Grüner Stahl für Deutschland?! – Empfehlungen für die künftige Bundesregierung
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Die Stahlindustrie ist von großer Relevanz für den Industriestandort Deutschland. Sie umzubauen muss zentraler Teil einer künftigen Klimapolitik sein. Parul Kumar, Direktorin Klima der Denkfabrik EPICO KlimaInnovationen analysiert, vor welchen Herausforderungen eine künftige Regierung beim Umbau der Stahlindustrie steht und entwirft konkrete Handlungsempfehlungen für die nächste Legislaturperiode.
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Die Relevanz hat der Stahlindustrie für Deutschland
Stahl ist als Baustein zahlreicher Produkte wie Baumaterialien, Autos und Haushaltsgeräte ein wichtiges Grundmaterial für jede Volkswirtschaft. Für den Industriestandort Deutschland ist die Branche von immenser wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Relevanz. Die Stahlindustrie hat hierzulande viele wichtige Abnehmer in der Wertschöpfungskette, darunter die Automobilindustrie, den Maschinenbau, die Elektrotechnik und die Baubranche. Laut Statistiken aus dem Jahr 2022 war Deutschland der siebtgrößte Rohstahlhersteller der Welt mit einem Umsatz von ca. 55,2 Milliarden Euro und etwa 90.000 Mitarbeiter*innen. Gleichzeitig ist die Stahlindustrie einer der größten Verursacher von Treibhausgasemissionen in Deutschland, die sich im Jahr 2022 auf 51 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente beliefen – über ein Drittel der gesamten Industrieemissionen von 164 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente oder 6,83 Prozent der deutschen Gesamtemissionen.
Herausforderungen des Stahlsektors
Die Umstellung auf emissionsarme Stahlproduktion ist eine enorme Herausforderung. Die Emissionen können bei der Primärstahlerzeugung durch den Wechsel von mit fossilen Brennstoffen betriebenen Hochöfen zu einer auf grünem Wasserstoff basierenden Produktion in Direktreduktionsanlagen (engl. „Direct Reduced Iron“ oder DRI) reduziert werden. Eine weitere Möglichkeit der Emissionsreduktion besteht darin, bei der Sekundärstahlerzeugung die Verwendung von Schrott zusammen mit erneuerbarer Energie in Elektrolichtbogenöfen (engl. „Electric Arc Furnace“ oder „EAF“) zum Einsatz zu bringen, anstatt Stahl primär aus Erz zu gewinnen. In Deutschland haben Stahlunternehmen bereits fast sieben Milliarden Euro Subventionen für diese Transformation erhalten. Unter den größten Empfängern staatlicher Mittel sind Salzgitter, ThyssenKrupp und Stahl-Holding-Saar (SHS).
Die deutsche Stahlindustrie steht aktuell vor mehreren Herausforderungen, mit denen sie im Zuge der Klimatransformation kämpfen muss: Hohe Strompreise, die im Vergleich zu anderen EU-Ländern sowie den USA und China deutlich teurer sind, stellen eine große Belastung für die deutsche energieintensive Industrie dar, darunter auch die Stahlindustrie. Gleichzeitig schrumpft die Stahlnachfrage, da Abnehmerbranchen wie die Automobilindustrie mit eigenen Krisen kämpfen. Darüber hinaus haben die Konkurrenz von günstigerem Stahl aus anderen Ländern wie China und die jüngste Ankündigung von US-Präsident Donald Trump über Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Stahl eine negative Wirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Stahlindustrie.
Handlungsempfehlungen für die nächste Legislaturperiode
Durch die folgenden Maßnahmen könnte die künftige Bundesregierung die Dekarbonisierung der Stahlindustrie gezielt unterstützen.
1. Strompreis senken
Der hohe Strompreis in Deutschland stellt einen Wettbewerbsnachteil für energieintensive Industrien dar, mit dem sich die nächste Bundesregierung befassen muss. Maßnahmen in diesem Bereich müssen den Ausbau der Energieinfrastruktur beschleunigen, insbesondere den Netzausbau. Eine Flexibilitätsstrategie beispielsweise mit Maßnahmen für nachfrageseitige Flexibilität und Speicherlösungen sollte zudem genutzt werden, um unnötigen zusätzlichen Netzausbau zu vermeiden und Systemkosten (etwa durch Redispatch) zu mindern. Kurzfristig müssen die Netzentgelte abgesenkt werden, das sollte aber im Gleichschritt mit einer strukturellen Reform der Netzentgeltsystematik erfolgen, um die Kosteneffizienz nachhaltig zu erhöhen. Instrumente wie Stromkaufvereinbarungen (engl. „Power Purchase Agreements“ oder PPAs) könnten die Industrie zudem zu einer Umstellung auf grüne Energie bewegen.
2. Wasserstoffhochlauf vereinfachen und beschleunigen
Das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz, das für einen schnelleren und sicheren Markthochlauf für Wasserstoff bis 2030 sorgen soll, kann in den ersten 100 Tagen der nächsten Legislaturperiode verabschiedet werden. Gleichzeitig muss auf europäischer Ebene die Wasserstoff-Bank gestärkt werden, da ein Großteil des Wasserstoffs importieren werden muss. Für künftige politischen Entscheidungen wird ein pragmatischerer Umgang mit den Kriterien für grünen Wasserstoff sowie die Priorisierung seiner Anwendung in den Bereichen, in denen er am effizientesten ist, von großer Bedeutung sein. Bei künftigen Wasserstoffauktionen sollten Kriterien zur Priorisierung des CO2-Vermeidungspotenzials berücksichtigt werden. Damit soll sichergestellt werden, dass Wasserstoff in Sektoren mit den höchsten Vermeidungskosten und einem Mangel an alternativen Dekarbonisierungsoptionen, wie z. B. der Stahlindustrie, eingesetzt wird.
3. Grüne Leitmärkte mit Standards für emissionsarmen Stahl etablieren
In einem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) veröffentlichten Konzeptpapier vom Juni 2024 wurde anerkannt, dass „mittel- bis langfristig eine hinreichend große und verlässliche Nachfrage für klimafreundliche Grundstoffe am Markt geschaffen und Kostensenkungspotenziale bei emissionsarmen Verfahren gehoben werden“. Die Schaffung von Leitmärkten für klimafreundliche Produkte wie Stahl und Zement wurde in diesem Zusammenhang als eine transformative nachfrageseitige Maßnahme befürwortet, insbesondere für ihren Beitrag zur Verringerung der staatlichen Fördermittel und Verstärkung der Wirkung der CO2-Bepreisung.
Eine Voraussetzung für die Etablierung grüner Leitmärkte ist die Einführung von Standards, um die Emissionsintensität von Produkten zuverlässig darzustellen und eine entsprechende Kennzeichnung zu ermöglichen. Das freiwillige privatrechtliche Kennzeichnungssystem „Low Emission Steel Standard“ (LESS), das auf einer gleitenden Skala für die Klassifizierung basiert, ist ein solches Beispiel im Stahlbereich. Es ist begrüßenswert, dass dieses System nicht nur die direkten Emissionen (Scope 1) umfasst, sondern auch die indirekten Emissionen (Scope 2 und 3). Allerdings ist der Standard in erster Linie auf die Produktion von Primärstahl aus Roheisen in Direktreduktionsanlagen ausgerichtet und berücksichtigt nicht ausreichend die Umweltvorteile und die vermiedenen Emissionen durch die Verwendung von Sekundärstahl aus Schrott. Ein Standard für grünen Stahl sollte auf europäischer Ebene festgelegt werden, damit er in die Ökodesign-Verordnung (engl. Ecodesign Requirements for Sustainable Products Regulation oder ESPR) eingebunden werden kann. Er sollte ausreichend technologieneutral sein, um eine Emissionsreduzierung in der Stahlbranche sowohl auf der primären als auch der sekundären Routen zu ermöglichen und damit sicherzustellen, dass zukünftige Investitionen in ein verbessertes Recycling nicht vernachlässigt werden. Die nächste Bundesregierung sollte die Festlegung von Standards für grünen Stahl unterstützen.
4. Öffentliche Beschaffung vorantreiben
Deutschland ist die größte Volkswirtschaft Europas und dementsprechend ist auch der deutsche Beschaffungsmarkt erheblich. Das öffentliche Auftragswesen entspricht 15 Prozent des deutschen BIP, was eine jährliche Summe von 500 Milliarden bedeutet. Die öffentliche Beschaffung ist ein großer Hebel für die Schaffung der Nachfrage für grünen Stahl. In der aktuellen Form ist die Gesetzgebung allerdings für eine sogenannte „grüne öffentliche Beschaffung“ nicht ausgerichtet. Gemäß §127(1), Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) bestimmt sich „das wirtschaftlichste Angebot … nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis“ und nicht nach Nachhaltigkeitskriterien.
In dem Entwurf für das sogenannten Vergabetransformationsgesetz hat das Bundeskabinett einen neuen Paragraph §120a in das GWB hinzugefügt, nach dem „mindestens ein soziales oder ein umweltbezogenes Kriterium“ vom öffentlichen Auftraggeber berücksichtigt werden muss. Das umweltbezogene Kriterium war daher nicht verbindlich, und laut dem Text des Entwurfs auch nicht emissionsgebunden.
Letztendlich wurde die Gesetznovellierung von der Bundesregierung nicht verabschiedet. Eine Änderung der Beschaffungskriterien weg vom niedrigsten Preis hin zu weiteren Faktoren, etwa CO2-Fußabdruck und Emissionen ist auch in einer bevorstehenden Reform der EU-Richtlinie 2014/24/EU, 2014/25/EU und 2014/23/EU über die öffentliche Auftragsvergabe (voraussichtlich im Jahr 2026) vorgesehen. Die nächste Bundesregierung muss die Novellierung der gesetzlichen Rahmenbedingungen priorisieren, um verbindliche emissionsorientierte Kriterien gesetzlich zu verankern, und dadurch den Staat zu einem wichtigen Abnehmer für Güter wie grünen Stahl zu machen.
Für eine umfassende Perspektive zu den Herausforderungen der Stahlindustrie in Deutschland und der EU lesen Sie hier unser Strategiepapier mit fünfzehn Empfehlungen für die Politik.
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