Rezession und Klimawandel: Warum ein Green Deal beide Probleme löst
Die Aufgabe ist zu groß, als dass der Klimawandel allein durch Investitionen aus öffentlichen Haushalten gedämpft werden könnte. Unser Autor Roderick Kefferpütz fordert einen Green New Deal, wie ihn die designierte EU-Kommission plant: Regierungen sollen dafür sorgen, dass privates Kapital in klimafreundliche Branchen fließt. Doch warum hört man von der Bundesregierung so wenig über diesen Vorschlag?
„Wir sehen uns mit der größten weltwirtschaftlichen Herausforderung der Moderne konfrontiert“. Das ist kein Satz aus dem Handbuch der Extinction Rebellion. Mit diesen Worten beginnt die Erklärung des G20-Gipfels von London aus dem Jahr 2009. Gut zehn Jahre ist es her, dass die Bankentürme der Wall Street wankten. Die Welt stürzte in die schwerste Wirtschafts- und Finanzkrise seit der Great Depression – milliardenschwere Konjunkturpakete wurden geschnürt.
Dies war die Geburtsstunde des Green New Deal. Die Idee mit Konjunkturpaketen die Wirtschaft anzukurbeln und gleichzeitig den Klimawandel zu bremsen, lag nahe. „Unsere Reaktion auf die Wirtschaftskrise muss die Klimaziele voranbringen, und unsere Reaktion auf die Klimakrise wird die wirtschaftlichen und sozialen Ziele voranbringen“, schrieb damals UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon. Doch bei den nationalen Regierungen fiel der Appell weitgehend auf taube Ohren.
Wer zu langsam ist, verliert den Wettlauf mit der Wirklichkeit.
Heute, zehn Jahre später, stehen wir wieder am Rande der Rezession. Auch der Klimawandel ist vorangeschritten. Wir überschreiten ökologische Kipppunkte früher als erwartet. Die Realität überholt die Prognose. Erderwärmung und Konjunkturabkühlung – es wäre an der Zeit, den Green New Deal endlich umzusetzen. Laut der Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen könnten wir mit einer ökologischen Wende ein zusätzliches Wachstum von 1,5 Prozentpunkten erzielen.
Aber eine Investitionsoffensive für Ökologie und Ökonomie ist in Deutschland bislang nicht geplant. Die wirtschaftlichen Chancen des Klimaschutzes sind in Deutschland kein Thema. Im Gegenteil, die Debatte scheint in Deutschland nicht vorwärts, sondern rückwärts zu gehen. Für einige wäre die Rezession sogar eine Gelegenheit, Ökologie und Ökonomie gegeneinander auszuspielen und den Klimawandel wieder von der Tagesordnung zu nehmen.
„In Brüssel geht’s um Chancen, in Berlin um Risiken“
Verglichen mit der klimapolitischen Debatte in Brüssel, lebt man in Berlin in einer Parallelwelt. Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verkündet das bislang größte Investitionsprogramm für den Klimaschutz. Eine Billion Euro sollen bis 2030 fließen. In Berlin schnürt Kanzlerin Angela Merkel hingegen ein Maßnahmenbündel aus Ticketsteuer, Pendlerpauschale und einem Schnäppchenpreis auf CO2. Zugegeben, das Klimapaket soll bis 2023 ungefähr 54 Milliarden Euro kosten, aber das wären, so der Ökonom Peter Bofinger „nur 0,2%-0,3% des BIP, wenn man die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung abzieht.“ Im Mission Letter an den designierten Kommissionsvizepräsidenten Frans Timmermans, der für den „Green Deal“ zuständig sein wird, hebt Ursula von der Leyen die wirtschaftlichen Vorteile des Klimaschutzes hervor. Kanzlerin Merkel verliert in der Pressekonferenz zum Klimapaket dazu kein Wort. In Brüssel geht’s um Chancen, in Berlin um Risiken. Dabei werben mittlerweile auch Paris und Rom für einen neuen Green Deal für Europa.
Die Europäische Kommission hat es verstanden: die ökologische Modernisierung der Wirtschaft ist eine Chance, aber sie benötigt Investitionen. Dafür müssen auch die Finanzmärkte mobilisiert werden. Denn die Aufgabe ist zu groß, als dass sie von öffentlichen Haushalten allein bewältigt werden könnte. Der designierte Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis, zuständig für Wirtschaft, soll daher eine Green Financing Strategie entwickeln. Die Europäische Investitionsbank soll zu einer Klimabank werden. Zahlreiche Regierungen, darunter die Großbritanniens, Frankreichs oder Chinas, wollen die Finanzmärkte ihrer Länder auf den Ökologiebereich ausrichten. Sie wittern mit Klimaschutz große Geschäfte. In der Finanzindustrie findet ein Umdenken schon statt: „If we don’t have a planet, we’re not going to have a very good financial system”, sagt der Chef von Morgan Stanley.
Klimawandel ist Marktversagen
Anders ist es in Deutschland. Dort sind Investitionen tabu. Und in der reinen Lehre der deutschen Finanzpolitik kommt Ökologie nicht vor. Für das Bundesfinanzministerium war die Ökologisierung der Finanzmärkte lange was für Esoteriker. Ein ehemaliger JPMorgan Mitarbeiter aus London erzählte mir fassungslos, dass es im deutschen Finanzministerium bloß einen Referenten gibt, der für die Ökologisierung der Finanzmärkte zuständig ist. Im britischen Finanz- und Wirtschaftsministerium habe man dafür eine abteilungsübergreifende Arbeitsgruppe eingerichtet. Selbst die Financial Times plädiert dafür, dass die Finanzministerien sicherstellen sollten, dass alle Ausgabenbeschlüsse die Klimaziele berücksichtigen. Da sind die Bundesländer weiter als der Bund. In Frankfurt hat der grüne Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir bereits einen Sustainable Finance Hub eingerichtet. Nur langsam findet ein Umdenken statt. Auf Druck des Bundesumweltministeriums soll nun eine sustainable finance Strategie der Bundesregierung erarbeitet werden.
„Der Klimawandel ist der größte Fall von Marktversagen, den die Welt je gesehen hat“, stellt der Ökonom Nicolas Stern fest. Wenn wir mit einer ökologischen Komponente dieses Marktversagen aufheben, dann könnte sich daraus die nächste große Investitionschance des Jahrhunderts ergeben. Damit aus dem Marktversagen eine Investitionschance wird, müsste Deutschland neue Wege gehen: mehr Investitionen und eine ökologische Ausrichtung der Finanzmärkte. Wenn sich die deutsche Politik nicht schnell genug bewegt, könnte ein vertrauter Akteur in die Bresche springen.
Spielregeln der Wirtschaft umschreiben
Ich werde mich in der deutschen Ökonomenzunft unbeliebt machen: Wenn Deutschland diese Investitionsoffensive nicht auslöst, könnte die Europäische Zentralbank einspringen und die Finanzströme umlenken. Die graue Welt der Geldpolitik könnte grün werden. Im Vertrag über die Europäische Union werden nicht nur Wirtschaftswachstum und Preisstabilität als Ziele der EZB definiert, sondern auch „ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität.“ Die EZB könnte in ihrem Wertpapierkaufprogramm ökologische Kriterien verankern. Warum sollte ein Kohleunternehmen dieselben Finanzierungsmöglichkeiten bekommen wie ein Windturbinenhersteller? Auch bei Refinanzierungsgeschäften könnte man Mindeststandards setzen.
Schon mit wenigen Veränderungen in der Geldpolitik könnte man die CO2-Emissionen im Unternehmens- und Bankanleihenportfolio um 44 Prozent reduzieren, so Dirk Schoenmaker, Professor für Bank- und Finanzwirtschaft an der Erasmus Universität in Rotterdam in einer Studie des Brüsseler Think Tanks Bruegel. Banken, Hedgefonds, Versicherungsunternehmen und Ratingagenturen, sie alle würden dann Klimaaspekte in ihren Evaluationen und Investitionsentscheidungen berücksichtigen. Ein Jahrzehnt, nach dem die Finanzwirtschaft gerettet wurde, könnte sie einen wichtigen Beitrag zur Rettung der Welt leisten: „A decade after the world bailed out finance, it’s time for finance to bail out the world“, schreibt der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze. Christine Lagarde, die neue EZB-Chefin, hat in ihrer Anhörung im Europaparlament schon angekündigt, dass die Debatte, wie Zentralbanken zum Klimaschutz beitragen können, Priorität besitze.
Mit Trippelschritten hält man den Klimawandel nicht auf. Denn der Klimawandel ist ein moving target. Wer zu langsam ist, verliert den Wettlauf mit der Wirklichkeit. Es geht darum die Spielregeln der Wirtschaft nach ökologischen Kriterien umzuschreiben und die Chancen, die sich daraus ergeben, zu ergreifen. Noch ist die Große Koalition davon weit entfernt.
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