Warum Protektionismus mehrheitsfähig ist
Stahl, Aluminium, Autos: Nicht nur die USA greifen verstärkt auf Zölle zurück, um die heimische Wirtschaft zu schützen. Tatsächlich aber schaden protektionistische Maßnahmen der Volkswirtschaft des Landes, das sie anwendet. Politökonomische Überlegungen zu einem paradox erscheinenden Phänomen.
Warum schwächt Protektionismus Wachstum und Beschäftigung im eigenen Land?
Importzölle und andere protektionistische Maßnahmen schwächen die Wirtschaft des Landes, das diese handelspolitischen Instrumente einsetzt, auf vielfältige Weise: Sie erhöhen die Preise für Konsumgüter und reduzieren so die Kaufkraft der heimischen Verbraucher. Sie verteuern die Vorleistungen für Unternehmen und verringern dadurch deren internationale Wettbewerbsfähigkeit. Damit gehen die Exporte des Landes, das den Zoll erhebt, zurück. Wenn sowohl die Konsumnachfrage als auch die Exporte geringer werden, lässt die Investitionsnachfrage der Unternehmen nach. Alle diese Entwicklungen verringern nachfrageseitig die Produktion, die Beschäftigung und die Einkommen in dem Land, das den Importzoll erhebt.
Darüber hinaus beansprucht der international nicht mehr wettbewerbsfähige und geschützte Sektor zu viele Ressourcen, die anderen Sektoren fehlen. Protektionismus fördert also eine Fehlallokation knapper Ressourcen. Damit wird das Wirtschaftswachstum auch angebotsseitig gedämpft. Vergeltungsmaßnahmen der vom Protektionismus betroffenen Handelspartner schwächen das wirtschaftliche Wachstum zusätzlich.
Bisherige Erfahrungen mit protektionistischen Maßnahmen
Es gibt eine Vielzahl von Beispielen aus der Geschichte, in denen Länder zum Schutz einzelner Branchen handelsbeschränkende Maßnahmen ergriffen haben und damit der eigenen Volkswirtschaft per Saldo geschadet haben. Gerade die USA haben derartige Maßnahmen besonders häufig angewendet – mit negativen Konsequenzen für die eigene Wirtschaft. Ein paar Beispiele:
- Ein frühes Beispiel ist das generelle Handelsembargo, das unter Präsident Thomas Jefferson beschlossen wurde und von Dezember 1807 bis März 1809 galt. Es führte zu einem nahezu vollständigen Zusammenbruch des US-Außenhandels. Nach Schätzungen von Douglas Irwin führte dieser Schritt zu einem fünfprozentigen Rückgang des amerikanischen Bruttonationaleinkommens.
- Eine ebenfalls sehr weitgehende Beschränkung des amerikanischen Außenhandels erfolgte durch den „Smoot-Hawley Tariff Act“. Das 1930 erlassene Bundesgesetz hob die Importzölle für mehr als 20.000 Produkte erheblich an. Diese Handelsbeschränkungen verschärften den wirtschaftlichen Abschwung der Weltwirtschaftskrise. Das reale US-Bruttonationaleinkommen ging zwischen 1929 und 1933 um rund 30 Prozent zurück. Mario Crucini und James Kahn gehen davon aus, dass bis zu einem Drittel dieses Rückgangs auf den „Smoot-Hawley Tariff Act“ zurückzuführen ist.
- Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit sind die Schutzzölle für Stahl, die unter Präsident Bush 2002 eingeführt wurden. Der damit verbundene Anstieg des Stahlpreises führte nach Schätzungen von Joseph Francois und Laura Baughma im Laufe des Jahres 2002 in den USA insgesamt zu einem Verlust von rund 200.000 Arbeitsplätzen. Das sind mehr Arbeitsplätze als die amerikanische Stahlindustrie im Jahr 2002 hatte: Im Dezember 2002 waren es 187.500 Arbeitsplätze.
Protektionismus und die politische Ökonomie von Anthony Downs
Selbst wenn ein protektionistisches Instrument einer geschützten Branche kurzfristig helfen kann, richtet es gesamtgesellschaftlich Schäden an, die größer sind als die Einkommenszuwächse in dem geschützten Sektor. Warum kommt es zu politischen Entscheidungen, deren Vorteile für eine kleine Gruppe geringer sind als die Verluste, die der gesamten Gesellschaft entstehen? Eine Antwort auf diese Frage findet sich bei Anthony Downs und seinen Überlegungen zur „Ökonomischen Theorie der Demokratie“.
Zentrale Annahme seiner Überlegungen ist die Überzeugung, dass sich sowohl Politiker als auch Wähler als Maximierer ihres Nutzens verhalten. Politiker streben Einkommen, Macht und Prestige an. Um diese Ziele zu erreichen, müssen sie in das Parlament gewählt werden und am besten auch die Regierung übernehmen. Politiker agieren daher als Stimmenmaximierer. Auch die Wähler wollen durch ihr politisches Handeln den eigenen Nutzen maximieren.
Vor dem Hintergrund dieser Überzeugung lässt sich die Einflussnahme der Bürger auf die politische Entscheidung über den Schutz einer bestimmten Branche vor ausländischer Konkurrenz wie folgt erklären: Selbst wenn die Politiker wissen, dass dieser Schutz der gesamten Volkswirtschaft schadet, bedeutet dies keinesfalls die automatische Ablehnung dieser Maßnahme. Falls die Politiker erwarten, dass ihnen die Einführung eines Importzolls auf Stahl per Saldo einen Stimmenzuwachs einbringt, entscheiden sie sich für diesen Zoll. Zu dieser Einschätzung kann es leicht kommen, weil es für die Gewinner und Verlierer eines solchen Zolls unterschiedlich starke Anreize zur Beeinflussung der Politiker gibt.
Gewinner und Verlierer eines Zolls
Von einem Zoll profitieren die Unternehmenseigentümer und Beschäftigten der geschützten Stahlbranche. Diese Menschen haben viel zu verlieren. Es geht um Arbeitsplätze, die damit verbundenen Einkommen und den Verlust des eingesetzten Kapitals. Für sie lohnt sich daher der Einsatz von Zeit und Geld, um Politiker zur Einführung eines Importzolls zu bewegen. Zudem handelt es sich bei den Profiteuren dieses Zolls um eine kleine, überschaubare Gruppe, in der ein Trittbrettfahrerverhalten schnell erkannt und sozial sanktioniert wird. Dies lässt erwarten, dass sich mehr oder weniger alle betroffenen Personen an der politischen Überzeugungsarbeit beteiligen.
Getragen wird die wirtschaftliche Last des Importzolls von den inländischen Verbrauchern. Sie müssen einen höheren Preis für alle Stahlprodukte zahlen. Da die Konsumenten ihr Geld jedoch für zahlreiche Produkte ausgeben, fällt der durch den Zoll verursachte Kaufkraftverlust relativ gering aus. Weil die Verbraucher nur wenig zu verlieren haben, lohnt sich der Einsatz von Zeit und Geld nicht, um Politiker zu beeinflussen. Zudem stellen die Verbraucher eine große Gruppe dar, in der Trittbrettfahrerverhalten nicht erkannt wird.
Angesichts dieser Motivlage überrascht es nicht, dass politische Entscheider eher auf die Minderheit hören und für protektionistische Maßnahmenstimmen stimmen, obwohl dies der gesamten Gesellschaft per Saldo schadet.
Was tun?
Für ein demokratisch organisiertes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ergeben sich meiner Ansicht nach zwei entscheidende Stellschrauben, um politische Entscheidungen dahingehend zu beeinflussen, dass gesamtwirtschaftlich schädliche protektionistische Maßnahmen unterbleiben.
Zum einen sollte mehr Transparenz über die gesamtwirtschaftlichen Schäden, die Zölle und andere protektionistische Maßnahmen anrichten, geschaffen werden. Eine höhere Sensibilisierung der Gesellschaft für die Nachteile wirtschaftlicher Abschottungstendenzen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass politische Entscheider nicht auf die Partikularinteressen einzelner Wirtschaftssektoren hören.
Zum anderen gilt es, die in nicht mehr wettbewerbsfähigen Branchen tätigen Personen besser an den Einkommenszuwächsen einer offenen Volkswirtschaft zu beteiligen. Wie bereits in einem früheren Beitrag skizziert, sind hier viele Politikbereiche gefordert. Drei Bereiche spielen hier eine besondere Rolle:
- Das Steuer-Transfer-System ist das klassische Instrument zur breiteren Verteilung von Globalisierungsdividenden. Hier spielen vor allem die sozialen Sicherungssysteme eine wichtige Rolle, denn sie federn die negativen Einkommenseffekte ab. Dies erleichtert strukturelle Anpassungen, die sich aus der Globalisierung und dem technologischen Fortschritt ergeben.
- Bildungs- und Qualifizierungsangebote machen es den Menschen leichter, in die Branchen zu wechseln, die stärker von der Globalisierung profitieren. Wenn Menschen in exportierenden Unternehmen arbeiten, profitieren sie doppelt von der Globalisierung. Zum einen haben sie einen relativ sicheren Arbeitsplatz. Zum anderen zahlen exportierende Unternehmen in der Regel höhere Löhne als Unternehmen, die ihre Produkte nur im Inland verkaufen.
- Flankierend bietet sich der Einsatz von Mobilitätshilfen an (Umzugskosten, Fahrkosten sowie bezahlbarer Wohnraum). Selbst wenn es in einer Region offene Stellen gibt, ist noch nicht garantiert, dass diese auch von Personen besetzt werden, die einen Arbeitsplatz suchen. Falls diese Stellen in Regionen sind, in denen es keinen bezahlbaren Wohnraum gibt und die auch nicht durch den öffentlichen Personennahverkehr erreichbar sind, kann dies Arbeitssuchende davon abhalten, die freien Stellen zu besetzen.
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