Olympia 2022: 1:0 für Xi, Putin und Co?

Foto: Shutter­stock

Der Gegensatz zwischen Olympia 2008 und Olympia 2022 könnte kaum größer sein. Die damaligen Hoffnungen auf eine Öffnung und Libera­li­sierung Chinas haben sich nicht erfüllt. Die Winter­spiele zeigen, wie groß der politi­schen Graben zwischen China und dem Westen seit dem Macht­an­tritt Xi Jingpins wieder geworden ist.

Es ist ein subtiler Wandel, der sich dieser Tage in Peking vollzieht. Anfang Januar fiel Bewohnern der chine­si­schen Haupt­stadt auf, dass die Behörden die Schilder der U‑Bahn verändert hatten. Das englische Wort „Station“ war verschwunden. Es war durch „Zhan“ ersetzt worden, der latei­ni­schen Umschrift des chine­si­schen Zeichens für „Bahnhof“. Ein Beispiel: Aus „Mudanyuan Station“ war „Mudanyuan Zhan“ geworden.

Eine minimale Verän­derung, könnte man meinen, nicht der Rede wert. Aber das Groteske ist: Für Ausländer, die kein Chine­sisch können, dürfte die Namens­än­derung die Navigation in der 21-Millionen-Metropole schwie­riger gemacht haben. Fast ist es, als wollte Peking mit den neuen U‑Bahn-Schildern sagen: Liebe Ausländer, wenn ihr schon zu uns kommt, dann lernt gefäl­ligst Chinesisch!

2008 fanden die ersten Olympi­schen Spiele in China statt – und katapul­tierten das aufstre­bende Riesen­reich auf die Weltbühne. 2001 war die Volks­re­publik der Welthan­dels­or­ga­ni­sation beigetreten, Politiker in den USA und Europa sahen das als Beweis für die wirtschaft­liche und politische Libera­li­sierung des Landes. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten sich China und der Westen im System­kon­flikt des Kalten Krieges feind­selig gegen­über­ge­standen. Selbst im Wendejahr 1989, das zur Öffnung des Eisernen Vorhangs führte, prallten noch zwei Welten aufein­ander: Während in Berlin in einer fried­lichen Revolution die Mauer fiel, ließ die chine­sische Führung den Studen­ten­auf­stand auf dem Platz des Himmli­schen Friedens mit Panzern niederwalzen.

Nun herrschte die Hoffnung, dass sich die Entfremdung im neuen Jahrtausend auflösen und einer Annäherung weichen würde. Auch die Sommer­spiele 2008 schienen das zu belegen: China empfing die Welt – und die Welt war entzückt. Wer sich im Internet durch Fotos klickt, findet Aufnahmen, die zeigen, wie George W. Bush, der damals mächtigste Mann der westlichen Welt, gut gelaunt neben chine­si­schen Politikern im Publikum sitzt und das Team America anfeuert. Auch Xi Jinping, dem heutigen chine­si­schen Staatschef, schüt­telte der damalige US-Präsident die Hand. Xi war einer der Organi­sa­toren von Olympia 2008.

Doch keine zwei Jahrzehnte später ist die Stimmung gekippt. China hat sich nicht libera­li­siert, schon gar nicht so, wie sich Politiker in den USA und Europa das vorge­stellt haben. Mit Xi Jinping ist seit 2012 ein autori­tärer Herrscher im Amt, der die Annäherung der Volks­re­publik an den Westen begraben hat. Der „Chef von allem“, wie ihn der britische „Economist“ 2016 nannte, strebt nationale Größe für sein Land an und will den Westen in die Schranken weisen. Den mächtigsten Mann der westlichen Welt, US-Präsident Joe Biden, wird man dieses Jahr vergeblich im Publikum der Olympi­schen Winter­spiele suchen.

Der Gegensatz zwischen Olympia 2008 und Olympia 2022 könnte daher kaum größer sein. Die Winter­spiele werden nicht in die Geschichts­bücher eingehen als Fest der Völker­ver­stän­digung. Statt­dessen markieren sie einen Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten der Funkstille. Auslän­dische Zuschauer sind nicht zu den Wettbe­werben zugelassen. Nicht einmal an chine­sische Zuschauer werden Tickets verkauft.

Natürlich könnte man das alles auf Corona schieben. Denn auch im dritten Jahr nach dem Virus­aus­bruch bringt die Pandemie immer noch den Austausch von Menschen und Waren durch­ein­ander. Auch die Olympi­schen Sommer­spiele 2020 in Japan, die aufgrund von Corona erst 2021 ausge­tragen wurden, fanden größten­teils ohne Zuschauer statt.

Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn der politische Graben zwischen China und dem Westen ist so groß wie seit den frühen 80er-Jahren nicht mehr, als das Land anfing, sich nach den Verwer­fungen der Kultur­re­vo­lution vorsichtig zu öffnen. Die USA, Kanada, Großbri­tannien und Japan werden keine Regie­rungs­ver­treter zu Olympia schicken. Damit verweigert mehr als die Hälfte der G7-Staaten, der führenden Indus­trie­na­tionen der westlichen Welt, China die diplo­ma­tische Aufwartung. Auch Australien hat sich dem diplo­ma­ti­schen Boykott angeschlossen.

Selbst in Deutschland, einer Handels­nation mit Kriegs­ge­schichte, die inter­na­tio­nalen Konflikten am liebsten ausweicht, schloss Außen­mi­nis­terin Annalena Baerbock in einem Interview kurz vor ihrem Amtsan­tritt einen diplo­ma­ti­schen Boykott nicht aus. Ihre Partei, die Grünen, kriti­sieren chine­sische Menschen­rechts­ver­let­zungen wie kaum eine andere deutsche Partei. Dass sich Deutschland schluss­endlich doch nicht an dem diplo­ma­ti­schen Boykott betei­ligen wird, ist wohl auf das SPD-geführte Kanzleramt zurück­zu­führen – und seine Angst vor wirtschaft­lichen Vergeltungsmaßnahmen.

Der diplo­ma­tische Boykott ist ein sanfter Boykott, er erstreckt sich nur auf Regie­rungs­ver­treter, nicht auf Athleten. Damit ist 2022 nicht 1980, als die USA auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges die Olympi­schen Spiele in der damaligen Sowjet­union vollständig boykot­tierten. Aber was China und den Westen entzweit, ist eine Liste von Konflikten, die so lange ist, dass man leicht den Überblick verlieren kann.

Die G7-Staaten werfen Peking vor, die musli­mische Minderheit der Uiguren zu unter­drücken, das Demokra­tie­ver­sprechen für Hongkong gebrochen und die Unter­wer­fungs­rhe­torik gegenüber dem de facto unabhän­gigen Taiwan hochge­fahren zu haben. Hinzu kommt, dass die Volks­re­publik im Südchi­ne­si­schen Meer Terri­to­ri­al­an­sprüche erhebt, die im Wider­spruch zu einem Urteil des ständigen Schiedshofs in Den Haag stehen.

Mit der Pandemie ist zudem das chine­sische Krisen­ma­nagement in die Kritik geraten. Denn dass der Ursprung von Corona bis heute unbekannt ist, liegt auch daran, dass Peking eine weitere von der Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sation (WHO) geleitete Suche nach dem Ursprung des Virus in China ablehnt. Eine erste WHO-Mission im vergan­genen Jahr brachte so gut wie keine Ergeb­nisse zutage – was vor allem daran lag, dass die Wissen­schaftler kaum selbst­ständig recher­chieren durften.

Doch China lässt nicht nur die WHO nicht mehr ins Land. Seit dem Ausbruch der Pandemie regle­men­tiert die Volks­re­publik die Einreise aufs Penibelste. Es gibt derzeit kaum noch kommer­zielle Flüge, die zwischen Deutschland und China verkehren. Nur Charter­flüge bringen gelegentlich Manager, Diplo­maten und Journa­listen ins Land. Das hat Auswir­kungen auf den wirtschaft­lichen, kultu­rellen und gesell­schaft­lichen Austausch.

Für Geschäfts­leuten sei es seit Beginn der Pandemie extrem schwierig geworden, nach China einzu­reisen, beklagte der Präsident der ameri­ka­ni­schen Handels­kammern in China jüngst – und warnte vor einem Exodus westlicher Führungs­kräfte. Die Zahl deutscher Studie­render in China ist, wie aus dem Auswär­tigen Amt zu hören ist, auf eine zweistellige Zahl zusam­men­ge­schrumpft. Im Jahr 2019, vor der Pandemie, waren es nach Angaben des Statis­ti­schen Bundes­amtes noch mehr als 8000. Man müsse dringend pragma­tische Lösungen finden, um die Mobilität zwischen China und Europa zu erleichtern, mahnte jüngst Frank Rückert, der deutsche Gesandte, der derzeit den deutschen Botschafter in China vertritt, bei einer Veran­staltung der deutschen Außen­han­dels­kammer in China.

Hinzu kommt, dass die Volks­re­publik sich von der Welt abwendet. Präsident Xi Jinping hat sein Land seit zwei Jahren nicht mehr verlassen. Seine letzte Auslands­reise bestritt er im Januar 2020 nach Myanmar. Zuletzt reiste er weder zum G‑20-Gipfel nach Rom noch zur Klima­kon­ferenz nach Glasgow – obwohl China der weltweit größte Emittent von Treib­haus­gasen ist. Die Ironie: In der Eröff­nungsrede des Weltwirt­schafts­forums in Davos, das Mitte Januar online stattfand, beschwor der chine­sische Staatschef die inter­na­tionale Zusam­men­arbeit und den Freihandel.

Doch so sehr sich die Volks­re­publik auch abschottet: Omikron konnte sie sich nicht vom Leib halten – trotz Null-Covid-Kurs. Als Mitte Januar die erste Infektion in Peking gemeldet wurde, sperrten die Behörden ohne Vorwarnung ein Büroge­bäude ab, in dem sich noch Angestellte befanden. Die politische Führung beobachtet das Auftauchen der hochin­fek­tiösen Variante mit Sorge, da chine­sische Impfstoffe ersten Erkennt­nissen zufolge nur einen geringen Schutz gegen eine Infektion bieten. Impfstoffe, die auf mRNA-Techno­logie beruhen, sind in China nicht auf dem Markt. Verein­facht gesagt, bedeutet das: Sobald Omikron in China ist, könnte sich die Variante unter einer quasi ungeimpften Bevöl­kerung rasch verbreiten. Der Null-Covid-Kurs des Landes wäre dahin.

Für die Olympi­schen Spiele sind das keine guten Vorzeichen. Sie sollen in einem „geschlos­senen Kreislauf“ statt­finden, sozusagen einer Paral­lelwelt. Mitar­beiter, Sportler und Journa­listen sollen während der Winter­spiele von der Außenwelt abgeschirmt werden. Jeder, der in den „Kreislauf“ eintritt, muss vollständig geimpft sein oder nach der Einreise eine dreiwö­chige Quarantäne über sich ergehen lassen. Wer sich im „Kreislauf“ befindet, wird täglich getestet und muss einen Mundschutz tragen. Das System des „geschlos­senen Kreis­laufs“ umfasst sogar spezielle Trans­port­mittel, die parallel zu den öffent­lichen Verkehrs­mitteln betrieben werden. Der Kontakt des „Kreis­laufs“ mit der Öffent­lichkeit soll unter allen Umständen vermieden werden. Im Januar forderten die Behörden in Peking die Einwohner der chine­si­schen Haupt­stadt dazu auf, keinem Fahrzeug der Olympi­schen Winter­spiele zu helfen, wenn es während der Wettkämpfe in einen Unfall verwi­ckelt sein sollte.

Doch auch in der Olympi­schen Paral­lelwelt ist Omikron bereits angekommen. Am Mittwoch, zwei Tage vor Beginn der Spiele, meldete das deutsche Olympia-Team in Peking seinen zweiten Corona-Fall. Insgesamt verzeich­neten die Organi­sa­toren am Mittwoch 32 Corona-Fälle. Die Gesamtzahl der Corona-Fälle innerhalb der Olympi­schen Paral­lelwelt ist damit seit dem 23. Januar auf insgesamt 232 gestiegen. Die Frage wird sein: Gelingt es Peking, die Infek­tionen auf die Olympische Blase zu beschränken?

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