Gründet Le Pen eine rechte Sammlungsbewegung?
Marine Le Pen ist angeschlagen. Im Duell mit Macron erwies sie sich als Dilettantin. Jetzt wagt die Extremistin den Befreiungsschlag. Die Umbenennung ihres „Front National“ in „Rassemblement National“ deutet an, dass sie die Unterstützung von Bündnispartnern sucht, um beim nächsten Mal die Wahl zu gewinnen.
Es ist paradox: der Front National fuhr bei der Wahl 2017 im ersten Wahlgang zwar 7,6 Millionen Wählerstimmen ein – so viele wie noch nie – empfand diesen Erfolg jedoch als schmerzhafte Niederlage. Entsprechend stand für Marine Le Pen beim Parteitag Mitte März einiges auf dem Spiel. Trotz Wiederwahl an der Parteispitze und zweier gelungener PR-Coups blieb der erhoffte Neuanfang jedoch aus.
Was das Wort „rassemblement“ – vielleicht am besten als „Sammlungsbewegung“ verstanden – in der Tat subliminal ausdrückt, ist die Offenheit zur Zusammenarbeit mit Koalitionspartnern. Allein wird man es im Mehrheitswahlrecht der französischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen nicht schaffen.
Dass es den Front National nach seinem spektakulären Höhenflug der vergangenen Jahre überhaupt nach einem Neuanfang dürstet, ist der Dramaturgie des französischen Wahlkampfs geschuldet. Das Versagen der Parteichefin im Finale, kurz vor dem großen Triumph, hat bei vielen Parteigenossen Spuren hinterlassen, die heute noch nachwirken (wie auch mehrere aktuelle Umfragen deutlich bestätigen, siehe hier oder hier). Dass nun ausgerechnet Marine Le Pen den Neuanfang verkörpern will, obwohl sie sich im TV-Duell als ökonomisch inkompetent, intellektuell überfordert und für das Präsidentenamt charakterlich ungeeignet erwies, kann ein Gutteil der Basis nicht nachvollziehen.
Was bezweckt Le Pen?
Zwei der Höhepunkte des Parteitags von Lille am 10. und 11. März sind auch international ausgiebig kommentiert worden. Zum einen der Überraschungs-Auftritt von Steve Bannon, der sich und seinesgleichen mit markigen Worten als Vorläufer einer weltweiten Bewegung präsentierte, der aber wohl mehr als Showeinlage denn als programmatischer Vordenker eingeladen wurde. Mit Trump kann man selbst bei den Wutbürgern Frankreichs nicht nachhaltig punkten.
Zum anderen der Vorschlag zur Namensänderung: geht es nach dem Willen der Chefin, werden die Mitglieder in den kommenden Wochen dem neuen Namen „Rassemblement National“ zustimmen. Doch wie häufig, wenn eine Neuheit monatelang in den Nebel des Geheimnisses gehüllt wird, entpuppt sie sich schließlich als trivial. Nicht nur, weil in sozialen Netzwerken noch am selben Tag faschistoide Splittergruppen ausgegraben wurden, denen dieser Name bereits in der Vergangenheit gedient hat, sondern auch, weil unklar bleibt, auf welche Weise diese wenig einfallsreiche Umtaufe zum Abbau von Vorbehalten potentieller Wähler beitragen soll.
Die bürgerliche Rechte als Steigbügelhalter
Was das Wort „rassemblement“ – im parteipolitischen Zusammenhang vielleicht am besten als „Zusammenkunft“ oder „Sammlungsbewegung“ verstanden – allerdings in der Tat subliminal ausdrückt, ist eine gewisse Offenheit zur Zusammenarbeit mit eventuellen Koalitionspartnern. Allein wird man es im Mehrheitswahlrecht der französischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen nicht schaffen, Regierungsverantwortung zu erlangen.
Dem Anspruch, mit Steigbügelhaltern der bürgerlichen Rechten koalitions- und regierungsfähig zu werden, wohnt der Hauch eines „Déjà-vu“ inne. Der mit der Geschichte des FN vertraute Beobachter erinnert sich an 1998, als das Proportionalwahlrecht bei den Regionalwahlen den Front National zum Zünglein an der Waage machte. Gleich fünf konservative Kandidaten ließen sich allen vorherigen Beteuerungen zum Trotz von den gewogenen Stimmen der FN-Vertreter zum Präsidenten ihres jeweiligen Conseil Régional krönen. Das Einknicken der Parteien RPR und UDF, die in den Républicains aufgingen, wurde bis heute im bürgerlich-konservativen Lager nicht aufgearbeitet. Deren neuer Anführer, Laurent Wauquiez, versucht derzeit dem Front National Wähler abzuwerben, indem er dessen Themen und Wortschatz kopiert.
Ein zweites „Déjà-vu“ ist die drohende Spaltung. Dazu kam es zum ersten Mal in der Folge der Regionalwahlen 1998, als die Nummer Zwei der Partei, Bruno Mégret, sich mit Jean-Marie Le Pen insbesondere wegen dessen Regierungsverweigerung und gezielt provokativen Entgleisungen überwarf und das sogenannte Mouvement National Républicain (MNR) ins Leben rief. Bei der Präsidentschaftswahl 2002 entfielen immerhin 2,34% der Stimmen auf Mégret, dessen Frau kurzzeitig ein Bürgermeisteramt in der Provence eroberte, dem es aber nie gelang, den MNR als echte Alternative zum FN zu etablieren.
Le Pens Gegner: Gründet Philippot ein zweites UKIP?
Heute geht es Marine Le Pen ähnlich: zwar schaffte sie es, die Kongressteilnehmer mit erprobter Wut-Rhetorik hinter sich zu bringen, aber bereits im Vorfeld musste sie den Aderlass relativ bekannter Parteigrößen hinnehmen. Darunter insbesondere ihr ehemaliger Vertrauter Florian Philippot, dem der Erfolg der in Frankreich so bezeichneten „Entteufelung“ („dédiabolisation“) des Front National zu verdanken ist und der mittlerweile seine eigene Bewegung „Les Patriotes“ gegründet hat.
Philippot, Mitglied des Europaparlaments seit 2014, verfügt natürlich nicht über die Mittel, in kurzer Zeit eine schlagkräftige Konkurrenzpartei aufzubauen. Aber Le Pen täte gut daran, ihn ernst zu nehmen: Philippot ist Absolvent der ENA („Ecole Nationale de l’Administration“), jener Eliteuniversität, in der auch Emmanuel Macron und Laurent Wauquiez ausgebildet wurden. Er steht für eine protektionistische Wirtschaftspolitik, fordert kompromisslos den Austritt aus der Europäischen Union und wird, anders als Le Pen, diese Haltung mit ökonomischem Sachverstand auch rechtfertigen können. Während Le Pen jetzt plötzlich doch nicht mehr zum Franc zurückkehren will, weil (zu ihrer Überraschung) große Teile der Bevölkerung bis ins eigene Lager hinein die Gemeinschaftswährung befürworten, bleibt Philippot seiner Überzeugung treu. Bei einem politischen Langstreckenrennen könnte sich diese Kohärenz auszahlen. Spricht man ihn auf die Splittergröße seiner Partei an, verweist Philippot auf die britische UKIP: Auch die habe „ganz klein angefangen“.
Mobilisierungspotential ist hoch
Ob Le Pen oder Philippot, es wäre töricht, aus der Führungsschwäche des Nationalpopulismus französischer Prägung ein vermindertes Mobilisierungs-Potential abzuleiten. Drei Trumpfkarten haben die Nationalpopulisten im Ärmel:
Erstens kommt die Auflösung der klassischen Links-Rechts-Kategorien als Orientierungspunkte des politischen Spektrums, von Emmanuel Macron mit dem Bulldozer in Richtung Müllhaufen der Geschichte geschoben, auch den Nationalisten zugute: Plötzlich wirkt es glaubhaft, das Etikett „extrême-droite“ als nichtssagend zurückzuweisen und sich jenseits alter Parteigrenzen als Verteidiger von Blut, Boden und Identität zu positionieren, wider das globalisierungshörige, vaterlandslose „Nomadentum“ (O‑Ton Le Pen), wie es Macron angeblich verkörpert.
Macrons Optimismus könnte Ressentiments weiter anstacheln
Zweitens hat die Bewegung eine durchaus beeindruckende Führungspersönlichkeit in Reserve: Marion Maréchal-Le Pen, die Nichte Marines, hat sich zwar im Moment aus dem Politikbetrieb zurückgezogen, wird aber von vielen Parteimitgliedern als Zukunftshoffnung betrachtet. Die Zeit der 29-Jährigen wird noch kommen, und sie hat das Zeug zur charismatischen Chefin, mit der Gabe, ihre Partei über den angestammten Anhang hinaus wählbar zu machen.
Drittens wird das kulturpessimistische Grundrauschen, aus dem sich der französische Nationalismus nährt, bestehen bleiben. Macrons erstaunliche Optimismus-Ausstrahlung vermag vielleicht Globalisierungsängste zu mildern, wird aber die Themen Migration, Islam und Sicherheit nicht von der Tagesordnung streichen. Auch könnten Macrons Regierungsjahre Ressentiments gegen Eliten und Intellektuelle noch verstärken. Das soziale Gefälle zwischen dynamischen Metropolen und abgehängter Peripherie wird auch er nicht vollständig einebnen können.
Der französische Nationalpopulismus hat einen Durchhänger, aber wie der Kulturhistoriker Jean-François Sirinelli vor 20 Jahren zusammenfasste, folgte auch im 20. Jahrhundert auf jede Schwächephase sein erneutes Erstarken; immer dann, „wenn die Gärstoffe der Destabilisierung am Werk waren: eine längere Stagnation der Wirtschaft, daraus resultierende soziale Spannungen, ein zunehmend bohrender Zweifel an der liberalen Demokratie.“ Der Erfolg der Präsidentschaft von Emmanuel Macron wird daran zu messen sein, ob es ihm gelingt, die „pathogene Situation“ (Sirinelli), in der ein nicht unwesentlicher Teil der französischen Gesellschaft für Identitäts-Ängste anfällig wird, nachhaltig zu entschärfen.
Seit dem 1. Juni ist die Umbenennung des Front National in Rassemblement National offiziell. Parteichefin Le Pen sprach von einem „historischen Moment im Leben unserer Bewegung“. Der neue Name stehe für eine strategische, methodische und politische Neuausrichtung ihrer Partei.
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