Warum der Kreml Europas Ultra­rechte umgarnt

CC SIG SG 510

Geschichts­klit­terung als Grundlage für Propa­ganda: Russland geriert sich gerne als Vorreiter im Kampf gegen den Faschismus. Wieso unterhält der Kreml dann beste Kontakte zur europäi­schen Ultrarechten?

Russland hat feier­liche Feuer­werke angekündigt, mit denen der 75. Jahrestag der „Befreiung“ von mehreren osteu­ro­päi­schen Haupt­städten 1944/​45 begangen werden soll. Auch auf dem diplo­ma­ti­schen Parkett wird lebhaft Pyrotechnik einge­setzt: Die Außen­mi­nis­terien der balti­schen Staaten haben allesamt aus Protest die Botschafter Russlands einbe­stellt. Das Ende der Nazi-Herrschaft im Baltikum war der Anfang einer weiteren Besatzung, die zehn Mal länger währte und in mancherlei Hinsicht größeren Schaden anrichtete. Andere Länder haben ähnliche Erfah­rungen gemacht. 

Portrait von Edward Lucas

Edward Lucas ist Journalist und Sicherheitsexperte.

Während die Erinne­rungen an die Zeit des Zweiten Weltkrieges verblassen, ist Russland damit beschäftigt, Geschichte umzuschreiben. Die Ursprünge des Zweiten Weltkrieges sowie die unmit­telbare Nachkriegszeit werden dabei ignoriert. Am 23. August, dem 80. Jahrestag des Hitler-Stalin-Pakts, ist kein festliches Feuerwerk zu erwarten. Dieser Vertrag war zwar offiziell ein Nicht­an­griffspakt zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjet­union, umfasste aber auch ein geheimes Zusatz­pro­tokoll, mit dem die beiden totali­tären Regime Osteuropa unter sich aufteilten. Das Protokoll hatte – neben anderen blutigen Konse­quenzen – zur Folge, dass ein großer Teil der osteu­ro­päi­schen Juden den Nazi-Schlächtern ausge­liefert wurde. Auch werden in Russland oft die Fehler Stalins und der furchtbare Preis vergessen, den nicht-russische Menschen und Orte in der Sowjet­union dafür zu zahlen hatten.

Statt­dessen besteht der simple Faden dieses Narrativs aus Heldentum gegenüber den bestia­li­schen Nazis, beispielhaft verkörpert in den anrüh­renden Prozes­sionen des „Unsterb­lichen Regiments“, die in Russland und darüber hinaus abgehalten werden und bei denen Russen mit Bildern ihrer Veteranen und Vorfahren marschieren. Wer dies in Frage stellt oder damit nicht einver­standen ist, muss ein verkappter Nazi sein. Das ist Unsinn, aller­dings ein effek­tiver Unsinn.

Geschichts­klit­terung ist die Grundlage für Propaganda

Die Vergan­genheit zu verzerren ist Grundlage für Propa­ganda in der Gegenwart. Das Außen­mi­nis­terium Russlands erstellt zu sechzig Ländern einen detail­lierten jährlichen Bericht, in dem festge­stellt wird, ob diese Länder „den Nazismus verherr­lichen“. Dieser wird sehr breit definiert: So wird zum Beispiel Polen dafür kriti­siert, dass es an den Warschauer Aufstand von 1944 erinnert.

Diese Politik hat einen eigenen Dreh: Während das Putin-Regime unentwegt den – meist imagi­nierten – Faschismus in Ländern wie der Ukraine anprangert, unterhält es selbst enge Verbin­dungen zu den Ultra­rechten in Deutschland, Griechenland, Frank­reich, Italien und anderswo.

Vergangene Woche sind mit einem Exklu­siv­be­richt der US-Nachrich­ten­seite „Buzzfeed“, der wie eine Bombe einschlug, neue Belege hierzu aufge­taucht. Der Mitschnitt eines Treffens in Moskau zeigt Vertreter der italie­ni­schen ultra­rechten Partei Lega– ihres Zeichens Teil der Regie­rungs­ko­alition –, die einen Öl-Deal über 65 Millionen Dollar verhandeln, der auch ihrer Partei Geld einbringen sollte.

Der Kreml findet in der europäi­schen Ultra­rechten nützliche Verbündete

Im Frühjahr 2019 war ein Video öffentlich geworden, das den Chef der ultra­rechten öster­rei­chi­schen Partei FPÖ, Heinz-Christian Strache, in einer Villa auf Ibiza zeigt. In dem Video bietet Strache einer angeb­lichen russi­schen Oligar­chen­nichte Staats­auf­träge an – im Gegenzug für finan­zielle Unterstützung.

Die Details liegen noch im Dunkeln. Wer machte diese Aufnahmen, und wer gab sie an die Presse weiter? Politik zu betreiben, indem Gegner abgehört und heimlich gefilmt werden, ist eine ungesunde Angewohnheit. Besser ist es, Extre­misten und auslän­dische Mario­netten mit Hilfe von Fakten und Argumenten zu schlagen.

Das allge­meine Bild jedoch ist klar: Die Ultra­rechte findet an vielem in Russland Gefallen, insbe­sondere an dem fremden­feind­lichen, grob verein­fa­chenden, natio­na­lis­ti­schen und mit Groll geladenen Politik­ansatz. Und der Kreml, der multi­la­terale Organi­sa­tionen wie die EU oder NATO spalten und sprengen möchte, findet in der von Natio­na­lismus beses­senen Ultra­rechten nützliche Verbündete. Eine auf inter­na­tionale Regeln gestützte, auf Demokratie, Freiheit und Rechts­staat­lichkeit beruhende Zusam­men­arbeit ist ein Albtraum für den Kreml. Ein attrak­tives und erfolg­reiches westliches Modell würde auf gefähr­liche Weise die Stagnation und die Recht­lo­sigkeit in Russland verdeut­lichen. Zugege­be­ner­maßen sind derzeit – in Zeiten der Handels­kriege, der diplo­ma­ti­schen Zänke­reien, der finan­zi­ellen Ungewissheit und der allge­meinen Uneinigkeit – wenig Anzeichen dafür zu erkennen. Es könnte ja aber sein, dass wir wieder auf die Beine kommen.

Russland sucht aller­dings auch Verbin­dungen zu den Ultra­linken, sowohl mit den alten Kommu­nisten in Ländern wie der Tsche­chi­schen Republik als auch mit moderner denkenden Sozia­listen andernorts. Diese Linken applau­dieren dem rheto­ri­schen Bekenntnis zum „Antifa­schismus“. Bevor sie jedoch Tickets für die Moskauer Feuer­werke kaufen, sollten sie sich eine Frage stellen: Wenn der Kreml so sehr über den Faschismus besorgt ist, warum sind dann seine politi­schen Verbin­dungen zur Ultra­rechten derart innig?

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­tische Arbeit von LibMod.

Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spenden­be­schei­nigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

 

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.