Die Wiedergänger
Mit der Neuen Rechten und den Identitären kehrt der Typus des Rechtsintellektuellen zurück. Sie knüpfen an die Traditionslinien der Vordenker der Zwischenkriegszeit an und sind gleichzeitig sehr heutige Produkte der kritisierten Kulturindustrie. Dabei unterliegen die Identitären einem normativen Trugschluss.
Die Skandale um den Auftritt des Antaios Verlages auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse haben es unübersehbar bewiesen: Eines der auffälligsten Phänomene der aktuellen Rechtsverschiebung in Politik und politischer Kultur ist der Wiederauftritt einer Gestalt, die es in der alten Bundesrepublik so gut wie überhaupt nicht gab: der Gestalt des Rechtsintellektuellen, die in der Weimarer Republik erheblichen Einfluss genoss. Intellektuelle – wir erinnern uns – sind Personen, die sich ohne spezifische professionelle Fähigkeiten ganz aus dem Fundus ihrer künstlerischen oder wissenschaftlichen Fähigkeiten zu Fragen von Politik und Kultur äußern: ohne den Zwängen und Verantwortungsfallen zu unterliegen, mit denen Amtsträger rechnen müssen. Als bekannte Beispiele für linke Intellektuelle wären etwa Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Noam Chomsky, Theodor W. Adorno, Bertrand Russell oder auch Jürgen Habermas zu nennen.
In der Weimarer Republik und sogar noch in den ersten eins, zwei Jahren der NS-Zeit aber zogen in Deutschland rechte Intellektuelle, Autoren und Wissenschaftler wie Carl Schmitt, Ernst Jünger, Gottfried Martin, Martin Heidegger, aber auch Hans Zehrer sowie die Mitglieder des sogenannten „Tatkreises“ Aufmerksamkeit und Folgebereitschaft auf sich.
Prof. Dr. Micha Brumlik bei einem Vortrag in der Heinrich Böll Stiftung
Die Niederlage des NS Regimes führte zu einem Verschwinden dieses Typus: im Westen, in der BRD flüchteten sich einige unter die Flügel Springer-Presse – etwa Hans Zehrer oder Wolfgang Venohr, im Osten in der DDR wirkte der „Nationalbolschewist“ Ernst Niekisch. Hans-Joachim Schoeps in Erlangen oder der Berliner Publizist Wolfgang Venohr traten für Monarchie, Preußentum und ein dem Nationalsozialismus zum Trotz stolzes Nationalgefühl ein, der unermüdliche Ernst Jünger (1895–199) aber verkörperte wie kein anderer den Typus eines soldatischen, intellektuell wagemutigen, angeblich auch in der NS Zeit „anständig“ gebliebenen Mannes, der jedem Konformismus entgegen an seinem eigenständigen Lebensentwurf festhielt.
Neben diesen Überbleibseln aus der Weimarer Zeit und dem Nationalsozialismus fielen in der Bundesrepublik vor allem in den 1970er Jahren einige wenige Männer auf, die sich vormals der radikalen Linken zurechneten: Günter Maschke, der zunächst mit Che Guevara und der kubanischen Revolution sympathisierte und sich nach seiner Rückkehr enttäuscht rechtem, reaktionären Denken zuwandte und sich für die Werke von Carl Schmitt auch verlegerisch engagierte, Horst Mahler, der – aus dem Milieu der Burschenschaften kommend – zur RAF kam, um im Gefängnis über die Lektüre Hegels – den er missverstanden haben muss – zum rechtsradikalen Holocaustleugner zu werden, nicht zu vergessen auch der kürzlich in Dänemark verstorbene Henning Eichberg, der u.a. als ehemaliges Mitglied des nationaldemokratischen Hochschulbundes einer der Begründer des sog. „Ethnopluralismus“ der „Neuen Rechten“ wurde, um nach Anfeindungen in Deutschland nach Dänemark auszuwandern, wo er bis zu seinem Tode eine führende Gestalt in der linken Sozialistischen Volkspartei wurde.
All diese Personen spielten in der alten Bundesrepublik und auch noch zwanzig Jahre später eine allenfalls marginale Rolle.
Das ist heute anders: Personen wie Björn Höcke, Götz Kubitschek, Ellen Kositza, Rolf Peter Sieferle, Jürgen Elsässer sowie die Österreicher Martin Lichtmesz und – last but not least – Martin Sellner erregen Aufmerksamkeit und finden Gehör: parallel zum relativen Aufstieg von Pegida und der AfD. Dem entsprechen Publikationsorgane wie Elsässers „Compact“, der Zeitschrift „Sezession“ und „Sezession im Netz“ sowie die ebenfalls im Netz publizierte „Blaue Narzisse“, nicht zu vergessen, die sechsmal im Jahr erscheinende „edelkonservative“ Hochglanzzeitschrift „Cato“.
Freilich unterscheiden sich die neuen Rechtsintellektuellen in einem wesentlichen Punkt von den Rechtsintellektuellen der Weimarer Republik: während diese Vertreter eines aggressiven, nach Außen gerichteten, antidemokratischen Expansivnationalismus waren, sind die heutigen Rechtsintellektuellen vor allem Sprecher eines auf die Bewahrung dessen, was sie als „eigene Kultur“ verstehen, gerichteten Defensivnationalismus, der sich gerne auf ein basisdemokratisches, gegen die Institutionen gerichtetes Politikverständnis beruft: „Wir sind das Volk!“ Dieses defensive Moment wird nicht zuletzt im Wahrzeichen der sogenannten „identitären Bewegung“, dem griechischen Buchstaben „Lambda“ deutlich: er steht für die griechische Bezeichnung „Lakedaimonioi“ – Name jenes griechischen Volkes, dessen dreihundert Kämpfer sich im Jahre 480 vor der christlichen Zeitrechnung bis zum letzten Mann gegen den Ansturm der Perser an den Thermopylen wehrte.
Daran aber wird schon deutlich – und das markiert die Differenz der neuen Rechtsintellektuellen zu jenen der Weimarer Republik – dass sie ganz und gar ein Produkt der doch auch von ihnen angeblich bekämpften Kulturindustrie sind. Die 300 der Thermopylen, die den Identitären ihr Wahrzeichen gaben, wurden vor allem durch einen Hollywoodfilm, dem 2007 entstandenen Film „300“, der wiederum auf dem 1998 entstandenen Comic „300“ beruhte. Nachzutragen wäre noch, dass Hermann Göring nach der verlorenen Schlacht bei Stalingrad dieses Bild bemühte.
Freilich sind die neuen Rechtsintellektuellen noch in einem sehr viel weitergehenden Sinne Produkte bzw. Nutzer der Kulturindustrie in ihrer aktuellsten Gestalt: der digitalen Kommunikation, dem Appell an ein angeblich nonkonformistisches Jugendideal sowie dem, was der Soziologe Andreas Reckwitz in einem soeben erschienenen bahnbrechenden neuen Buch als „Gesellschaft der Singularitäten“, als Gesellschaft des Kulturkapitalismus analysiert hat. Ein auch nur kurzer Blick in die YouTube-Auftritte etwa von Martin Sellner oder von Ellen Kositza im „Kanal Schnellroda“ zeigt, wie sehr sich diese Personen geschickt medial zu inszenieren verstehen, wie sehr sie in Kleidung, Auftreten und Aussehen danach streben, der jeweils neuesten Jugendmode in T‑Shirts und Hoodies zu entsprechen, wie sehr sie bemüht sind, den hegemonialen linksliberalen Hintergrundkonsens als spießig, veraltet oder – so der AfD-Vorsitzende in Baden-Württemberg, Jörg Meuthen – als „versifft“ zu bezeichnen. Dem entspricht, dass VertreterInnen der nächstes Jahr auf fünfzig Jahre zurückschauenden 68’er in der Öffentlichkeit gerne als „Altachtundsechziger“ bezeichnet werden. „Alt“ wie „veraltet“.
Die medialen Produkte und Prinzipien dieser Neuen Rechten aber entsprechen exakt dem, was Reckwitz als „Singularitäten“ des spätmodernen Kulturkapitalismus bezeichnet hat. Mehr noch: sie sind als solche überhaupt nur im digitalisierten Kulturkapitalismus möglich, handelt es bei ihnen doch um politische Vintageprodukte: die vermeintlich einzigartige, angeblich in sich homogene Herkunftskultur – der Deutschen oder des christlichen Abendlandes – die in der politisch-medialen Vitrine, also im Internet und zumal in YouTube als selten und einmalig beworben werden.
Der normative Trugschluss hinter dem so digitalisierten identitären Projekt besteht darin, dass seine Vertreter die urliberale Unterscheidung zwischen politisch-moralischen Prinzipien und Entwürfen des guten Lebens ablehnen: liberale Rahmenordnungen garantieren, dass alle – sofern sie die Grundrechte anderer nicht einschränken – nach ihrer Fasson selig werden können: so deutsch, so christlich, so abendländisch wie sich die Familie Kubitschek in Schnellroda und im Netz exhibitionistisch präsentiert. Der politische Fehler des – so nur in der digitalen Welt möglichen – Defensivnationalismus der Identitären besteht darin, zu verkennen, dass Gesellschaften, Staaten keine Tugend- sondern Rechtsgemeinschaften sind. Das Recht aber, so schon der Philosoph der Aufklärung Immanuel Kant vor mehr als zweihundert Jahren, ist „der Inbegriff der Bedingungen unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“
Zum Thema gibt es auf LibMod auch ein Video-Interview mit Prof. Dr. Micha Brumlik.
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