Slowakei: „Die Regierung hat versagt“

Foto: EP, Alexis HAULOT
Foto: EP, Alexis HAULOT

Die Slowakei ist von der Pandemie getroffen wie kein anderes Land in Europa. Nach dem Rücktritt von Minis­ter­prä­sident Matovic und mehrerer Minister fordert der liberale Opposi­ti­ons­po­li­tiker Michal Simecka deshalb im Interview eine rasche Lösung der Regierungskrise

Die Slowakei hat die höchsten Infek­ti­ons­werte in ganz Europa, obwohl die Regierung schon im November die gesamte Bevöl­kerung hat testen lassen. Woran liegt das?

Michal Simecka: Wir sind unglück­li­cher­weise seit dem Winter das am härtesten getroffene Land in Europa, sowohl bei den Infek­tions- als auch den Todes­zahlen. In der ersten Welle im vergangene Früher hat die Regierung noch gut reagiert. Es gibt mehrere Gründe, warum sich die Situation so drastisch verschlechtert hat. Unser Gesund­heits­system nicht längst nicht so gut wie in anderen EU-Staaten, nachdem die frühere Regierung es hat über Jahre verkommen lassen. Viele Ärzte und Pflege­kräfte sind abgewandert. Außerdem ist bei uns die hochan­ste­ckende gefähr­liche Mutation aus Großbri­tannien sehr verbreitet. Ein ganz wesent­licher Grund ist jedoch die Unfähigkeit der Regierung, die Pandemie zu managen. Das sage ich nicht nur als Opposi­ti­ons­po­li­tiker. Seit dem Sommer hat sie eine Reihe falscher Entschei­dungen getroffen, statt die Kliniken und das ganze Land auf die zweite Welle vorzu­be­reiten. Minis­ter­prä­sident Matovic hat seine ganze Hoffnung in die Massen­tests gesetzt. Bis heute gibt es keine klaren Daten, welchen Effekt sie auf die Verbreitung des Virus hatten. Aber eine Wirkung war, dass sich die Leute zu sicher gefühlt haben. Als die Zahlen hochgingen, hat die Regierung zu spät erst Anfang des Jahres einen Lockdown verhängt. Das war der entschei­dende Fehler.

Die Regierung ist selbst tief zerstritten über den Umgang mit der Pandemie.

Simecka: Das ist der Grund, weshalb sie nicht in der Lage ist, einen gemein­samen Plan vorzu­legen, sich auf Maßnahmen zu verstän­digen und sie umzusetzen. Wegen dieses Chaos vertrauen ihr die Bürger nicht mehr und auch nicht den Maßnahmen – und befolgen sie nicht mehr. Die Regierung und das Parlament sind paraly­siert, nachdem eine Reihe von Ministern zurück­ge­treten ist, darunter der Gesund­heits­mi­nister und nun auch der Wirtschafts­mi­nister und Vize-Minis­ter­prä­sident Richard Sulik. Die Lage ist sehr kritisch. Wir haben eine Doppel­krise – Corona und eine Regierungkrise.

Ist die Vier-Parteien-Koalition, angeführt von dem konser­vativ-populis­ti­schen Premier, am Ende?

Simecka: Das ist schwer zu sagen. Es gibt starken Druck auf Matovic zurück­zu­treten. Er sagt, dass er dazu bereit sei, das macht er jedoch von Bedigungen abhängig, die die anderen Koali­ti­ons­partner und Sulik befolgen sollen. Im Moment ist die Regierung handlungsunfähig.

Sollte die gesamte Regierung zurücktreten?

Simecka: In der jetzigen angespannten Lage, wo die Hospi­täler voll sind, die Wirtschaft weitere Hilfen braucht und die Impfkam­pagne noch umgesetzt werden muss, wäre es besser, die Regie­rungs­krise würde rasch gelöst, damit die Situation irgendwie gemanagt wird. Auch die Präsi­dentin hat die Regierung deshalb aufge­fordert, ihre Strei­tigkeit zu beenden. Jeder wünscht sich eine stabile Regierung, die handelt. Das steht auch für uns als Opposition zur Zeit im Vordergrund.

Wie ist die Stimmung im Land?

Simecka: 80 Prozent der Bürger wünschen laut Umfragen den Rücktritt des Minis­ter­prä­si­denten. Er hat sich selbst in eine Lage gebracht, dass die Leute ihm komplett misstrauen.

Könnte sich die Koalition auf einen neuen Regie­rungschef verständigen?

Simecka: Das wäre notwendig. Aber das Timing ist höchst unglücklich, mitten in der zweiten Welle. Die Koalition hat nach wie vor eine breite Mehrheit im Parlament, sie könnte sich auf eine Regie­rungs­um­bildung verstän­digen. Führende Koali­ti­onpo­li­tiker schließen jedoch auch eine Neuwahl nicht aus.

Warum ist Sulik jetzt zurückgetreten?

Simecka: Das liegt vor allem in persön­lichen Animo­si­täten. Matovic hat ihn brutal behandelt und beleidigt, er verhält sich feindlich gegenüber den Koali­ti­ons­partnern. Er hat schon vor der Corona-Krise gezeigt, dass er nicht zu Kompro­missen und nicht bereit ist, auf andere zu hören. Es gibt aller­dings auch Hinweise, dass Sulik versucht hat, einige der Corona-Maßnahmen zu torpe­dieren, darunter die eigen­mächtige Beschaffung des Sputnik-Impfstoffs aus Russland durch Matovic. Suliks Partei hat nun beschlossen, sich nicht länger an einer Regierung unter dessen Führung zu betei­ligen. Grund­sätzlich hält sie jedoch an der Koalition fest.

Ihre Vorgän­gerin als Vize-Vorsit­zende Ihrer Partei Progres­siven Slowakei, Zuzana Caputova, hat 2019 die Präsi­den­tenwahl gewonnen. Auch das war ein Ausdruck des Protestes gegen Matovic. Warum hat Ihre Partei dennoch bei der Parla­mentswahl 2020 kein einziges Mandat errungen?

Simecka: Wir haben den Einzug in das Parlament leider um 900 Stimmen verpasst. In Umfragen liegen wir bei acht Prozent, was für eine außer­par­la­men­ta­rische Partei ziemlich gut ist. Die Lage für die Opposition ist sehr schwierig. Auf der einen Seite gibt es Smer, die Partei des früheren Minis­ter­prä­si­denten Robert Fico, die völlig diskre­di­tiert ist, weil so viel über ihre Korruption und Verbin­dungen zur Mafia bekannt geworden ist. Man muss anerkennen, dass Matovic sehr viel getan hat, damit das aufge­klärt wurde und Richter und Staats­an­wälte dem nachgehen konnten ohne politische Einmi­schung. Politiker, Richter, Polizisten und führende Unter­nehmer wurden vor Gericht gestellt. Sie hatten den Staat gekapert, und alle hingen mit Smer und Fico zusammen. In der Opposition wird er immer radikaler. Seine Partei liegt ebenfalls bei acht Prozent, aber niemand will mit ihm koalieren. Abtrünnige frühere Smer-Mitglieder sind unter Führung des letzten Minis­ter­prä­si­denten Pelle­grini in eine andere Partei gegangen. Sie nennen sich Sozial­de­mo­kraten oder „Smer light“ und liegen bei 20 Prozent. Daneben gibt es noch Faschisten. Die Regierung hat es daher leicht, weil es keine gemeinsame Opposition gegen sie gibt.

Die Chanen für liberale Kräfte scheinen nicht sonderlich gut zu sein.

Simecka: Die Stimmung ändert sich sehr schnell. Einige Wochen vor der Parla­mentswahl 2020 lag die Partei von Matuvic nur bei sechs Prozent. Bei der Wahl holte sie dann 25 Prozent. Vorher­sagen sind deshalb schwierig. Es gibt Bedarf für eine soziale, liberale, ökolo­gische Alter­native und ich denke, dass wir als Fortschritt­liche Slowakei diese Lücke gut füllen. Bei einer vorzei­tigen Wahl dürften wir gute Chancen haben, denn es gibt eine große Unzufrie­denheit nicht nur über die Corona-Politik, sondern auch darüber, dass die jetzige Regierung die Chance für einen politi­schen Wechsel nach der Abwahl der Smer-Regierung nicht ergriffen hat, obwohl sie über eine Zweidrit­tel­mehrheit im Parlament verfügt.

Arbeiten sie mit Liberalen in anderen EU-Ländern zusammen?

Simecka: Wir koope­rieren mit Momentum in Ungarn und haben gute Kontakte zu den Neos in Öster­reich. Im Europäi­schen Parlament sind wir Teil der Fraktion der Liberalen und Demokraten.

Fühlen sie sich als Liberale von Kräften in Westeuropa genügend unterstützt?

Simecka: Die Lage in der Slowakei ist anders als in Polen und Ungarn. Trotz aller Fehler der Regierung vor allem in der Corona-Politik ist bei uns die Demokratie nicht in Gefahr. Es gibt keine Angriffe auf die Justiz, die Presse­freiheit oder demokra­tische Insti­tu­tionen. Im Gegenteil: Im Kampf gegen Korruption und Oligarchen handelt die Regierung gut. Aber jetzt versagt sie.

Michal Simecka ist stell­ver­tre­tender Vorsit­zender der Opposi­ti­ons­partei Fortschritt­liche Slowakei, aus der die slowa­kische Präsi­dentin Zuzana Caputova kommt, und einer der beiden Europa­ab­ge­ord­neten der sozial­li­be­ralen Partei. Er hat Politik­wis­sen­schaft in Oxford und Prag studiert und war dort wissen­schaft­licher Mitar­beiter sowie Journalist für die Financial Times.

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