Carbon Management und negative Emissionen: Die europäische Perspektive

Fotos: LibMod

Am 20. März hat LibMod zwei Fachge­spräche zum Thema Carbon Management und negative Emissionen in Brüssel organi­siert. Viele Weichen, die auch für Deutschland entscheidend sind, werden aktuell dort gestellt. Ein Grund mehr, den Blick für die EU-Perspektive zu öffnen.

Welche Poten­ziale haben negative Emissionen? Welche Rolle sollen und können sie für den Klima­schutz spielen? Wie gehen wir mit möglichen Risiken um? In zwei von Felix Schenuit (SWP) und Aysel Aliyeva (LibMod) moderierten Fachge­sprächen in Brüssel haben wir uns am 20. März diesen und weiteren Fragen angenähert.

Vor dem Hinter­grund der im Februar von der EU-Kommission veröf­fent­lichten Carbon Management Strategie haben wir in Koope­ration mit der Heinrich Böll Stiftung thema­ti­siert, wie mit Risiken des Carbon Manage­ments sinnvoll umgegangen werden kann. Mit der Vertretung des Landes NRW in Brüssel ging es weiter mit der Frage, wie Regula­torik und Infra­struk­turen europäisch gedacht werden können.

Mit ihren Inputs angeregt haben die Diskussion Mette Quinn (Referats­lei­terin General­di­rektion Klima, EK),Christian Holzleitner (Referats­leiter, General­di­rektion Klima, EK), Chris Sherwood (General­se­kretär, Negative Emissions Platform), Ulriikka Aarnio (Senior Policy Coordi­nator, Climate Action Network (CAN) Europe), Wijnand Stoefs (Lead Carbon Removals, Carbon Market Watch) und Artur Runge-Metzger (Senior Fellow, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change).

Die klima­po­li­tische Rolle negativer Emissionen

Eine zentrale Botschaft der Gespräche war: Das Volumen an negativen Emissionen wird auf absehbare Zeit überschaubar bleiben. Umso wichtiger ist der Konsens über die konkrete klima­po­li­tische Rolle der negativen Emissionen. Angesichts der techni­schen, ökono­mi­schen und biolo­gi­schen Begren­zungen erscheint es sinnvoll, das Potenzial bis zur Mitte des Jahrhun­derts zu nutzen, um dazu beizu­tragen, eine ausge­wogene Klima­bilanz zu erreichen (Netto-Null-Ziel). Dabei geht es vor allem darum, nicht oder nur schwer zu vermei­dende Emissionen auszugleichen.

In der zweiten Hälfte des Jahrhun­derts werden negative Emissionen nötig sein, um eine negative CO2-Bilanz zu erzielen (Netto-Negativ-Ziel) und damit das Erdklima zu stabi­li­sieren. Indus­trie­staaten können damit einen Beitrag leisten, die in der Vergan­genheit entstan­denen Emissionen in gewissem Umfang wieder rückgängig zu machen.

Wegen dieser wichtigen, aber begrenzten klima­po­li­ti­schen Rolle negativer Emissionen, ist es unumgänglich, alle vermeid­baren Emissionen auch zu vermeiden.

Carbon Management und negative Emissionen europäisch denken

Bereits heute sind negative Emissionen Teil der europäi­schen Klima­po­litik. So sind 310 Millionen Tonnen natür­liche CO2-Senken aus der Landnutzung, Landnut­zungs­än­derung und Forst­wirt­schaft Bestandteil der 2030-Klima­ziele der EU.

Aber auch bei den techni­schen Senken sollte das Thema europäisch gedacht werden. Das gilt nicht nur für die nötige CO2-Infra­struktur (etwa für Carbon Capture and Storage – CCS) und eine harmo­ni­sierte Regulierung, sondern auch für eine gerechte Verteilung der zu errei­chenden negativen Emissionen auf die Mitgliedsstaaten.

In einer Zeit, in der inter­na­tionale Zusam­men­arbeit und grenz­über­schrei­tende Initia­tiven mehr denn je gefragt sind, rückt die EU richti­ger­weise für 2030 Carbon-Dioxide-Removal-Techno­logien (CDR) wie bioba­siertes Bauen, geolo­gische Speicherung und Pflan­zen­kohle ins Zentrum ihrer Klima­po­litik. Ein zentrales Instrument ist dabei der Europäische Innova­ti­ons­fonds, der speziell auf die Skalierung solcher Techno­logien ausge­richtet ist.

Diffe­ren­zierung der CDR-Methoden und Governance

Um die Möglich­keiten der unter­schied­lichen CDR-Methoden (Direct Air Capture, BECCS, Enhanced Weathering usw.) auszu­schöpfen, aber auch Risiken angemessen zu begegnen, sind regula­to­rische Ansätze und Anreize zentral, die die verschie­denen Methoden auch diffe­ren­ziert behandeln.

Darüber hinaus erfordert die Entnahme von CO2 ein hohes Maß an Qualität, Trans­parenz und Zurechen­barkeit. Groß ist das Risiko das schwache Zerti­fikate den Ruf der Branche beschä­digen. Der Zerti­fi­kat­markt wird nur funktio­nieren und attraktiv für Inves­toren sein, wenn es klare Regeln gibt. Der EU-Zerti­fi­zie­rungs­rahmen (CRCF) spielt hier eine zentrale Rolle.

Deutlich wurde in den Diskus­sionen auch, dass das Rad hier nicht neu erfunden werden muss. Es bestehen in der europäi­schen Klima­po­litik bereits verschiedene Ansätze, an denen die Regulierung von Carbon Management andocken kann. Ob die Integration von negativen Emissionen in den europäi­schen Emissi­ons­rechts­handel (EU-ETS) sinnvoll ist, ist Gegen­stand anhal­tender Debatten.

Kosten realis­tisch einschätzen und finanzieren

Hinsichtlich der Finan­zierung und Verteilung von Kosten für die CO2-Entnahme bestehen unter­schied­liche Ansätze. Sicher ist, dass die langfristige CO2-Entnahme auf absehbare Zeit teuer bleibt. Es ist einleuchtend, dass die Unter­nehmen und Branchen, die ihre Treib­haus­gas­emis­sionen nicht reduzieren, nach dem Verur­sa­cher­prinzip für Carbon Dioxid Removal bezahlen sollten.

Wer aber wird in der zweiten Hälfte des Jahrhun­derts die Kosten dafür übernehmen, heute emittiertes CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen? Denkbar ist hier etwa eine CO2-Entsorgungssteuer.

Mit Blick auf das nächste EU-Budget werden erheb­liche Heraus­for­de­rungen erwartet, nicht zuletzt hinsichtlich der Bereit­stellung zusätz­licher öffent­licher Mittel für die CO2-Entnahme. Entscheidend wird die Entwicklung von Finan­zie­rungs­mo­dellen wie beispiels­weise Klima­schutz­ver­träge oder Grüne Leitmärkte sein, die sowohl von öffent­lichen als auch von privaten Inves­toren getragen werden. Diese Strategien müssen aktiv verfolgt werden, um im Haushalt der nächsten EU-Mehrjah­res­fi­nanz­rahmen Priori­täten zu setzen.

Um den Markt­hochlauf zu finan­zieren und Start-ups Finan­zie­rungs­mög­lich­keiten zu bieten, sind öffentlich-private Partner­schaften in Zeiten stark angespannter Haushalts­lagen eine sinnvolle Lösung. Start-ups eine Perspektive zu bieten, ist schon deshalb wichtig, weil die heute existie­renden Start-ups die CDR-Lösungen entwi­ckeln, die wir bis zur Mitte des Jahrhun­derts benötigen.

Die größte Gefahr wäre, nur auf die Risiken zu schauen – und nicht zu handeln

Jetzt sollten alle Hebel in Kraft gesetzt werden, um negative Emissionen in großem Maßstab zu reali­sieren. Gleich­zeitig müssen die Risiken im Blick behalten werden. Die größte Gefahr wäre aller­dings, nur auf die Risiken zu schauen – und nicht zu handeln. Das gilt umso mehr angesichts der Tatsache, dass das Thema in anderen Regionen der Welt deutlich weniger zaghaft angegangen wird. Europa hat aktuell noch die Möglichkeit Standards zu setzen – muss dafür aber jetzt auch loslegen.

Gleich­zeitig ist zu beachten, dass die Langfris­tigkeit der Speicherung von CO2 bei natür­lichen, aber auch bei techni­schen Senken ein Problem sein kann. Hinzu kommt, dass die Anrechnung von Zerti­fi­katen kompli­ziert ist und Konkur­renzen bei Energie- und Flächen­ver­brauchen entstehen können.

Unter­schätzt werden können zudem Risiken und Heraus­for­de­rungen, die derzeit noch nicht vollständig erfassbar sind. Zugleich können wir angesichts der Dring­lichkeit schwerlich erst so lange warten, bis alle Probleme gelöst sind. Für vieles wird sich erst auf dem Weg eine Lösung finden.

Lange Hausauf­ga­ben­liste für neue Europäische Kommission

Einigkeit bestand bei allen Teilneh­menden darüber, dass die Hausauf­ga­ben­liste für die neue Europäische Kommission lang ist. Vor allem muss sie Carbon Management in andere Klima­po­li­tiken integrieren.

Gleich­zeitig zeichnet sich ab, dass das politische Umfeld nach den EU-Wahlen im Juni Diskus­sionen und Entschei­dungen über Klima­po­litik eher erschweren wird. Hinzu kommt, dass das EU-Budget voraus­sichtlich knapper ausfallen wird, und dementspre­chend weniger finan­zielle Mittel zur Verfügung stehen werden.

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