Im Osten nichts Neues: Israel wählt. Mal wieder.
Im März setzt Israel seinen Wahlmarathon fort. LibMod-Kolumnist Richard C. Schneider, erklärt, wieso trotz solider Mehrheit für das rechte Lager Netanyahus Wiederwahl ernsthaft gefährdet ist. Und wieso der aus persönlichen, rein juristischen Gründen das Wagnis dennoch eingeht.
Wie in Deutschland, so dauert auch in Israel eine Legislaturperiode vier Jahre. Doch im Schnitt wurde seit Staatsgründung in der einzigen Demokratie des Nahen Ostens alle 2,3 Jahre gewählt. Und jetzt, innerhalb von zwei Jahren, wird im März 2021 bereits das vierte Mal gewählt. Der Grund ist simpel. Gegen Premier Netanyahu läuft ein Prozess wegen mutmaßlicher Korruption in drei Fällen. Ihm droht im Falle einer Verurteilung Gefängnis. Netanyahu tut alles, um genau das zu verhindern. Er will an der Macht bleiben, aber mehr noch, er will ein Gesetz durchbringen, um sich selbst Immunität zu verschaffen. Doch bislang hatte er nicht die Mehrheit dafür. Und so versucht er es jetzt wieder. Und sein Koalitionspartner Benny Gantz, der Führer der Blau-Weiß-Partei, hat es ihm sehr, sehr einfach gemacht. Gantz war angetreten, um Netanyahu aus dem Amt zu werfen. Bei der letzten Wahl, im März 2020, hatte die gesamte Opposition die Mehrheit in der Knesset. Doch dann knickte Gantz ein. Er, der ehemalige Generalstabschef der Armee, glaubte, dass es in Zeiten der Pandemie einer Einheitsregierung bedürfe, um in einer großen nationalen Anstrengung gemeinsam das Virus zu bekämpfen. Was er – wohl als einziger – außer Acht ließ: Netanyahu hatte eine ganz andere Agenda. Und auch wenn der Koalitionsvertrag vorsah, dass Gantz im November 21 das Amt des Premiers übernehmen solle, auch wenn in demselben Papier stand, dass man ein Zwei-Jahres-Budget für 2020 und 2021 verabschieden werde, so war jedem Beobachter klar, dass die Dinge wohl anders kommen würden. Und so geschah es. Bibi demütigte seinen Partner, er trickste den politische Newcomer nach Strich und Faden aus. Wenn einer seinen Machiavelli gelesen hat, dann Netanyahu. Die Regierung wurde aufgelöst. Wahlen stehen an. „Bibi“, wie Netanyahu nur genannt wird, hatte eine klare Strategie vor Augen, wie er erneut Premier zu werden gedenkt.
Doch seit einigen Tagen gibt es eine Entwicklung, die der stagnierenden politischen Szene Israels eine neue Würze gibt. Gideon Sa’ar, ein Gegner Netanyahus, hat die Likud-Partei verlassen und eine neue Partei gegründet. Nun ist das kein Novum. In der Vergangenheit hat es viele Politiker gegeben, die sich vom Likud und Netanyahu im Streit trennten und neue Parteien gründeten. Derzeit noch „mit dabei“: Avigdor Lieberman mit „Yisrael Beiteinu“ („Unser Haus Israel), Naftali Bennet und Ayaelet Shaked mit „Yamina“ (Die Rechte), Moshe Ya’alon mit „Telem“ (Acronym für „Tnua Leumit Mamlachtit“ – „Nationale Staatsmännische Bewegung“).
Was also ist so anders an Gideon Sa’ar? Zunächst einmal: Sa’ar ist lupenreiner Likud. Ein nationalkonservativer, ultrarechter Ideologe des alten Schlages, so wie einst Menachem Begin, Yitzhak Shamir, Ariel Sharon. Kein Populist, sondern ein ernsthafter Politiker, der lange Jahre an Erfahrung gesammelt hat und genau weiß, wie man Politik „spielen“ muss. Allein die Tatsache, dass es ihm gelungen ist, bis zum offiziellen Austritt aus der Partei, seine Pläne komplett geheim zu halten, ist in Israel eine Sensation und zeigt, dass dieser Mann ruhig und klug seine Schritte vorbereitet. Mit ihm verließen weitere namhafte Politiker den Likud. Und Netanyahu wird es schwer haben, diese Ultrarechten als „Linke“ zu diffamieren, wie er das in der Vergangenheit mit allen „Fahnenflüchtigen“ erfolgreich getan hatte.
Es wird ihm noch schwerer fallen, seit am Vorweihnachtstag einer seiner engsten Vertrauten und Minister mit einem Paukenschlag zu Sa’ar übergelaufen ist. Ze’ev Elkin gehörte seit Jahren zum allerengsten Kreis um Bibi. Auch er: stramm rechts. Der aus der Sowjetunion stammende Politiker ist ein Siedler, trägt die zugehörige Häkel-Kippa, und ist, wie Sa’ar, ein erklärter Gegner eines Palästinenserstaates. Und gerade weil er zum Inner Circle gehörte, war seine Pressekonferenz ein unglaublicher Schlag für Netanyahu. Im Likud gäbe es nur noch einen „Personenkult“, so Elkin in einer Erklärung, Netanyahu führe sich auf als ob er einen „byzantinischen Hof“ habe, alle um ihn herum seien nur noch „Hofschranzen“ und Speichellecker. Netanyahu sei „gefährlich für Israel“, er habe nicht mehr das Interesse des Staates, sondern nur noch seine eigenen im Sinn.
Vertraute Netanyahus berichteten, der Premier sei geschockt gewesen. Auch dieser Abgang war minutiös vorbereitet. Still, leise, es gab kein Leck, niemand wusste etwas. Auch hier wurde wieder die hohe Professionalität Gideon Sa’ars offensichtlich.
Dass dessen Partei „Tikva Yadascha“ („Neue Hoffnung“) in Umfragen gleich hinter dem Likud als zweitstärkste Partei steht, zeigt, wie sehnsüchtig viele Wähler nach einem Ende Netanyahus sind, auch wenn dies in der israelischen Politik noch nicht viel bedeutet. Bis März ist es in israelischen Bezügen tatsächlich noch eine Ewigkeit, bis dahin kann noch sehr, sehr viel geschehen. Netanyahu hat die Wahl noch nicht verloren.
Aber Tendenzen sind sichtbar. Israel ist längst eine Gesellschaft, die mehrheitlich rechts steht. Wobei „rechts“ im Israelischen Kontext die Haltung zum Friedensprozess und der Zweistaatenlösung bezeichnet und eigentlich disparate Ansichten von völlig sekulären Wirtschaftsliberalen über Siedler bis zu ultraorthodoxen Wehrdienstverweigerern umfasst. Doch der Unmut mit Netanyahu, mit seinen Tricks, seinen falschen Versprechungen, seinem nahezu autokratischen Gebaren, ist in der letzten Zeit auch in der israelischen Rechten stärker geworden. Auch auf der Rechten sehnt man sich inzwischen nach einer aufrichtigen Politik, in der politische Gegner nicht mehr automatisch zu Feinden erklärt werden, in der das Wohl des Staates über dem Wohl des Premiers steht. In der Korruption und Lüge nicht mehr selbstverständliche Bestandteile des politischen Lebens sind.
Wird das alles reichen, um die Ära Netanyahu im März tatsächlich zu beenden? Wie gesagt, es ist noch zu früh, um Prophezeiungen zu wagen. Doch möglicherweise wird die Gründung der „Neuen Hoffnung“, der Austritt aus dem Likud von Sa’ar, aber mehr noch von Elkin, tatsächlich von Historikern eines Tages als Anfang vom Ende interpretiert.
Soviel ist sicher, der Wahlkampf wird sehr, sehr schmutzig werden. Netanyahu wird jeden wahren und erfundenen Dreck auf Sa’ar und Elkin und wer sich sonst noch der neuen Partei anschließen wird, werfen. Er wird versuchen Naftali Bennet irgendwie auf seine Seite zu ziehen, denn dieser ist nicht so klar in seinen Aussagen, ob er nach der Wahl vielleicht nicht doch eine Koalition mit Netanyahu bilden würde. Zwar hat Bennet in der Weihnachtswoche bekanntgegeben, dass er als Kandidat für das Amt des Premiers antritt, aber andere Optionen nicht kategorisch ausgeschlossen.
Sa’ar hat sich dagegen klar positioniert: Wer Netanyahu haben wolle, solle seiner Partei keine Stimme geben. Sollte Bibi gewinnen, säße die „Neue Hoffnung“ auf alle Fälle in der Opposition. Ähnliches hat auch Gantz versprochen und dann nicht gehalten. Aber Sa’ar ist aus anderem Holz geschnitzt und hat das Schicksal des Führers von Blau-Weiß deutlich vor Augen: Vor wenigen Monaten noch der Mann, der Netanyahu hätte besiegen können, heute politisch nur noch Geschichte und erledigt.
Und die Linke? Es gibt sie nicht mehr. Die Arbeitspartei, immerhin die Partei, die den Staat Israel gegründet hat, ist faktisch irrellevant, die Wahrscheinlichkeit, dass sie die 3,25% Hürde nimmt, ist gleich Null. Die linke Meretz-Partei (eine Art Äquivalent zu den deutschen Grünen) wird vielleicht sechs oder sieben Mandate erhalten, aber kaum mehr. In Israel gibt es nur noch die Wahl zwischen konservativ-rechts, extrem rechts und ultrarechts. Aber immerhin, es könnte nun wieder eine Aussicht auf einen rechten Premier geben, dem Staat, Demokratie und Gesetz noch etwas bedeuten. Hoffentlich.
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.