Wie die Digitalisierung die Marktwirtschaft untergräbt
„The winner takes it all“: Das Netz wird von einer Handvoll Firmen dominiert. Aber digitale Monopole sind nicht nur für den Verbraucher ärgerlich. Sie haben handfeste politische Konsequenzen, die eine Gefahr für die Demokratie sind.
Eine zentrale Voraussetzung für eine funktionierende Marktwirtschaft ist das Fehlen von Marktmacht. Die voranschreitende Digitalisierung der Wirtschaft untergräbt dieses Charakteristikum der Marktwirtschaft allerdings – zumindest zum Teil. Es sind vor allem Besonderheiten bei der Kostenstruktur und bei den Eigenschaften von digitalen Gütern, die das Entstehen von Monopolen erleichtern. Als Resultat erhöhen Unternehmen, die als alleinige Anbieter agieren, ihre Gewinne dann zulasten der Verbraucher und der Beschäftigten.
Die voranschreitende Digitalisierung bringt im Wesentlichen eine immer stärkere Ausbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien in allen Bereichen des menschlichen Lebens mit sich. Das betrifft nicht nur Produktionsprozesse, sondern auch den Konsum (Online-Shopping), die Bildung (E‑Learning), die politische Teilhabe (E‑Governance), das Verkehrs- und Gesundheitswesen und vieles mehr – bis hin zum Freizeit- und Kommunikationsverhalten (soziale Medien, wie z. B. Facebook).
Aus ökonomischer Sicht spielen digitale Güter und Plattformmärkte dabei eine besonders wichtige Rolle:
- Zu den digitalen Gütern gehören vor allem Softwareprogramme, Inhalte (Musik, Filme, Texte etc.), Übertragungstechniken (E‑Mail, Internet etc.) sowie alle damit verbundenen Servicedienstleistungen.
- Bei digitalen Plattformmärkten handelt es sich um Plattformen, die Marktteilnehmer miteinander verbinden und Tauschaktivitäten ermöglichen, die sonst gar nicht oder nur zu viel höheren Kosten möglich wären.
Die „Null-Grenzkosten-Gesellschaft“
Digitale Güter und die für ihre Übertragung erforderlichen Netzwerke zeichnen sich durch eine besondere Kostenstruktur aus. So ist die Bereitstellung von Netzen, wie z. B. von Telefon- oder Breitbandnetzen, mit sehr hohen Aufbaukosten verbunden. Gleiches gilt für die Entwicklung von Betriebssystemen und Anwendungssoftware. Dagegen ist die Vervielfältigung und Auslieferung eines Computerprogramms, eines Musikstücks oder eines Videos etwa über einen Download meistens sehr günstig, da hierbei nur geringe Zusatzkosten entstehen. Im Extremfall kann die Verbreitung digitaler Güter sogar ohne zusätzliche Kosten erfolgen. Der US-Ökonom Jeremy Rifkin spricht in diesem Kontext von einer „Null-Grenzkosten-Gesellschaft“.
Liegt diese Kostenkonstellation vor, sinken die Stückkosten bei einem Anstieg der produzierten Menge, weil sich die hohen Fixkosten auf viele Produkteinheiten verteilen. Dies bedeutet: Das Unternehmen, das die größte Menge anbietet, hat die geringsten Stückkosten und kann den Käufern deshalb den niedrigsten Preis anbieten. Früher oder später verdrängt dieses Unternehmen damit alle anderen Anbieter vom Markt. Als Ergebnis entsteht in diesem Fall, wie Ökonomen sagen, ein natürliches Monopol.
Bei großen Netzwerken kommt es zum „Winner takes it all“-Phänomen
Der Nutzen einer Plattform hängt maßgeblich von der Größe des Netzwerkes ab: Je mehr Teilnehmer etwa in einem Telefonnetz, einem sozialen Netzwerk oder einer Online-Tauschbörse aktiv sind, desto attraktiver ist es für andere Interessenten, sich diesem anzuschließen. Ein Beispiel: Nutzer wollen die Online-Plattform, auf der sie nach Möglichkeit alle Wohnungsangebote für einen Kurzurlaub finden – und nicht nur 30 Prozent davon.
Bei dieser Form der Nutzenstiftung setzt sich folgerichtig der Anbieter durch, der die meisten Teilnehmer hat – und es kommt zum sogenannten „The winner takes it all“-Phänomen. Das Ergebnis ist erneut ein Monopol.
Die Entstehung von Marktmacht wird auf digitalen Märkten schließlich noch dadurch gefördert, dass Unternehmen den Wechsel zu einem anderen Anbieter erschweren können. Wenn beispielsweise die Anmeldung bei einem Online-Händler sehr umfangreich ist und daher auch viel Zeit in Anspruch nimmt, wird ein Kunde bei seinem Händler bleiben, selbst wenn das gewünschte Produkt bei dem anderen Online-Anbieter billiger ist. Genauso wird ein Anwender seiner Software, deren Verständnis und Beherrschung ihm viel Zeit und Anstrengung abverlangt hat, treu bleiben, obwohl ein anderes Programm leistungsfähiger und kostengünstiger ist.
Hohe Kosten eines Anbieterwechsels können so den Wechsel zu einem preiswerteren Produkt verhindern. Infolgedessen können sich neue Wettbewerber häufig nicht durchsetzen, obwohl sie bessere Angebote haben.
Wirtschaftliche Macht kann zu politischer Macht werden
Monopole sind aus mindestens fünf Gründen problematisch – vor allem für die Verbraucher, aber nicht nur für sie:
- Monopolistisch agierende Unternehmen können höhere Preise fordern, weil sie keine Konkurrenz fürchten müssen. Höhere Preise schmälern die Kaufkraft der Verbraucher und verringert deren Konsummöglichkeiten.
- Mithilfe von Big-Data-Algorithmen lässt sich bestimmen, wie hoch die Zahlungsbereitschaft eines potenziellen Käufers für ein bestimmtes Produkt ist. Wenn ein Monopolist Informationen über die maximale Zahlungsbereitschaft der einzelnen Kunden hat, kann er mit personalisierten Preisen arbeiten. Wer bereit ist, mehr als den Marktpreis zu bezahlen, muss dann auch tatsächlich mehr zahlen. Mit diesem Vorgehen erhöhen die Unternehmen ihren Gewinn zulasten der Verbraucher.
- Ein Monopolist verfügt auch als Nachfrager über eine Marktmacht, mit der er die Preise für Vorleistungen und die Löhne senken kann. Entsprechend gibt es Hinweise, dass das Aufkommen von Firmen wie Google, Apple, Amazon, Facebook und Uber auf die Löhne drückt.
- Ohne Konkurrenz gibt es keinen Zwang, die Qualität der Produkte zu verbessern und die Preise durch technologischen Fortschritt zu senken. Damit kommt der zentrale Vorteil der Marktwirtschaft für die Verbraucher – ein sich mit der Zeit verbesserndes Produktangebot zu geringeren Preisen – nicht mehr zustande.
- Wirtschaftliche Macht kann schließlich auch zu politischer Macht werden, denn Monopolfirmen sind als Arbeitgeber und Steuerzahler ein wichtiger Akteur. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich politische Entscheider verstärkt für diese Unternehmen und deren Partialinteressen einsetzen.
Digitale Monopole führen dazu, dass die gesellschaftliche Akzeptanz von Digitalisierung und Globalisierung abnimmt
Es ist eine der zentralen wirtschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit, die Ausnutzung von digitalisierungsbedingter Marktmacht zu verhindern. Dabei stoßen die traditionellen Instrumente der Wettbewerbspolitik allerdings an ihre Grenzen. Dies beginnt bereits bei der Abgrenzung des relevanten Marktes: Um festzustellen, ob ein Anbieter über eine so große Marktmacht verfügt, dass ein Einschreiten der Kartellbehörden erforderlich wird, muss der betreffende Markt geografisch abgegrenzt werden. Diese Abgrenzung fällt jedoch schwer, wenn das Internet dafür sorgt, dass der relevante Markt tendenziell global ist.
Zudem stellt sich die Frage, wer globale Monopole bändigen soll. Ein zentrales Instrument der Wettbewerbspolitik, die Zerschlagung eines natürlichen Monopols, kommt dafür nicht infrage: Zum Beispiel wäre eine Aufteilung von Facebook in mehrere Anbieter für verschiedene Regionen nicht sinnvoll, weil damit der Vorteil der großen Teilnehmerzahlen verloren geht.
Dennoch sind staatliche Akteure nicht vollkommen handlungsunfähig. Das zeigen die Strafen, die die EU-Kommission in den letzten beiden Jahren gegen Google verhängt hat. Der Hintergrund: Gegenwärtig werden mehr als 90 Prozent aller Suchanfragen in Deutschland von Google beantwortet. Auch auf europäischer Ebene hat Google eine marktbeherrschende Stellung. Und die damit verbundene Marktmacht hat der Konzern nach Überzeugung der EU-Kommission bereits mehrfach ausgenutzt.
Seit Sommer 2017 hat die EU-Kommission gegen Google drei Strafen wegen Missbrauchs der Marktmacht ausgesprochen. Im Juni 2017 lag die Strafe bei 2,42 Milliarden Euro, im Juli 2018 bei 4,34 Milliarden Euro. Beides waren die bis dato jeweils höchsten Geldbußen, mit denen ein einzelnes Unternehmen jemals von der EU belegt wurde. Die dritte Strafe wegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung wurde im März 2019 verhängt. Sie lag bei 1,49 Milliarden Euro.
Dieses Beispiel zeigt, dass digitalisierungsbedingte Marktmacht ein sehr ernst zu nehmendes Problem ist. Um es in den Griff zu bekommen, müssen die wettbewerbspolitischen Schwierigkeiten beim Umgang mit den Monopolisierungstendenzen der Digitalisierung gelöst werden. Ansonsten können Monopolisten ihre Gewinne ungehindert zulasten der Verbraucher steigern. Als weitreichende Folge würde zudem die gesellschaftliche Akzeptanz der Digitalisierung und auch der Globalisierung abnehmen.
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.