Warum Protek­tio­nismus mehrheits­fähig ist

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Stahl, Aluminium, Autos: Nicht nur die USA greifen verstärkt auf Zölle zurück, um die heimische Wirtschaft zu schützen. Tatsächlich aber schaden protek­tio­nis­tische Maßnahmen der Volks­wirt­schaft des Landes, das sie anwendet. Polit­öko­no­mische Überle­gungen zu einem paradox erschei­nenden Phänomen.

Warum schwächt Protek­tio­nismus Wachstum und Beschäf­tigung im eigenen Land?

Import­zölle und andere protek­tio­nis­tische Maßnahmen schwächen die Wirtschaft des Landes, das diese handels­po­li­ti­schen Instru­mente einsetzt, auf vielfältige Weise: Sie erhöhen die Preise für Konsum­güter und reduzieren so die Kaufkraft der heimi­schen Verbraucher. Sie verteuern die Vorleis­tungen für Unter­nehmen und verringern dadurch deren inter­na­tionale Wettbe­werbs­fä­higkeit. Damit gehen die Exporte des Landes, das den Zoll erhebt, zurück. Wenn sowohl die Konsum­nach­frage als auch die Exporte geringer werden, lässt die Inves­ti­ti­ons­nach­frage der Unter­nehmen nach. Alle diese Entwick­lungen verringern nachfra­ge­seitig die Produktion, die Beschäf­tigung und die Einkommen in dem Land, das den Importzoll erhebt. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung und Lehrbe­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Darüber hinaus beansprucht der inter­na­tional nicht mehr wettbe­werbs­fähige und geschützte Sektor zu viele Ressourcen, die anderen Sektoren fehlen. Protek­tio­nismus fördert also eine Fehlal­lo­kation knapper Ressourcen. Damit wird das Wirtschafts­wachstum auch angebots­seitig gedämpft. Vergel­tungs­maß­nahmen der vom Protek­tio­nismus betrof­fenen Handels­partner schwächen das wirtschaft­liche Wachstum zusätzlich.

Bisherige Erfah­rungen mit protek­tio­nis­ti­schen Maßnahmen

Es gibt eine Vielzahl von Beispielen aus der Geschichte, in denen Länder zum Schutz einzelner Branchen handels­be­schrän­kende Maßnahmen ergriffen haben und damit der eigenen Volks­wirt­schaft per Saldo geschadet haben. Gerade die USA haben derartige Maßnahmen besonders häufig angewendet – mit negativen Konse­quenzen für die eigene Wirtschaft. Ein paar Beispiele:

  • Ein frühes Beispiel ist das generelle Handels­em­bargo, das unter Präsident Thomas Jefferson beschlossen wurde und von Dezember 1807 bis März 1809 galt. Es führte zu einem nahezu vollstän­digen Zusam­men­bruch des US-Außen­handels. Nach Schät­zungen von Douglas Irwin führte dieser Schritt zu einem fünfpro­zen­tigen Rückgang des ameri­ka­ni­schen Bruttonationaleinkommens.
  • Eine ebenfalls sehr weitge­hende Beschränkung des ameri­ka­ni­schen Außen­handels erfolgte durch den „Smoot-Hawley Tariff Act“. Das 1930 erlassene Bundes­gesetz hob die Import­zölle für mehr als 20.000 Produkte erheblich an. Diese Handels­be­schrän­kungen verschärften den wirtschaft­lichen Abschwung der Weltwirt­schafts­krise. Das reale US-Brutto­na­tio­nal­ein­kommen ging zwischen 1929 und 1933 um rund 30 Prozent zurück. Mario Crucini und James Kahn gehen davon aus, dass bis zu einem Drittel dieses Rückgangs auf den „Smoot-Hawley Tariff Act“ zurück­zu­führen ist.
  • Ein Beispiel aus der jüngeren Vergan­genheit sind die Schutz­zölle für Stahl, die unter Präsident Bush 2002 einge­führt wurden. Der damit verbundene Anstieg des Stahl­preises führte nach Schät­zungen von Joseph Francois und Laura Baughma im Laufe des Jahres 2002 in den USA insgesamt zu einem Verlust von rund 200.000 Arbeits­plätzen. Das sind mehr Arbeits­plätze als die ameri­ka­nische Stahl­in­dustrie im Jahr 2002 hatte: Im Dezember 2002 waren es 187.500 Arbeitsplätze.

Protek­tio­nismus und die politische Ökonomie von Anthony Downs

Selbst wenn ein protek­tio­nis­ti­sches Instrument einer geschützten Branche kurzfristig helfen kann, richtet es gesamt­ge­sell­schaftlich Schäden an, die größer sind als die Einkom­mens­zu­wächse in dem geschützten Sektor. Warum kommt es zu politi­schen Entschei­dungen, deren Vorteile für eine kleine Gruppe geringer sind als die Verluste, die der gesamten Gesell­schaft entstehen? Eine Antwort auf diese Frage findet sich bei Anthony Downs und seinen Überle­gungen zur „Ökono­mi­schen Theorie der Demokratie“.

Zentrale Annahme seiner Überle­gungen ist die Überzeugung, dass sich sowohl Politiker als auch Wähler als Maximierer ihres Nutzens verhalten. Politiker streben Einkommen, Macht und Prestige an. Um diese Ziele zu erreichen, müssen sie in das Parlament gewählt werden und am besten auch die Regierung übernehmen. Politiker agieren daher als Stimmen­ma­xi­mierer. Auch die Wähler wollen durch ihr politi­sches Handeln den eigenen Nutzen maximieren.

Vor dem Hinter­grund dieser Überzeugung lässt sich die Einfluss­nahme der Bürger auf die politische Entscheidung über den Schutz einer bestimmten Branche vor auslän­di­scher Konkurrenz wie folgt erklären: Selbst wenn die Politiker wissen, dass dieser Schutz der gesamten Volks­wirt­schaft schadet, bedeutet dies keines­falls die automa­tische Ablehnung dieser Maßnahme. Falls die Politiker erwarten, dass ihnen die Einführung eines Import­zolls auf Stahl per Saldo einen Stimmen­zu­wachs einbringt, entscheiden sie sich für diesen Zoll. Zu dieser Einschätzung kann es leicht kommen, weil es für die Gewinner und Verlierer eines solchen Zolls unter­schiedlich starke Anreize zur Beein­flussung der Politiker gibt.

Gewinner und Verlierer eines Zolls

Von einem Zoll profi­tieren die Unter­neh­mens­ei­gen­tümer und Beschäf­tigten der geschützten Stahl­branche. Diese Menschen haben viel zu verlieren. Es geht um Arbeits­plätze, die damit verbun­denen Einkommen und den Verlust des einge­setzten Kapitals. Für sie lohnt sich daher der Einsatz von Zeit und Geld, um Politiker zur Einführung eines Import­zolls zu bewegen. Zudem handelt es sich bei den Profi­teuren dieses Zolls um eine kleine, überschaubare Gruppe, in der ein Tritt­brett­fah­rer­ver­halten schnell erkannt und sozial sanktio­niert wird. Dies lässt erwarten, dass sich mehr oder weniger alle betrof­fenen Personen an der politi­schen Überzeu­gungs­arbeit beteiligen.

Getragen wird die wirtschaft­liche Last des Import­zolls von den inlän­di­schen Verbrau­chern. Sie müssen einen höheren Preis für alle Stahl­pro­dukte zahlen. Da die Konsu­menten ihr Geld jedoch für zahlreiche Produkte ausgeben, fällt der durch den Zoll verur­sachte Kaufkraft­verlust relativ gering aus. Weil die Verbraucher nur wenig zu verlieren haben, lohnt sich der Einsatz von Zeit und Geld nicht, um Politiker zu beein­flussen. Zudem stellen die Verbraucher eine große Gruppe dar, in der Tritt­brett­fah­rer­ver­halten nicht erkannt wird.

Angesichts dieser Motivlage überrascht es nicht, dass politische Entscheider eher auf die Minderheit hören und für protek­tio­nis­tische Maßnah­men­stimmen stimmen, obwohl dies der gesamten Gesell­schaft per Saldo schadet.

Was tun?

Für ein demokra­tisch organi­siertes Wirtschafts- und Gesell­schafts­system ergeben sich meiner Ansicht nach zwei entschei­dende Stell­schrauben, um politische Entschei­dungen dahin­gehend zu beein­flussen, dass gesamt­wirt­schaftlich schäd­liche protek­tio­nis­tische Maßnahmen unterbleiben.

Zum einen sollte mehr Trans­parenz über die gesamt­wirt­schaft­lichen Schäden, die Zölle und andere protek­tio­nis­tische Maßnahmen anrichten, geschaffen werden. Eine höhere Sensi­bi­li­sierung der Gesell­schaft für die Nachteile wirtschaft­licher Abschot­tungs­ten­denzen erhöht die Wahrschein­lichkeit, dass politische Entscheider nicht auf die Parti­ku­lar­in­ter­essen einzelner Wirtschafts­sek­toren hören.

Zum anderen gilt es, die in nicht mehr wettbe­werbs­fä­higen Branchen tätigen Personen besser an den Einkom­mens­zu­wächsen einer offenen Volks­wirt­schaft zu betei­ligen. Wie bereits in einem früheren Beitrag skizziert, sind hier viele Politik­be­reiche gefordert. Drei Bereiche spielen hier eine besondere Rolle:

  1. Das Steuer-Transfer-System ist das klassische Instrument zur breiteren Verteilung von Globa­li­sie­rungs­di­vi­denden. Hier spielen vor allem die sozialen Siche­rungs­systeme eine wichtige Rolle, denn sie federn die negativen Einkom­mens­ef­fekte ab. Dies erleichtert struk­tu­relle Anpas­sungen, die sich aus der Globa­li­sierung und dem techno­lo­gi­schen Fortschritt ergeben.
  2. Bildungs- und Quali­fi­zie­rungs­an­gebote machen es den Menschen leichter, in die Branchen zu wechseln, die stärker von der Globa­li­sierung profi­tieren. Wenn Menschen in expor­tie­renden Unter­nehmen arbeiten, profi­tieren sie doppelt von der Globa­li­sierung. Zum einen haben sie einen relativ sicheren Arbeits­platz. Zum anderen zahlen expor­tie­rende Unter­nehmen in der Regel höhere Löhne als Unter­nehmen, die ihre Produkte nur im Inland verkaufen.
  3. Flankierend bietet sich der Einsatz von Mobili­täts­hilfen an (Umzugs­kosten, Fahrkosten sowie bezahl­barer Wohnraum). Selbst wenn es in einer Region offene Stellen gibt, ist noch nicht garan­tiert, dass diese auch von Personen besetzt werden, die einen Arbeits­platz suchen. Falls diese Stellen in Regionen sind, in denen es keinen bezahl­baren Wohnraum gibt und die auch nicht durch den öffent­lichen Perso­nen­nah­verkehr erreichbar sind, kann dies Arbeits­su­chende davon abhalten, die freien Stellen zu besetzen.

Textende

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