Abkopplung von Amerika?

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By Naren­challa [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Zerstört Donald Trump die Idee Amerika? Wer die USA abschreibt, begeht einen strate­gi­schen Fehler. Warum der Westen trotz allem Zukunft hat.

Zerstört Donald Trump die Idee Amerika? Was wie eine theore­tische Frage klingt, die ins Feuil­leton gehört, ist für Europa in der Ära Trump zu einer politi­schen Ordnungs­frage erster Kategorie geworden.

Donald Trump ist ein Präsident, der instinktiv verstanden hat, welche Sorgen und welche Wut jene umtreiben, die sich als Opfer der Globa­li­sierung, der wirtschaft­lichen Umbrüche, der kultu­rellen Diver­si­fi­zierung und der digitalen Revolution betrachten. Was Trump nicht verstanden hat, ist, dass dies urame­ri­ka­nische Entwick­lungen sind, die größten­teils von Amerika selbst erfunden und voran­ge­trieben werden — weswegen er dann auch die uname­ri­ka­nischste aller Antworten auf die Verwer­fungen gibt: nicht Pionier­geist, self-impro­vement, Zukunftskult, und Unter­neh­mertum, sondern Grenz­schließung, Protek­tio­nismus, Verun­glimpfung des Rechts­staates, Appell an die niederen Instinkte und die Glori­fi­zierung einer Vergan­genheit, die es nie gab.

Die Europäer, die genau wissen, dass ihr Kontinent immer dann geostra­te­gische Grippe bekommt, wenn Amerika sich einen politi­schen Schnupfen leistet, fragen sich nun, ob Trump nicht nur eine temporäre Verwerfung darstellt, sondern Amerika von Grund auf verändern wird, ob er die ameri­ka­nische Demokratie dauerhaft beschädigt und Amerikas Rolle in der Welt drama­tisch zurückfährt.

Nicht Befreiung vom Atlan­ti­zismus ist angesagt, sondern Befreiung vom selbst­ge­wählten strate­gi­schen Pygmäentum.

Bisher waren die Europäer von Amerika nicht nur für ihre eigene strate­gische Sicherheit und ihre globale Inter­es­sen­ver­tretung abhängig, sie konnten mit dieser Abhän­gigkeit auch einiger­maßen leben. Vielen missfiel zwar die Dominanz der USA, und nicht jeder Präsident und beileibe nicht jede Politik fand Zustimmung in den Haupt­städten Europas. Auch hat es zu jedem Zeitpunkt ausrei­chend Antiame­ri­ka­nismus gegeben, der sich seine periodi­schen Hochphasen geneh­migte. Aber unterm Strich haben alle europäi­schen Regie­rungen, gleich welcher ideolo­gi­schen Herkunft, jahrzehn­telang und bis heute eine Politik betrieben, die – häufig trotz gegen­tei­liger Rhetorik – die Abhän­gigkeit von den USA weiter zemen­tierte. Europa hat sich selbst den Weg zur außen­po­li­ti­schen Macht verweigert, es hat seine militä­ri­schen Fähig­keiten klein gehalten, und es hat sich selbst in seiner unmit­tel­baren Nachbar­schaft viel Trägheit und Wunsch­träu­merei geleistet. Am Ende fand man diese verfehlte Politik und die daraus resul­tie­rende Abhän­gigkeit von den USA aber nie schlimm genug, um ernsthaft etwas gegen sie tun. Grund dafür war nicht nur die eigene Bequem­lichkeit sondern auch, dass man Amerika immer verlässlich genug fand, selbst wenn einem mal ein Präsident nicht recht geschmeckt hat.

Trump weckt alte antiame­ri­ka­nische Ressentiments

Nun werden die Stimmen laut, die nicht mehr nur Donald Trump unappe­titlich finden, sondern für die gleich ganz Amerika miterledigt ist. Für sie ist Trump nicht nur ein Schnupfen, sondern Zeichen dafür, dass Amerika selbst zur Krankheit geworden ist – oder eigentlich immer schon war. In dieser Haltung vermi­schen sich Unkenntnis über die ameri­ka­nische Demokratie, antiame­ri­ka­ni­sches Ressen­timent, verbrämter Natio­na­lismus, Unkenntnis über die strate­gische Bedeutung der deutschen Westbindung, deutsche Äquidi­stanz-Träume und gut gemeinte, aber wirklich­keits­fremde Europa­eu­phorie zu einer gefähr­lichen Mischung.

Diese Denkschule hat Konjunktur, weil das Bild, das Amerika unter Donald Trump abgibt, wahrlich irritierend ist. Sie hat Konjunktur, weil die übergroße Abhän­gigkeit von Amerika tatsächlich ein Problem ist. Und sie hat Konjunktur, weil Deutschland gerade stark und mächtig ist und glaubt, sich ein Abschütteln der alten Schutz­macht leisten zu können.

Europas Abhän­gigkeit ist selbstgemacht

Doch der Ruf nach Befreiung der Europäer vom Atlan­ti­zismus, der mit Blick auf Trump soviel Sinn zu ergeben scheint, ist ein Schnell­schuss, keine strate­gisch überlegte Antwort auf eine politische Krise.

Er setzt auf frivole, manchmal sogar böswillige Art Trump mit Amerika gleich und unter­schätzt die selbst­re­gu­lie­rende Kraft der ameri­ka­ni­schen Demokratie, die in der vielfäl­tigen Opposition gegen den Präsi­denten auf allen Ebenen sichtbar ist. Sie übersieht, dass die Abhän­gigkeit von Amerika nicht Resultat einer imperialen Verschwörung Washingtons ist sondern zum aller­größten Teil selbst­ge­macht. Nicht Befreiung vom Atlan­ti­zismus ist angesagt, sondern Befreiung vom selbst­ge­wählten strate­gi­schen Pygmä­entum. Und sie übersieht, dass gerade Deutschland sehr vorsichtig sein muss, wenn es meint, sich gegen Washington aufzu­lehnen. In Europa gibt es, außer vielleicht in der franzö­si­schen Politik, wenig Sympathie für einen solchen Kurs, was einem schnell klar wird, wenn man mal nach Den Haag, Tallinn, Prag oder auch nach Rom fährt. Dort ist man sich der Bedeutung Amerikas für die eigene Sicherheit durchaus bewusst. Und alle dort fühlen sich als Nachbarn eines dominanten Deutsch­lands und eines ehrgei­zigen Frank­reichs bedeutend wohler in ihrer Haut, wenn auch Washington eine Rolle im europäi­schen Konzert spielt. Amerika als europäische Macht bleibt unent­behrlich auch für die innere Balance des Kontinents.

Eine Loslösung von Amerika würde Europa spalten und Deutschland isolieren

Wer unter diesen Vorzeichen die Loslösung von Amerika fordert, der spaltet nicht nur den Westen, er spaltet auch die Europäer unter­ein­ander. Wer Deutschland als Vorreiter der Emanzi­pation vom atlan­ti­schen Joch sieht, der isoliert das Land und löst Unruhe aus. Ein nicht-atlan­ti­sches Deutschland hätte in Europa nur wenige Gefolgs­leute, und es besteht großer Zweifel daran, dass es die richtigen wären.

Es bleibt einem also nichts anderes übrig, als sich am Trump mit viel Engagement abzuar­beiten. Für die Tages­po­litik heißt das, genau zu schauen, wo mit seiner Regierung noch was geht. Für die strate­gische Ebene bedeutet es, endlich mehr auf natio­naler und europäi­scher Ebene zu tun, um selbst inter­na­tional und strate­gisch handlungs­fähig zu werden. Innen­po­li­tisch heißt es, statt dem anti-ameri­ka­ni­schen Sentiment Zucker zu geben, die strate­gi­schen Reali­täten Deutsch­lands und Europas, und damit die Rolle Amerikas für unsere Sicherheit und Freiheit, nüchtern zu erklären, wieder und immer wieder.

Wir müssen in all diesen Dingen selber besser werden, aber wir müssen es mit Amerika, nicht dagegen. Und dafür heißt es, auf die Macht der „Idee Amerika“ mehr zu vertrauen als auf die Macht eines Ameri­kaners ohne Ideen.


Jan Techau gehört zu den Autoren des „Trans­at­lan­ti­schen Manifests“, das dieser Tage in Berlin veröf­fent­licht wurde und eine lebhafte Debatte ausgelöst hat.

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