Wie die Digita­li­sierung die Markt­wirt­schaft untergräbt

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„The winner takes it all“: Das Netz wird von einer Handvoll Firmen dominiert. Aber digitale Monopole sind nicht nur für den Verbraucher ärgerlich. Sie haben handfeste politische Konse­quenzen, die eine Gefahr für die Demokratie sind.

Eine zentrale Voraus­setzung für eine funktio­nie­rende Markt­wirt­schaft ist das Fehlen von Markt­macht. Die voran­schrei­tende Digita­li­sierung der Wirtschaft unter­gräbt dieses Charak­te­ris­tikum der Markt­wirt­schaft aller­dings – zumindest zum Teil. Es sind vor allem Beson­der­heiten bei der Kosten­struktur und bei den Eigen­schaften von digitalen Gütern, die das Entstehen von Monopolen erleichtern. Als Resultat erhöhen Unter­nehmen, die als alleinige Anbieter agieren, ihre Gewinne dann zulasten der Verbraucher und der Beschäftigten. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung und Lehrbe­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Die voran­schrei­tende Digita­li­sierung bringt im Wesent­lichen eine immer stärkere Ausbreitung von Infor­ma­tions- und Kommu­ni­ka­ti­ons­tech­no­logien in allen Bereichen des mensch­lichen Lebens mit sich. Das betrifft nicht nur Produk­ti­ons­pro­zesse, sondern auch den Konsum (Online-Shopping), die Bildung (E‑Learning), die politische Teilhabe (E‑Governance), das Verkehrs- und Gesund­heits­wesen und vieles mehr – bis hin zum Freizeit- und Kommu­ni­ka­ti­ons­ver­halten (soziale Medien, wie z. B. Facebook).

Aus ökono­mi­scher Sicht spielen digitale Güter und Platt­form­märkte dabei eine besonders wichtige Rolle:

  • Zu den digitalen Gütern gehören vor allem Software­pro­gramme, Inhalte (Musik, Filme, Texte etc.), Übertra­gungs­tech­niken (E‑Mail, Internet etc.) sowie alle damit verbun­denen Servicedienstleistungen.
  • Bei digitalen Platt­form­märkten handelt es sich um Platt­formen, die Markt­teil­nehmer mitein­ander verbinden und Tausch­ak­ti­vi­täten ermög­lichen, die sonst gar nicht oder nur zu viel höheren Kosten möglich wären.

Die „Null-Grenz­kosten-Gesell­schaft“

Digitale Güter und die für ihre Übertragung erfor­der­lichen Netzwerke zeichnen sich durch eine besondere Kosten­struktur aus. So ist die Bereit­stellung von Netzen, wie z. B. von Telefon- oder Breit­band­netzen, mit sehr hohen Aufbau­kosten verbunden. Gleiches gilt für die Entwicklung von Betriebs­sys­temen und Anwen­dungs­software. Dagegen ist die Verviel­fäl­tigung und Auslie­ferung eines Compu­ter­pro­gramms, eines Musik­stücks oder eines Videos etwa über einen Download meistens sehr günstig, da hierbei nur geringe Zusatz­kosten entstehen. Im Extremfall kann die Verbreitung digitaler Güter sogar ohne zusätz­liche Kosten erfolgen. Der US-Ökonom Jeremy Rifkin spricht in diesem Kontext von einer „Null-Grenz­kosten-Gesell­schaft“.

Liegt diese Kosten­kon­stel­lation vor, sinken die Stück­kosten bei einem Anstieg der produ­zierten Menge, weil sich die hohen Fixkosten auf viele Produkt­ein­heiten verteilen. Dies bedeutet: Das Unter­nehmen, das die größte Menge anbietet, hat die geringsten Stück­kosten und kann den Käufern deshalb den niedrigsten Preis anbieten. Früher oder später verdrängt dieses Unter­nehmen damit alle anderen Anbieter vom Markt. Als Ergebnis entsteht in diesem Fall, wie Ökonomen sagen, ein natür­liches Monopol.

Bei großen Netzwerken kommt es zum „Winner takes it all“-Phänomen

Der Nutzen einer Plattform hängt maßgeblich von der Größe des Netzwerkes ab: Je mehr Teilnehmer etwa in einem Telefonnetz, einem sozialen Netzwerk oder einer Online-Tausch­börse aktiv sind, desto attrak­tiver ist es für andere Inter­es­senten, sich diesem anzuschließen. Ein Beispiel: Nutzer wollen die Online-Plattform, auf der sie nach Möglichkeit alle Wohnungs­an­gebote für einen Kurzurlaub finden – und nicht nur 30 Prozent davon.

Bei dieser Form der Nutzen­stiftung setzt sich folge­richtig der Anbieter durch, der die meisten Teilnehmer hat – und es kommt zum sogenannten „The winner takes it all“-Phänomen. Das Ergebnis ist erneut ein Monopol.

Die Entstehung von Markt­macht wird auf digitalen Märkten schließlich noch dadurch gefördert, dass Unter­nehmen den Wechsel zu einem anderen Anbieter erschweren können. Wenn beispiels­weise die Anmeldung bei einem Online-Händler sehr umfang­reich ist und daher auch viel Zeit in Anspruch nimmt, wird ein Kunde bei seinem Händler bleiben, selbst wenn das gewünschte Produkt bei dem anderen Online-Anbieter billiger ist. Genauso wird ein Anwender seiner Software, deren Verständnis und Beherr­schung ihm viel Zeit und Anstrengung abver­langt hat, treu bleiben, obwohl ein anderes Programm leistungs­fä­higer und kosten­güns­tiger ist.

Hohe Kosten eines Anbie­ter­wechsels können so den Wechsel zu einem preis­wer­teren Produkt verhindern. Infol­ge­dessen können sich neue Wettbe­werber häufig nicht durch­setzen, obwohl sie bessere Angebote haben.

Wirtschaft­liche Macht kann zu politi­scher Macht werden

Monopole sind aus mindestens fünf Gründen proble­ma­tisch – vor allem für die Verbraucher, aber nicht nur für sie:

  1. Monopo­lis­tisch agierende Unter­nehmen können höhere Preise fordern, weil sie keine Konkurrenz fürchten müssen. Höhere Preise schmälern die Kaufkraft der Verbraucher und verringert deren Konsummöglichkeiten.
  2. Mithilfe von Big-Data-Algorithmen lässt sich bestimmen, wie hoch die Zahlungs­be­reit­schaft eines poten­zi­ellen Käufers für ein bestimmtes Produkt ist. Wenn ein Monopolist Infor­ma­tionen über die maximale Zahlungs­be­reit­schaft der einzelnen Kunden hat, kann er mit perso­na­li­sierten Preisen arbeiten. Wer bereit ist, mehr als den Markt­preis zu bezahlen, muss dann auch tatsächlich mehr zahlen. Mit diesem Vorgehen erhöhen die Unter­nehmen ihren Gewinn zulasten der Verbraucher.
  3. Ein Monopolist verfügt auch als Nachfrager über eine Markt­macht, mit der er die Preise für Vorleis­tungen und die Löhne senken kann. Entspre­chend gibt es Hinweise, dass das Aufkommen von Firmen wie Google, Apple, Amazon, Facebook und Uber auf die Löhne drückt.
  4. Ohne Konkurrenz gibt es keinen Zwang, die Qualität der Produkte zu verbessern und die Preise durch techno­lo­gi­schen Fortschritt zu senken. Damit kommt der zentrale Vorteil der Markt­wirt­schaft für die Verbraucher – ein sich mit der Zeit verbes­serndes Produkt­an­gebot zu gerin­geren Preisen – nicht mehr zustande.
  5. Wirtschaft­liche Macht kann schließlich auch zu politi­scher Macht werden, denn Monopol­firmen sind als Arbeit­geber und Steuer­zahler ein wichtiger Akteur. Damit steigt die Wahrschein­lichkeit, dass sich politische Entscheider verstärkt für diese Unter­nehmen und deren Partial­in­ter­essen einsetzen.

Digitale Monopole führen dazu, dass die gesell­schaft­liche Akzeptanz von Digita­li­sierung und Globa­li­sierung abnimmt

Es ist eine der zentralen wirtschafts­po­li­ti­schen Heraus­for­de­rungen unserer Zeit, die Ausnutzung von digita­li­sie­rungs­be­dingter Markt­macht zu verhindern. Dabei stoßen die tradi­tio­nellen Instru­mente der Wettbe­werbs­po­litik aller­dings an ihre Grenzen. Dies beginnt bereits bei der Abgrenzung des relevanten Marktes: Um festzu­stellen, ob ein Anbieter über eine so große Markt­macht verfügt, dass ein Einschreiten der Kartell­be­hörden erfor­derlich wird, muss der betref­fende Markt geogra­fisch abgegrenzt werden. Diese Abgrenzung fällt jedoch schwer, wenn das Internet dafür sorgt, dass der relevante Markt tenden­ziell global ist.

Zudem stellt sich die Frage, wer globale Monopole bändigen soll. Ein zentrales Instrument der Wettbe­werbs­po­litik, die Zerschlagung eines natür­lichen Monopols, kommt dafür nicht infrage: Zum Beispiel wäre eine Aufteilung von Facebook in mehrere Anbieter für verschiedene Regionen nicht sinnvoll, weil damit der Vorteil der großen Teilneh­mer­zahlen verloren geht.

Dennoch sind staat­liche Akteure nicht vollkommen handlungs­un­fähig. Das zeigen die Strafen, die die EU-Kommission in den letzten beiden Jahren gegen Google verhängt hat. Der Hinter­grund: Gegen­wärtig werden mehr als 90 Prozent aller Suchan­fragen in Deutschland von Google beant­wortet. Auch auf europäi­scher Ebene hat Google eine markt­be­herr­schende Stellung. Und die damit verbundene Markt­macht hat der Konzern nach Überzeugung der EU-Kommission bereits mehrfach ausgenutzt.

Seit Sommer 2017 hat die EU-Kommission gegen Google drei Strafen wegen Missbrauchs der Markt­macht ausge­sprochen. Im Juni 2017 lag die Strafe bei 2,42 Milli­arden Euro, im Juli 2018 bei 4,34 Milli­arden Euro. Beides waren die bis dato jeweils höchsten Geldbußen, mit denen ein einzelnes Unter­nehmen jemals von der EU belegt wurde. Die dritte Strafe wegen des Missbrauchs einer markt­be­herr­schenden Stellung wurde im März 2019 verhängt. Sie lag bei 1,49 Milli­arden Euro.

Dieses Beispiel zeigt, dass digita­li­sie­rungs­be­dingte Markt­macht ein sehr ernst zu nehmendes Problem ist. Um es in den Griff zu bekommen, müssen die wettbe­werbs­po­li­ti­schen Schwie­rig­keiten beim Umgang mit den Monopo­li­sie­rungs­ten­denzen der Digita­li­sierung gelöst werden. Ansonsten können Monopo­listen ihre Gewinne ungehindert zulasten der Verbraucher steigern. Als weitrei­chende Folge würde zudem die gesell­schaft­liche Akzeptanz der Digita­li­sierung und auch der Globa­li­sierung abnehmen.

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