Wie Rechts­po­pu­listen versuchen, russland­deutsche (Spät‑)Aussiedler/innen in sozialen Medien für ihre Sache zu gewinnen

Foto: Unsplash.com, Christian Wiediger
Foto: Unsplash.com, Christian Wiediger

Rechts­po­pu­lis­tische bis ‑extreme Akteure sprechen immer wieder Russland­deutsche als Zielgruppe an und nutzen dafür zunehmend auch soziale Netzwerke. Dabei versuchen sie, ihre politi­schen Ziele mit den Erfah­rungs­welten der Russland­deut­schen zu verknüpfen. Eine Unter­su­chung von Social-Media- und Messenger-Inhalten aus entspre­chenden Quellen zeigt: Es werden zahlreiche Reprä­sen­ta­tions- und Identi­fi­ka­ti­ons­an­gebote gemacht, die an die konkreten Ängste, Brüche und Ausgren­zungs­er­fah­rungen der Community anknüpfen. Außerdem zeigt sich: Rechts­extreme und ‑populis­tische Parolen und Verein­nah­mungs­ver­suche blieben mangels demokra­ti­scher Gegen­stimmen häufig unwider­sprochen. Eine Recherche von Iliane Kiefer, Paula Mangold und Sergej Prokopkin.

 

 

Öffent­liches Zerrbild über politische Einstel­lungen der Russlanddeutschen

2016 rückte der „Fall Lisa“¹ (Spät-)Aussiedler/innen in der öffent­lichen Wahrnehmung in ein Licht, das der Gruppe pauschal politische Einstel­lungen zwischen natio­nal­kon­ser­vativ und rechts­extrem zuschrieb. Medien­bei­träge mit Titeln wie Rechtsruck in „Klein-Moskau„² (Spiegel) förderten ein verzerrtes Bild, das Russland­deutsche zum neuen Stamm­kli­entel rechter Parteien erklärte. Erste Studien zum Wahlver­halten von Einwander/​innen konnten jedoch zeigen, dass diese Darstellung nicht haltbar ist: Zwar sind vor allem ältere (Spät-)Aussiedler/innen tenden­ziell eher konser­vativ einge­stellt, die Bericht­erstattung wird jedoch weniger durch tatsäch­liches Wahlver­halten, sondern vielmehr durch stereotype Diskurse bestimmt.³

Ein kurzer Blick in die Geschichte

1941 begann mit dem Ostfeldzug von Wehrmacht und SS der Vernich­tungs­krieg des Deutschen Reichs gegen die Sowjet­union. Die dort ansässige deutsche Minderheit erlitt unter dem Vorwurf der Kolla­bo­ration Repres­sionen der stali­nis­ti­schen Behörden. Sie wurden als Volks­gruppe nach Sibirien und Kasachstan depor­tiert, unter Sonder­auf­sicht gestellt und mussten bis 1955 Zwangs­arbeit verrichten. Auch danach konnten deutsche Sprache und Kultur oft nur im Verbor­genen gelebt werden. Die Bundes­re­publik sagte den Russland­deut­schen aufgrund des von Deutschland verant­wor­teten Kriegs­fol­gen­schicksals Aufnahme und die deutsche Staats­bür­ger­schaft zu. Recht­liche Grund­lagen hierfür wurden mit dem Bundes­ver­trie­be­nen­gesetz von 1953 und dem Kriegs­fol­gen­be­rei­ni­gungs­gesetz von 1993 geschaffen.⁴ Auf dieser Grundlage kamen allein nach 1990 mehr als 2 Mio. russland­deutsche (Spät-)Aussiedler/innen⁵ in die Bundesrepublik.

Rechts­extreme auch unter Russlanddeutschen

Die Mehrheit der Russland­deut­schen ist demokra­tisch einge­stellt. Damit soll jedoch nicht bestritten werden, dass – nicht anders als in der sonstigen Bevöl­kerung – auch unter Russland­deut­schen durchaus Personen mit ausge­prägt rechten Einstel­lungen und entspre­chendem Wahlver­halten sowie rechts­extreme Gruppie­rungen existieren. Diese Netzwerke pflegen Verbin­dungen nach Russland, zu rechts­extremen Parteien wie der NPD, dem Arminius-Bund und der Partei DIE EINHEIT (zwei von Russland­deut­schen gegründete rechts­extreme Kleinst­par­teien) sowie zu russland­deut­schen Biker- und Kampf­sport­gruppen. Insgesamt treten die Akteure dieser Netzwerke zwar in den Sozialen Medien laut auf, waren jedoch bislang wenig einflussreich.
Verein­nahmung durch rechts­extreme und rechts­po­pu­lis­tische Parteien und Gruppen
Auf der anderen Seite versuchen Kräfte aus dem rechten Spektrum seit jeher, (Spät-)Aussiedler/innen für sich zu gewinnen. Vor allem über soziale Medien sprechen sie die russland­deutsche Community gezielt an. Sie versuchen, ihre Inhalte und politi­schen Ziele mit den Erfah­rungen und Lebens­welten der Russland­deut­schen zu verknüpfen. Mit wenigen Ausnahmen sind rechts­extreme und ‑populis­tische Kräfte derzeit die einzigen politi­schen Akteure, welche die russland­deutsche Community mit einer zielge­rich­teten Ansprache zu erreichen versuchen. Die syste­ma­tische Nutzung von Sozialen Medien und Messenger-Diensten verschärft dieses Problem. Weil demokra­tische Akteure hier weniger präsent sind, gibt es in den geschlos­senen Diskurs­räumen der sozialen Medien kaum Wider­spruch. Die unter Russland­deut­schen durchaus vorhan­denen Gegen­mei­nungen werden nicht abgebildet, populis­tische rechts­extreme Akteure erlangen deshalb oft die Diskurshoheit.

Reprä­sen­ta­tions- und Identi­fi­ka­ti­ons­an­gebote von rechts

Wie gelingt es rechts­po­pu­lis­ti­schen bis ‑extremen Akteuren, ihre politi­schen Ziele mit den Erfah­rungs­welten der Russland­deut­schen zu verknüpfen? Eine Unter­su­chung von Social-Media- und Messenger-Inhalten aus rechten Quellen zeigt: Die Akteure machen zahlreiche Reprä­sen­ta­tions- und Identi­fi­ka­ti­ons­an­gebote an die Gruppe der (Spät-)Aussiedler/innen. Sie können dabei mangels Gegen­stimmen in diesen Räumen unange­fochten agieren und spielen gezielt mit Verun­si­che­rungen im Selbst­ver­ständnis von Russland­deut­schen, die mit den Brüchen in ihrer Migra­ti­ons­bio­graphie und erlebter Ausgrenzung zusammenhängen.
Zum einen wird die russische Sprache strate­gisch genutzt, etwa durch Präsenz in russi­schen Social-Media-Kanälen oder durch Überset­zungen von Meldungen aus deutschen Medien ins Russische. Durch eine tenden­ziöse, nicht wortge­treue Übersetzung trägt diese vermeint­liche Service­leistung zu einer verzerrten Wahrnehmung der tatsäch­lichen Bericht­erstattung bei. Neben der russisch­spra­chigen Adres­sierung wird der Community auch das Angebot einer politi­schen Inter­es­sens­ver­tretung, etwa hinsichtlich einer Verbes­serung der Renten­si­tuation und der Vertretung von Russland­deut­schen in Parla­menten gemacht, sowie Angebote einer symbo­li­schen Reprä­sen­tation wie z.B. durch Gedenk-Postings zum „Tag der Russlanddeutschen“.
Darüber hinaus wird versucht, an den Lebens­wirk­lich­keiten der Russland­deut­schen anzuknüpfen, um populis­tische und z.T. menschen- und verfas­sungs­feind­liche Inhalte zu verbreiten. Konflikte und Bedürf­nisse von (Spät-)Aussiedler/innen werden nur scheinbar aufge­griffen und verein­fachte Antworten geliefert. Gleich­zeitig werden Ängste befeuert und so der Boden für Ressen­ti­ments bereitet. Es entsteht ein sich selbst verstär­kender Kreislauf. Die Anknüp­fungs­punkte sind vielfältig und zum Teil auch wider­sprüchlich, wie im Folgenden gezeigt wird.

Sechs rechts­po­pu­lis­tische Verknüp­fungs­stra­tegien und Argumentationsfiguren

Vermittlung eines völkisch-identi­tären Verständ­nisses von Gesellschaft

 

Die rechts­extreme Partei NPD nimmt das Festhalten der Russland­deut­schen an Sprache und Kultur für ihr völkisch-natio­na­lis­ti­sches Weltbild in Anspruch.

Rechts­po­pu­listen setzten beim trauma­ti­schen Verfol­gungs­schicksal der Russland­deut­schen in der Sowjet­union an. Die Bewahrung der eigenen Kultur in der Diaspora hatte für Russland­deut­schen viele nachteilige Konse­quenzen. Dieses Festhalten an deutscher Sprache und Kultur unter widrigen Umständen wird jedoch von Rechts­po­pu­listen für ihre rassis­tische Politik nutzbar gemacht, die darauf abstellt, ein völkisch verstan­denes Deutschtum gegen Einwan­derung und Vielfalt abzuschotten. Sie legen den (Spät-)Aussiedler/innen nahe, sich aufgrund ihrer Abstammung als „Volks­deutsche“ zu verstehen. Die bluts­mäßige Abstammung wird so gegenüber dem Bekenntnis als Kriterium der natio­nalen Zugehö­rigkeit in den Vorder­grund gerückt. Damit wird ein proble­ma­ti­sches Verständnis der deutschen Nation als ethnisch und kulturell homogene „Volks­ge­mein­schaft“ vermittelt, das mit der realen ethnisch-kultu­rellen Vielfalt nicht vereinbar ist. Die Relevanz eines völki­schen „Patrio­tismus“ wird betont und behauptet, der Stolz auf das eigene Deutschsein würde in Deutschland unter­bunden. Mit dieser Argumen­tation wird (Spät-)Aussiedler/innen ein Identi­fi­ka­ti­ons­an­gebot gemacht, das auf die wider­sprüch­liche Erfahrung der Diskri­mi­nierung als Deutsche in der Sowjet­union und als „Russen“ in Deutschland reagiert.

Behauptung eines „Bevöl­ke­rungs­aus­tauschs“: Rassismus und Islamfeindlichkeit

Viele (Spät-)Aussiedler:innen haben aufgrund ihrer deutschen Abstammung, aber auch wegen ihres christ­lichen Glaubens in der atheis­ti­schen Sowjet­union Diskri­mi­nie­rungs­er­fah­rungen gemacht. Von rechten Kräften wird daran angeknüpft mit dem Ziel, unter (Spät-)Aussiedler/innen Ängste vor einer Wieder­holung dieser Diskri­mi­nierung in Deutschland zu entfachen. Unter­füttert wird diese Argumen­tation mit der angeb­lichen Bedrohung durch einen insgeheim geplanten „Bevöl­ke­rungs­aus­tausch“ bzw. durch die vermeintlich ungesteuerte Zuwan­derung speziell von als musli­misch markierten Personen.
Mit der vermeint­lichen „Bedrohung durch Muslime“ geht die Vorstellung einer „abend­län­di­schen“ kultu­rellen Homoge­nität einher.

In den unter­suchten Netzwerken werden auch verschwö­rungs­ideo­lo­gische Inhalte wie der eines angeblich vorsätz­lichen „Völker­mords“ an den Deutschen verbreitet.

In einer WhatsApp-Gruppe geteiltes SharePic der rechten Medien­plattform clashdaily.com.

 

Wahlweise „echte Deutsche“ oder „bessere“ Migrant/​innen

(Spät-)Aussiedler/innen werden in Deutschland häufig wider­sprüchlich wahrge­nommen bzw. erfahren wider­sprüch­liche Zuschrei­bungen. Zum einen erhalten sie direkt bei der Ankunft in Deutschland die deutsche Staats­bür­ger­schaft und sind damit rechtlich klar als Deutsche anerkannt. In der Sowjet­union war das „Deutschsein“ über „ein gemein­sames Schicksal als Opfer­kol­lektiv“ und „über die ‚insti­tu­tio­na­li­sierte Ethni­zität‘ im sowje­ti­schen System definiert.“⁶ In Deutschland erfahren sie wiederum häufig eine Stigma­ti­sierung als „Russen“ bzw. „Ausländer“. Tatsächlich war für viele der Umzug nach Deutschland nicht nur ein „Heimkehren“, sondern auch ein Kultur­schock, verbunden mit Enttäu­schungen und einem Einleben in unbekannte Struk­turen und eine neue Sprache – kurz gesagt: eine typische Migrationserfahrung.

Diese ambiva­lente Position zwischen „Deutschsein“ und „Migra­ti­ons­er­fahrung“ wird von rechts­po­pu­lis­ti­schen und rechts­extremen Akteur/​innen genutzt, um ihre völki­schen und rassis­ti­schen Haltungen im Bereich Migra­ti­ons­po­litik zu verbreiten. Zum einen werden Russland­deutsche hier als „die besseren Migranten“ und somit als Kontrast­folie für „schlechte Migranten“ benutzt, von denen stereotype Bilder gezeichnet werden. Den Regie­renden wird vorge­worfen, andere Einwan­de­rer­gruppen gegenüber den Russland­deut­schen zu bevor­zugen und im Gegenzug von „den Anderen“ keine Integra­ti­ons­be­mü­hungen zu fordern. Zugleich wird aber auch das Argument bedient, die (Spät-)Aussiedler/innen seien gar keine Migrant/​innen, da sie ja Deutsche sind. Bei (Spät-)Aussiedler/innen wird damit das Bedürfnis nach Selbst­ver­ge­wis­serung als Deutsche bedient. Gleich­zeitig kann das Befeuern rassis­ti­scher Motive im Zusam­menhang mit der Debatte um das „Deutschsein“ und Zugehö­rigkeit zur deutschen Gesell­schaft dazu beitragen, dass in der Gruppe der (Spät-)Aussiedler/innen die Angst vor (erneuter) Ausgrenzung geschürt wird. Russland­deutsche haben schließlich in Deutschland auch die Erfahrung der Diskri­mi­nierung als „Russen“ und der Stigma­ti­sierung als „kriminell“ machen müssen. So verstärken rechts­al­ter­native Akteure den Bedarf an Selbst­ver­ge­wis­serung als Deutsche bei (Spät-)Aussiedler/innen, der mit der Bestä­tigung der Zugehö­rigkeit bedient werden kann. Auffällig ist dabei, dass Russland­deutsche durch ihre Identität, die das Deutschsein, aber auch ihre Vergan­genheit in der Sowjet­union einschließt, entweder als „Vorzei­ge­mi­granten“ oder als „echte Deutsche“ darge­stellt werden können.

Das Video „9 Gründe für Russland­deutsche die AfD zu wählen“ zeigt die Russland­deut­schen als „bessere Migrant:innen“ in Abgrenzung zu „Flücht­lingen“.

Antili­be­ra­lismus und Eliten-Bashing: „Merkel muss weg!“

Ausgehend von der histo­risch gewach­senen Bindung an die CDU/​CSU konstru­ieren Akteure im rechten Spektrum ein homogenes Bild der (Spät-)Aussiedler/innen als politisch besonders konser­vativ und unter­schlagen dabei, wie heterogen die Gruppe inzwi­schen in ihrer Partei­en­prä­ferenz ist. Im gleichen Zug werden die Unions­par­teien zunehmend als „zu liberal“ und „zu wenig national“ darge­stellt, sodass sie nicht mehr als konser­vative Inter­es­sen­ver­tretung tauglich erscheinen. Zudem werden etablierte Parteien als „Altpar­teien“ bzw. „Parteien-Kartell“ verun­glimpft. Politische Eliten werden als schwach, unfähig oder korrupt diffa­miert und damit die Entfremdung von den demokra­ti­schen Insti­tu­tionen voran­ge­trieben. Das General­miss­trauen gegen die Demokratie wird auch mit der Verschwö­rungs­ideo­logie gefüttert, die Regie­renden bzw. „der Staat“ arbei­teten gegen die eigene Bevöl­kerung. Rechts­extreme und rechts­po­pu­lis­tische Parteien und Gruppie­rungen bieten sich demge­genüber als „wahre“ Vertreter konser­va­tiver und christ­licher Werte an, mischen diesem Programm jedoch gleich­zeitig ihre rechts­extremen und antili­be­ralen Positionen unter.

Als „musli­misch“, „links­extrem“ und „queer“ stili­sierte Figuren werden hier als Bedrohung für das Chris­tentum aufge­zeigt, die unter den Augen des Staats agieren.

Damit wird versucht, (Spät-)Aussiedler/innen, die konser­vative Werte vertreten, in ihrer Partei­prä­ferenz zu verun­si­chern und sie als Unter­stützer der eigenen Parteien und Gruppen zu gewinnen. Die gezielte Vermi­schung konser­va­tiver und christ­licher Botschaften mit rechts­extremen, antili­be­ralen und antise­mi­ti­schen Positionen soll dazu führen, dass extre­mis­tische Positionen als vermeintlich konser­vative übernommen werden.

In einem SharePic aus einer rechts­ge­rich­teten WhatsApp-Gruppe mit vielen russland­deut­schen Mitgliedern wird George Soros, der mit den Open Society Founda­tions Bürger­rechts­or­ga­ni­sa­tionen und Demokratie fördert, als Teufel darge­stellt. Viele rechte Akteure unter­stützen antise­mi­tische Verschwö­rungs­ideo­logien, die Soros für die Flucht­be­we­gungen 2015 verant­wortlich machen und Stereotype einer angeb­lichen jüdischen Weltver­schwörung bedienen.„Lügenpresse“ – von der angeblich einge­schränkten Meinungsfreiheit

Für viele (Spät-)Aussiedler/innen bedeutete das Leben im politi­schen System der Sowjet­union, dass sie Zensur und fehlende Meinungs- und Presse­freiheit erleben mussten. Diese Erfahrung wird von rechts­extremen und ‑populis­ti­schen Akteuren mit dem Slogan „Lügen­presse“ und einer angeblich einge­schränkten Meinungs­freiheit aufge­griffen. Es wird versucht, bei (Spät-)Aussiedler/innen die Sorge vor einer erneuten Einschränkung ihrer Freiheits­rechte zu schüren, damit sich antili­berale und rechts­extreme Kräfte als Vertei­diger der Freiheit anbieten können.

Ein SharePic der Identi­tären Bewegung, das in russland­deut­schen WhatsApp-Gruppen geteilt wurde.

 

In der Facebook-Gruppe „Russland­deutsche für Deutschland“ wird Putin als Vertei­diger von Angriffen aus „dem Westen“ stilisiert.“

 

Russland-Verbin­dungen: Antiame­ri­ka­nismus und autokra­tische Systeme als Vorbild

Trotz vielfacher negativer Erfah­rungen in der Sowjet­union, etwa der struk­tu­rellen Benach­tei­ligung als Deutsche, verbinden ein Großteil der (Spät-)Aussiedler/innen ihre persön­lichen Kontakte, Sprach­kennt­nisse oder kultu­relle Sozia­li­sation mit Russland bzw. ihrem (post-)sowjetischen Herkunftsland. Politische Konflikte zwischen Deutschland und Russland können daher zu Identi­täts­kon­flikten führen. Sie werden von rechts­na­tio­nalen Akteuren genutzt, um Rückhalt für ihre Forderung nach einer kreml­freund­lichen Außen­po­litik zu gewinnen. Die positive Bewertung von Putins autori­tärer Regierung ist teilweise mit Antiame­ri­ka­nismus verquickt, in anderen Fällen werden illiberale Politiker wie Trump, Putin und Xi Jinping als positive Vorbilder dargestellt.

In der Facebook-Gruppe „Russland­deutsche für Deutschland“ wird Putin als Vertei­diger von Angriffen aus „dem Westen“ stilisiert.

In einem verschwö­rungs­ideo­lo­gi­schen Post aus einer Facebook-Gruppe mit vielen russland­deut­schen und russisch­spra­chigen Mitgliedern werden die illibe­ralen Führungs­per­sonen Trump, Putin und Xi als Wahrer des „Weltfriedens“ bezeichnet.

In derselben Facebook­gruppe wird Angela Merkel als ‚Krankheit‘ für Deutschland darge­stellt. Mit einem ‚Schluck Putin‘ erscheint Deutschland in den Farben der Reichs­kriegs­flagge, die eine hohe Symbol­kraft in rechts­extremen Kreisen hat.

Fazit

Auch wenn Social-Media- und Messenger-Inhalte in ihrer Masse und stetigem Wandel nie in Gänze erfasst werden können, zeigen die Beobach­tungen sehr eindeutig: Natio­na­lis­tische, rassis­tische und antili­berale Akteure nutzen diese Kanäle gezielt, um russland­deutsche (Spät-)Aussiedler/innen als Unter­stützer zu gewinnen. Auch wenn die Follower- und Kommentar-Zahlen in den einschlä­gigen Kanälen relativ gering erscheinen, beein­flussen sie doch massiv die öffent­liche Wahrnehmung der Spätaussieder/​innen als vermeintlich rechts­las­tiger Gruppe. Die Verknüpfung russland­deut­scher Erfah­rungen und Lebens­welten mit rechts­extremen und ‑populis­ti­schen, antide­mo­kra­ti­schen Positionen ist keineswegs zwangs­läufig. Jedoch sind vor allem in den Messenger-Diensten kaum Akteure mit pro-demokra­ti­schen, plura­lis­ti­schen Positionen aktiv, die andere Sicht­weisen öffentlich wirksam artiku­lieren. Hier bedarf es eines größeren Gegen­an­gebots, das in zielgrup­pen­ge­rechter Ansprache in den entspre­chenden Kanälen für eine demokra­tische Haltung wirbt und die plura­lis­tische Gesell­schaft stärkt. Dafür ist es hilfreich, Probleme und Wider­sprüch­lich­keiten nicht auszu­klammern, sondern öffentlich wie innerhalb der Community fortlaufend zu disku­tieren. Russland­deutsche, die sich gegen populis­tische Positionen engagieren und eine kritische Haltung gegenüber Hass, Ressen­ti­ments und Verein­fa­chungen einnehmen, brauchen aktivere Unter­stützung und mehr politische Reprä­sen­tation. So kann eine kontro­verse und plura­lis­tische Debatte im Rahmen der freiheitlich-demokra­ti­schen Grund­ordnung gesichert und gleich­zeitig extre­mis­ti­schen Inhalten mit Kritik begegnet werden.

Fußnoten:
¹ Der „Fall Lisa“ beschreibt die Ereig­nisse rund um eine angeb­liche Verge­wal­tigung des minder­jäh­rigen russland­deut­schen Mädchens Lisa aus Marzahn-Hellersdorf durch Geflüchtete, die im Januar 2016 statt­ge­funden haben sollte. Die von dem Mädchen erfundene Geschichte wurde in russi­schen Medien verbreitet und mündete in Demons­tra­tionen von Russland­deut­schen. Medina Schaubert: „Der Fall Lisa“ – Entwick­lungen in Berlin Hellersdorf-Marzahn. In: https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/russlanddeutsche/271945/der-fall-lisa-entwicklungen-in-berlin-hellersdorf-marzahn [Zugriff: 06.08.2020]

² https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-warum-die-partei-bei-russlanddeutschen-so-beliebt-ist-a-1166915.html [Zugriff: 06.08.2020]

³ Proble­ma­tisch ist vielmehr die vergleichs­weise geringe Wahlbe­tei­ligung der (Spät-)Aussiedler:innen. Vgl. Erste deutsche Migran­ten­wahl­studie: Wie Einwan­derer und ihre Kinder wählen. In: https://www.uni-due.de/2018–03-05-migrantenwahlstudie [Zugriff: 06.08.2020]. Der kürzlich erschienene Sammelband ‚Postso­wje­tische Migration in Deutschland‘ von Jannis Panagio­tidis (Weinheim/​Basel 2021) gibt einen diffe­ren­zierten Einblick in das Wahlver­halten russland­deut­scher (Spät-)Aussiedler:innen.

⁴ https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/russlanddeutsche/274597/spaetaussiedler-heimkehrer-vertriebene-russlanddeutsche-im-spiegel-bundesdeutscher-gesetze

⁵ Als (Spät-)Aussiedler/innen werden Personen bezeichnet, die auf Grundlage des Bundes­ver­trie­be­nen­ge­setzes als „deutsche Volks­zu­ge­hörige“, d.h. Nachfahren deutscher Auswan­derer, aus den Gebieten der Sowjet­union bzw. ihren Nachfol­ge­staaten nach Deutschland immigriert sind.

⁶ Jannis Panagio­tidis: Identität und Ethni­zität bei Bundes­bürgern mit russland­deut­schem Migra­ti­ons­hin­ter­grund. In: https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/russlanddeutsche/283533/identitaet-und-ethnizitaet-bei-bundesbuergern-mit-russlanddeutschem-migrationshintergrund [Zugriff: 31.7.2020]

 

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