Das Ende des Autos, wie wir es kannten
Der Verbrennungsmotor weicht der Batterie, der Fahrersitz wird zur Fernsehcouch: Das Zeitalter des brummenden, analogen und privaten Autos neigt sich dem Ende zu. Die deutsche Automobilbranche hat jahrzehntelang den Markt dominiert. Aber sie droht den Anschluss zu verlieren.
Abgasgrenzwerte, Dieselkrise, Fahrverbote: Kaum ein Tag vergeht, in der die Automobilindustrie keine Schlagzeilen macht. Und das völlig zu Recht: Die Autohersteller haben tiefe Kratzer im Qualitätssiegel „Made in Germany“ hinterlassen. Das Vertrauen in die Branche ist erschüttert, Absatzzahlen beim Diesel sinken – und die Bundesregierung ist planlos. Maßnahmen wie eine „Blaue Plakette“ oder Hardware-Nachrüstungen wurden immer verweigert. Erst jetzt, wo zahlreiche Städte zu Fahrverboten verdonnert werden, merkt sie: der politische Mummenschanz ist nicht länger tragbar. Es müssen Lösungen her. Dementsprechend werden jetzt Hardware-Lösungen diskutiert.
Zu viel Zeit wurde schon verspielt. Seit Jahren steht die deutsche Automobilpolitik im Schatten der Dieselkrise. Sie schafft es nicht, sich von dieser Problematik zu lösen. Der Blick in den Rückspiegel dominiert die Diskussion. Das ist politisch fahrlässig. Denn die größte Herausforderung der deutschen Automobilindustrie liegt nicht in der Vergangenheit, sondern unmittelbar vor ihr.
Die Automobilindustrie steht vor einer technologischen Zäsur. Das Zeitalter des brummenden, analogen und privaten Autos als isoliertes Fortbewegungsmittel neigt sich dem Ende zu. Es wird ersetzt durch das summende, digitale und vernetzte Auto. Der Verbrennungsmotor weicht alternativen Antriebsformen, wie der Elektromobilität und Brennstoffzelle. Das Autoblech wird intelligent – ausgestattet mit zahlreichen Sensoren, Kameras und Bordelektronik wird es zum selbstfahrenden Iphone auf Rädern. Durch carsharing-Modelle werden Autos zudem künftig geteilt.
Fahrzeit wird zur Freizeit
Zahlreiche technologische Durchbrüche und Innovationen verändern das Auto. Sie werden getrieben von umweltpolitischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten. Immer mehr Städte, etwa Paris und Madrid, planen Verbote für Verbrennungsmotoren. Immer mehr Staaten, von China über Frankreich bis hin zu Großbritannien, verhängen Elektroquoten, schärfere Emissionsgrenzwerte oder Auslaufdaten für den Verbrennungsmotor. Die Wende zum post-fossilen Auto ist ökologisch geboten. Wer hier zu spät kommt, den bestraft der Markt.
Immer mehr junge Menschen zahlen lieber für gefahrene Kilometer als für ein Auto, dass den Großteil der Zeit rumsteht. Es geht darum, Autos zu nutzen, nicht zu besitzen. Zukunftig wird es wahrscheinlich nicht mehr um das Fahrvergnügen gehen, sondern um das Vergnügen beim Fahren – und um die Frage, welche Entertainment-Programme im Auto zur Verfügungen stehen. Wenn im Zeitalter des autonomen Fahrens die Fahrzeit zur Freizeit wird, dann wird der Fahrersitz zur Fernsehcouch, sagt der Vodafone-Deutschland-Chef Hannes Ametsreiter.
Die Automobilmärkte verändern sich rasant. Jahrzehntelang hat die deutsche Automobilindustrie den Markt dominiert und die Spielregeln bestimmt. Aber das Spiel hat sich geändert. Nun droht der deutschen Automobilbranche der Rückstand. Sie haben neue technologische Entwicklungen und Vermarktungen an sich vorbeiziehen lassen. Mit ihren Innovationen beim Verbrennungsmotor hat sie sich in den letzten 15 Jahren in eine Richtung entwickelt, die sich nun als technologische Sackgasse entpuppt. Mit den Technologien des 20. Jahrhunderts erobert man nicht die neuen Märkte des 21. Jahrhunderts. Die Strategie der deutschen Autobauer ist in sich zusammengebrochen. Benötigt werden nun neue Strategien und ein konsequentes Umsteuern.
Die deutschen Autobauer sind Opfer ihres eigenen Erfolgs
Das wird nicht einfach. Denn die Automobilbranche befindet sich im Kodak-Paradox. Das Fotofilmunternehmen Kodak besaß die Kompetenz, sich der digitalen Kamera zu stellen – aber das Management entschloss sich dagegen. Eine konsequente Verfolgung der Digitalisierung hätte schließlich das bestehende, analoge Geschäft in Gefahr bringen können. Ähnlich ist es bei den deutschen Automobilherstellern. Ihre Bilanzen sind abhängig vom Diesel. Verkaufen sie mehr Elektroautos, geht dies möglicherweise auf Kosten ihres Diesel-Absatzes. Sie kannibalisieren ihr eigenes Geschäft und sind Opfer ihres Erfolges. Trotzdem darf die Autoindustrie nicht in ihren eingefahrenen Spuren weiterrollen.
Der Wandel ist unumgänglich. Die Konkurrenz schläft nicht. Neue Hersteller, Fahrzeugdienstleister, Start-ups und IT-Unternehmen treten in den Markt ein, um mit Mobilität Geld zu verdienen. Tesla hat das Elektroauto zum Kultartikel gemacht. Die Deutsche Post ist mit ihrem Elektrotransporter auf eine Goldader gestoßen. Amerikanische und chinesische Technologie-Titanen wollen das Auto neu erfinden, während Plattformen wie Uber und Didi Chuxing mit ihren Geschäftsmodellen Mobilität per Touchscreen verkaufen.
Bei den drei großen Trends – Elektrifizierung, Digitalisierung und Vernetzung – hängt Europa hinterher. Die Batterie ist unsere Achillesferse. Asien hat die Nase bei der strategischen Batterieentwicklung und damit der Elektromobilität vorne. China baut sich gerade eine strategische Kernrolle bei der Batterieproduktion auf. Asiatische Batteriehersteller erhöhen die Preise. Und bei der Digitalisierung und Vernetzung haben die IT-Giganten und Mobilitätsdienstleister aus Ost und West einen Erfahrungsvorsprung.
Baden-Württemberg ist die deutsche Vorzeigeregion
Die Wettbewerbverhältnisse auf den Straßen verschieben sich. Es steht viel auf dem Spiel – es geht um Technologieführerschaft, Wirtschaftskraft, Arbeitskräfte und Klimaschutz. Der Ausgang dieses internationalen Rennens ist aber noch offen. Ein Comeback der deutschen Autobauer ist nötig, um den verspielten Vorsprung zurückzugewinnen. In der deutschen Automobilbranche hat langsam der notwendige Sinneswandel stattgefunden. Sie verlässt allmählich ihre Starrheit. Volkswagen will bis zum Jahre 2020 150.000 Elektrofahrzeuge produzieren. Porsche und Audi wollen bis zum Jahre 2030 rund 72 Milliarden in die Elektromobilität investieren.
Aber dieser gewaltige Umbruch in der Automobilindustrie kann nicht im Alleingang überstanden werden. Der Wandel beschäftigt alle: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Arbeitnehmer und Zivilgesellschaft. Die Größe der Aufgabe und die Komplexität der Herausforderung verlangen übergreifendes Denken und gemeinsame Anstrengungen. Dafür sind neue Formate notwendig, um die relevanten Akteure zusammenzubringen.
Baden-Württemberg ist hier Vorzeigeregion. Die grün-schwarze Koalition hat als erste Landesregierung überhaupt einen institutionalisierten Strategiedialog zur Automobilwirtschaft etabliert, der alle Player an einen Tisch bringt. In sechs Handlungsfeldern, von der Produktion und Forschung über die Digitalisierung bis hin zu energiepolitischen Fragen, wird die Transformation der Automobilwirtschaft gemeinsam diskutiert. Erste strategische Weichenstellungen, etwa bei der Batterieproduktion, wurden bereits mit konkreten Initiativen unternommen.
Die Bundesregierung zieht nun auch nach. Sie hat eine „Nationale Plattform zur Zukunft der Mobilität“ (NPM) gegründet, um Strategien zur Zukunft der bezahlbaren und nachhaltigen Mobilität zu erarbeiten. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier will außerdem Europas Batterieproblem lösen. Erst vor Kurzem hat er bis 2021 eine Milliarde Euro für eine Batteriezellenproduktion in Deutschland zur Verfügung gestellt. Erste Konsortien für dieses strategische Vorhaben bilden sich. Nach langer Zeit fängt man endlich an, die Zukunft der Industrie zu gestalten – anstatt nur die Vergangenheit zu bewältigen. Die Chancen, dass die deutsche Autoindustrie in zehn Jahren noch zur Weltspitze gehört, stehen bei 50 Prozent, sagt VW-Chef Herbert Diess. Es gibt keine Zeit zu verlieren.
Der Text gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.
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