Dritte Knesset-Wahl in Israel: Lehrstück in Demokratiemüdigkeit
Auch in der Bundesrepublik sind Parteien immer häufiger versucht, arithmetische Pattsituationen durch Neuwahlen aufzulösen. In Israel kann man die Folgen beobachten. Zum dritten mal innerhalb eines Jahren sollen die Bürger wählen. Doch die sind müde und desinteressiert. Und durch jeden Wahlkampf entfernen sind die Lager weiter von einem Kompromiss.
Mehltau liegt über diesem dritten israelischen Wahlkampf innerhalb eines Jahres. Es bewegt sich nichts vor und nichts zurück. Wenn die Umfragen recht behalten und sich bis zum 2. März, dem Wahltag, nichts Dramatisches ereignet, dann wird das Ergebnis ähnlich ausschauen wie vor einem Jahr: ein Patt zwischen Premier Benjamin Netanyahu und seinem Herausforderer Benny Gantz.
Die Israelis sind müde und haben das ständige Wählen satt. Die Slogans der Politiker haben sich abgenutzt in nunmehr drei Wahlkämpfen, das Politgetöse, die Plakate, die Lügen, die Fake News, etwa Lügen über die private Vergangenheit des politischen Gegners – kaum jemand will sich dafür noch interessieren. Die Meinungen stehen fest: jeder hat sich entschieden, wen er wählt und daran wird sich nur marginal etwas ändern. Netanyahu kämpft zwar um die 300 000 Rechten, die im September nicht zur Wahl gegangen sind, aber dasselbe tut auch Gantz. Ob es einem von beiden helfen wird? Schwer zu sagen. Und selbst wenn, am Ende reicht es auf beiden Seite nicht zur Mehrheit von mindestens 61 Sitzen.
Arabische Israelis von „Joint List“ profitieren vom Patt
Alles wird wieder davon abhängen, was Avigdor Lieberman mit seiner Partei „Yisrael Beiteinu” (Israel, unser Haus) entscheiden wird, mit wem– und ob überhaupt – er koalieren wird. Der rechte Politiker, Siedlerfreund und Religionsfeind zugleich hat diese Situation vor einem Jahr herbeigeführt, nachdem er sich entschied, nicht mehr mit Netanyahu zu koalieren, da dieser den orthodoxen Juden zu viele Privilegien versprochen hatte. Lieberman und Netanyahu sind sich in tiefster Abneigung zugetan, der Premierminister weiß, daß Lieberman sein politisches Ende herbeiführen will. Aber ob das gelingt? Ohne die arabische Partei „Joint List“ wird der auch der Mitte-Links-Block keine Mehrheit haben und nachdem Gantz den Annexions-Plan von Donald Trump begrüßt und auch noch erklärt hat, daß er mit der arabischen Partei keine gemeinsame Sache machen will, haben sich deren Parteivorsitzender Ayman Odeh und seine Kollegen klar geäußert, daß sie diesmal Gantz nicht mehr als Premier bei Präsident Reuven Rivlin vorschlagen werden.
Dennoch könnte „Joint List“ von der aktuellen Situation profitieren. Denn viele „linke“ Israelis, die zweimal Gantz gewählt haben, um Netanyahu endlich los zu werden, tun sich nach den Äußerungen des ehemaligen Generalstabschefs schwer. Und sie sind auch wütend auf das linke Parteilager aus Arbeitspartei, „Gesher“ und „Meretz“, das wichtige arabische Parteimitglieder auf der Wahlliste soweit nach unten gesetzt hat, daß diese kaum eine Chance haben, als Abgeordnete in die Knesset gewählt zu werden.
Donald Trumps „Deal of the Century“
So werden wohl mehr jüdische Israelis diesmal aus Protest und wegen des wachsenden Rassismus in allen Parteien Ayman Odeh wählen. Die arabische Partei könnte von 13 auf 15 oder gar 16 Sitze anwachsen. Wenn zusätzlich noch mehr arabische Israelis zu den Wahlurnen drängen, erst recht. Die Chancen stehen gut, denn in dem „Deal of the Century“, diesem merkwürdigen „Friedensplan“ von Donald Trump steht , dass ein großer Teil der arabischen Israelis, die heute im Kernland des jüdischen Staates leben, eines Tages zu „Palästina“ gehören sollen – und somit ihre bisherige Staatsangehörigkeit verlören. Das will niemand von den rund 1,8 Millionen arabischen Staatsbürgern Israels.
Überhaupt, dieser „Deal of the Century“: Netanyahu hatte sich damit einen riesigen Erfolg bei rechtsgerichteten Israelis ausgerechnet. Tatsächlich bringt ihm der Plan kein einziges Mandat mehr in den Umfragen. Selbst wenn viele Israelis völlig einverstanden wären, zumindest das Jordantal aus Sicherheitsgründen zu annektieren – die meisten interessiert das nicht. Sie quälen sich mit hohen Lebenshaltungskosten, mit explodierenden Wohnungspreisen, einem katastrophalen Gesundheitssystem. Und sie wissen: in den vergangenen zehn Jahren hat sich der Premierminister wenig um die sozialen Probleme der Menschen gekümmert. Warum sollte man ihn dann wählen? Wegen einer Annexion, die nur Faktisches nochmal bekräftigt?
Bald eine vierte Wahl?
Netanyahu wirkt zunehmend verzweifelt. Als er Benny Gantz öffentlich aufforderte, eine Live-Diskussion mit ihm im Fernsehen zu machen, geschah dies genau an dem Tag als das Gericht die Eröffnung des Korruptionsprozesses gegen ihn für den 17. März ankündigte. Ausgerechnet er, der seit Jahren Live-Diskussionen ablehnt, wollte nun genau das – um von den Schlagzeilen abzulenken. Doch niemand in Israel ist so dumm, um nicht zu begreifen, was gespielt wird. Benny Gantz lehnte nonchalant ab: er werde nicht mit einem gerichtlich Angeklagten diskutieren. Damit war das Thema vom Tisch.
Wenn man durch die Straßen von Tel Aviv oder Jerusalem oder den Siedlungen oder den Dörfern im Norden des Landes spaziert, wird man alle Israelis, egal ob rechts oder links, zumindest in einer Sache in trauter Einigkeit finden: Sie alle haben das politische Gezerre, das Patt, die Lähmung des Landes satt. Doch gerade weil sich in der Gesellschaft nichts bewegt, wächst die Gefahr, daß es in einigen Monaten zu einer vierten Wahl kommt
Dann wäre der Prozess gegen Bibi bereits eröffnet. Ob das was ändern würde? Niemand glaubt das wirklich. Und so wird alles davon abhängen, ob sich Lieberman diesmal zu einer Koalitionsaussage durchringen kann oder ob sich Netanyahu überzeugen lässt, daß er endlich mal an das Land und nicht nur an sich denkt.
Allmählich wirkt Israel wie Italien: Das Land funktioniert nicht wegen seiner Politiker, sondern trotz seiner Politiker. Und die Bevölkerung genießt das Leben: Das schöne Wetter, das Meer, die Restaurants. Solange niemand über Politik redet in diesen Tagen, ist alles in Ordnung.
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