Wie in der Ukraine des Völker­mordes an den Roma gedacht wird

© Anna Voitenko /​ Stiftung Denkmal

In der Sowjet­union wurde Roma der Opfer­status verwehrt. In der unabhän­gigen Ukraine können sie über die Reprä­sen­tation ihres histo­ri­schen Gedächt­nisses frei bestimmen.

Nach dem Zusam­men­bruch der Sowjet­union sahen sich die neuent­stan­denen Staaten mit der Notwen­digkeit konfron­tiert, die Erfahrung des zweiten Weltkrieges neu zu bewerten, so etwa das Marty­ro­logium der Besatzung. Es galt nun, das sowje­tische Erbe abzustoßen, in dem bestimmten Gruppen wie Juden oder Roma der Opfer­status verwehrt wurde. Die künftige Anerkennung der Leiden dieser Gruppen hing davon ab, welche geschichts­po­li­ti­schen Pfade das jeweilige Land einschlagen würde. Über die Proble­matik der Aufar­beitung des Holocausts und die kollektive Erinnerung der postso­wje­ti­schen Staaten, darunter die Ukraine, ist ausgiebig geschrieben worden. An dieser Stelle soll der Fokus daher auf die Erinnerung des Völker­mordes an den Roma gerichtet werden, insbe­sondere darauf, wie diese Erinnerung in der ukrai­ni­schen Gesell­schaft bewahrt wird.

Viele wichtige Fragen

Nach aktuellem Forschungs­stand vollzog sich die Vernichtung der Roma auf dem Gebiet der heutigen Ukraine zu Zeiten der deutschen Besatzung an ungefähr 140 Orten.

An einigen dieser Orte wurden ausschließlich Roma ermordet, während sie an anderen Orten gemeinsam mit Juden, sowje­ti­schen Aktivisten, Kriegs­ge­fan­genen, Parti­sanen und Patienten psych­ia­tri­scher Einrich­tungen eine unter mehreren Opfer­gruppen darstellten.
Wie gehen die Opfer und ihre Nachkommen heutzutage mit jenen Ereig­nissen um, die mindestens 12.000 Roma das Leben kosteten? Wobei hier nur die Rede von den Teilen der Ukraine ist, die unter deutscher Besatzung standen, ohne aber die rumänische Besat­zungszone zu berück­sich­tigen, in der mehr als 11.000, mehrheitlich von rumäni­schem Terri­torium depor­tierte, Roma ermordet wurden. Wie inter­pre­tiert die Roma-Gemein­schaft die Gründe, den Ablauf und die Folgen der Katastrophe? Wie wird das Thema in der Öffent­lichkeit behandelt?
Eine andere Frage betrifft die gesell­schafts­po­li­ti­schen und kultu­rellen Bedin­gungen, unter denen die Roma heute leben. Wie wirken sich die Lebens­um­stände der Roma in der Ukraine auf ihre Möglich­keiten aus, auf den Völkermord aufmerksam zu machen? Fördert die Gesell­schaft die Überwindung des Traumas? Ist sie in der Lage, eine histo­rische Lektion aus dieser Tragödie zu ziehen, um ihre Wieder­holung für die Roma oder eine andere Minderheit zu verhindern?

Mündliche Überlie­ferung gegen offizielle sowje­tische Erinnerungspolitik

Zunächst ist zu klären, welche Rolle den Roma in der sowje­ti­schen Erinne­rungs­land­schaft zuteil­wurde. Studien zeigen, dass von einer gänzlich fehlenden Erinnerung hinsichtlich des Schicksals der Roma in der sowje­ti­schen Kultur nicht die Rede sein kann. Sie wurde vor allem in oraler Tradition innerhalb der Gemein­schaft bewahrt. Dieses Wissen kann entspre­chend der Termi­no­logie von Jan und Aleida Assmann dem „kommu­ni­ka­tiven Gedächtnis“ zugeordnet werden, dessen Eigenheit darin besteht, dass es sich, erstens, verändert und überschneidet, und, zweitens, innerhalb von drei bis vier Genera­tionen verblasst und schließlich verschwindet.
Die offizielle sowje­tische Erinne­rungs­po­litik zielte auf die Infil­tration des Massen­be­wusst­seins mit der falschen Vorstellung, das Hitler-Regime habe allen Völkern der Sowjet­union gleicher­maßen Vernichtung gebracht. Dies sollte die Massen zur Unter­stützung der Staats­macht mobili­sieren. Wenn auch selten, so traten die Roma doch in veröf­fent­lichten Dokumenten, in der Populär­li­te­ratur, in Memoiren und Kunst­werken als Opfer der Vernich­tungs­po­litik hervor. Jedoch erschienen sie darin zumeist als nomadische, für die sie umgebende Gesell­schaft fremde Gruppe, wenngleich die Nazis in mehr als der Hälfte der bekannten Hinrich­tungen sesshafte Roma ermor­deten, die in ihre Umgebung integriert waren. Die Darstellung der Opfer als wanderndes Volk prägte die in der sowje­ti­schen Kultur vorherr­schende Assoziation der Roma mit dem Asozialen und dem Verbrechen. Von dort aus entwi­ckelte sich eine Wahrnehmung der Opfer, wonach diese ihre Verfolgung selbst verschuldet hatten, und folglich kein Mitgefühl oder Gedenken verdienten. Diese Wahrnehmung hat bis heute starken Einfluss auf die Erinne­rungs­kultur der Ukraine. Doch es gibt auch andere, nicht weniger schwer­wie­gende Ursachen, die auf den Erinne­rungs­prozess einwirken.

Bessere Möglich­keiten in der Ukraine dank des Engage­ments der Zivilgesellschaft

Die ukrai­nische Gesell­schaft unmit­telbar nach Erlangung der Unabhän­gigkeit im Jahre 1991 war kein Monolith. Proeu­ro­päische, natio­na­lis­tische und proso­wje­tische (bzw. prorus­sische) Strömungen ringen bis heute mitein­ander. Entspre­chende unter­schied­liche Wahrneh­mungen der Vergan­genheit haben sich mit der Zeit abgespalten. In dieser Situation der Erinne­rungs­kon­kurrenz ist für die Erfahrung der Roma wenig Platz geblieben. Sowohl das proso­wje­tische, als auch das natio­na­lis­tische Modell streben nach seiner Verdrängung. Für Erstere sind die Roma keine eigen­ständige Gruppe, deren totale Vernichtung die Nazis anstrebten; sie sind entweder als ein aktiver Teil des „gesamt­so­wje­ti­schen“ Wider­stands gegen die „deutsch-faschis­ti­schen Invasoren“ oder als „sowje­tische Zivilisten“ zu betrachten. Für Letztere stellt der Völkermord an den Roma ebenfalls kein Ereignis dar, dem besondere Aufmerk­samkeit beizu­messen ist, zumal die ukrai­nische Freiheits­be­wegung auf die ethnische Homoge­ni­sierung ihres Raumes in sowohl physi­scher als auch symbo­li­scher Hinsicht abzielte.
Dennoch findet eine Verän­derung statt, die durch das aktive Engagement der Zivil­ge­sell­schaft und von Nicht-Regie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen ermög­licht wird:

  •  durch die Verbreitung eines „vermensch­lichten“ Bildes vom Krieg, d.h. durch vermehrte Aufmerk­samkeit für die Leiden der „Durch­schnitts­men­schen“;
  • durch die spürbare Rolle „regio­naler“ Erinne­rungs­muster und den großen Plura­lismus in der Heraus­bildung von Sicht­weisen auf den Krieg;
  • durch proeu­ro­päische Integra­ti­ons­be­stre­bungen, die alle Regie­rungen in unter­schied­lichem Maße voran­trieben (was, wenn auch sehr langsam, zur Trans­for­mation des Bildungs­systems hinsichtlich Multi­kul­tu­ra­lismus, Toleranz und demokra­ti­schen Werten beigetragen hat).

Opfer rechts­ra­di­kaler Attacken

In der Folge bahnt sich ein Erinne­rungs­modell seinen Weg, das als „inklusiv“ bezeichnet werden darf, weil es den verschie­denen Gesell­schafts­gruppen das Recht auf eine Stimme im Marty­ro­logium des Krieges einräumt. Zugleich hat der Plura­lismus auch eine Kehrseite. Damit sind die rechts­ra­di­kalen Gruppie­rungen gemeint, die sich zu Aktionen gegen Roma zusam­mentun. Eine besonders brutale Welle solcher Attacken brach im Jahr 2018 los und führte sogar zu Todes­opfern. Die lautstarke Austragung ihrer Ressen­ti­ments gegen die Roma findet Anklang in der Gesell­schaft, was sich negativ auf die Erinne­rungs­kultur in Bezug auf den Völkermord auswirkt.

Offizi­eller Beschluss der Werchowna Rada

Die Werchowna Rada verkündete 2004 einen Beschluss, den 2. August zum Tag des Gedenkens an die ermor­deten Roma in der Ukraine zu erheben. Den in diesem Beschluss vorge­schla­genen Gedenktag bezeichnete man als „Inter­na­tio­nalen Tag des Holocausts an den Roma“ (sic!). In der histo­ri­schen Präambel hieß es: „Während des Zweiten Weltkrieges verschleppten die Hitler­fa­schisten gemeinsam mit ihren Kolla­bo­ra­teuren 500 Tausend Roma aus den besetzten Ländern und vernich­teten sie im Sinne einer Politik des Ethno­zides in Konzentrationslagern“.
Der Genozid erlebt in dieser Erklärung eine „Exter­na­li­sierung“. Von den tausenden Roma, die in der Peripherie ukrai­ni­scher Städte und Dörfer erschossen wurden, ist in dem Beschluss keine Rede. Nichts­des­to­trotz sprach sich das Minis­ter­ka­binett zusammen mit der Regio­nal­re­gierung dafür aus, „Maßnahmen auszu­ar­beiten, um die Dimension, die Anzahl der Opfer und die Orte des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ethnozids an den Roma während des Zweiten Weltkrieges zu erfor­schen und ein Gedenken an die depor­tierten und ermor­deten Vertreter dieser ethni­schen Minderheit zu initiieren“.Ungeachtet dessen, dass der Beschluss bei Weitem nicht vollum­fänglich umgesetzt wird, wie es in der Ukraine bei einer großen Menge an Normen der Fall ist, ist seine Bedeutung kaum zu überschätzen. Denn er schafft einen Legiti­ma­ti­ons­rahmen für Aktivismus und Einfluss­nahme auf staat­liche Organe von Seiten der „Agenten der Erinnerung“, die auf eine Gedenk­kultur hinarbeiten.

Über 140 Orte des Massenmordes

In der wissen­schaft­lichen Literatur ist viel darüber geschrieben worden, wie wichtig „Erinne­rungsorte“ für die Bewahrung gesell­schaft­licher Vorstel­lungen über histo­rische Ereig­nisse sind. Das Konzept von der Bedeut­samkeit des „Erinne­rungs­ortes“ ist beinahe zum Axiom geworden – nach der Definition des franzö­si­schen Histo­rikers Pierre Nora meint es „jede bedeutsame Einheit materi­ellen oder immate­ri­ellen Charakters, die als Folge des mensch­lichen Willens oder des Werkes der Zeit zu einem symbo­li­schen Element innerhalb des Erbes einer Nation oder einer anderen Gemein­schaft im weitesten Sinne geworden ist“. Denkmäler für die Umgekom­menen stellen den haupt­säch­lichen – aber bei Weitem nicht den einzigen – Handgriff in der Palette des Erinne­rungs­in­stru­men­ta­riums dar.
Von über 140 Orten des Massen­mordes sind nur 11 mit Denkmälern versehen, die die Roma als Opfer benennen, oder als Opfer­gruppe, falls es sich um einen Ort handelt, an dem Angehörige verschie­dener Gruppen ermordet wurden. Die wichtigsten Agenten der Erinnerung sind Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen. Es ist zwischen drei Gruppen zu unterscheiden:

  1. Initia­tiven von Roma-NGOs, die entweder selbst­ständig oder in Zusam­men­arbeit mit anderen NGOs reali­siert und dabei durch inter­na­tionale und auslän­dische Stiftungen finan­ziell unter­stützt werden. Die derzeit aktiven Roma-NGOs sind zweifellos die wichtigsten Agenten der Erinnerung, deren Arbeit das Gedenken an den Genozid fördert, die trauma­tische Erfahrung an breite Gesell­schafts­schichten kommu­ni­ziert und dieses Wissen damit in ein ukrai­ni­sches histo­ri­sches Narrativ überführt. Ihre Erinnerung kann nicht länger als „abgedämpft“ bezeichnet werden, wie dies früher der Fall war. Wie der Soziologe Slawomir Kapralski es bereits an der Roma-Gemein­schaft in Polen demons­triert hat, so werden auch die ukrai­ni­schen Roma heutzutage weitaus mehr an Gedenk­akten und der „Erneuerung von Gedenk­tra­di­tionen“ beteiligt.
  2. Forschungs- und Bildungs­in­itia­tiven, die nicht von Roma-Akteuren ausgehen. In diesem Fall gehen die Initia­tiven von regio­nalen und zentralen NGOs außerhalb der Roma-Gemeinde aus, die ihre Projekte mithilfe finan­zi­eller Unter­stützung inter­na­tio­naler und auslän­di­scher Stiftungen reali­sieren. Vertreter der Roma-Gemeinde werden zu diesen Projekten gelegentlich hinzu­ge­zogen. So hat beispiels­weise die NGO Ukrai­ni­sches Zentrum zur Erfor­schung der Geschichte des Holocausts (Kyjiw) über einen Zeitraum von dreizehn Jahren fünf Projekte umgesetzt, in denen der Völkermord an den Roma eine entweder zentrale oder zumindest gewichtige Kompo­nente darstellte¹. In bestimmten Projekt­phasen waren Roma-Gemeinden aktiv beteiligt.
  3. Initia­tiven auslän­di­scher Institute oder lokale Zentren inter­na­tio­naler Organi­sa­tionen, zu deren Tages­ordnung auch die Bildungs­arbeit hinsichtlich des Völker­mordes an den Roma gehört. Sie suchen sich ihre Partner bei der Projekt­um­setzung in der Ukraine in der lokalen Zivil­ge­sell­schaft. So betreibt beispiels­weise die ukrai­nische Abteilung der Inter­na­tional Renais­sance Foundation in Kyjiw unter anderem ein „Roma-Programm“, das sich mit sozialen und recht­lichen Fragen beschäftigt, aber auch die humanitäre Sphäre berührt. Projekte, die der Aufklärung über den Völkermord an den Roma gewidmet sind, wurden in der Vergan­genheit durch verschiedene deutsche Stiftungen unterstützt.

Initia­tiven für Denkmäler

Die existie­renden Denkmäler können ebenfalls in drei Gruppen unter­teilt werden, die sich mit den oben aufge­führten Agenten der Erinnerung decken und Resultate ihrer Initia­tiven sind.
Das Denkmal für die in Babyn Jar bei Kyjiw ermor­deten Roma ist ein Parade­bei­spiel der ersten Gruppe. Babyn Jar ist ein Ort, an dem in den Jahren 1941–1943 haupt­sächlich Juden ermordet wurden, aber auch Roma, sowje­tische Kriegs­ge­fangene, ukrai­nische Natio­na­listen, orthodoxe Priester, sowje­tische und natio­na­lis­tische Wider­stands­kämpfer, Patienten psych­ia­tri­scher Einrich­tungen, Geiseln und all jene, die in den Augen der Besatzer „verdächtige und unerwünschte Elemente“ darstellten.
Die Arbeiten an dem Denkmal begannen bereits im Jahre 1995 in einer Zusam­men­arbeit zwischen der Kyjiwer städti­schen Roma-Verei­nigung „Romanipe“ und dem Archi­tekten und Bildhauer Anatoliy Ihnascht­schenko. Man war bereits im Begriff das Denkmal auf den Sockel zu stellen, als dies plötzlich durch die städtische Adminis­tration verboten wurde. Einige Jahre später wurde das einen Planwagen („Kibitka“) darstel­lende Denkmal nach Kamjanez-Podilskyj überführt und dort in einem Vorstadt­bezirk aufge­richtet. Im Jahr 2006 gründete man die Gedenk­stätte „Babyn Jar“, doch wurden keine Anstren­gungen zur Rückholung des Denkmals unter­nommen. Erst zum 75. Jahrestag des Massakers von Babyn Jar wurde das Denkmal „Roma-Kibitka“ mit Unter­stützung des Kultur­mi­nis­te­riums zurück nach Kyjiw gebracht und am 23. Februar 2016 feierlich eingeweiht.

© Michailo Tjahlyj

 

Die zweite Gruppe bilden die Denkmäler, deren Aufstellung durch lokale Gemeinden oder einzelne Gruppen, beispiels­weise durch Nachkommen anderer Opfer­gruppen, initiiert wurden. An keinem dieser Orte wurde ausschließlich Roma ermordet. In der Regel waren sie eine unter vielen Opfer­gruppen, die entspre­chend der heutigen Norm bei den Massen­be­gräb­nissen durch lokale Organi­sa­tionen einzeln, anstelle einer Zusam­men­fassung unter dem Euphe­mismus „sowje­tische Zivilisten“, aufge­führt wurden. Dazu zählt beispiels­weise die Gedenk­stätte im Pirogow-Lewada-Hain im Oblast Poltawa, wo zusammen mit einigen Dutzend ermor­deter Roma auch sowje­tische Aktivisten und Juden ruhen. All diese Gruppen werden auf den Stelen und Infor­ma­ti­ons­tafeln neben dem Zentral­korpus des Denkmals namentlich erwähnt.

© Michailo Tjahlyj

© Michailo Tjahlyj

 

Im Oblast Schytomyr entstanden 2019 in drei verschie­denen Siedlungen Denkmäler in der Nähe von Massen­gräbern ermor­deter Roma. Diese Denkmäler bilden die dritte Gruppe, so sie sich doch von den voraus­ge­gan­genen nicht nur hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Initiative unter­scheiden, sondern auch durch ihre visuelle, archi­tek­to­nische, ästhe­tische und didak­tische Konzeption. Initiator und Förderer dieser Denkmäler war eine auslän­dische staat­liche Stiftung, namentlich die Berliner „Stiftung Denkmal für die ermor­deten Juden Europas“ (natürlich in Zusam­men­arbeit mit ukrai­ni­schen NGOs und der lokalen Gemein­de­ver­tretung). Darin liegt auch der Grund für die Vielfäl­tigkeit der Perspek­tiven und die breite Rezeption dieser Initiative begründet. Sie vereint die histo­risch-forschungs­ori­en­tierte Arbeit zu den Umständen dieser tragi­schen Ereig­nisse mit der Bildungs­arbeit in lokalen Gemeinden zur Aufklärung über die Ermordung der Roma, die von einer umfang­reichen Bericht­erstattung über die Eröff­nungs­ze­re­monie über in- und auslän­dische Kanäle begleitet wurde.

© Anna Voitenko /​ Stiftung Denkmal

© Anna Voitenko /​ Stiftung Denkmal

Ungeachtet der Unter­schiede zwischen den Denkmal­typen und den Begleit­um­ständen ihrer Entstehung eint sie alle, dass kein einziges von ihnen durch staat­liche Organe initiiert wurde, die für die Arbeit in der Kultur­branche und die Bewahrung der Erinnerung verant­wortlich zeichnen. In der Ukraine wird des Völker­mordes an den Roma auf eine spezi­fische Weise gedacht, was in erster Linie auf nicht­formale Bildung und Gedenk­ver­an­stal­tungen als ein Verdienst von NGOs zurück­zu­führen ist.

Gesell­schaft­licher Plura­lismus als Chance

Ukrai­nische Roma-NGOs demons­trieren heutzutage eine große Unabhän­gigkeit von staat­lichen Struk­turen, klare Priori­tä­ten­setzung und Entschlos­senheit bei der Errei­chung ihrer Ziele. Eine nicht zu vernach­läs­si­gende Rolle spielt dabei auch die Unter­stützung von staat­licher Seite, sowie aus auslän­di­schen staat­lichen und nicht­staat­lichen Quellen. Geden­kinitia­tiven erfahren nicht in jedem Fall Unter­stützung von staat­licher Seite. Dies gilt vor allem dann, wenn die verant­wort­lichen Organe durch rechte Parteien besetzt sind², obschon dies die Ausnahme und nicht die Regel ist. Die Versuche der Regierung in den Jahren 2014 – 2019, eine verstärkt homogene Perspektive auf die nationale Geschichte durch­zu­setzen, haben keinen allum­fas­senden Charakter erlangt³.

Der gesell­schaft­liche Plura­lismus und die Erinne­rungs­kultur haben den ukrai­ni­schen Roma die Möglichkeit gegeben, über die Reprä­sen­tation ihres histo­ri­schen Gedächt­nisses frei zu bestimmen. Das Kyjiwer akade­mische Roma-Theater „Romans“ fügte seinem Reper­toire ein Stück über die Zerstörung eines Lagers hinzu, dass am Ort der Vernichtung aufge­führt wird. Im Zentrum der Erzählung steht die Frage nach morali­schen Entschei­dungen und humanis­ti­schen Werten. Die Roma-Jugend­or­ga­ni­sation „Arka“ organi­sierte eine Ausstellung über das Schicksal von Roma-Kindern während der Besatzung. Der junge Regisseur und Rom Petro Rusanenko drehte 2017 einen Kurzfilm namens „Erinnern“ über den Versuch ukrai­ni­scher Dorfbe­woh­ne­rinnen, eine junge Romni vor der Ermordung durch ein deutsches Kommando zu retten.

Diese und andere Initia­tiven regen zum Nachdenken über das Leid und das Schicksal an, das den durch­schnitt­lichen Zivilisten, den Frauen und Kindern widerfuhr, welche im Faden­kreuz der Besatzer standen. Darüber hinaus erscheint die Spezifik des Völker­mords an den Roma durch sie in einem Licht, das der histo­ri­schen Wirklichkeit gerecht wird, wenngleich ihnen eine zur Vertei­digung kollek­tiver, staat­licher und natio­naler Vorstel­lungen ansta­chelnde Rhetorik fremd ist.

Vergleich mit den Nachbar­ländern Russland und Belarus

An dieser Stelle sollen noch einige knappe, verglei­chende Beobach­tungen über die Erinne­rungs­kultur in den Nachbar­ländern stehen, die ebenfalls die deutsche Besatzung erlebten. Gemeint sind Belarus, wo derzeit drei Denkmäler an die Roma erinnern, und Russland, wo es nur ein einziges gibt.

Die Forschung verweist auf eine Gemein­samkeit in allen drei Ländern, die darin liegt, dass die staat­lichen Organe kein Interesse daran zeigen, an diese Tragödie zu erinnern. Sie verbleibt auf ihrem Platz am Rande des Bewusst­seins der Gesell­schaft. In Belarus und Russland stehen ihrer Integration in das gesell­schaft­liche Gedächtnis zudem die dominie­renden natio­nalen Geschichts­mo­delle, insbe­sondere der Kult des „Großen Vater­län­di­schen Krieges“, entgegen. In der Folge überwiegen in Belarus und Russland die Heroi­sierung und die Entper­so­na­li­sierung trauma­ti­scher Erfah­rungen, während in der Ukraine ein Prozess des Umdenkens und der Vermensch­li­chung einge­setzt hat.

¹ Das letzte und bedeu­tendste dieser Projekte war die Ausstellung „Der missachtete Völkermord. Das Schicksal der Roma in der deutschen Besat­zungszone der Ukraine, 1941–44“, die mit Unter­stützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Stiftung „Erinnerung, Verant­wortung und Zukunft“ ins Leben gerufen wurde.

² Der Leiter der Bildungs­ab­teilung in der Regio­nal­re­gierung der Oblast Tscher­kassy lehnte 2018 die Bitte lokaler Lehrkräfte ab, eine Ausstellung über den Völkermord an den Roma zu eröffnen. Er begründete diese Entscheidung damit, dass er zwar „das Recht der Roma auf Selbst­be­stimmung respek­tiere, jedoch die Aufklärung über den Völkermord an den Ukrainern, den Holodomor, für die Priorität“ halte. Doch dergleichen Vorkomm­nisse sind selten. Im Großen und Ganzen zeigt die Praxis, dass Vertreter der Staats­organe, wenn sie auch nicht die Initia­toren solcher Veran­stal­tungen sind, Einla­dungen doch in aller Regel nachkommen und dabei die Wichtigkeit der Erinnerung an den Völkermord zum Ausdruck bringen. Was die Vertreter staat­licher Kultur- und Bildungs­in­sti­tu­tionen betrifft, so zeigen Museen, Biblio­theken und Lehrkräfte großes Interesse an dem Thema.

³ Das Ukrai­nische Institut für Nationale Erinnerung wurde beispiels­weise für die Verbreitung eines „natio­na­lis­ti­schen“ Narrativs kriti­siert. Nichts­des­to­we­niger war das Institut 2016 ein Förderer und Mitor­ga­ni­sator der wichtigen Wissen­schafts­kon­ferenz „Der Völkermord an den Roma der Ukraine während des Zweiten Weltkriegs: Studium, Lehre, Gedenken“

Aus dem Ukrai­ni­schen von Dario Planert. 

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