Wenn Vermögen und Macht eins sind

© Kremlin.ru [CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0)]

Wenig Neues und doch eine Sensation: Anders Aslund trägt in seinem Buch „Russia’s Crony Capitalism” Zahlen, Daten und Namen des polit­öko­no­mi­schen Systems in Russland zusammen. Zutage kommt das Bild einer krimi­nellen Verei­nigung, die öffentlich agiert und dennoch kaum wahrge­nommen wird. Eine Rezension.

Anders Aslunds „Russia’s Crony Capitalism” ist ein bemer­kens­wertes Buch. Nichts davon, was darin steht, ist wirklich neu – und trotzdem ist es eine Sensation. Geschrieben in einem sachlichen, emoti­ons­losen Ton eines Due-Diligence-Gutachtens, gespickt mit Zahlen, Daten und Namen dokumen­tiert es den Prozess, der seit gut zwei Jahrzehnten in aller Öffent­lichkeit statt­findet und dennoch von dieser Öffent­lichkeit weitgehend verdrängt und kaum wahrge­nommen wird. Es beschreibt in minutiös rekon­stru­ierten und sorgfältig belegten Details, wie Russland von einer krimi­nellen Verei­nigung regiert wird, deren Inter­essen primär, wenn nicht ausschließlich, in der persön­lichen Berei­cherung und im Macht­erhalt um dieser Berei­cherung Willen bestehen. 

Portrait von Klimeniouk

Nikolai Klime­niouk lebt seit 2014 als freier Autor in Berlin und schreibt für die Frank­furter Allge­meine Sonntags­zeitung, die Neue Zürcher Zeitung und andere deutsche und europäische Medien.

Das russische Regime, meint der schwe­dische Diplomat und Ökonom, der in den Neunzi­ger­jahren als Berater der russi­schen Reform­re­gierung Jegor Gaidars zur Seite stand, ist nicht so kompli­ziert, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. In seinem Zentrum steht Präsident Wladimir Putin, der mit Hilfe und im Interesse einer überschau­baren Gruppe von Vertrauten regiert. Aslund unter­teilt Putins Macht­ap­parat in drei Kreise, in deren Zentrum jeweils der Präsident steht. Der innere Kreis besteht aus seinen engsten Vertrauten aus dem Sicher­heits­ap­parat, dazu zählen der ehemalige Vertei­di­gungs­mi­nister und Chef des Präsi­di­al­ver­waltung, Sergej Iwanow, der ehemalige und der amtie­rende Vorsit­zende des Geheim­diensts FSB, Nikolai Patru­schew und Alexander Bortnikow. Dem zweiten Kreis ordnet Aslund die Chefs der großen staat­lichen Konzerne, Igor Setschin (Rosneft), Alexej Miller (Gazprom) und Sergej Tsche­mesow (Rüstungs­konzern Rostec), zu. Den dritten Kreis bilden die eigent­lichen cronys, oder Komplizen Putins, die bis vor kurzem niemand kannte und die erst unter Putin unbeschreiblich reich wurden: Arkadij und Boris Rotenberg, Gennadij Timtschenko, Jurij Kowalt­schuk und Nikolai Schamalow. Unbeschreiblich: Nach Aslunds Schätzung beträgt das gesamte russische Vermögen im Ausland etwa 800 Milli­arden Dollar, davon gehören zwischen 190 und 325 Milli­arden dem „Putin-Kreis“, und davon die Hälfte persönlich dem russi­schen Präsidenten.

Dass es sich dabei ausge­rechnet um Auslands­ver­mögen handelt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, auf die der sonst so trockene Aslund gerne verweist: Nachdem Putin und seine Gefährten alle Eigen­tums­rechte in Russland unter­graben haben, sind sie gezwungen, ihre Beute in Offshore-Häfen zu waschen. Sie haben ein System geschaffen, bei dem Vermögen und Macht eins sind. Wenn sie in Russland die Macht verlieren würden, wäre dort auch ihr ganzes Vermögen hin.

Putin war „alles für alle“

Es hat lange gedauert, bis Putin dieses System aufgebaut hat. Während seiner ersten Amtszeit, in den Jahren 2000 bis 2004, funktio­nierte die Markt­wirt­schaft in Russland dank Reformen der Neunzi­ger­jahre und steigenden Ölpreise besser denn je. Das erlaubte Putin, die Macht zu konso­li­dieren. Er genoss damals eine unver­fälscht große Popula­rität, denn er war, wie Auslund es formu­liert, „alles für alle“.

Putins zweite Amtszeit wurde durch die Verhaftung von Michail Chodor­kowski am 25. Oktober 2003 vorbe­reite. Chodor­kowski war damals der Haupt­ei­gen­tümer und CEO der Ölfirma Yukos und Russlands reichster Mann. Die anschlie­ßende Beschlag­nahmung von Yukos bedeutete einen Krieg gegen die Oligarchen, aber die anderen Großun­ter­nehmer leisteten keinen echten Wider­stand. Das populärste Wort in Putins zweiter Amtszeit was „Staats­ka­pi­ta­lismus“. Bereits damals wurden die Voraus­set­zungen für die spätere Stagnation geschaffen: Putin kümmerte sich nicht um die Effizienz oder die Renta­bi­lität staat­licher Unter­nehmen. Es ging nur darum, diese Unter­nehmen unter die Kontrolle loyaler Figuren zu bringen und die Profite an die Freunde zu übertragen. Das beste Beispiel dafür ist Gazprom: Der Marktwert des Energie­kon­zerns ist von einem Höchst­stand von 369 Milli­arden Dollar im Mai 2008 auf derzeit knapp 60 Milli­arden Dollar gesunken. CEO Alexej Miller, der das Unter­nehmen 310 Milli­arden Dollar gekostet hat, ist aber weiterhin im Amt – als wäre nichts passiert. Das System, das Aslund „Crony-Kapita­lismus“ nennt, etablierte sich endgültig während Putins dritter, infor­meller Amtszeit als Premier­mi­nister. Damals traten auch die bis dahin unbekannten Schlüs­sel­fi­guren dieses Systems in Erscheinung: die Brüder Rotenberg, Timtschenko, Kowaltschuk.

Seit seiner Rückkehr ins Amt 2012 betreibt Putin das sogenannte manuelle Management; die Wirtschaft geht dabei bergab: Nach einem Jahrzehnt mit einem Wachstum von sieben Prozent pro Jahr verzeichnet Russland seit 2009 ein durch­schnitt­liches Wirtschafts­wachstum von einem Prozent. Das einzige, worum sich Putin kümmert, ist finan­zielle Stabi­lität. Zu groß ist seine Angst vor Turbu­lenzen, die er während der Finanz­krise von 1998 miterlebt hat.

Verstri­ckungen in die organi­sierte Kriminalität

Doch es geht in Aslunds Buch nicht nur um skrupel­loses corporate raiding und schlechtes Wirtschaften, sondern auch um die Verstri­ckung Putins und seiner Umgebung in die organi­sierte Krimi­na­lität. Warlords und Mafia­bosse stehen in einer Reihe mit CEOs und Mitgliedern von Aufsichts­räten, die so genannte Tambowskaja-Gruppierung und die tsche­tsche­nische Mafia gehören zu diesem System ebenso wie Gazprom und Rosatom.

Dass Aslund über die Teilnehmer dieses Plünde­rungs­systems so schreiben kann, wie er das tut, hat er – und er verweist mehrmals auf diesen Umstand – den westlichen Sanktionen gegen Personen und Insti­tu­tionen zu verdanken; er kann sich auf die Formu­lie­rungen der entspre­chenden Gesetze der USA und der EU verlassen, ohne Verleum­dungs­klagen fürchten zu müssen. Durch solche Klagen wurden schon viele Analy­tiker zum schweigen gebracht, nicht nur in Russland, sondern auch im Westen. Die US-Forscherin Karen Dawisha konnte ihr bahnbre­chendes Buch „Putin’s Klepto­cracy“, das inzwi­schen als Standartwerk gilt und von Aslund ausgiebig zitiert wird, noch im Jahre 2014 nur mit großen Schwie­rig­keiten veröf­fent­lichen, weil ihr angestammter Verleger Angst vor ebensolchen Klagen hatte.

An dieser Stelle kann man sich kaum die Bemerkung verkneifen: Erst der Krieg, den Russland vom Zaun brach, führte zu den westlichen Sanktionen. Und erst die Sanktionen machten es möglich, öffentlich über die Entwick­lungen zu schreiben, die zu diesem Krieg führten. Die politi­schen Entschei­dungs­träger in demokra­ti­schen Ländern haben es lange vorge­zogen, die Tatsachen nicht beim Namen zu nennen. Man hat allerlei Erfahrung mit korrupten Dikta­toren; aber ein Mafiaboss als Staats­ober­haupt einer Atommacht mit ständigem Sitz im UN-Sicher­heitsrat ist ein Novum.

Wir müssen Anders Aslund nicht nur für seine Analyse, sondern auch für seinen Mut danken, der hoffentlich auch die demokra­ti­schen Entschei­dungs­träger in ihrer Russland­po­litik stärken wird. Wäre sein Buch wirklich ein Due-Diligence-Gutachten, würde die Empfehlung lauten: Putins Russland ist kein Staat, mit dem man Geschäfte machen sollte.

Textende

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