Wenn Vermögen und Macht eins sind
Wenig Neues und doch eine Sensation: Anders Aslund trägt in seinem Buch „Russia’s Crony Capitalism” Zahlen, Daten und Namen des politökonomischen Systems in Russland zusammen. Zutage kommt das Bild einer kriminellen Vereinigung, die öffentlich agiert und dennoch kaum wahrgenommen wird. Eine Rezension.
Anders Aslunds „Russia’s Crony Capitalism” ist ein bemerkenswertes Buch. Nichts davon, was darin steht, ist wirklich neu – und trotzdem ist es eine Sensation. Geschrieben in einem sachlichen, emotionslosen Ton eines Due-Diligence-Gutachtens, gespickt mit Zahlen, Daten und Namen dokumentiert es den Prozess, der seit gut zwei Jahrzehnten in aller Öffentlichkeit stattfindet und dennoch von dieser Öffentlichkeit weitgehend verdrängt und kaum wahrgenommen wird. Es beschreibt in minutiös rekonstruierten und sorgfältig belegten Details, wie Russland von einer kriminellen Vereinigung regiert wird, deren Interessen primär, wenn nicht ausschließlich, in der persönlichen Bereicherung und im Machterhalt um dieser Bereicherung Willen bestehen.
Das russische Regime, meint der schwedische Diplomat und Ökonom, der in den Neunzigerjahren als Berater der russischen Reformregierung Jegor Gaidars zur Seite stand, ist nicht so kompliziert, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. In seinem Zentrum steht Präsident Wladimir Putin, der mit Hilfe und im Interesse einer überschaubaren Gruppe von Vertrauten regiert. Aslund unterteilt Putins Machtapparat in drei Kreise, in deren Zentrum jeweils der Präsident steht. Der innere Kreis besteht aus seinen engsten Vertrauten aus dem Sicherheitsapparat, dazu zählen der ehemalige Verteidigungsminister und Chef des Präsidialverwaltung, Sergej Iwanow, der ehemalige und der amtierende Vorsitzende des Geheimdiensts FSB, Nikolai Patruschew und Alexander Bortnikow. Dem zweiten Kreis ordnet Aslund die Chefs der großen staatlichen Konzerne, Igor Setschin (Rosneft), Alexej Miller (Gazprom) und Sergej Tschemesow (Rüstungskonzern Rostec), zu. Den dritten Kreis bilden die eigentlichen cronys, oder Komplizen Putins, die bis vor kurzem niemand kannte und die erst unter Putin unbeschreiblich reich wurden: Arkadij und Boris Rotenberg, Gennadij Timtschenko, Jurij Kowaltschuk und Nikolai Schamalow. Unbeschreiblich: Nach Aslunds Schätzung beträgt das gesamte russische Vermögen im Ausland etwa 800 Milliarden Dollar, davon gehören zwischen 190 und 325 Milliarden dem „Putin-Kreis“, und davon die Hälfte persönlich dem russischen Präsidenten.
Dass es sich dabei ausgerechnet um Auslandsvermögen handelt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, auf die der sonst so trockene Aslund gerne verweist: Nachdem Putin und seine Gefährten alle Eigentumsrechte in Russland untergraben haben, sind sie gezwungen, ihre Beute in Offshore-Häfen zu waschen. Sie haben ein System geschaffen, bei dem Vermögen und Macht eins sind. Wenn sie in Russland die Macht verlieren würden, wäre dort auch ihr ganzes Vermögen hin.
Putin war „alles für alle“
Es hat lange gedauert, bis Putin dieses System aufgebaut hat. Während seiner ersten Amtszeit, in den Jahren 2000 bis 2004, funktionierte die Marktwirtschaft in Russland dank Reformen der Neunzigerjahre und steigenden Ölpreise besser denn je. Das erlaubte Putin, die Macht zu konsolidieren. Er genoss damals eine unverfälscht große Popularität, denn er war, wie Auslund es formuliert, „alles für alle“.
Putins zweite Amtszeit wurde durch die Verhaftung von Michail Chodorkowski am 25. Oktober 2003 vorbereite. Chodorkowski war damals der Haupteigentümer und CEO der Ölfirma Yukos und Russlands reichster Mann. Die anschließende Beschlagnahmung von Yukos bedeutete einen Krieg gegen die Oligarchen, aber die anderen Großunternehmer leisteten keinen echten Widerstand. Das populärste Wort in Putins zweiter Amtszeit was „Staatskapitalismus“. Bereits damals wurden die Voraussetzungen für die spätere Stagnation geschaffen: Putin kümmerte sich nicht um die Effizienz oder die Rentabilität staatlicher Unternehmen. Es ging nur darum, diese Unternehmen unter die Kontrolle loyaler Figuren zu bringen und die Profite an die Freunde zu übertragen. Das beste Beispiel dafür ist Gazprom: Der Marktwert des Energiekonzerns ist von einem Höchststand von 369 Milliarden Dollar im Mai 2008 auf derzeit knapp 60 Milliarden Dollar gesunken. CEO Alexej Miller, der das Unternehmen 310 Milliarden Dollar gekostet hat, ist aber weiterhin im Amt – als wäre nichts passiert. Das System, das Aslund „Crony-Kapitalismus“ nennt, etablierte sich endgültig während Putins dritter, informeller Amtszeit als Premierminister. Damals traten auch die bis dahin unbekannten Schlüsselfiguren dieses Systems in Erscheinung: die Brüder Rotenberg, Timtschenko, Kowaltschuk.
Seit seiner Rückkehr ins Amt 2012 betreibt Putin das sogenannte manuelle Management; die Wirtschaft geht dabei bergab: Nach einem Jahrzehnt mit einem Wachstum von sieben Prozent pro Jahr verzeichnet Russland seit 2009 ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von einem Prozent. Das einzige, worum sich Putin kümmert, ist finanzielle Stabilität. Zu groß ist seine Angst vor Turbulenzen, die er während der Finanzkrise von 1998 miterlebt hat.
Verstrickungen in die organisierte Kriminalität
Doch es geht in Aslunds Buch nicht nur um skrupelloses corporate raiding und schlechtes Wirtschaften, sondern auch um die Verstrickung Putins und seiner Umgebung in die organisierte Kriminalität. Warlords und Mafiabosse stehen in einer Reihe mit CEOs und Mitgliedern von Aufsichtsräten, die so genannte Tambowskaja-Gruppierung und die tschetschenische Mafia gehören zu diesem System ebenso wie Gazprom und Rosatom.
Dass Aslund über die Teilnehmer dieses Plünderungssystems so schreiben kann, wie er das tut, hat er – und er verweist mehrmals auf diesen Umstand – den westlichen Sanktionen gegen Personen und Institutionen zu verdanken; er kann sich auf die Formulierungen der entsprechenden Gesetze der USA und der EU verlassen, ohne Verleumdungsklagen fürchten zu müssen. Durch solche Klagen wurden schon viele Analytiker zum schweigen gebracht, nicht nur in Russland, sondern auch im Westen. Die US-Forscherin Karen Dawisha konnte ihr bahnbrechendes Buch „Putin’s Kleptocracy“, das inzwischen als Standartwerk gilt und von Aslund ausgiebig zitiert wird, noch im Jahre 2014 nur mit großen Schwierigkeiten veröffentlichen, weil ihr angestammter Verleger Angst vor ebensolchen Klagen hatte.
An dieser Stelle kann man sich kaum die Bemerkung verkneifen: Erst der Krieg, den Russland vom Zaun brach, führte zu den westlichen Sanktionen. Und erst die Sanktionen machten es möglich, öffentlich über die Entwicklungen zu schreiben, die zu diesem Krieg führten. Die politischen Entscheidungsträger in demokratischen Ländern haben es lange vorgezogen, die Tatsachen nicht beim Namen zu nennen. Man hat allerlei Erfahrung mit korrupten Diktatoren; aber ein Mafiaboss als Staatsoberhaupt einer Atommacht mit ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat ist ein Novum.
Wir müssen Anders Aslund nicht nur für seine Analyse, sondern auch für seinen Mut danken, der hoffentlich auch die demokratischen Entscheidungsträger in ihrer Russlandpolitik stärken wird. Wäre sein Buch wirklich ein Due-Diligence-Gutachten, würde die Empfehlung lauten: Putins Russland ist kein Staat, mit dem man Geschäfte machen sollte.
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