Trans­for­ma­ti­ons­po­litik: Was die nächste Bundes­re­gierung aus Brüssel erwarten kann

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Die neue EU-Kommission ist dabei, eine breite indus­trie­po­li­tische Agenda vorzu­be­reiten. Götz Reichert vom Centrum für Europäische Politik stellt deren zentrale Vorhaben vor. Auf Deutschland und deutsche Befind­lich­keiten wartet in Brüssel dabei niemand. Götz Reichert fordert, dass die nächste Bundes­re­gierung wieder eine aktive Rolle in der EU übernimmt.

Inter­na­tionale Wettbe­werbs­fä­higkeit der EU stärken

Die neuge­wählte Bundes­re­gierung wird keine Zeit zu verlieren haben: Angesichts der wachsenden Heraus­for­derung durch die anhal­tende Rezession, der stagnie­renden Trans­for­mation von Wirtschaft und Gesell­schaft hin zur Klima­neu­tra­lität sowie durch ein immer insta­bi­leres geopo­li­ti­sches Umfeld muss Deutschland schnell seine politische Lähmung überwinden. Hierzu muss die neue Bundes­re­gierung auch endlich wieder eine aktivere Rolle in der Europäi­schen Union übernehmen. Dies ist umso wichtiger, als derzeit in Brüssel die trans­for­ma­ti­ons­po­li­ti­schen Weichen für die kommenden Jahre gestellt werden. Aufge­rüttelt durch den Draghi-Bericht über die schwin­dende Wettbe­werbs­fä­higkeit der EU will die neuernannte Europäische Kommission den „European Green Deal“ zum „Clean Indus­trial Deal“ weiter­ent­wi­ckeln. Dazu soll die inter­na­tionale Wettbe­werbs­fä­higkeit der EU gestärkt werden, ohne jedoch umwelt- und klima­po­li­tische Ziele aufzu­weichen. Die damit verbun­denen Heraus­for­de­rungen sollte die neue Bundes­re­gierung auch als Chance begreifen. In dieser Hinsicht werden die kommenden Monate durch folgende neue Initia­tiven und Recht­set­zungs­vor­haben auf EU-Ebene geprägt sein, die Deutschland in enger Abstimmung mit anderen EU-Mitglied­staaten konstruktiv mitge­stalten sollte:

Kompass für Wettbewerbsfähigkeit

Bereits am 28. Januar stellte die Europäische Kommission ihren „Kompass für die Wettbe­werbs­fä­higkeit der EU“ vor. Darin legt sie ihre Strategie dar, durch die in Europa wieder vermehrt innovative Techno­logien, Dienst­leis­tungen und Produkte erfunden, herge­stellt und auf den Markt gebracht werden sollen, die u.a. zur Trans­for­mation hin zur Klima­neu­tra­lität beitragen. Die Strategie, die in den kommenden Monaten und Jahren sukzessive durch Initia­tiven und Rechtsakte konkre­ti­siert werden soll, basiert auf folgenden Anfor­de­rungen an die Trans­for­mation zur Steigerung der Wettbe­werbs­fä­higkeit, die im Draghi-Bericht identi­fi­ziert wurden:

  • Schließung der Innova­ti­ons­lücke: Die EU soll ein Umfeld für innovative Start-up-Unter­nehmen schaffen, die indus­trielle Führungs­rolle in wachs­tums­starken Sektoren auf Basis von Deep Tech stärken und die Verbreitung von Techno­logien in etablierten Unter­nehmen und KMU fördern. In diesem Zusam­menhang will die Kommission z. B. „KI-Gigafa­briken“ vorschlagen, um die Entwicklung und den Einsatz von KI in Schlüs­sel­sek­toren der Industrie zu fördern.
  • Fahrplan für Dekar­bo­ni­sierung und Wettbe­werbs­fä­higkeit: Angesichts hoher und schwan­kender Energie­preise soll der Zugang zu erschwing­licher sauberer Energie erleichtert werden. Dazu soll der Clean Indus­trial Deal einen wettbe­werbs­ori­en­tierten Ansatz für die Dekar­bo­ni­sierung verfolgen, um die EU als attrak­tiven Standort für energie­in­tensive Indus­trien und saubere Techno­logien zu erhalten sowie um neue kreis­lauf­ori­en­tierte Geschäfts­mo­delle zu fördern. Neben Aktions­plänen für erschwing­liche Energie und einem Rechtsakt zur beschleu­nigten Dekar­bo­ni­sierung der Industrie sieht der Kompass spezi­fische Aktions­pläne für energie­in­tensive Sektoren wie Stahl, Metall und Chemie vor, für die die aktuelle Trans­for­ma­ti­ons­phase mit den größten Risiken verbunden ist.
  • Verrin­gerung übermä­ßiger Abhän­gig­keiten: Um die Fähigkeit der EU, ihre Versorgung mit Rohstoffen, sauberer Energie, nachhal­tigen Kraft­stoffen und sauberen Techno­logien zu diver­si­fi­zieren und so bestehende Abhän­gig­keiten zu verringern, schlägt die Kommission eine Reihe neuer Partner­schaften für sauberen Handel und Inves­ti­tionen vor. Zudem soll es im EU-Binnen­markt ermög­licht werden, bei der Vergabe öffent­licher Aufträge für kritische Sektoren und Techno­logien europäische Waren und Dienst­leis­tungen zu bevorzugen.

Diese Anfor­de­rungen sollen durch horizontale Faktoren ergänzt werden, die laut Kommission für die Stärkung der Wettbe­werbs­fä­higkeit in allen Sektoren entscheidend sind:

  • Verein­fa­chung: Der Regelungs- und Verwal­tungs­aufwand soll durch Änderungen des geltenden EU-Rechts mittels „Omnibus“-Vorschläge drastisch reduziert werden. Hierzu sollen die Verfahren für den Zugang zu EU-Mitteln und für Verwal­tungs­ent­schei­dungen der EU einfacher, schneller und schlanker gestaltet werden. Insgesamt soll der Verwal­tungs­aufwand für größere Unter­nehmen um mindestens 25% und für kleine und mittlere Unter­nehmen (KMU) um mindestens 35% sinken.
  • Abbau von Hinder­nissen im EU-Binnen­markt: Im Zuge einer horizon­talen Binnen­markt­stra­tegie sollen die wirtschafts­po­li­tische Steuerung moder­ni­siert, Hinder­nisse innerhalb der EU beseitigt und neue Hinder­nisse vermieden werden.
  • Finan­zierung der Wettbe­werbs­fä­higkeit: Laut Kommission fehlt es der EU an einem effizi­enten Kapital­markt, damit aus Erspar­nissen Inves­ti­tionen werden. Sie will daher eine Europäische Spar- und Inves­ti­ti­ons­union vorschlagen, um neue Spar- und Anlage­pro­dukte sowie Anreize für Risiko­ka­pital zu schaffen und sicher­zu­stellen, dass Inves­ti­tionen in der gesamten EU nahtlos möglich sind.
  • Förderung von Fähig­keiten und hochwer­tigen Arbeits­plätzen: Die Kommission will eine Initiative starten, um die Fähig­keiten von Beschäf­tigten in Einklang mit den Anfor­de­rungen des Arbeits­markts zu bringen. Schwer­punkte sollen die Erwach­se­nen­bildung, der Aufbau und Erhalt zukunfts­si­cherer Fähig­keiten, die Anwerbung und Integration quali­fi­zierter Fachkräfte aus dem Ausland sowie die Anerkennung unter­schied­licher Ausbil­dungs­arten sein.

Clean Indus­trial Deal

In einer Mitteilung zum Clean Indus­trial Deal will die Europäische Kommission demnächst kurzfristige Strategien zur Unter­stützung und Schaffung der Wettbe­werbs­fä­higkeit der Industrie bei gleich­zei­tiger Dekar­bo­ni­sierung umreißen. Hierdurch sollen sowohl die Ziele des European Green Deals erreicht und zugleich der Zugang zu erschwing­licher Energie verbessert, Leitmärkte für saubere Techno­logien geschaffen sowie die Nachfrage und das Angebot an Materialien, Produkten und Dienst­leis­tungen der Kreis­lauf­wirt­schaft gefördert werden. 

Entbü­ro­kra­ti­sierung: Omnibus-Paket zur Nachhaltigkeit

Zur Konkre­ti­sierung des Kompasses für die Wettbe­werbs­fä­higkeit im Rahmen des Clean Indus­trial Deals will die Europäische Kommission ein „Omnibus-Paket“ zur Entbü­ro­kra­ti­sierung u.a. bei Nachhal­tig­keits­an­for­de­rungen vorlegen. Dies soll nachhal­tig­keits­be­zogene Berichts­pflichten, wie sie in der Richt­linie zur Nachhal­tig­keits­be­richt­erstattung (CSRD), der Verordnung zur grünen Taxonomie und der Richt­linie über die Sorgfalts­pflichten von Unter­nehmen (CSDDD) verankert sind, wieder abbauen, konso­li­dieren und verein­fachen. Zudem sollen Anfor­de­rungen des CO2-Grenz­aus­gleichs­me­cha­nismus (CBAM) gelockert werden.

Gesetz zur Beschleu­nigung der indus­tri­ellen Dekarbonisierung

Ebenfalls zur Konkre­ti­sierung des Kompasses für die Wettbe­werbs­fä­higkeit im Rahmen des Clean Indus­trial Deals will die Europäische Kommission energie­in­tensive Indus­trien bei ihrem Umstieg auf saubere Techno­logien stärker unter­stützen. Ein wichtiger Baustein sollen Maßnahmen zum Aufbau von Leitmärkten für die Entwicklung und Produktion solcher Techno­logien sein, etwa durch neue Kriterien für die öffent­liche Beschaffung. Zudem sollen Geneh­mi­gungs­ver­fahren für den Einsatz sauberer Techno­logien beschleunigt werden.

EU-Aktionsplan zur europäi­schen Automobilindustrie

Die Europäische Kommission will am 5. März 2025 einen Aktionsplan mit konkreten Strategien und Maßnahmen zur Unter­stützung der Dekar­bo­ni­sierung und Wettbe­werbs­fä­higkeit der europäi­schen Automo­bil­in­dustrie vorstellen. Der Aktionsplan folgt auf den Strate­gi­schen Dialog über die Zukunft der Branche, den die Kommission vom 30. Januar bis 3. März mit Automo­bil­her­stellern, Zulie­ferern, Infra­struk­tur­anbietern, Gewerk­schaften, Wirtschafts­ver­bänden geführt hat. Es wird erwartet, dass der EU-Aktionsplan Antworten u.a. auf folgende Fragen geben könnte:

  • Wie wird die Kommission kurzfristig mit den drohenden Straf­zah­lungen der Autoher­steller für das Verfehlen ihrer CO₂-Flotten­ziele für 2025 umgehen?
  • Soll im Zuge einer Reform der CO₂-Flotten­ge­setz­gebung das faktische „Verbrenner-Aus“ für neue Pkw und Klein­trans­porter ab 2035 revidiert werden?
  • Werden auch nach 2035 Pkw und Klein­trans­porter, die mit CO₂-freien Kraft­stoffen wie E‑Fuels betankt werden, zugelassen werden können?
  • Soll der Absatz von E‑Autos, die in der EU produ­ziert werden, durch Local-Content-Klauseln gefördert werden?

Europäi­sches Klima­gesetz: EU-2040-Klimaziel

Mit dem Europäi­schen Klima­gesetz hat sich die EU verpflichtet, ihre Emissionen von Treib­haus­gasen (THG) bis 2050 auf netto null zu reduzieren (Klima­neu­tra­lität) und bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken (EU-2030-Klimaziel, „Fit for 55“). Zudem muss die EU im Anschluss an die weltweite Bestands­auf­nahme über die Fortschritte zur Errei­chung der Ziele des Pariser Klima­schutz­ab­kommens, die Ende 2023 erfolgte, „gegebe­nen­falls“ ein EU-weites Klimaziel für 2040 festlegen. Dazu hat im Februar 2024 die damalige Kommission eine Senkung der THG-Emissionen bis 2040 um 90 Prozent gegenüber 1990 empfohlen. Eine rechts­ver­bind­liche Festlegung des EU-2040-Klima­ziels im Europäi­schen Klima­gesetz, die noch 2025 erfolgen soll, wird in den kommenden Jahren weitere ehrgeizige Klima­schutz­maß­nahmen in allen Wirtschafts­sek­toren sowie eine entspre­chenden Anpassung bzw. Weiter­ent­wicklung des gesamten europäi­schen Klima- und Energie­rechts erfordern. Dieses ist derzeit durch die Fit-for-55-Gesetz­gebung im Rahmen des europäi­schen Green Deal nur bis 2030 ausgelegt.

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