„Wir werden der anti­de­mo­kra­ti­schen Herr­schaft Orbáns ein Ende setzen“ – Interview mit MdEP Anna Júlia Donáth

Foto: Shutterstock, Zoltan Galantai
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Die unga­ri­sche Oppo­si­ti­ons­ab­ge­ord­nete im Euro­pa­par­la­ment Anna Donath über den erzwun­genen Austritt von Orbáns Fidesz-Partei aus der EVP und ein neues Bündnis der Oppo­si­tion gegen den anti­eu­ro­päi­schen Regie­rungs­chef. (To the English language version)

Viktor Orbán hat nach jahre­langen Ausein­an­der­set­zungen entschieden, dass seine Fidesz-Partei die Fraktion der christ­de­mo­kra­ti­schen Euro­päi­schen Volks­partei (EVP) im Euro­päi­schen Parlament verlässt. Warum hat er das jetzt getan und nicht vorher?

Anna Donáth: Das Verhältnis zwischen Orbáns Fidesz und der EVP war seit Jahren konflikt­reich. Seine auto­ri­täre Politik und EU-Schelte waren für die euro­päi­schen Konser­va­tiven nicht mehr tole­rierbar. Die Fidesz-Abge­ord­neten haben sich jedoch nicht für einen Austritt aus der EVP entschieden, sie wurden durch deren neue Politik dazu gezwungen.

Die EVP hatte vor zwei Jahren die Mitglied­schaft von Fidesz suspen­diert, aber gezögert, sie auszu­schließen, obwohl Orbán und seine Regierung euro­päi­sche Grund­werte wie die Rechts­staat­lich­keit und die Pres­se­frei­heit verletzen. Was waren aus Ihrer Sicht die Gründe dafür? Und warum hat sie nun kurz vor Orbáns Schritt ihre Meinung geändert?

Donath: Die EVP hätte strenger sein müssen. Sie haben gezögert, gegen Fidesz vorzu­gehen, weil das bedeutet hätte, wertvolle Mitglieder im Euro­pa­par­la­ment zu verlieren. Sie änderten ihre Meinung aufgrund der vielen Punkte, die sie nicht mehr igno­rieren konnten, wie die Äuße­rungen des Vorsi­tenden der Fidesz-Gruppe im EP, Tamás Deutsch (der den Einsatz der EVP-Fraktion und ihres Vorsit­zenden Manfred Weber für Rechts­staat­lich­keit in der EU mit der Gestapo und dem stali­nis­ti­schen unga­ri­schen Geheim­dienst AVO vergli­chen hatte) und die vielen Anschul­di­gungen gegen Orban. Die Führer der EVP konnten diese nicht mehr unter den Teppich kehren.

Welche Folgen wird die Abspal­tung haben?

Donath: Die tatsäch­li­chen Folgen sind noch nicht abzusehen. Es könnte sich insofern um bloßes Schau­spiel handeln, als Fidesz eine enge Beziehung zur EVP beibehält und deren Politik von außen unter­stützt. Es gab schon Beispiele für solche Verbin­dungen, z.B. die britische Torys mit der EVP. Es ist auch erwäh­nens­wert, dass der Koali­ti­ons­partner von Fidesz, die Christ­lich-Demo­kra­ti­sche Volks­partei, ihre Mitglied­schaft in der EVP-Fraktion behält.

Was sagt Orbáns Schritt über seine weitere Politik in der EU aus?

Donath: Orban hat deutlich gemacht, dass er sich nicht mehr als konser­va­tiven, gemä­ßigten Politiker sieht. Der Fidesz wird einen weiteren Rechts­rucks voll­ziehen, den sie schon lange propa­giert hat.

Wird es für ihn nun schwie­riger, seine natio­na­lis­ti­schen Inter­essen in der EU durch­zu­setzen, weil er seine Verbin­dungen zu den christ­de­mo­kra­ti­schen und konser­va­tiven Regie­rungs­chefs verliert?

Donath: Wenn sich Fidesz der extremen Rechten anschließt, und das ist eine Option, könnte es für ihn noch einfacher sein, seine illi­be­rale Agenda durch­zu­setzen, da ihm keine Einschrän­kungen mehr auferlegt sind. Seine Möglich­keiten, tatsäch­lich etwas zu erreichen, könnten jedoch ohne die mächtigen Verbün­deten in der EVP geschwächt werden.

Glauben Sie, dass andere osteu­ro­päi­sche Parteien ihm und Fidesz folgen werden?

Donath: Ich vertraue darauf, dass sie der EU und ihren Grund­werten verpflichtet bleiben. Was man von Fidesz nicht behaupten kann.

Wird die Trennung von der EVP der Oppo­si­tion in Ungarn helfen, oder wird sie die Unter­stüt­zung für Orbán in der Öffent­lich­keit verstärken?

Donath: Ich denke, dass Fidesz auch in Ungarn an Gesicht verloren hat, nachdem sie aus einer großen euro­päi­schen Partei heraus­ge­worfen wurde. Natürlich wird Orbán versuchen, das Narrativ zu kontrol­lieren und zu sugge­rieren, dass dies ein Sieg für Fidesz und für Ungarn sei. Auf der anderen Seite fängt das unga­ri­sche Volk an, sein Spiel zu durch­schauen, und wird es leid, jede Woche von neuen Feinden zu hören. Unsere Aufgabe als Oppo­si­tion ist es, über die Fakten zu sprechen und die Werte der EU zu fördern, da Orban so etwas kaum tun wird.

Einige west­eu­ro­päi­sche Kritiker von Orbán und seiner Politik fordern den Ausschluss Ungarns aus der EU oder eine Suspen­die­rung der Mitglied­schaft. Was denken Sie darüber?

Donath: Ungarn ist nicht gleich Orbán. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Mehrheit der Ungarn zur EU steht und nicht austreten will. Wir müssen Orbán und sein korruptes System loswerden, damit wir gemeinsam mit den anderen Mitglieds­staaten an der Schaffung einer neuen, gerechten Union arbeiten können, die auf den Grund­werten von Freiheit und Demo­kratie basiert. Mit dem neuen Mecha­nismus der Rechts­staat­lich­keit hat die EU die Möglich­keit, effektiv gegen illi­be­rale Regime wie das von Orbán vorzu­gehen. Dies ist ein neues Kapitel, das im Kampf gegen Orbán helfen kann, aber es wird nicht alle unsere Probleme lösen. Die EU kann helfen, aber es liegt an uns, dem unga­ri­schen Volk, für eine echte Verän­de­rung zu kämpfen.

Würden die ange­drohten finan­zi­ellen Sank­tionen etwas bewirken?

Donath: Wir sind gegen die Verhän­gung von Finanz­sank­tionen, da sie dem unga­ri­schen Volk mehr schaden würden als Orbán. Aller­dings könnten wir die Möglich­keit solcher Sank­tionen als Gele­gen­heit nutzen, um die Aufsicht über die EU-Gelder zu stärken. Diese Kontrolle ist dringend notwendig, um sicher­zu­stellen, dass die EU-Mittel für die Dinge ausge­geben werden, die am wich­tigsten sind, anstatt zum Reichtum von Orbáns Familie und Freunden beizu­tragen. Das Gesund­heits­wesen, die Bildung und der Arbeits­markt sind alles Bereiche, die die Unter­stüt­zung der EU brauchen, besonders in diesen schweren Zeiten. Wir müssen die Entwick­lung Ungarns als Ganzes sicher­stellen, und nicht die der Fidesz verbun­denen Eliten.

Wie ist die Stimmung in Ungarn im Moment in der Corona-Krise? Hilft Orbán sein Gestus als auto­ri­tärer Führer oder verliert er an Unterstützung?

Donath: Sobald er mit echten Problemen konfron­tiert wird, nicht mit denen, die von seiner Propa­ganda geschaffen wurden, verliert er die Kontrolle über die Situation. Gerade jetzt, wo die Menschen Ange­hö­rige verlieren und unter den finan­zi­ellen Folgen des Virus leiden, ist die Regierung nicht in der Lage, dem Land die notwen­dige Unter­stüt­zung zu geben. Sie reden ständig davon, das Virus zu besiegen und den „Krieg“ zu gewinnen, aber sie erkennen nicht, dass es in diesem Kampf keine Gewinner gibt. Es gibt nur Leid und Verluste, und so wie die Dinge laufen, wird es aufgrund der fehlenden Unter­stüt­zung durch die Regierung noch mehr geben.

Die unga­ri­sche Oppo­si­tion war bislang zerstritten, wie in Polen. Wie kann es Ihnen gelingen, Orbán und Fidesz abzulösen, und wann?

Donath: Wir sind als Oppo­si­tion nicht mehr gespalten. Vor ein paar Wochen haben die sechs großen Oppo­si­ti­ons­par­teien ein Bündnis gegen das Fidesz-Regime geschlossen. Es werden Vorwahlen abge­halten, um die geeig­netsten Kandi­daten zu finden, die allen anderen Oppo­si­ti­ons­par­teien bei den Parla­ments­wahlen im Jahr 2022 unter­stützt werden. Das Land ist dabei, sich zu vereinen, und unsere Chancen sahen noch nie so gut aus. Ich bin zuver­sicht­lich, dass wir gemeinsam in der Lage sein werden, der korrupten, anti­de­mo­kra­ti­schen Herr­schaft von Viktor Orbán ein Ende zu setzen.

Anna Júlia Donáth, 33, ist Abge­ord­nete der oppo­si­tio­nellen sozi­al­li­be­ralen Partei Momentum im Euro­päi­schen Parlament.

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