Zum Jahreswechsel: Eine Zeit des Übergangs, aber wohin?
Ein Zwischenruf von Ralf Fücks.
Im Rückblick wird 2017 vermutlich als ein Jahr erscheinen, in dem die gewohnte politische Ordnung zu Ende ging, ohne dass die Umrisse des Neuen bereits sichtbar sind. Das Ereignis mit der größten disruptiven Wirkung, um ein Modewort zu gebrauchen, war und ist die Präsidentschaft von Donald Trump. Ihre Auswirkungen nach innen mögen durch die checks & balances der amerikanischen Politik und Gesellschaft in Grenzen gehalten werden; ihre internationalen Folgen sind unabsehbar. Der einstweilige Abschied der USA von ihrer Rolle als Garant der maßgeblich von ihnen geschaffenen „liberalen Weltordnung“ mit offenen Märkten, einem Geflecht multilateraler Institutionen und einem robusten System kooperativer Sicherheit hat nicht nur den Westen in eine Krise gestürzt. Sie hat die globale Tendenz zum Rückfall in nationale Machtpolitik verschärft, in der Außenpolitik und Außenhandel als Nullsummenspiel verstanden werden, in dem der eine verliert, was der andere gewinnt. Und sie hat ein geopolitisches Vakuum aufgerissen, das von anderen Mächten gefüllt wird, die im Rückzug Amerikas ihre Chance wittern. Trump ist der Türöffner für China, Russland und den Iran, ihre Einflusszonen zu erweitern und das Projekt einer „multipolaren Weltordnung“ voranzutreiben, die von regionalen Hegemonialmächten dominiert wird. „Ami go home“, der alte Schlachtruf der antiimperialistischen Linken und nationalen Rechten, führt nicht zu einer friedlicheren und gerechteren Welt, sondern in eine konfliktträchtige Konstellation, in der das Recht des Stärkeren über das Völkerrecht triumphiert.
Angesichts des Aufstiegs selbstbewusst auftrumpfender autoritärer Mächte wird es umso wichtiger, an einer „Allianz der Demokratien“ zu arbeiten, die über den alten Westen hinaus auch die Demokratien Asiens, Lateinamerikas und Afrikas einschließt. Wer sonst außer der EU kann angesichts der Abkehr der Regierung Trump von einer normativen Außenpolitik die treibende Rolle bei der Verteidigung von Völkerrecht und demokratischen Werten übernehmen? Aber dafür muss sie ihre innere Lähmung überwinden und sich aufraffen, als Machtfaktor in der internationalen Politik aufzutreten, ohne das transatlantische Bündnis abzuschreiben. Der Ausfall Großbritanniens als Stützpfeiler einer global ausgerichteten europäischen Politik ist ein schwerer Rückschlag auf diesem Weg. Der Sieg Macrons über Marine Le Pen hat die EU einstweilen vor dem Zerfall gerettet – ob daraus tatsächlich ein neuer europäischer Frühling entsteht, hängt maßgeblich von der deutschen Politik ab.
Damit sind wir bei der zweiten großen Veränderung des bisherigen politischen Koordinatensystems: Deutschland ist von einem Stabilitätsanker Europas zu einem unsicheren Kantonisten geworden. Der wirtschaftlich und politisch bedeutendste Staat im Zentrum Europas dümpelt führungslos vor sich hin. Seit einem halben Jahr verwaltet die amtierende Große Koalition (ja doch, Union und SPD regieren nach wie vor gemeinsam) nur noch. Schon in den vier Jahren zuvor gab es kaum eine nennenswerte innen- oder außenpolitische Initiative – sieht man vom flüchtlingspolitischen Zick-Zack-Kurs Merkels ab, der eben nicht europäisch eingebunden war, sondern die zentrifugalen Tendenzen in der EU verschärft hat. Mit dem Einzug der AfD als drittstärkste Fraktion in den Bundestag ist die Bundesrepublik in der europäischen Normalität angekommen, und das heißt: Erosion der traditionellen Volksparteien, insbesondere der Sozialdemokratie, und Stärkung der politischen Ränder links und rechts.
Das Scheitern der Jamaika-Sondierungen war eine verpasste Chance, aus dem Rechts-Links-Schema auszubrechen und eine lagerübergreifende Modernisierungs-Allianz zu bilden.
Der Preis für dieses Versagen ist hoch. Rutscht die SPD doch noch ein eine erneute Große Koalition des Missvergnügens, eine Regierung ohne Ideen und Gestaltungskraft, droht eine Periode verlängerter Stagnation. Das gilt erst recht für eine Minderheitsregierung der Union. Angela Merkel mag gegenwärtig noch alternativlos erscheinen, aber sie wird den Hautgout einer Kanzlerin auf Abruf nicht mehr los. Der Marasmus des Zentrums wird die „Antisystemparteien“ von links und rechts stärken.
Oskar Lafontaine, der immer noch auf Rache an der SPD sinnt, wittert darin die Chance auf eine links-nostalgische Sammlungsbewegung nach dem Vorbild des französischen Linksnationalisten Melenchon und des britischen Retro-Sozialisten Corbyn: Populismus von links als Antwort auf den Populismus von rechts, mit Überschneidungen in der nationalen Frage, einem paternalistischen Staatsverständnis, einer protektionistischen Wirtschaftspolitik, der Gegnerschaft zur NATO und der Sympathie für Putin. Das sind keine guten Aussichten für ein starkes, solidarisches Deutschland als Partner Macrons bei der Erneuerung der EU, zumal der deutsch-französische Motor längst nicht mehr ausreicht, um das europäische Schiff wieder in Fahrt zu bringen.
In einer Phase des Übergangs befinden sich auch die Grünen. Trotz guter Umfragewerte droht ihnen ein Schattendasein als kleinste Oppositionspartei im Bundestag. Das ist keine bloße Frage der Größe, sondern eine Frage der Ideen, politischen Projekte und persönlichen Ausstrahlung. Ein Vorstandsduo aus Annalena Baerbock und Robert Habeck und eine exponierte Rolle für Cem Özdemir mag die Hoffnung bieten, die Grünen wieder zu einer Zukunftswerkstatt zu machen, die den Willen zur Veränderung mit dem Sinn für das Machbare verbindet. Was die Kombination aus fachlicher Kompetenz, Gestaltungswillen, persönlicher Autorität und Dialogfähigkeit bewirken kann, ist in Baden-Württemberg zu besichtigen. Aber ausgemacht ist es nicht, ob die Grünen sich noch einmal neu erfinden können, statt lediglich ihre alten Programme und Strukturen zu verwalten.
Auch persönlich war 2017 ein Jahr des Übergangs: Nach 21 Jahren hieß es Abschied von der Böll-Stiftung zu nehmen, die so lange Zeit das Zentrum meiner politischen und beruflichen Passion war. Die Stiftung hat mir das Tor zur Welt geöffnet. Sie war ein Ort nie versiegender intellektueller Inspiration, anregender Begegnungen und immer neuer professioneller Herausforderungen. Es war mir eine Freude, mit wunderbaren Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten. Wenn ich etwas vermisse, dann vor allem sie. Dennoch gibt es keine Nostalgie. Für mich war der Abschied von der hbs ein Aufbruch zu neuen Ufern: zusammen mit Marieluise Beck, einem bunten Kreis erfahrener Gesellschafter und einem kleinen Team hoch motivierter Leute haben wir uns in ein neues Projekt gestürzt: Das „Zentrum Liberale Moderne“. LibMod soll ein Sammelpunkt für liberale Freigeister werden, eine Ideenwerkstatt, eine Debattenplattform und ein internationales Netzwerk von Menschen, die für die offene Gesellschaft eintreten. Wir nennen uns „Zentrum Liberale Moderne“, weil wir der Überzeugung sind, dass der Kampf um die liberale Demokratie und die freiheitliche Moderne die zentrale Konfliktachse unserer Zeit bildet – innerhalb der Gesellschaften des Westens wie international. Insofern war 2017 für uns ein Jahr des Aufbruchs.
In diesem Sinne: Auf ein Neues!