Slowakei: „Die Regierung hat versagt“
Die Slowakei ist von der Pandemie getroffen wie kein anderes Land in Europa. Nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Matovic und mehrerer Minister fordert der liberale Oppositionspolitiker Michal Simecka deshalb im Interview eine rasche Lösung der Regierungskrise
Die Slowakei hat die höchsten Infektionswerte in ganz Europa, obwohl die Regierung schon im November die gesamte Bevölkerung hat testen lassen. Woran liegt das?
Michal Simecka: Wir sind unglücklicherweise seit dem Winter das am härtesten getroffene Land in Europa, sowohl bei den Infektions- als auch den Todeszahlen. In der ersten Welle im vergangene Früher hat die Regierung noch gut reagiert. Es gibt mehrere Gründe, warum sich die Situation so drastisch verschlechtert hat. Unser Gesundheitssystem nicht längst nicht so gut wie in anderen EU-Staaten, nachdem die frühere Regierung es hat über Jahre verkommen lassen. Viele Ärzte und Pflegekräfte sind abgewandert. Außerdem ist bei uns die hochansteckende gefährliche Mutation aus Großbritannien sehr verbreitet. Ein ganz wesentlicher Grund ist jedoch die Unfähigkeit der Regierung, die Pandemie zu managen. Das sage ich nicht nur als Oppositionspolitiker. Seit dem Sommer hat sie eine Reihe falscher Entscheidungen getroffen, statt die Kliniken und das ganze Land auf die zweite Welle vorzubereiten. Ministerpräsident Matovic hat seine ganze Hoffnung in die Massentests gesetzt. Bis heute gibt es keine klaren Daten, welchen Effekt sie auf die Verbreitung des Virus hatten. Aber eine Wirkung war, dass sich die Leute zu sicher gefühlt haben. Als die Zahlen hochgingen, hat die Regierung zu spät erst Anfang des Jahres einen Lockdown verhängt. Das war der entscheidende Fehler.
Die Regierung ist selbst tief zerstritten über den Umgang mit der Pandemie.
Simecka: Das ist der Grund, weshalb sie nicht in der Lage ist, einen gemeinsamen Plan vorzulegen, sich auf Maßnahmen zu verständigen und sie umzusetzen. Wegen dieses Chaos vertrauen ihr die Bürger nicht mehr und auch nicht den Maßnahmen – und befolgen sie nicht mehr. Die Regierung und das Parlament sind paralysiert, nachdem eine Reihe von Ministern zurückgetreten ist, darunter der Gesundheitsminister und nun auch der Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident Richard Sulik. Die Lage ist sehr kritisch. Wir haben eine Doppelkrise – Corona und eine Regierungkrise.
Ist die Vier-Parteien-Koalition, angeführt von dem konservativ-populistischen Premier, am Ende?
Simecka: Das ist schwer zu sagen. Es gibt starken Druck auf Matovic zurückzutreten. Er sagt, dass er dazu bereit sei, das macht er jedoch von Bedigungen abhängig, die die anderen Koalitionspartner und Sulik befolgen sollen. Im Moment ist die Regierung handlungsunfähig.
Sollte die gesamte Regierung zurücktreten?
Simecka: In der jetzigen angespannten Lage, wo die Hospitäler voll sind, die Wirtschaft weitere Hilfen braucht und die Impfkampagne noch umgesetzt werden muss, wäre es besser, die Regierungskrise würde rasch gelöst, damit die Situation irgendwie gemanagt wird. Auch die Präsidentin hat die Regierung deshalb aufgefordert, ihre Streitigkeit zu beenden. Jeder wünscht sich eine stabile Regierung, die handelt. Das steht auch für uns als Opposition zur Zeit im Vordergrund.
Wie ist die Stimmung im Land?
Simecka: 80 Prozent der Bürger wünschen laut Umfragen den Rücktritt des Ministerpräsidenten. Er hat sich selbst in eine Lage gebracht, dass die Leute ihm komplett misstrauen.
Könnte sich die Koalition auf einen neuen Regierungschef verständigen?
Simecka: Das wäre notwendig. Aber das Timing ist höchst unglücklich, mitten in der zweiten Welle. Die Koalition hat nach wie vor eine breite Mehrheit im Parlament, sie könnte sich auf eine Regierungsumbildung verständigen. Führende Koalitionpolitiker schließen jedoch auch eine Neuwahl nicht aus.
Warum ist Sulik jetzt zurückgetreten?
Simecka: Das liegt vor allem in persönlichen Animositäten. Matovic hat ihn brutal behandelt und beleidigt, er verhält sich feindlich gegenüber den Koalitionspartnern. Er hat schon vor der Corona-Krise gezeigt, dass er nicht zu Kompromissen und nicht bereit ist, auf andere zu hören. Es gibt allerdings auch Hinweise, dass Sulik versucht hat, einige der Corona-Maßnahmen zu torpedieren, darunter die eigenmächtige Beschaffung des Sputnik-Impfstoffs aus Russland durch Matovic. Suliks Partei hat nun beschlossen, sich nicht länger an einer Regierung unter dessen Führung zu beteiligen. Grundsätzlich hält sie jedoch an der Koalition fest.
Ihre Vorgängerin als Vize-Vorsitzende Ihrer Partei Progressiven Slowakei, Zuzana Caputova, hat 2019 die Präsidentenwahl gewonnen. Auch das war ein Ausdruck des Protestes gegen Matovic. Warum hat Ihre Partei dennoch bei der Parlamentswahl 2020 kein einziges Mandat errungen?
Simecka: Wir haben den Einzug in das Parlament leider um 900 Stimmen verpasst. In Umfragen liegen wir bei acht Prozent, was für eine außerparlamentarische Partei ziemlich gut ist. Die Lage für die Opposition ist sehr schwierig. Auf der einen Seite gibt es Smer, die Partei des früheren Ministerpräsidenten Robert Fico, die völlig diskreditiert ist, weil so viel über ihre Korruption und Verbindungen zur Mafia bekannt geworden ist. Man muss anerkennen, dass Matovic sehr viel getan hat, damit das aufgeklärt wurde und Richter und Staatsanwälte dem nachgehen konnten ohne politische Einmischung. Politiker, Richter, Polizisten und führende Unternehmer wurden vor Gericht gestellt. Sie hatten den Staat gekapert, und alle hingen mit Smer und Fico zusammen. In der Opposition wird er immer radikaler. Seine Partei liegt ebenfalls bei acht Prozent, aber niemand will mit ihm koalieren. Abtrünnige frühere Smer-Mitglieder sind unter Führung des letzten Ministerpräsidenten Pellegrini in eine andere Partei gegangen. Sie nennen sich Sozialdemokraten oder „Smer light“ und liegen bei 20 Prozent. Daneben gibt es noch Faschisten. Die Regierung hat es daher leicht, weil es keine gemeinsame Opposition gegen sie gibt.
Die Chanen für liberale Kräfte scheinen nicht sonderlich gut zu sein.
Simecka: Die Stimmung ändert sich sehr schnell. Einige Wochen vor der Parlamentswahl 2020 lag die Partei von Matuvic nur bei sechs Prozent. Bei der Wahl holte sie dann 25 Prozent. Vorhersagen sind deshalb schwierig. Es gibt Bedarf für eine soziale, liberale, ökologische Alternative und ich denke, dass wir als Fortschrittliche Slowakei diese Lücke gut füllen. Bei einer vorzeitigen Wahl dürften wir gute Chancen haben, denn es gibt eine große Unzufriedenheit nicht nur über die Corona-Politik, sondern auch darüber, dass die jetzige Regierung die Chance für einen politischen Wechsel nach der Abwahl der Smer-Regierung nicht ergriffen hat, obwohl sie über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament verfügt.
Arbeiten sie mit Liberalen in anderen EU-Ländern zusammen?
Simecka: Wir kooperieren mit Momentum in Ungarn und haben gute Kontakte zu den Neos in Österreich. Im Europäischen Parlament sind wir Teil der Fraktion der Liberalen und Demokraten.
Fühlen sie sich als Liberale von Kräften in Westeuropa genügend unterstützt?
Simecka: Die Lage in der Slowakei ist anders als in Polen und Ungarn. Trotz aller Fehler der Regierung vor allem in der Corona-Politik ist bei uns die Demokratie nicht in Gefahr. Es gibt keine Angriffe auf die Justiz, die Pressefreiheit oder demokratische Institutionen. Im Gegenteil: Im Kampf gegen Korruption und Oligarchen handelt die Regierung gut. Aber jetzt versagt sie.
Michal Simecka ist stellvertretender Vorsitzender der Oppositionspartei Fortschrittliche Slowakei, aus der die slowakische Präsidentin Zuzana Caputova kommt, und einer der beiden Europaabgeordneten der sozialliberalen Partei. Er hat Politikwissenschaft in Oxford und Prag studiert und war dort wissenschaftlicher Mitarbeiter sowie Journalist für die Financial Times.
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