Positionen aktiv, die andere Sichtweisen öffentlich wirksam artikulieren. Hier bedarf es eines größeren Gegenangebots, das in zielgruppengerechter Ansprache in den entsprechenden Kanälen für eine demokratische Haltung wirbt und die pluralistische Gesellschaft stärkt. Dafür ist es hilfreich, Probleme und Widersprüchlichkeiten nicht auszuklammern, sondern öffentlich wie innerhalb der Community fortlaufend zu diskutieren. Russlanddeutsche, die sich gegen populistische Positionen engagieren und eine kritische Haltung gegenüber Hass, Ressentiments und Vereinfachungen einnehmen, brauchen aktivere Unterstützung und mehr politische Repräsentation. So kann eine kontroverse und pluralistische Debatte im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gesichert und gleichzeitig extremistischen Inhalten mit Kritik begegnet werden.
Fußnoten:
¹ Der „Fall Lisa“ beschreibt die Ereignisse rund um eine angebliche Vergewaltigung des minderjährigen russlanddeutschen Mädchens Lisa aus Marzahn-Hellersdorf durch Geflüchtete, die im Januar 2016 stattgefunden haben sollte. Die von dem Mädchen erfundene Geschichte wurde in russischen Medien verbreitet und mündete in Demonstrationen von Russlanddeutschen. Medina Schaubert: „Der Fall Lisa“ – Entwicklungen in Berlin Hellersdorf-Marzahn. In: https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/russlanddeutsche/271945/der-fall-lisa-entwicklungen-in-berlin-hellersdorf-marzahn [Zugriff: 06.08.2020]
² https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-warum-die-partei-bei-russlanddeutschen-so-beliebt-ist-a-1166915.html [Zugriff: 06.08.2020]
³ Problematisch ist vielmehr die vergleichsweise geringe Wahlbeteiligung der (Spät-)Aussiedler:innen. Vgl. Erste deutsche Migrantenwahlstudie: Wie Einwanderer und ihre Kinder wählen. In: https://www.uni-due.de/2018–03-05-migrantenwahlstudie [Zugriff: 06.08.2020]. Der kürzlich erschienene Sammelband ‚Postsowjetische Migration in Deutschland‘ von Jannis Panagiotidis (Weinheim/Basel 2021) gibt einen differenzierten Einblick in das Wahlverhalten russlanddeutscher (Spät-)Aussiedler:innen.
⁴ https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/russlanddeutsche/274597/spaetaussiedler-heimkehrer-vertriebene-russlanddeutsche-im-spiegel-bundesdeutscher-gesetze
⁵ Als (Spät-)Aussiedler/innen werden Personen bezeichnet, die auf Grundlage des Bundesvertriebenengesetzes als „deutsche Volkszugehörige“, d.h. Nachfahren deutscher Auswanderer, aus den Gebieten der Sowjetunion bzw. ihren Nachfolgestaaten nach Deutschland immigriert sind.
⁶ Jannis Panagiotidis: Identität und Ethnizität bei Bundesbürgern mit russlanddeutschem Migrationshintergrund. In: https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/russlanddeutsche/283533/identitaet-und-ethnizitaet-bei-bundesbuergern-mit-russlanddeutschem-migrationshintergrund [Zugriff: 31.7.2020]
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