Taiwan: Xi beobachtet genau, ob sich der Westen spalten lässt
China simuliert Raketenangriffe auf Taiwan und hofft auf Hilfe aus Berlin bei der „Wiedervereinigung“. Die Mehrheit der Menschen in Taiwan wünscht sich hingegen ein Andauern des seit 75 Jahren währenden „Burgfriedens“. Alexander Görlach über die Zermürbungstaktik Chinas und eine riskante Spaltung des Westens.
Die Menschen in Taipeh lassen sich von den jüngsten Provokationen der chinesischen Armee nicht aus der Ruhe bringen. In Gesprächen sagen die Bewohner der Hauptstadt, dass sie gelernt hätten, mit der Bedrohung durch die Volksrepublik zu leben. Am Osterwochenende hatte Peking Raketenangriffe auf Taiwan simuliert, die wichtige Ziele im Land ausschalten würden. Chinas Machthaber Xi Jinping will dadurch seinen Untertanen, aber auch der Weltöffentlichkeit demonstrieren, dass er es ist, der über die Zukunft Taiwans entscheidet.
Wang Yi: Berlin soll bei der „Wiedervereinigung“ mit Taiwan helfen
Das läuft – wieder einmal – diametral dem entgegen, was Peking internationalen Gästen mit auf den Weg gibt. So sagte Chinas Spitzendiplomat und ehemaliger Außenminister Wang Yi zu Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, dass er sich wünsche, Berlin helfe bei der “Wiedervereinigung” mit Taiwan, so wie Peking damals die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten unterstützt habe. Zwar erkennt dies implizit an, dass auch Taiwan ein Staat ist. Ein Zusammenschluss zwischen der Volksrepublik und der Republik China, wie Taiwan offiziell heißt, würde in der Tat von Berlin bis Washington begrüßt, solange die beiden Akteure als gleichberechtigte Partner eine solche Übereinkunft träfen.
Die Mehrheit der Taiwaner wünscht sich ein Fortdauern des bisherigen „Burgfriedens“
Es ist die US-Politik seit Ende der siebziger Jahre, dass Peking Taiwan nicht einseitig und militärisch zu etwas zwingen dürfe, dass die Menschen auf der Insel nicht wollen. Und dort sind nur schlanke sieben Prozent für einen Zusammenschluss mit der Volksrepublik – genauso wenig, wie jene, die eine formale Art von Unabhängigkeitserklärung favorisieren. Für die große Mehrheit der Menschen auf Taiwan ist das Inselland ohnehin ein eigener Staat, der sich von niemandem unabhängig erklären muss. Gleichzeitig möchte diese Mehrheit, dass zwischen Peking und Taipeh alles so bleibt wie in den vergangenen fünfundsiebzig Jahren: ein Burgfriede, mit dem beide ehemaligen Bürgerkriegsparteien leben können.
Peking hat bislang keinen konstruktiven Vorschlag vorgelegt
Die Regierung der liberalen Präsidentin Tsai Ing-wen hat auch im achten und letzten Jahr ihrer Amtszeit nichts unternommen, was dieser Mehrheitsauffassung zuwiderläuft. Es ist daher völlig falsch, wenn Wang Yi und der amtierende Außenminister Qin Gang sagen, Taipei werde von “Separatisten” regiert, die eine Abspaltung vom Mutterland propagierten. Wahr ist vielmehr, dass Peking seit acht Jahren für einen Zusammenschluss keinen konstruktiven Vorschlag vorgelegt, sondern vielmehr in Hongkong gezeigt hat, dass eine ebenbürtige Partnerschaft nicht gewünscht ist. An einem Zusammenschluss auf Augenhöhe arbeiten Xi und seine Nomenklatura nicht.
China setzt auf Zermürbung
Peking setzt lieber auf Zermürbung. Eine Flugverbotszone, die nach der Seeblockade und Raketensimulation für drei Tage nördlich der Insel installiert werden sollte – und nur nach internationalen Protesten auf 27 Minuten verkürzt wurde – sollte den Taiwanern ein weiteres Mal Angst machen und unterstreichen, dass der Druck, den Peking aufbauen kann, die Insel in die Knie zwingen würde. In der Tat ist die demokratische Führung des Landes besorgt, dass solche Maßnahmen internationale Investoren und Besucher von der Insel abhalten könnten.
Xi Jinping beobachtet genau, ob er die freie Welt spalten kann
Annalena Baerbocks klarer Ton wurde daher geschätzt, während Emmanuel Macrons Aussage, Taiwan sei nicht das Problem Europas und Frankreichs, mit Kopfschütteln bedacht wurde. Xi Jinping schaut genau, ob er die freie Welt in Sachen Taiwan spalten kann. Taiwan, eine Insel, auf der Menschen aus aller Herren Länder wie nirgends sonst in Ostasien willkommen sind, hat daher an die Menschen in Frankreich appelliert und betont, dass man die Unterstützung aus Paris nicht missen wolle.
Während die G7-Staaten in Japan Einigkeit demonstrierten, wird einmal mehr deutlich, dass China auf dem Kriegspfad wandelt. Weder Macrons noch Baerbocks Besuch ändern etwas daran, dass Xi den Kreml-Diktator und vermeintlichen Kriegsverbrecher Wladimir Putin weiter unterstützen wird.
Das „Horror-Szenario“ darf nicht eintreten
Dass der chinesische Verteidigungsminister nach Moskau reist, mag sogar drauf hinweisen, dass Peking die rote Linie, die die Europäer gezeichnet haben, überschreiten könnte: Waffen an Moskau zu liefern. Den Vertretern der reichen Industrienationen muss das verdeutlichen, dass kein Land allein mit einer eigenen China-Strategie etwas ausrichten kann. Nur wenn die demokratische Welt mit einer Stimme gegen Chinas Kriegsambitionen gegen Taiwan vorgeht, kann eine Eskalation verhindert werden. Dieses „Horror-Szenario”, wie Annalena Baerbock es genannt hat, darf nicht eintreten.
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