Progressiv-liberale Nostalgie und der Mars

Elon Musks Marsflug-Visionen sind nur ein Beispiel für eine Zukunfts­of­fenheit und Zukunfts­zu­ge­wandtheit, die dem progressiv-liberalen Lager zunehmend fehlen. Warum Warnungen vor Faschisten allein nicht reichen, Zukunft auch Spaß machen muss und wir Zukunfts­er­zäh­lungen nicht allein dem US-ameri­ka­ni­schen Marsen­thu­si­asten überlassen sollten, erörtert Lukas Daubner.

Der Tech-Milli­ardär Elon Musk hat es kurz vorm US-Wahltag nicht an Eindeu­tigkeit vermissen lassen. Er sicherte seinen Followern auf X zu, „jeden, der ein Raumfahrer sein will“, zum Mars zu bringen – aber nur, wenn Donald Trump die US-Präsi­dent­schafts­wahlen gewinnt. Dieses extra­ter­res­trische Motiv war ein wichtiges im US-Wahlkampf.

Musk lief bei Wahlkampf­ver­an­stal­tungen mit einem „Occupy-Mars“ T‑Shirt auf.  Eines seiner Haupt­ar­gu­mente gegen Kamala Harris war, dass, sollte sie die Wahl gewinnen, die USA nicht zum Mars fliegen werden.

Bei den meisten Leserinnen und Lesern in Deutschland werden die Raumfahrtam­bi­tionen von Donald Trump und Musk Befremden oder gar Häme hervor­rufen. Bei Millionen von Menschen in den USA und auf der ganzen Welt ruft der Plan vom Marsflug aber Begeis­terung hervor.

Mars verspricht Zukunft

Dabei ist völlig unter­ge­gangen, dass Musk etwas hat, was auch auf Trump abstrahlt: eine Vision von einer Zukunft, die Stärke und Fortschritt verheißt, die etwas darstellt, auf das man sich freuen kann. Der Flug zum Mars ist eine Vision (oder zumindest das Symbol einer Vision), die das Zeug hat, zu begeistern. Eine Geschichte, die hoffnungsvoll ist, die mit den Erzäh­lungen der Weltun­ter­gangs­sze­narien bricht. Eine recht simple Erzählung, in der es besser wird. Und diese lassen die Demokraten in den USA – und ihre Pendants in Europa – vermissen.

Dabei ist diese Perspektive wichtig für die Demokratie. Die Zukunft muss von Menschen als offen und damit gestaltbar wahrge­nommen werden. Demokratie setzt darauf, dass Menschen Gesell­schaft in freier Aushandlung gestalten. Dazu muss Zukunft offen sein, es muss aus verschie­denen Optionen wählbar sein, es muss einen Streit sowohl über Richtungen wie über die beste Lösung geben.

Gerade der Klima­wandel – aber auch Kriege und Pandemien – haben diese nötige Offenheit in eine „zeitliche Klaus­tro­phobie“ gewandelt, so der Londoner Politik-Professor Jonathan White. Und diese uns bedro­hende zeitliche Begrenztheit hält liberale Demokratien und ihre Vertei­diger in ihrem Bann. Diese Fesseln scheinen die Republi­kaner und andere populis­tische Akteure im Westen nicht zu bremsen.

Katastrophen sind undemokratisch

Im US-Wahlkampf war ein dominie­rendes Thema der Demokraten, vor Trump und seinen faschis­ti­schen Tendenzen zu warnen. Ein Vertei­di­gungs­kampf, wie man ihn in vielen Demokratien beobachten kann. Und das ist ein Problem: Warnen vor Nazis, Faschisten und allen anderen Illibe­ralen ist gut und wichtig. Aber dieser antifa­schis­tische Reflex allein hilft nicht, um die Menschen zu begeistern und Mehrheiten zu gewinnen.

Neben vielem weiteren sind dafür Versprechen nötig, die aus der Zukunft etwas Besseres machen. Take back control war nicht nur bei der Brexit-Kampagne ein zentrales Motiv. Es ist ein zentraler Aspekt bei den US-Wahlen: Kontrolle zurück­er­langen über die Grenzen, über die Wirtschaft – aber eben auch über die Zukunft.

Jetzt kann man Trump, Musk und ihren Brüdern und Schwestern im Geiste natürlich vorwerfen, dass sie von den wirklich wichtigen Themen ablenken. Das mag auch stimmen. Sie verkörpern aber eine Zukunfts­zu­ge­wandtheit, die mitreißend wirken kann – und offenbar auch mitreißt.

Eine Beobachtung der letzten Jahre ist, dass gerade die illiberal und reaktionär Gesinnten eher zurück in die Vergan­genheit wollen als in die Zukunft. Reaktionäre aller Couleur wussten und wissen die Hoffnungs­lo­sigkeit der gesell­schaft­lichen Mitte für sich zu nutzen. Dabei haben sie sich lange nicht die Mühe gemacht, eigene Zukunfts­ent­würfe zu entwi­ckeln. Statt­dessen schwärmen sie lieber von der Vergan­genheit. Wie sie dabei vorgehen, das lässt sich bei der US-ameri­ka­nisch-polni­schen Journa­listin Anne Applebaum nachlesen. Sie beschreibt das in ihrem Buch „Die Verlo­ckung des Autori­tären“ als „die Zukunft der Nostalgie“.

Progressive und Liberale wirken zunehmend nostalgisch

Techno-libertäre Visionen wie Musks Marsflug lassen aller­dings das progressiv-demokra­tische Lager zunehmend als nostal­gisch erscheinen. Auch wenn die Selbst­wahr­nehmung eine andere ist, scheinen doch große Teile der westlichen Gesell­schaften dem progressiv-liberalen Lager weniger Zukunfts­fä­higkeit zuzutrauen. Klima­wandel, Ungleichheit, Unwet­ter­ka­ta­strophen hin oder her. Die Rezepte gegen die Heraus­for­de­rungen und Katastrophen unserer Zeit wirken oft altbacken, klein­teilig, verbissen – und ihnen wird nicht zugetraut, dass es der Breite der Bevöl­kerung dadurch besser geht, nicht nur den eh schon Bessergestellten.

Was fehlt, sind plausible Geschichten, die aufzeigen, wie wir die Zukunft meistern werden. Dafür ist aber eine gewisse Begeis­terung für die Zukunft nötig, die sich nicht vom Klima­wandel und allem anderen Nieder­schmet­ternden auf der Welt runter­ziehen lässt. Es muss ja kein grenzen­loser Techno-Optimismus sein – auch wenn wir uns einge­stehen sollten, dass techno­lo­gi­scher Fortschritt ein wichtiger Teil der Lösungen unserer Probleme bereit­stellt. So wichtig diese Aspekte sind, etwas mehr als das Sichern der Rente, eine bezahlbare Pflege­ver­si­cherung oder 50 Cent mehr Mindestlohn darf es schon sein.

Der Wettlauf um das All in den 1960er Jahren war eine treibende Kraft im Konflikt zwischen Kapita­lismus und Kommu­nismus. Er hat ökono­mische, wissen­schaft­liche und kultu­relle Kräfte freige­setzt, wie es heute kaum mehr vorstellbar ist. Und genau hier schließen Trump und Musk erfolg­reich an.

Lukas Daubner ist promo­vierter Soziologe und leitet beim Zentrum Liberale Moderne das Programm Ökolo­gische Moderne.

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