Was die Krise am Persischen Golf mit Israel zu tun hat
Der Konflikt zwischen den USA und Iran droht zu eskalieren. Ein Waffengang zwischen Washington und Teheran würde fast unweigerlich Israel involvieren. Wie blicken die Israelis auf die Auseinandersetzung?
Wenn es um den schwelenden Konflikt zwischen Iran und den USA geht, so herrscht in Israel darüber im Augenblick Schweigen. Es ist auffällig, dass Premier Benjamin Netanjahu sich so gut wie gar nicht äußert und obendrein alle wichtigen Politiker anweist, zur Iran-Krise ebenfalls zu schweigen. Ausgerechnet er, der US-Präsident Trump dazu gedrängt hat, aus dem Iran-Abkommen auszusteigen, ausgerechnet er, der die USA dazu gebracht hat, eine härtere Gangart gegenüber Teheran einzunehmen.
Wieso jetzt dieser Sinneswandel? Netanjahu will auf keinen Fall in den zweifelhaften Ruf geraten, er stecke hinter der aktuellen Krise und manövriere die USA in einen Krieg. Das will er nicht nur aus diplomatischen und taktischen Gründen vermeiden, sondern schlicht auch deshalb, weil er weiß: Dieser Krieg könnte katastrophale Folgen für Israel haben.
Im besten Fall würden Iran und die USA – sollte es zu einem Krieg kommen – diesen direkt austragen und Israel wäre dabei außen vor. Doch so naiv ist „Bibi“, wie Netanjahu in Israel genannt wird, natürlich nicht. Ihm ist durchaus bewußt, dass ein Waffengang zwischen Washington und Teheran fast unweigerlich Israel involvieren würde. Die Mullahs im Iran haben schon großmundig verkündet, eine solche kriegerische Auseinandersetzung wäre das Ende von „Tel Aviv und Haifa“. Selbst wenn dies ziemlich unwahrscheinlich wäre: Teheran könnte Israel massiven Schaden zufügen. Denn mit größter Wahrscheinlichkeit würde von Teheran der Befehl an die Hizbollah im Libanon und an die islamistische Hamas sowie den Islamischen Jihad in Gaza gehen, den jüdischen Staat mit Raketen anzugreifen. Selbst wenn die Raketen der Hamas und des Jihad Israels Existenz nicht gefährden können: Bei den letzten, zweitätigen Auseinandersetzungen zwischen Israel und Gaza gelang es den beiden islamistischen Gruppen immerhin, rund 700 Raketen auf den Süden Israels abzufeuern und damit zumindest die Alltagsroutine dort zum Erliegen zu bringen.
Israels Nimbus der „Unbesiegbarkeit“ wäre dahin
Ganz anders sähe die Bedrohung aus dem Norden aus. Die schiitische Hizbollah hat im Libanon rund 120.000 Raketen stationiert, die alle auf Israel gerichtet sind und jeden Ort im Land treffen können. Raketen mit völlig anderer Reichweite und Wirkung als die aus Gaza. Tel Aviv und Haifa, ja, das ganze Land dürfte unter diesem Angriff leiden. Zwar verfügt Israel über ein ausgezeichnetes Raketenabwehrsystem. Aber die Masse an Raketen, die die Hizbollah pro Tag abfeuern würde, könnte es nicht zur Gänze abfangen. Israelische Militärs fürchten, dass 400 bis 1000 Raketen pro Tag in Israel einschlagen könnten.
Was das für die Moral und für die Wirtschaft im Lande bedeuten würde, kann man sich vorstellen. Israels Nimbus der „Unbesiegbarkeit“ wäre endgültig dahin, selbst wenn die israelische Armee mit heftigster Feuerkraft aus der Luft, vom Lande und zu Wasser den Libanon vielerorts in die Steinzeit zurückbomben dürfte. Denn soviel ist klar: Um die Raketenbedrohung der Hizbollah so schnell wie möglich zu beenden, müßte die israelische Armee mit äußerster Härte vorgehen. Das aber heißt: viele, sehr viele zivile Tote im Libanon, denn die meisten Hizbollah-Raketen befinden sich in Zivilgebieten.
Israel müßte auch noch aus einem zweiten Grund hart und schnell vorgehen: der Aufschrei der Welt, insbesondere Europas, angesichts schrecklicher Bilder aus dem Libanon würde nicht lang auf sich warten lassen, ganz egal, was möglicherweise in Haifa und Tel Aviv geschähe, wie viele Tote es da geben, wieviel Schäden die schiitischen Raketen im jüdischen Staat anrichten würden.
Aber wozu sich die gute Laune nach dem ESC vermiesen lassen?
Natürlich weiß Netanjahu das alles. Und er ist, zumindest was Krieg angeht, immer schon ein Zauderer gewesen. Was Netanjahu nicht weiß: Was Donald Trump wirklich denkt und will. Denn selbst wenn „Bibi“ heute, im Gegensatz zur Ära Obama, beste Beziehungen ins Weiße Haus hat, so ist der sprunghafte amerikanische Präsident in seinen Entscheidungen nicht auszurechnen.
Netanjahu, der derzeit damit beschäftigt ist, seine neue Koalition zu formen, ist also auf der Hut. Im Land selbst ist von all dem nur wenig zu spüren. Der Sommer ist da, die Temperaturen steigen allmählich auf über 30 Grad und die Menschen sind nach einem überlangen Winter froh, endlich das schöne Wetter in vollen Zügen zu genießen. Was die Israelis politisch mehr beschäftigt als die Krise am Golf sind innenpolitische Themen: Wird Netanjahus neue Regierung das Prinzip der „checks and balances“ des jüdischen Staates außer Kraft setzen? Wird dem Obersten Gericht die Macht genommen, in Zukunft fragwürdige Gesetze, die die Knesset verabschiedet, abzulehnen? Wird „Bibi“ mit einem neuen Gesetz einer Anklage wegen Korruption in drei Fällen entgehen? Wird also, mit anderen Worten, in Kürze das Ende der Demokratie in Israel eingeläutet? Die Kriegsgefahr in der Golfregion ist nichts Neues. Die Israelis leben schon lange unter dem Damoklesschwert eines drohenden Krieges mit Iran und seinen Stellvertretern. Wozu sich also die gute Laune nach dem ESC und das schöne Wetter am Strand vermiesen lassen? Aber wohin steuert das Land innenpolitisch? Das sind die im Augenblick wichtigeren Fragen.
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