Energie­streit zwischen Russland und Belarus: Wer ist der Gewinner?

Putin und Lukaschenka: Über den Energiestreit zwischen Belarus und Russland berichtet für LibMod Artyom Shraibmann aus Minsk
Asatur Yesayants /​ Shutter­stock

Drei Monate des Streits um Energie­fragen zwischen Belarus und Russland sind vorbei. Die Bedin­gungen der neuen Gas- und Ölabkommen sind weit von dem entfernt, was Minsk sich erhofft hatte. Warum Belarus sich jetzt nicht nur energie­po­li­tisch von Russland emanzi­pieren muss.

Der Anlass des Energie­streits zwischen Belarus und Russland war politi­scher Natur gewesen: Bis Ende 2019 hatte Moskau neue Gas- und Ölver­träge mit Minsk zurück­ge­halten und so versucht, diese bei den Verhand­lungen über eine tiefer­ge­hende politische Integration beider Länder als Hebel einzu­setzen. Als diese Verhand­lungen im Dezember 2019 kolla­bierten, fanden sich beide Seiten auch ohne die wichtigen Gas- und Ölabkommen wieder.

Jetzt, da die Energie­r­abatte sich verflüch­tigen, verliert Belarus jeden Anreiz, über eine vertiefte Integration mit Russland auch nur zu reden. Die Verhand­lungen sind nun auf Eis gelegt, und niemand weiß, ob sie jemals wieder aufge­nommen werden. 

Moskau war durch den geschei­terten Versuch, den belarus­si­schen Präsi­denten Lukaschenka gefügig zu machen, frustriert und nicht geneigt, irgend­welche Konzes­sionen im Energie­be­reich zu machen. Minsk hatte lediglich vermocht, erst in letzter Minute, zwei Stunden vor Jahres­beginn, einen provi­so­ri­schen Gasvertrag zu erreichen. Der Vertrag fror die Preise von 2019 (127 US-Dollar pro 1.000 m3) für Januar und Februar 2020 ein. Beim Öl wurde kein Kompromiss gefunden, die Liefe­rungen wurden ausgesetzt. 

Portrait von Artyom Shraibman

Artyom Shraibman ist Politologe und Autor bei tut.by und carnegie.ru.

Der Streit ging um Prämien an Ölfirmen – eine geringe Gebühr, die Minsk seit 2011 gezahlt hatte, um den Ölgiganten Anreize zu bieten, Öl auf den nicht sonderlich profi­tablen belarus­si­schen Markt zu liefern. Durch das sogenannte Steuer­ma­növer in Russland wird das Öl von dort von Jahr zu Jahr teurer für Belarus. Moskau weigert sich, diese Verluste für Minsk ohne politische Zugeständ­nisse zu kompen­sieren. Daher beschloss Minsk, dass die Prämien (rund 12 US-Dollar pro Tonne) nicht mehr sinnvoll seien.

Putin und Lukaschenka: zähe Verhand­lungen im Energiestreit

In den ersten drei Monaten 2020 konnte Minsk lediglich Verträge mit einigen privaten russi­schen Ölunter­nehmen unter­zeichnen, die sich meist im Besitz des Milli­ardärs Michail Guzerijew befinden, eines langjäh­rigen Freundes von Aljaksandr Lukaschenka. Es gab darüber hinaus probe­weise Liefe­rungen durch norwe­gische, aserbai­dscha­nische und russische Firmen, die über Ostsee- und Schwarz­meer­häfen erfolgten. Aller­dings haben russische Ölgiganten wie Rosneft oder Lukoil ihre Liefe­rungen nach Belarus eingestellt.

Die Ölimporte aus Russland sind in den ersten beiden Monaten des Jahres um 74 Prozent zurück­ge­gangen. Dadurch arbei­teten die belarus­si­schen Ölraf­fi­nerien auf dem Minimum ihrer Kapazi­täten, um wenigstens Treib­stoff für den Binnen­markt zu liefern. Das Brutto­in­lands­produkt (BIP) des Landes verlor im Januar und Februar 0,6 Prozent (im Vergleich zum Vorjah­res­zeitraum). Die belarus­si­schen Exporte in die EU gingen um die Hälfte zurück, meist durch schwin­dende Verkäufe von Ölprodukten.

Im Februar feilschten die beiden Seiten in ausgie­bigen Verhand­lungen. Lukaschenka verkündete, er werde Putin zu einem „Moment der Wahrheit“ in Sotschi treffen. Das Treffen brachte nur begrenzte Ergeb­nisse. Sie kamen überein, den Gaspreis im gesamten Jahr 2020 bei 127 US-Dollar zu belassen. Das bedeutete einen wirtschaft­lichen Verlust für Belarus. Minsk hatte diese Bedin­gungen als unfair betrachtet und gehofft, über viele Jahre hinweg beim Gas russische Inlands­preise zu erreichen. Von 2017 bis 2019 hat Belarus in Form von sechs Millionen Tonnen zollfreien Öls eine Kompen­sation erhalten, die jährliche Zusatz­ein­nahmen von rund 500 Millionen US-Dollar bedeu­teten. Dieser Deal ist nun ausge­setzt, doch der alte Gaspreis blieb bestehen. Politisch war es aller­dings eine Erleich­terung, dass wenigstens die Gasfrage vom Tisch war, und sei es nur bis zum Jahresende.

Beim Öl blieb die Lage verfahren. Eine Woche nach dem Treffen mit Putin erhöhte Lukaschenka den Einsatz erheblich, indem er erklärte: Falls die russi­schen Ölunter­nehmen im Februar nicht genug Öl liefern sollten, würde Minsk damit beginnen, die Fehlmengen direkt der Druschba-Transit­pipeline zu entnehmen, was die russi­schen Ölver­träge mit europäi­schen Abnehmern gefährden würde. Lukaschenka beschul­digte darüber hinaus Moskau offen, dass es anstelle einer Integration zu gleich­be­rich­tigten Bedin­gungen den Versuch unter­nehme, Belarus zu schlucken.

Dieser Schritt schien nicht zu wirken. Aller­dings begann sich die Lage zu ändern: Nachdem das OPEC+-Abkommen gescheitert war und die Ölpreise auf den Weltmärkten in den Keller gingen, änderte sich die Situation. Russland bekam allmählich Schwie­rig­keiten mit seinen Öllie­fe­rungen nach China und in die EU. Und Saudi-Arabien soll angeblich Minsk 6 Millionen Tonnen Rohöl zu vergüns­tigten Preisen angeboten haben, um Russland aus dessen angestammten Märkten zu verdrängen.

Schließlich hatte sich bis Mitte März die Position Russlands aufge­weicht. Dem belarus­si­schen Minis­ter­prä­si­denten Sjarhej Rumas zu Folge hatten die russi­schen Ölunter­nehmen anstelle einer Prämie von 12 US-Dollar einer Zahlung von rund 5 Dollar zugestimmt, wobei diese Gebühr durch die russische Regierung kompen­siert werden würde. Falls diese Abmachung Bestand haben und in wirkliche Verträge gegossen werden sollte, würde Minsk bei dieser kleinen Schlacht innerhalb des großen Ölkon­flikts für sich einen Sieg beanspruchen können.

Ende des Energie­streits um Öl und Gas: die politi­schen Folgen für Belarus

Falls die Öllie­fe­rungen nun in dem Ende 2019 avisierten Umfang erfolgen sollten, wäre das ein beträcht­licher Gewinn für Belarus, der bis zum Jahresende bei über 200 Millionen US-Dollar liegen könnte. Wenn aller­dings die Ölpreise sehr viel niedriger liegen, als erwartet – was angesichts einer durch die Corona­pan­demie ausge­lösten Rezession nicht unwahr­scheinlich ist – wird Belarus nicht im früher geplanten Umfang Öl verar­beiten müssen.

Der Netto­gewinn dieses kleinen Ölsieges würde 2020 wohl kaum 100 Millionen US-Dollar übersteigen. Wie man auch rechnet – das ist viel weniger als alles, was Minsk bisher durch den Ölstreit verloren hat. Dieser Gewinn wird zudem von der Rezession überschattet werden, die besonders die tradi­tio­nellen belarus­si­schen Export­märkte trifft.

Was mittel­fristig noch wichtiger ist: Die Energie­be­zie­hungen zwischen Russland und Belarus werden zunehmend markt­preis­ba­siert sein. Das ist zwar wirtschaftlich schmerzhaft, doch könnte diese neue Realität für Belarus langfristig positive Impli­ka­tionen haben.

Denn zum einen beruhte der heikle Dialog über eine vertiefte Integration mit Russland im Rahmen des „Unions­staates“ auf einer zweifel­haften Kalku­lation. Lukaschenka hoffte, dass die Bereit­schaft, über Integration lediglich zu reden, ausreichen würde, um Moskau davon zu überzeugen, seine Unter­stützung für Belarus nicht fallen­zu­lassen. Dieses Mal jedoch hatte Putin Garantien gefordert. Durch reinen Selbst­er­hal­tungs­in­stinkt wurde Lukaschenka klar, dass er mit diesem Feuer lieber nicht spielen sollte.

Jetzt, da die Energie­r­abatte sich verflüch­tigen, verliert Belarus jeden Anreiz, über vertiefte Integration auch nur zu reden. Diese Verhand­lungen sind nun auf Eis gelegt, und niemand weiß, ob sie jemals wieder aufge­nommen werden.

Zweitens denkt Lukaschenka nun ernsthaft über eine Diver­si­fi­zierung der Öllie­fe­rungen nach. Minsk hat mit Polen über Liefe­rungen über den Hafen von Danzig und die Druschba-Pipeline in umgekehrter Richtung verhandelt. Lukaschenka hat sogar die Regierung angewiesen, US-Finanz­hilfen zu beantragen, um die notwendige Infra­struktur für einen Öltransport über andere Ostsee­häfen zu errichten bzw. instand zu setzen. Ein Abkommen mit Russland und die gegen­wär­tigen wirtschaft­lichen Turbu­lenzen würden aller Wahrschein­lichkeit nach diese Bemühungen verlang­samen, weil russi­sches Öl immer die preis­güns­tigste Option bliebe.

Nach einem schmerz­haften dreimo­na­tigen Konflikt ist jetzt aller­dings das Vertrauen in die Energie­be­zie­hungen verlo­ren­ge­gangen. Minsk scheint entschlossen, seine Abhän­gigkeit vom russi­schen Monopol zu beenden. Der Preis­nachlass auf russi­sches Öl wird, schaut man auf die Weltpreise, bis 2024 auf null zurückgehen.

Wenn irgendeine dieser Diver­si­fi­zie­rungs­be­mü­hungen nachhaltig werden sollte, könnte sie positive Neben­ef­fekte auf die Bezie­hungen von Belarus zu seinen unmit­tel­baren westlichen Nachbarn haben. Eine pragma­tische Energie­zu­sam­men­arbeit mit Polen, Litauen und der Ukraine könnte ein Weg sein, um verschiedene politische Diffe­renzen zu überwinden. Geschäfte fördern das gegen­seitige Verständnis.

Ein Ende der russi­schen Unter­stützung und ein gerin­gerer Anteil der ölver­ar­bei­tenden Branche am BIP schließlich dürfte die belarus­sische Regierung zu einer Moder­ni­sierung der Wirtschaft antreiben. Angesichts der Ausfälle durch die Corona-Pandemie wird dies aller­dings kein leichtes Unter­fangen, und es dürfte auf dem Weg dorthin noch einige Rückschläge geben. Lukaschenka wird sich nicht wie durch ein Wunder zu einem mutigen markt­wirt­schaft­lichen Reformer wandeln. Doch die Anreize für eine Weiter­ent­wicklung der Indus­trien und Branchen, die weniger stark von günstigen russi­schen Energie­trägern und somit vom russi­schen Markt abhängen, werden viel stärker wirken als je zuvor.

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­tische Arbeit von LibMod.

Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spenden­be­schei­nigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

 

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.