Was die Krise am Persi­schen Golf mit Israel zu tun hat

The White House from Washington, DC [Public domain]

Der Konflikt zwischen den USA und Iran droht zu eskalieren. Ein Waffengang zwischen Washington und Teheran würde fast unwei­gerlich Israel invol­vieren. Wie blicken die Israelis auf die Auseinandersetzung? 

Wenn es um den schwe­lenden Konflikt zwischen Iran und den USA geht, so herrscht in Israel darüber im Augen­blick Schweigen. Es ist auffällig, dass Premier Benjamin Netanjahu sich so gut wie gar nicht äußert und obendrein alle wichtigen Politiker anweist, zur Iran-Krise ebenfalls zu schweigen. Ausge­rechnet er, der US-Präsident Trump dazu gedrängt hat, aus dem Iran-Abkommen auszu­steigen, ausge­rechnet er, der die USA dazu gebracht hat, eine härtere Gangart gegenüber Teheran einzunehmen. 

Portrait von Richard C. Schneider

Richard C. Schneider ist Buchautor und Dokumen­tar­filmer. Er war Leiter der ARD-Studios in Rom und in Tel Aviv, und bis Ende 2022 Editor-at-Large beim BR/​ARD. Er schreibt heute als freier Korre­spondent für den SPIEGEL aus Israel und den Paläs­ti­nen­si­schen Gebieten..

Wieso jetzt dieser Sinnes­wandel? Netanjahu will auf keinen Fall in den zweifel­haften Ruf geraten, er stecke hinter der aktuellen Krise und manövriere die USA in einen Krieg. Das will er nicht nur aus diplo­ma­ti­schen und takti­schen Gründen vermeiden, sondern schlicht auch deshalb, weil er weiß: Dieser Krieg könnte katastro­phale Folgen für Israel haben.

Im besten Fall würden Iran und die USA – sollte es zu einem Krieg kommen – diesen direkt austragen und Israel wäre dabei außen vor. Doch so naiv ist „Bibi“, wie Netanjahu in Israel genannt wird, natürlich nicht. Ihm ist durchaus bewußt, dass ein Waffengang zwischen Washington und Teheran fast unwei­gerlich Israel invol­vieren würde. Die Mullahs im Iran haben schon großmundig verkündet, eine solche kriege­rische Ausein­an­der­setzung wäre das Ende von „Tel Aviv und Haifa“. Selbst wenn dies ziemlich unwahr­scheinlich wäre: Teheran könnte Israel massiven Schaden zufügen. Denn mit größter Wahrschein­lichkeit würde von Teheran der Befehl an die Hizbollah im Libanon und an die islamis­tische Hamas sowie den Islami­schen Jihad in Gaza gehen, den jüdischen Staat mit Raketen anzugreifen. Selbst wenn  die Raketen der Hamas und des Jihad Israels Existenz nicht gefährden können: Bei den letzten, zweitä­tigen Ausein­an­der­set­zungen zwischen Israel und Gaza gelang es den beiden islamis­ti­schen Gruppen immerhin, rund 700 Raketen auf den Süden Israels abzufeuern und damit zumindest die Alltags­routine dort zum Erliegen zu bringen.

Israels Nimbus der „Unbesieg­barkeit“ wäre dahin

Ganz anders sähe die Bedrohung aus dem Norden aus. Die schii­tische Hizbollah hat im Libanon rund 120.000 Raketen statio­niert, die alle auf Israel gerichtet sind und jeden Ort im Land treffen können. Raketen mit völlig anderer Reich­weite und Wirkung als die aus Gaza. Tel Aviv und Haifa, ja, das ganze Land dürfte unter diesem Angriff leiden. Zwar verfügt Israel über ein ausge­zeich­netes Raketen­ab­wehr­system. Aber die Masse an Raketen, die die Hizbollah pro Tag abfeuern würde, könnte es nicht zur Gänze abfangen. Israe­lische Militärs fürchten, dass  400 bis 1000 Raketen pro Tag in Israel einschlagen könnten.

Was das für die Moral und für die Wirtschaft im Lande bedeuten würde, kann man sich vorstellen. Israels Nimbus der „Unbesieg­barkeit“ wäre endgültig dahin, selbst wenn die israe­lische Armee mit heftigster Feuer­kraft aus der Luft, vom Lande und zu Wasser den Libanon vielerorts in die Steinzeit zurück­bomben dürfte. Denn soviel ist klar: Um die Raketen­be­drohung der Hizbollah so schnell wie möglich zu beenden, müßte die israe­lische Armee mit äußerster Härte vorgehen. Das aber heißt: viele, sehr viele zivile Tote im Libanon, denn die meisten Hizbollah-Raketen befinden sich in Zivilgebieten.

Israel müßte auch noch aus einem zweiten Grund hart und schnell vorgehen: der Aufschrei der Welt, insbe­sondere Europas, angesichts schreck­licher Bilder aus dem Libanon würde nicht lang auf sich warten lassen, ganz egal, was mögli­cher­weise in Haifa und Tel Aviv geschähe, wie viele Tote es da geben, wieviel Schäden die schii­ti­schen Raketen im jüdischen Staat anrichten würden.

Aber wozu sich die gute Laune nach dem ESC vermiesen lassen?

Natürlich weiß Netanjahu das alles. Und er ist, zumindest was Krieg angeht, immer schon ein Zauderer gewesen. Was Netanjahu nicht weiß: Was Donald Trump wirklich denkt und will. Denn selbst wenn „Bibi“ heute, im Gegensatz zur Ära Obama, beste Bezie­hungen ins Weiße Haus hat,  so ist der sprung­hafte ameri­ka­nische Präsident in seinen Entschei­dungen nicht auszurechnen.

Netanjahu, der derzeit damit beschäftigt ist, seine neue Koalition zu formen, ist also auf der Hut. Im Land selbst ist von all dem nur wenig zu spüren. Der Sommer ist da, die Tempe­ra­turen steigen allmählich auf über 30 Grad und die Menschen sind nach einem überlangen Winter froh, endlich das schöne Wetter in vollen Zügen zu genießen. Was die Israelis politisch mehr beschäftigt als die Krise am Golf sind innen­po­li­tische Themen: Wird Netan­jahus neue Regierung das Prinzip der „checks and balances“ des jüdischen Staates außer Kraft setzen? Wird dem Obersten Gericht die Macht genommen, in Zukunft fragwürdige Gesetze, die die Knesset verab­schiedet, abzulehnen? Wird „Bibi“ mit einem neuen Gesetz einer Anklage wegen Korruption in drei Fällen entgehen? Wird also, mit anderen Worten, in Kürze das Ende der Demokratie in Israel einge­läutet? Die Kriegs­gefahr in der Golfregion ist nichts Neues. Die Israelis leben schon lange unter dem Damokles­schwert eines drohenden Krieges mit Iran und seinen Stell­ver­tretern. Wozu sich also die gute Laune nach dem ESC und das schöne Wetter am Strand vermiesen lassen? Aber wohin steuert das Land innen­po­li­tisch? Das sind die im Augen­blick wichti­geren Fragen.

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