Ist Trumps Kritik am deutschen Export­über­schuss gerechtfertigt?

© Shut­ter­stock

Mit China führt Donald Trump einen Handels­krieg. Aber auch Deutsch­land ist wegen seines Export­über­schusses ins Visier des US-Präsi­denten geraten. Zwar übersieht Trump, dass das ameri­ka­ni­sche Leis­tungs­bi­lanz­de­fizit in erster Linie auf den Güter­ver­brauch der US-Wirt­schaft zurück­zu­führen ist. Aber Deutsch­land sollte seine Binnen­nach­frage stärken, um den eigenen Über­schuss zu verringern.

Weltweite Leis­tungs­bi­lanz­un­gleich­ge­wichte – Was sagen die Zahlen?

Ein zentraler Indikator zur Messung der inter­na­tio­nalen Wirt­schafts­be­zie­hungen ist die Leis­tungs­bi­lanz. Sie erfasst die wich­tigsten wirt­schaft­li­chen Akti­vi­täten eines Landes mit dem Rest der Welt: den grenz­über­schrei­tenden Handel mit Waren und Dienst­leis­tungen (also Exporte und Importe) sowie Einkom­mens­zah­lungen und Trans­fer­leis­tungen zwischen Ländern. Empirisch machen die Handels­ak­ti­vi­täten den mit Abstand größten Teil der Leis­tungs­bi­lanz aus, sodass Verän­de­rungen der Exporte und Importe entschei­dend für die Entwick­lung des Leis­tungs­bi­lanz­saldos sind. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertels­mann Stiftung und Lehr­be­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Der Inter­na­tio­nale Währungs­fonds (IMF) geht in seinem aktuellen „World Economic Outlook“ davon aus, dass das ameri­ka­ni­sche Leis­tungs­bi­lanz­de­fizit in diesem Jahr einen Wert von rund 515 Milli­arden US-Dollar erreichen wird. Das ist weltweit das mit Abstand größte Defizit und entspricht etwas mehr als 40 Prozent aller für 2018 erwar­teten Leis­tungs­bi­lanz­de­fi­zite. Für die nächsten Jahre prognos­ti­ziert der IMF einen weiteren Anstieg dieses Defizits auf über 800 Milli­arden Dollar für 2022 und 2023.

Deutsch­land steht am anderen Ende der Rangliste mit dem weltweit größten Über­schuss von fast 330 Milli­arden US-Dollar, gefolgt von Japan (knapp 185 Milli­arden Dollar) und China (etwas weniger als 100 Milli­arden Dollar).

Vorteile eines Leistungsbilanzüberschusses

Die Frage, ob ein Leis­tungs­bi­lanz­über­schuss bzw. der dafür verant­wort­liche Export­über­schuss positiv oder negativ zu bewerten ist, wird in der Wissen­schaft und Politik intensiv disku­tiert. Grund­sätz­lich ist ein Über­schuss gesamt­wirt­schaft­lich vorteil­hafter als ein entspre­chendes Defizit. Dafür gibt es im Wesent­li­chen zwei Gründe:

  1. Wenn ein Land nicht nur die Waren und Dienst­leis­tungen herstellt, die es per Saldo selbst verbraucht, sondern auch noch die dem Export­über­schuss entspre­chenden Produkte, sind die gesamt­wirt­schaft­liche Produk­tion und das Beschäf­ti­gungs­ni­veau höher. Beides wirkt sich auch positiv auf die staat­li­chen Finanzen aus.
  2. Wenn ein Land bei seinen wirt­schaft­li­chen Akti­vi­täten mit dem Ausland mehr Geld einnimmt als es ausgibt, können mit diesem Einnah­me­über­schuss Vermö­gens­ge­gen­stände im Rest der Welt erworben werden. Aus diesen Vermö­gens­be­tei­li­gungen fließen Einkünfte in Form von Zins­ein­nahmen, Divi­denden, Unter­neh­mens­ge­winnen etc., die die Konsum­mög­lich­keiten der heimi­schen Bevöl­ke­rung vergrößern

Bei einem Leis­tungs­bi­lanz­de­fizit ergeben sich tenden­ziell die entge­gen­ge­setzten Effekte: Das Beschäf­ti­gungs­ni­veau ist geringer, die Arbeits­lo­sig­keit höher und das Land verschuldet sich im Rest der Welt. Gerade die negativen Arbeits­markt­ef­fekte sind ein zentrales Motiv für den Wunsch nach einer wirt­schaft­li­chen Abschottung.

Wer hat Schuld am US-Leistungsbilanzdefizit?

Ein Leis­tungs­bi­lanz­de­fizit ist im Wesent­li­chen darauf zurück­zu­führen, dass die Importe des Landes größer sind als die Exporte. Das Land verbraucht folglich mehr Güter, als es selbst herstellt. Die zusätz­lich benö­tigten Produkte werden aus dem Ausland bezogen. So betrachtet, ist die hohe gesamt­ge­sell­schaft­liche Güter­nach­frage für Konsum- und Inves­ti­ti­ons­zwecke die entschei­dende Ursache für das US-Leis­tungs­bi­lanz­de­fizit: Die gesamte Volks­wirt­schaft lebt über ihre Verhält­nisse und benötigt einen Import­über­schuss, um die hohe Nachfrage zu befriedigen.

Für die Lehrbuch-Ökonomie sind diese Ungleich­ge­wichte jedoch nur ein tempo­räres Phänomen, weil es – theo­re­tisch – genügend Mecha­nismen gibt, die auto­ma­tisch für einen Ausgleich von Exporten und Importen sorgen. Ein Export­über­schuss wird entweder durch eine Aufwer­tung der Währung des Über­schuss­landes abgebaut oder durch Preis­an­stiege. Die Preis­an­stiege resul­tieren aus der hohen Nachfrage nach den Gütern des Über­schuss­landes. Bei einem Leis­tungs­bi­lanz­de­fizit führt die Verschul­dung im Ausland früher oder später zu einer Verschlech­te­rung der Bonität. Sie bewirkt einen Zins­an­stieg, der die Kredit­auf­nahme im Ausland erschwert und so das Leis­tungs­bi­lanz­de­fizit abbaut. Flankiert wird der Ausgleich der Leis­tungs­bi­lanz durch eine Abwertung der Währung des Landes, das dieses Defizit aufweist.

Tatsäch­lich aber haben die USA seit Jahr­zehnten Leis­tungs­bi­lanz­de­fi­zite im drei­stel­ligen Milli­ar­den­be­reich. Ein entschei­dender Grund hierfür ist die Bedeutung des US-Dollars für die Welt­wirt­schaft: Der Dollar ist momentan die einzige Weltwährung.

Die Bedeutung des Dollars für das ameri­ka­ni­sche Leistungsbilanzdefizit

Der Umstand, über die Leit­wäh­rung der Welt­wirt­schaft zu verfügen, ermög­licht es der ameri­ka­ni­schen Volks­wirt­schaft, sich mehr oder weniger unbe­grenzt im Rest der Welt in der eigenen Währung zu verschulden: Die meisten inter­na­tio­nalen Rohstoff­käufe werden in Dollar bezahlt. Viele Länder mit schwachen Währungen akzep­tieren den Dollar als inof­fi­zi­elle Paral­lel­wäh­rung. Und inter­na­tio­nale Inves­toren sehen in der US-Währung einen sicheren Hafen für ihre Erspar­nisse. Dies hat zwei zentrale Konsequenzen:

  1. Die USA können nahezu beliebige Mengen an Dollar auf den inter­na­tio­nalen Devi­sen­märkten anbieten, ohne zu befürchten, dass ihnen diese nicht mehr abge­nommen werden. Selbst eine starke Auswei­tung des Dollar­an­ge­bots führt daher nur zu einem geringen Wert­ver­lust des Dollars. Folglich unter­bleibt die für einen Abbau des eigenen Leis­tungs­bi­lanz­de­fi­zits erfor­der­liche Abwertung.
  2. Inter­na­tio­nale Anleger und Banken haben ein hohes Interesse an ameri­ka­ni­schen Wert­pa­pieren. So können sie ihr Geld im sicheren Hafen des Dollars anlegen und auch noch Zinsen kassieren. Für die ameri­ka­ni­schen Unter­nehmen und den US-Staat bedeutet dies: Sie können ohne große Probleme Anleihen ausgeben und sich so Geld im Rest der Welt leihen. Diese Kredit­auf­nah­me­mög­lich­keit im Ausland setzt den Bonitäts- und Zins­me­cha­nismus, der ein Leis­tungs­bi­lanz­de­fizit abbaut, außer Kraft

Wenn also die zentralen Mecha­nismen zum Abbau eines Leis­tungs­bi­lanz­de­fi­zits nicht wirken, lässt sich dieses Defizit nur durch eine Verrin­ge­rung der kredit­fi­nan­zierten Güter­nach­frage der US-Verbrau­cher und Unter­nehmen abbauen. Ohne die Einschrän­kung der – gemessen an der eigenen Wirt­schafts­leis­tung – zu hohen Binnen­nach­frage bleibt das ameri­ka­ni­sche Leis­tungs­bi­lanz­de­fizit dauerhaft bestehen. Bildlich gespro­chen: Der Ball liegt in der ameri­ka­ni­schen Spiel­hälfte und nicht in der deutschen.

Auch Deutsch­land ist in der Pflicht

Auch wenn der größte Anpas­sungs­druck somit auf Seiten der ameri­ka­ni­schen Volks­wirt­schaft liegt, sollte Deutsch­land nicht untätig bleiben. Es gibt meiner Ansicht nach zwei zentrale Gründe, die dafür sprechen, dass Maßnahmen zum Abbau der Export­über­schüsse im Interesse Deutsch­lands liegen:

  1. Die hohen und seit Jahren stei­genden deutschen Export­über­schüsse können die Länder mit entspre­chenden Defiziten dazu bewegen, protek­tio­nis­ti­sche Maßnahmen zu ergreifen, um sich so vor den skiz­zierten negativen Effekten eines solchen Defizits zu schützen. Dies würde die Produk­tion und Beschäf­ti­gung der export­ab­hän­gigen deutschen Volks­wirt­schaft beein­träch­tigen – mit allen negativen sozialen Folgen.
  2. Während ein Leis­tungs­bi­lanz­de­fizit auf einen über­mä­ßigen Güter­ver­brauch der einhei­mi­schen Verbrau­cher und Unter­nehmen zurück­zu­führen ist, hat ein Land mit einem Leis­tungs­bi­lanz- bzw. Export­über­schuss eine zu geringe heimische Güter­nach­frage. In Deutsch­land ist dieser Umstand auch auf die geringen privaten und öffent­li­chen Inves­ti­tionen zurück­zu­führen. Die Volks­wirt­schaft lebt gegen­wärtig von der Substanz, was lang­fristig nicht nach­haltig ist. Deutsch­land kann daher „kein Interesse an einem lang­fris­tigen sehr hohen Leis­tungs­bi­lanz­über­schuss haben, der zwangs­läufig auf Kosten des inlän­di­schen Real­ka­pi­tal­stocks geht“, schreibt Klaus Borger in einem Bericht der Kredit­an­stalt für Wieder­aufbau (KfW).

Wirt­schafts­po­li­ti­sche Hand­lungs­op­tionen für Deutschland

Die Verrin­ge­rung der deutschen Export­über­schüsse sollte durch eine Stei­ge­rung der Binnen­nach­frage und damit der Importe erfolgen. Maßnahmen zur Einschrän­kung der Exporte sind hingegen nicht ange­bracht. Sie würden nicht nur in Deutsch­land die Produk­tion und Beschäf­ti­gung redu­zieren, sondern auch in den Ländern, aus denen deutsche Export­un­ter­nehmen ihre Vorleis­tungen beziehen.

Ein Ansatz­punkt zur Stei­ge­rung der Güter­nach­frage sind höhere Inves­ti­tionen, zum Beispiel in Form von mehr Bildungs­aus­gaben, dem Ausbau der digitalen Infra­struktur, dem Umbau der gesamten Volks­wirt­schaft in Richtung einer ressour­cen­scho­nen­deren Produk­tion und dem sozialen Wohnungsbau. Damit würde Deutsch­land die real­wirt­schaft­liche Basis der Produk­tion lang­fristig stärken und über eine stärkere Binnen­nach­frage gleich­zeitig den Export­über­schuss verrin­gern. Ob dies Donald Trump von seinem protek­tio­nis­ti­schen Kurs abbringt, ist fraglich – aber es wäre immerhin ein Signal, das den Handels­kon­flikt mit den USA entschärfen könnte.

Textende

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