Abschied in Schande – Trumps Putschversuch für Anfänger
Im Ökosystem der Demokratien auf der Welt sind die Vereinigten Staaten, das Mutterland der modernen Demokratie, “too big too fail” – “zu groß, um unterzugehen”. Das Vertrauen in die Amerikanischen Institutionen war Grundlage eines verhaltenen Optimismus Vieler während der vierjährigen Trump-Legislatur. Keine zwei Wochen vor der Amtsübergabe stellen Trumps MAGA-Milizen die US-Demokratie beim Sturm des Capitols auf die härteste Probe. Teil 4 unserer Serie zum Autoritarismus 2020 / 2021.
Seit dem Sturm rechtsextremer Terroristen auf das Capitol während der Sitzung, die die Ernennung des neuen US-Präsidenten Joe Biden hätte perfekt machen sollen, ist deutlich geworden, dass selbst eine erprobte und krisenfeste Demokratie wie die amerikanische am Ende von einem Populisten, der entschlossen ist, diese Demokratie zu schleifen, beinahe in die Knie gezwungen werden kann.
Offensichtliche Lügen sind die effektivsten
Donald Trump hat den Sommer über gelogen und behauptet, die Briefwahl werde von den Demokraten manipuliert. Nach der Wahl log und lügt er weiter und behauptet, er habe die Wahl gewonnen. Hier bleibt er sich — so wie sich übrigens alle Despoten — treu: gleich bei der Amtseinführung behauptete er, es sei die größte Menschenmenge zusammengekommen, die sich je zu diesem Ereignis eingefunden habe. Diese Behauptung war leicht mit Fotografien zu widerlegen. Präsident Trump hat im Sommer die Frage, ob es unter ihm eine friedliche Machtübergabe gebe, nicht beantworten wollen. Dass er und etliche Personen in der Republikanischen Partei bis heute seinem designierten Nachfolger Biden zur Wahl gratuliert haben, passt ins Bild. Auch hier schließt sich der despotische Kreis.
Ceterum censeo Carthaginem esse delendam
Wem das noch nicht genug ist, dem sei das Heldenstück zur Anschauung anempfohlen, das Trump am Dreikönigstag abgeliefert hat. Zuerst ermutigte er seine Anhänger, gen’ Kapitol zu marschieren und es den dort Versammelten zu zeigen. Dann kam es zu der sakrilegischen Entweihung des Capitols durch den von Trump entfesselten Mob, eine Travestie, die noch sehr lange ihres gleichen wird suchen müssen. Dass die Polizei die Schädigung des demokratischen Heiligtums durch die Terroristen nicht verhindert hat, ist beschämend. Dann aber wendet sich Trump direkt an die Aufrührer, sagte ihnen “you are special” and “we love you”, was nichts anderes heißt, als dass er, der amtierende Präsident einen Aufstand gegen die Verfassung und die demokratischen Institutionen preist und deren Ausführer lobt.
Trump, von dem man noch bis zum 20. Januar, dem Tag der Vereidigung Joe Bidens, Vieles und Schlimmes erwarten muss, hat den Sommer damit verbracht, die Demonstrationen gegen massive Polizeigewalt und Rassismus in den USA, als “riots”, Aufstände, zu denunzieren und all denen, die das Eigentum des Staates demolieren, härteste Strafen angedroht. Dafür muss man die Straftäter erst einmal verhaften, was nun großteils unterblieben ist. Am ersten Tag der Demonstrationen wegen des in Polizeigewahrsam getöteten Schwarz-Amerikaners George Floyd am 1. Juni 2020 wurden 326 Menschen in Washington DC verhaftet, berichtet der Boston Globe. Am Morgen nach der Verheerung des Kapitals wurden jedoch nur 61 Verhaftungen durch die Polizei in Washington DC gezählt.
If this was BLM there would already be a drone strike.
— Rick Wilson (@TheRickWilson) January 6, 2021
Ein Mann allein, auch ein Donald Trump, kann eine Demokratie nicht zum Einsturz bringen. Jene, die in Amerika das Land der Hoffnung und der Einwanderung sehen, und andere, die es als die für die weiße Rasse bestimmte Heimstadt vergötzen, leben schon seit Gründung des Landes getrennt nebeneinander her, wie die Harvard-Historikerin Jill Lepore in ihrem Buch “The Case for The Nation” dargelegt und erklärt hat. Barack Obama stand für das kosmopolitische Amerika, Donald Trump für das rassistische. Mit Joe Biden ist das Pendel wieder in die kosmopolitische Richtung ausgeschlagen. Das macht die zweite Seite der USA, besonders außerhalb der Landesgrenzen, vielleicht unsichtbar. Sie verschwindet deshalb aber nicht einfach.
Langzeitschäden
Wie noch nie zuvor jemand ist es Donald Trump gelungen, diesen Teil des Landes, der nach innen gerichtete Slogans wie “Make America Great Again” feiert und überhöht, nicht nur gegen den politischen Gegner, sondern gegen die Demokatie als solche aufzubringen. Donald Trump hat, wie es in jedem Handbuch des Populismus zu lesen ist, die Medien und die Universitäten diskreditiert und versucht, die Gerichte zu korrumpieren. Zuletzt hat er den Glauben der Amerikaner an das Wahlsystem und damit die Demokratie selbst zerstört. Amerika ist damit erledigt. Joe Biden hat zwei Jahre bis zu den nächsten Mid-Term-Wahlen, um die Mehrheit der Demokraten im Kongress für Veränderung zu nutzen. Dabei sollte vor allem die Stärkung der demokratischen Institutionen eine Rolle spielen. Was auch immer seine Regierung hier umzusetzen versuchen wird, am Ende werden die Gerichte entscheiden und die Verfassungsmässigkeit der Politik prüfen. Trump hat sich bei der Besetzung von Richterposten strikt an die Liste der konservativen „Federalist Society“ gehalten. Die empfiehlt Juristen, die die Verfassung und Gesetze eher wörtlich als zeitgemäß angepasst auslegen. Dass deren Loyalität den Gesetzestexten und nicht Politikern, denen sie ihre Ämter verdanken gilt, dürfte Trump verwundert haben, als über 60 Klagen gegen die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl umstandslos auf verschiedenen Ebenen scheiterten.
Was in den USA beinahe funktioniert hat, mag denen Rückenwind verschaffen, die anderenorts, beispielsweise in Polen und Ungarn, mit denselben Mitteln an der Abschaffung der Demokratie arbeiten. Wer also in Europa meint, das Problem sei auf der anderen Seite des Atlantik isoliert, dem droht ein fürchterliches Erwachen.
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