Wie die CDU die Bundestagswahl 2025 schon jetzt verlieren kann
Friedrich Merz steht seit gut einem Jahr an der Spitze der CDU und der Unionsfraktion im Bundestag. Seine Position scheint unanfechtbar. Doch der Schein trügt. Die Union hat in der ungewohnten Rolle als Opposition immer noch nicht Fuß gefasst, die programmatische Kontur bleibt verschwommen, zugleich steht mit Markus Söder der Herausforderer schon in den Kulissen. Markus Schubert mit einer Analyse der Lage und einem Vorschlag, wie die Union die nächste Zerreißprobe um die Kanzlerkandidatur vermeiden kann.
Man könnte denken, die Kanzlerfrage habe noch Zeit, so bis Mitte/Ende 2024. Aber erinnern wir uns an das Desaster 2021: Die Beantwortung der K‑Frage wurde ewig aufgeschoben, weil Armin Laschet fälschlicherweise erwartete, ohnehin nicht herausgefordert zu werden. Und Stand jetzt gibt es wieder kein zwischen den Schwesterparteien abgesprochenes Verfahren. Also gilt weiter die erwiesenermaßen fatale Formel: Die beiden Vorsitzenden machen einen einvernehmlichen Vorschlag. Für Merz scheint das offenbar komfortabel; schließlich ist er eigens Vorsitzender geworden, um „das erste Zugriffsrecht“ zu haben. Und so läuft die Union in die Wiederholung der Zerrüttung, denn selbstverständlich wird sich die Konfrontation zwischen den beiden Parteivorsitzenden erneut ergeben, nur dass der CSU-Chef aus einer Reihe von Gründen diesmal die besseren Karten hat.
Söder als Kanzlerkandidat – würde die CDU mitspielen?
Nachdem er nach der Bundestagswahl die Jamaika-Option mutwillig zerschlagen und dabei die Fassungslosigkeit der CDU ausgenutzt hatte, hat sich Markus Söder diesmal gründlich und gewissenhaft auf die Verteidigung der Machtstellung in Bayern konzentriert. Kein Fehler der Jahre 2015 – 2018 ist ihm erneut passiert oder wird ihm noch passieren. Die Landtagswahl im Herbst wird wieder ein CSU-Ergebnis von 40 + x Prozent ergeben, wahrscheinlich die Koalition verlängern, und Markus Söder wird sich umgehend eine zweistufige Strategie zur Erlangung der Kanzlerkandidatur und dann der Kanzlerschaft zurechtlegen und unerbittlich exekutieren. Von einer einvernehmlichen Lösung wird dann nichts zu sehen sein.
Kriterien für die Spitzenkandidatur
Söder wird zwei Kriterien für die Spitzenkandidatur wie ein Mantra wiederholen: „Regierungserfahrung und Wahlkampferfahrung.“ Dem ist nicht schlüssig zu widersprechen, zumal die Ministerpräsidenten Günther und Wüst es – wenn auch zunächst dezenter – bekräftigen werden. Ergänzt um Punkt 3: „Koalitionserfahrung“, bei dem Söder schlechter abschneidet, weil die Bayern-Koalition eben nicht auf den Bund übertragbar ist.
Merz hat keinerlei Regierungserfahrung, nicht nur nicht als Regierungschef, er hat auch nie ein Ministerium in Bund oder Land geleitet, und er hat über seinen Wahlkreis hinaus keine Wahlkampferfahrung. Damit sind strategische Kampagne-Fähigkeiten gemeint, nicht eine Tournee als Redner auf Veranstaltungen mit notorischem Fanpublikum. Söders Mantra wird ihn also verlässlich treffen und seine Ambitionen unterspülen.
Erneute Selbstdemontage verhindern
Die CDU muss die erneute Selbstdemontage der Unionsschwestern auf offener Bühne abwenden – durch die Kreation eines Verfahrens, das die CSU schwerlich ablehnen kann. Und hier schließt sich das Zeitfenster demnächst. Wie gesagt: Laschet hatte alles laufen lassen, verlor schließlich fast die Kandidatur und am Ende das Duell mit dem Spitzenkandidaten der SPD, weil der innerparteiliche Wahlkampf zuvor ihn praktisch kampfunfähig gemacht hatte.
Das wird Merz nicht erleben wollen. Dazu muss er den Verfahrensvorschlag aber bis spätestens zur Sommerpause vorlegen. Später würde ihm das als Foul an den CSU-Wahlkämpfern ausgelegt. Wohlgemerkt, es geht nicht um die Entscheidung über die Kandidatur – dieses Vorgehen würden ja schon Merz‘ Gegner in der CDU verhindern – sondern es geht um die Entscheidung über ein Verfahren, das dann 2024 oder vielleicht erst Anfang 2025 zur Anwendung kommt. Wobei immer damit zu rechnen ist, dass die Wahl nach einem, von mindestens einer Partei taktisch herbeigeführten Ermüdungsbruch der Ampelkoalition früher ins Haus steht.
Kritischer Zeitpunkt für ein neues Nominierungsverfahren
Im Sommer 2023 – und nur dann! – kann Söder sich nicht gegen einen solchen Verfahrensvorschlag wehren, weil er sonst im laufenden Bayern-Wahlkampf offensichtlich werden ließe, dass er nach einer Wiederwahl (oder eben schon davor!) erneut nach Höherem strebt. Weiß zwar jeder, man darf sich aber nicht dabei erwischen lassen.
Die CDU verweist stets darauf, dass sie die bei weitem größere Partei ist, die CSU besteht auf Augenhöhe, wohl wissend, dass sie im Zweifel immer geschlossener und disziplinierter hinter ihrem Vorsitzenden steht und lediglich eine kritische Masse von Christdemokraten mobilisieren muss, um den CDU-Chef daneben umstritten und angeschlagen aussehen zu lassen. In der gemeinsamen Bundestagsfraktion war man vor zwei Jahren knapp davor.
Bundesdelegiertenversammlung zur Wahl des Kanzlerkandidaten
Die Lösung kann nur sein, zur Nominierung eine CDU/CSU-Bundesdelegiertenversammlung zu schaffen und einzuberufen, die dann in einem oder zwei Wahlgängen einen Kanzlerkandidaten der Union wählt und sich aus drei Gruppen zusammensetzt:
- Den Abgeordneten der aktuellen CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit derzeit 152 CDU- und 45 CSU-Parlamentariern,
- den Abgeordneten von CDU und CSU in der EVP-Fraktion des Europäischen Parlaments mit derzeit 23 CDU- und 6 CSU-Parlamentariern,
- je einhundert von Parteitagen von CDU und CSU zu entsendenden Delegierten.
Das Verfahren trägt der Bedeutung der CSU als eigenständiger Partei, die eben nicht nur ein Landesverband der CSU ist, ebenso Rechnung wie den Stimmenanteilen, die die beiden Parteien bei bundesweiten Wahlen einbringen. Die gemeinsame Bundestagsfraktion und die CDU/CSU-Gruppe im EP unterstreichen die Handlungseinheit der beiden Parteien im parlamentarischen Alltag, während die von Parteitagen nominierten Delegierten für die Eigenständigkeit der Organisationen stehen.
Das komplexe Gremium dürfte nur schwer von einzelnen Parteispitzen oder ‑flügeln und ‑gruppierungen zu dominieren zu sein. Vieles spricht dafür, dass hier eine objektive Bewertung von Gewinnchancen bei der anstehenden Wahl und aussichtsreicher Ausübung der Richtlinienkompetenz im Erfolgsfall vorgenommen werden kann.
Wer ist der aussichtsreichere Kandidat: Friedrich Merz oder Markus Söder?
Keiner der beiden hat garantierte Aussichten auf einen Sieg. Das transparente Verfahren würde verhindern, dass Söder erneut die Unions-Wahlchancen durch einen zerstörerischen Vorwahlkampf minimiert. Söders Aussichten sind aus vielen Gründen besser als vor zwei Jahren: Neben der zweiten und diesmal wahrscheinlich erfolgreicheren Wiederwahl als Ministerpräsident und einer geschlossenen CSU kann er darauf verweisen, dass sein letzter Gegenkandidat – wie von Söder prognostiziert – die Bundestagswahl an die Wand gefahren hat. Mancher in CDU und CSU wird sich bisweilen fragen, wo man heute stünde, wenn man sich damals für Söder entschieden hätte. Die CDU wird sich aber an auch Söders tatkräftige Beihilfe zum Scheitern erinnern.
Merz wiederum gäbe sein „Zugriffsrecht“ – ohnehin nur ein halbes – an ein Gremium ab, in dem ihn auch Parteifreunde herausfordern können. Geht man davon aus, dass Söders Reihen in der Delegiertenversammlung von Anfang an stehen, werden Merz oder ambitionierte Ministerpräsidenten also Platz 1 unter den CDU-Kandidaten im ersten Wahlgang erreichen müssen, um sich mit dem Franken zu messen. Für beide Wahlgänge gilt: Ausgang offen. Das Verfahren ist aber auch für unterlegene Bewerber in beiden Parteien und ihre jeweiligen Anhänger nicht demütigend; einer geschlossenen Wahlkampfführung der Schwesterparteien steht also weniger im Wege als nach der informellen, aber heillosen Kraftprobe beim letzten Mal.
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