Trotz alledem: Amerika

Foto: Štěpán Vraný, Unsplash

Ein trans­at­lan­ti­sches Manifest in Zeiten von Donald Trump

1. Ordnungs­fragen – der neue deutsch-ameri­ka­ni­sche Interessengegensatz

Eine der großen Heraus­for­de­rungen der neuen Bundes­re­gie­rung wird es sein, die trans­at­lan­ti­schen Bezie­hungen durch die Präsi­dent­schaft Donald Trumps zu steuern. Wie gut der Bundes­re­gie­rung das gelingt, wird einer der Prüf­steine ihres Erfolges sein. Wir, eine Gruppe von außen­po­li­ti­schen Exper­tinnen und Experten aus der Zivil­ge­sell­schaft, möchten dazu jetzt, mit Blick auf die Koali­ti­ons­ver­hand­lungen, einige Denk­an­stöße liefern.

Die Zukunft der liberalen Welt­ord­nung mit ihrem multi­la­te­ralen Poli­tik­ver­ständnis, ihren globalen Normen und Werten, offenen Gesell­schaften und Märkten ist gefährdet. Freiheit und Wohlstand der Bundes­re­pu­blik hängen aber genau von dieser Ordnung ab. Sie wird aus verschie­denen Rich­tungen in Frage gestellt: Neue Mächte streben nach Einfluss und Gestal­tungs­raum; die Wirkmacht illi­be­raler Regie­rungen und auto­ri­tärer Regime wächst; innerhalb der west­li­chen Demo­kra­tien gewinnen anti­mo­derne Strö­mungen Zulauf und Einfluss; Russland stellt die euro­päi­sche Frie­dens­ord­nung in Frage; neue Tech­no­lo­gien brechen die alten wirt­schaft­li­chen Struk­turen auf und verändern auch die inter­na­tio­nalen Beziehungen.

Schließ­lich sehen sich die Verei­nigten Staaten, Miter­finder und bislang ein entschie­dener Verfechter der liberalen Ordnung, gegen­wärtig nicht mehr als deren Garant. Als erster US-Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg stellt Donald Trump Idee und Insti­tu­tionen der liberalen inter­na­tio­nalen Ordnung grund­sätz­lich in Frage. Er stellt ihr eine macht­ba­sierte nationale Inter­es­sen­po­litik gegenüber, in der kleine und mittlere Mächte ihre Rolle als nach­ge­ord­nete Akteure finden sollen. Jeder Bindung der USA an multi­la­te­rale Insti­tu­tionen und Normen steht er skeptisch gegenüber. Deutsch­land hingegen – mit seinen Präfe­renzen für Vertrags­bin­dungen und Stabi­lität – will die multi­la­te­rale Ordnung fort­ent­wi­ckeln. Für die Bundes­re­pu­blik gehören inter­na­tio­nale Zusam­men­ar­beit und die Stärkung supra­na­tio­naler Insti­tu­tionen zu den Eckpfei­lern ihrer Politik. Daraus ergibt sich ein bisher unge­kannter Gegensatz zu unserem wich­tigsten Verbündeten.

Weil der Erfolg und die Sicher­heit der Bundes­re­pu­blik und Europas auf diesem System beruhen, weil Präsident Donald Trump die USA auf einen anderen Kurs einschlägt, entfällt auf Deutsch­land und die Euro­päi­sche Union eine besondere Verant­wor­tung, dieses System zu erhalten und zu stärken.

2. Ein Präsident sui generis

Man kann nicht igno­rieren, dass Präsident Trump 60 Millionen Wähle­rinnen und Wähler hinter sich versam­meln konnte. Auch haben nationale Allein­gänge, protek­tio­nis­ti­sche Anwand­lungen und Ruf „America First“ Tradition. Dennoch ist Donald Trump ein Präsident sui generis, der sich in keine der etablierten Tradi­ti­ons­li­nien ameri­ka­ni­scher Politik einordnet. Seine Verach­tung inter­na­tio­naler Allianzen und Insti­tu­tionen trifft auf breites Unver­ständnis außerhalb und sogar innerhalb des Regie­rungs­ap­pa­rates. Unter den außen­po­li­ti­schen Eliten der Verei­nigten Staaten ist Donald Trumps Haltung rand­ständig. Ob sich die Unter­mi­nie­rung der inter­na­tio­nalen Ordnung in den USA durch­setzen wird, ist ungewiss, ja sogar unwahrscheinlich.

3. Gefähr­liche Konsequenzen

Manche poli­ti­sche Analysten und Akteure wollen aus dieser Unge­wiss­heit weit­rei­chende Konse­quenzen ziehen. Sie befür­worten eine stra­te­gi­sche Umori­en­tie­rung der Bundes­re­pu­blik. Einige streben eine außen- und sicher­heits­po­li­ti­sche Abkop­pe­lung Europas von den Verei­nigten Staaten an. Andere setzen auf ein deutsch-fran­zö­si­sches Klein­eu­ropa. Manchmal verkleiden die euro­päi­schen Bekennt­nisse nur deutschen Natio­na­lismus, mit dem man auf ameri­ka­ni­schen Natio­na­lismus reagieren will. Dann sind Empfeh­lungen nicht weit, Deutsch­land solle auf Ad-hoc-Koali­tionen setzen oder Äqui­di­stanz zwischen Russland und Amerika halten. Freunde findet auch der Vorschlag, Deutsch­land solle gleich einen Schritt weiter gehen und sich an Russland oder China anlehnen.

All diese Vorstel­lungen sind kost­spielig oder gefähr­lich oder beides.

4. Amerika bleibt unverzichtbar

Wer sich von den Verei­nigten Staaten abkoppeln möchte, bringt Unsi­cher­heit über Deutsch­land und letztlich über ganz Europa.

Weltweit kann kein Akteur die Vorteile aufwiegen, die Deutsch­land durch die Allianz mit den Verei­nigten Staaten entstehen. Diese Bindung ist aus Abhän­gig­keit entstanden, entspricht aber längst dem ureigenen Interesse Deutschlands.

Nach wie vor übernimmt keine andere Macht so weit reichende Sicher­heits­ga­ran­tien und stellt so umfas­sende poli­ti­sche Ressourcen bereit wie die USA. Als liberaler Hegemon haben die USA den euro­päi­schen Inte­gra­ti­ons­pro­zess ermög­licht. Der Großteil des poli­ti­schen Estab­lish­ments in den Verei­nigten Staaten sieht das Land auch weiterhin als wohl­wol­lenden Verbün­deten für den euro­päi­schen Eini­gungs­pro­zess – durchaus im eigenen Interesse der USA, die Verbün­dete benötigen, mit denen sie Werte und Inter­essen teilen. Zu den Gegen­be­we­gungen, die Donald Trump in den USA selbst ausgelöst hat, gehört ein neu erwachtes Interesse am gemein­samen demo­kra­ti­schen Erbe und seiner Verteidigung.

Deutsch­land braucht die USA, um als starker euro­päi­scher Akteur handeln zu können. Wer die Bindung zu Amerika kappen will, verzichtet auf die Rück­ver­si­che­rung, die andere euro­päi­sche Länder benötigen, um ein starkes Deutsch­land in der Mitte des Konti­nents zu akzep­tieren. Je mehr Führung Deutsch­land in Europa über­nehmen soll und muss, desto enger muss die Abstim­mung mit den Verei­nigten Staaten sein.

Eine Abkop­pe­lung von den USA würde eine der wich­tigsten politisch-kultu­rellen Errun­gen­schaften der vergan­genen 70 Jahre in Frage stellen: Deutsch­lands Westbindung.

Letztlich bedeutet die West­bin­dung Deutsch­lands unsere Selbst­bin­dung an die Werte von Freiheit und Demo­kratie und zur Zusam­men­ar­beit mit allen, die dafür eintreten. Freiheit ist die Bedingung der Möglich­keit, dass alle Menschen selbst­be­stimmt und in Würde leben können. Mit dem Grund­ge­setz hat sich die Bundes­re­pu­blik in diese Tradition gestellt. Die Veran­ke­rung im Westen hat die Wider­stands­kraft gegen die kommu­nis­ti­schen Regimes gestärkt und damit die Wieder­ver­ei­ni­gung Deutsch­lands und die Einigung Europas möglich gemacht.

Jede Abkehr von dieser trans­at­lan­ti­schen Bindung beschwört die Gefahr eines deutschen Sonder­weges, stärkt linke und rechte Natio­na­listen und gefährdet die euro­päi­sche Friedensordnung.

Der Westen ist auch heute ohne die USA weder ideell noch als poli­ti­sches Subjekt existent. Er ist und bleibt der Anker­punkt des liberalen Univer­sa­lismus und der offenen Ordnung der Welt. Auch wenn die Präsi­dent­schaft Donald Trumps erheb­liche Risiken für die liberale Ordnung birgt, so werden diese Risiken nicht kleiner, wenn Deutsch­land seine stra­te­gi­sche Part­ner­schaft mit den Verei­nigten Staaten von sich aus aufs Spiel setzt. Eine stra­te­gi­sche Abkop­pe­lung von den USA gefährdet die liberale inter­na­tio­nale Ordnung am Ende mehr als die kritische Zusam­men­ar­beit mit einem Amerika, dessen Führungs­spitze gegen­wärtig an dieser Ordnung rüttelt. Auto­kra­tien wie China und Russland mögen wichtige adhoc-Partner für einzelne Projekte sein; der stra­te­gi­sche Partner eines demo­kra­ti­schen und euro­päi­schen Deutsch­lands müssen die Verei­nigten Staaten bleiben.

Das Verhältnis zu den Verei­nigten Staaten ist eine Werte­part­ner­schaft, die sich aus der gemein­samen demo­kra­ti­schen Ordnung ergibt. Selbst wenn der aktuelle Präsident wesent­liche Teile dieser Ordnung zu Hause in Frage stellt, so bleiben die USA eine Demo­kratie. Präsident Trump ist ebenso wenig mit Amerika gleich­zu­setzen wie die illi­be­rale Gegen­be­we­gung, für die er steht, ausschließ­lich ein ameri­ka­ni­sches Phänomen ist. Sie erhebt ihr Haupt auch in Europa. Deshalb handelt es sich nicht um einen Gegensatz zwischen Europa und den USA, sondern um einen Konflikt innerhalb des Westens, der auf beiden Seiten des Atlantiks ausge­tragen wird.

Darüber hinaus ist die wirt­schaft­liche, wissen­schaft­liche und kultu­relle Verflech­tung mit den USA weit enger als mit allen anderen Welt­re­gionen. Das Wech­sel­spiel mit den Verei­nigten Staaten bleibt ein zentrales Element für die Inno­va­ti­ons­fä­hig­keit Europas.

5. Trotzdem nicht bloß „weiter so“

Wie also umgehen mit den Verei­nigten Staaten in Zeiten Donald Trumps?

Auch wenn die Abwendung von den USA für Deutsch­land keine verant­wort­liche Option ist, kann es ange­sichts der gegen­wär­tigen Präsi­dent­schaft kein „weiter so“ geben. Genauso wenig hilft es zu schweigen, wegzu­sehen und wegzu­schauen – so lange, bis alles vorbei ist und im Weißen Haus ein Nach­folger einzieht. Vier oder gar acht Jahre sind zu lang für eine Politik des Aussit­zens, zumal es ein Zurück zur vermeint­lich guten alten Zeit nicht geben wird. Dafür ist die Dynamik der Verän­de­rung innerhalb und außerhalb der Verei­nigten Staaten zu groß.

6. Grund­ge­danken einer Amerika-Strategie

Deutsch­land braucht also etwas, das es in dieser Form bisher nicht geben musste: eine Amerika-Strategie.

Eine verant­wort­liche Amerika-Politik muss lang­fristig angelegt sein und eine Brücke bauen in eine Zeit jenseits der Präsi­dent­schaft Trump, jenseits einer exzep­tio­nellen Periode ameri­ka­ni­scher Skepsis gegenüber jedweder multi­la­te­raler Selbst­bin­dung. Zwar darf Deutsch­land nicht der Illusion anhängen, dass es nach Präsident Trump eine Rückkehr zum status quo ante geben wird. Auch innerhalb der USA dürften einige Trend­li­nien poli­ti­scher Über­zeu­gungen die Periode Trump über­dauern – zum Beispiel die Forderung nach einer ausge­wo­ge­neren Lasten­tei­lung zwischen Europa und den USA innerhalb der NATO. Was nicht über­dauern dürfte, ist der Dissens über grund­le­gende Fragen der Welt­ord­nung. Sobald hier wieder weit­ge­hend Einigkeit besteht, können verblei­bende Meinungs­ver­schie­den­heiten viel besser konstruktiv gelöst oder über­brückt werden.

Diese lang­fris­tige Perspek­tive muss der Orien­tie­rungs­punkt für Deutsch­lands kurz­fris­tiges Handeln während der Periode Trump sein.

Kurz­fristig gilt es, stärker als bisher zu unter­scheiden zwischen dem Lösbaren, dem Unlös­baren und dem Zwischen­feld eines prag­ma­ti­schen Umgangs mit Konflikten.

Es versteht sich deshalb von selbst, dass die Bundes­re­gie­rung Gemein­sam­keiten mit den USA dort stärken sollte, wo sie auch mit der aktuellen Regierung vorhanden sind. Seine Inter­essen erfolg­reich zu vertreten, kann im Konkreten auch bedeuten, in einen begrenzten Konflikt einzu­treten oder – umgekehrt – eine unhaltbar gewordene Position zu korri­gieren. Und es wird darüber hinaus heißen, unsere Ansprech­partner nicht nur auf der höchsten Ebene zu suchen, sondern auch andere Akteure im Regie­rungs­ap­parat, in den Parla­menten, in den Bundes­staaten, in der Zivil­ge­sell­schaft und in der Wirt­schaft anzusprechen.

Dem verant­wort­li­chen Umgang mit Meinungs­ver­schie­den­heiten wird eine wesent­lich größere Bedeutung zukommen als bisher.  Im eigenen lang­fris­tigen Interesse sollte Deutsch­land versuchen, Diffe­renzen mit der Regierung Trump einzu­hegen oder so zu handhaben, dass sie nicht durch eigenes Verhalten eska­lieren und damit außer Kontrolle zu geraten.

Deutsch­land darf sich keinen Illu­sionen hingeben: Große gemein­same Projekte mit der Regierung Trump wird es zumindest dort nicht geben können, wo sie den popu­lis­ti­schen Kern­be­reich von Präsident Trumps Agenda berühren. Wer hier zu viel versucht, wird am Ende nur Streit säen.

Kurzum, Deutsch­lands Amerika-Strategie muss Verschie­denes gleich­zeitig erlauben: Kern­in­ter­essen aktiv zu vertreten, Konflikte zu mode­rieren, unrea­lis­ti­sche Ambi­tionen zu vermeiden und so eine Brücke in eine bessere Zukunft der trans­at­lan­ti­schen Bezie­hungen zu bauen.

Diese Art der Diffe­ren­zie­rung kann unter­schied­liche Folgen für die verschie­denen Poli­tik­felder haben.

8. Handels­po­litik – nur Manage­ment von Konflikten anstreben

Nüchtern betrachtet stehen die Zeichen nicht günstig für größere Projekte in einigen Bereichen, in denen sie besonders notwendig wären, etwa der Handels­po­litik. Trotz aller Kontro­versen sind die stra­te­gi­schen und wirt­schaft­li­chen Gründe für ein trans­at­lan­ti­sches Frei­han­dels­ab­kommen (TTIP) seit dem November 2016 nicht schlechter geworden. In Berlin und Brüssel hoffen nun manche, man könne TTIP in leicht verän­derter Form wieder aufer­stehen lassen. Das ist illu­sionär, viel­leicht sogar gefähr­lich. Denn ein Präsident, der alle Handels­ab­kommen als unfair gegenüber Amerika geißelt, würde in inter­na­tio­nalen Verhand­lungen kaum Kompro­misse eingehen können. Ein Scheitern wäre am Ende schäd­li­cher als ein langer Winter­schlaf des Projekts.

Es deutet sich schon jetzt an, dass die USA und die Euro­päi­sche Union auf Handels­aus­ein­an­der­set­zungen zusteuern. Auf Straf­zölle soll und muss die Euro­päi­sche Union reagieren. Aber sie sollte ausschließ­lich legal, propor­tional und symme­trisch reagieren. Alles andere könnte eine Eska­la­tion auslösen, die allen Betei­ligten über den Kopf wächst.

8. Inter­na­tio­nale Flücht­lings­po­litik – nicht gemeinsam gestaltbar

Wenig erfolg­ver­spre­chend wären auch größere gemein­same Initia­tiven in der inter­na­tio­nalen Flücht­lings­po­litik. Das inter­na­tio­nale Schutz­system braucht zwar dringend eine Reform, um es an moderne Bedin­gungen anzu­passen. Dabei käme es darauf an, die Rechte von Flücht­lingen zu wahren, zugleich illegale Migration einzu­hegen und die Schlep­per­kri­mi­na­lität zu bekämpfen, die das univer­selle Flücht­lings­re­gime aushöhlt. Ebenso wären neue Anstren­gungen für bessere Resett­le­ment-Programme der Vereinten Nationen erfor­der­lich. Aller­dings ist schwer vorstellbar, dass sich die Regierung Trump auf derlei Initia­tiven einlassen wird. Deshalb muss Europa hier selbst aktiv werden – so gut es geht.

So fallen also Handels- wie Flücht­lings­po­litik in die Kategorie der schwie­rigen, gegen­wärtig kaum lösbaren Fälle trans­at­lan­ti­scher Politik, in denen besten­falls kleine Fort­schritte denkbar sind, nicht aber große Initiativen.

9. Sicher­heits­po­litik – Fort­schritte auch mit Präsident Trump anstreben

Anders verhält es sich in der Sicher­heits­po­litik. Ohne die USA gibt es bis auf weiteres keine Sicher­heit für und in Deutsch­land. Das gilt für die Terri­to­rial- und Bünd­nis­ver­tei­di­gung im Rahmen der NATO; das gilt für die nukleare Abschre­ckung; es gilt für die Bekämp­fung der Cyber­kri­mi­na­lität und der Geld­wä­sche und schließ­lich für den Schutz vor Terro­rismus und damit für die Zusam­men­ar­beit der Geheim­dienste. Weder einzelne euro­päi­sche Staaten noch Deutsch­land alleine, auch nicht die Euro­päi­sche Union, können die notwen­digen Ressourcen bereit­stellen, um Sicher­heit auf dem Kontinent zu garan­tieren. Die bestehende Zusam­men­ar­beit wäre eher noch zu verstärken. An der NATO fest­zu­halten, ist zugleich eine Möglich­keit, die USA in multi­la­te­rale Sicher­heits­po­litik einzu­binden und Allein­gänge zu erschweren. Das gilt auch für die Frage der „nuklearen Teilhabe“, also der Betei­li­gung des nicht atomar bewaff­neten Deutsch­lands an der nuklearen Abschre­ckung der Verei­nigten Staaten. Hier steht in der kommenden Legis­la­tur­pe­riode die Entschei­dung darüber an, ob Deutsch­land einge­bunden bleiben kann – und will.

Bünd­nis­ver­tei­di­gung ist die preis­wer­teste Form der Vertei­di­gung. Deutsch­land sollte deshalb den Ruf nach fairer Lasten­ver­tei­lung innerhalb des Bünd­nisses ernst nehmen. Wider ihre eigenen Kern­in­ter­essen hat die Bundes­re­pu­blik hier nicht genug getan. Deutsch­land muss noch einen weiten Weg gehen, bis es die Verpflich­tungen umsetzt, die es gegenüber der NATO einge­gangen ist. Und das bedeutet: Deutsch­land hat zugesagt, seine Vertei­di­gungs­aus­gaben zwei Prozent des Brut­to­in­lands­pro­duktes anzu­nä­hern. Deutsch­land sollte Wort halten. Es stellt die Dinge auf den Kopf, wenn diese Verpflich­tung in der deutschen Debatte als Bedrohung des euro­päi­schen Gleich­ge­wichts darge­stellt wird. Es sind gerade unsere euro­päi­schen Nachbarn und Verbün­deten, die sich verstärkte Beiträge der Bundes­re­pu­blik im Rahmen der NATO und der euro­päi­schen Vertei­di­gungs­po­litik wünschen.

Noch besser wäre es, die Bundes­re­pu­blik würde ein weiteres Prozent des Brut­to­in­lands­pro­dukt aufwenden und damit auch mehr für Entwick­lungs­zu­sam­men­ar­beit, inter­na­tio­nale Poli­zei­ein­sätze, Uno-Missionen, Konflikt­prä­ven­tionen und Diplo­matie ausgeben. In diesem vernetzten Ansatz würden auch die nicht-mili­tä­ri­schen Methoden der Sicher­heits­po­litik aufgewertet.

So kann die euro­päi­sche Vertei­di­gungs­fä­hig­keit innerhalb der trans­at­lan­ti­schen Allianz substan­ziell gestärkt werden. Die Bundes­re­pu­blik tut etwas, was in ihrem eigenen Kern­in­ter­esse liegt. Zudem stabi­li­siert sie das trans­at­lan­ti­sche Verhältnis. Sie geht auf die Trump-Admi­nis­tra­tion zu und baut gleich­zeitig belast­bare Funda­mente für die Zeit nach Donald Trump. Die Erfolgs­chancen dieser Strategie sind gut: Aller NATO-kriti­schen Rhetorik zum Trotz hat die Regierung Trump die von ihren Vorgän­gern gegebenen Zusagen in der NATO konse­quent eingehalten.

Die sicher­heits­po­li­ti­sche Zusam­men­ar­beit mit der Regierung Trump sollte für uns zentral sein und auch die Sicher­heits­ga­ran­tien für die mittel­ost­eu­ro­päi­schen NATO-Mitglieder und die Unter­stüt­zung einer unab­hän­gigen Ukraine ebenso einschließen wie die Stabi­li­sie­rung der euro­päi­schen Gegen­küste in Nordafrika.

Ange­sichts der Ausein­an­der­set­zung um die nord­ko­rea­ni­sche Atom­rüs­tung und das weitere Vorgehen gegenüber dem Iran, sollte eine Spaltung zwischen USA und Europa unbedingt vermieden werden. Wir sollten alles tun, um die USA in ein gemein­sames Vorgehen einzubinden.

10. Ener­gie­si­cher­heits­po­litik – im deutschen Interesse Nord Stream 2 aufgeben

Noch in einem zweiten Poli­tik­feld sollte die Bundes­re­gie­rung im eigenen Interesse ihre Posi­tionen über­prüfen, um Fort­schritte möglich zu machen: der Ener­gie­si­cher­heits­po­litik. Die Verei­nigten Staaten haben Nord Stream 2, die geplante Ostsee-Pipeline nach Russland, als geostra­te­gi­sches Projekt iden­ti­fi­ziert. Sie haben Recht. Wichtiger noch: Dieses Pipeline-Projekt liegt nicht in einem gesamt­eu­ro­päi­schen Interesse. Nord Stream 2 wider­spricht einer Politik größerer Ener­gie­un­ab­hän­gig­keit und unter­mi­niert die ange­strebte euro­päi­sche Energie-Union. In dieser Frage sollten wir eine gemein­same Position mit unseren euro­päi­schen Nachbarn und den USA suchen.

11. Klima‑, Energie- und Digi­tal­po­litik – Konflikte verant­wort­lich verwalten

Wer das Lösbare mit Entschlos­sen­heit angeht und das Unlösbare einst­weilen beiseite lässt, muss sich am Ende jenen Poli­tik­felder zuwenden, in denen es einst­weilen darum gehen muss, Konflikte verant­wor­tungs­voll zu verwalten. Es wird zwecklos sein, die US-Admi­nis­tra­tion von der Bedeutung des Pariser Klima­ab­kom­mens über­zeugen zu wollen. Zugleich führt es in die Irre, Präsident Trump in der inter­na­tio­nalen Klima- und Ener­gie­po­litik isolieren zu wollen. Notwen­dige Kritik darf nicht in Recht­ha­berei umschlagen.

Statt­dessen sollte Deutsch­land mit Amerika konkrete Fort­schritte im Klima­schutz suchen. Der Einsicht folgend, dass Präsident Trump nicht (ganz) Amerika ist, kann Berlin auf andere Partner zugehen, die an klima­po­li­ti­scher Koope­ra­tion inter­es­siert sind. Eine ganze Reihe von Bundes­staaten (nicht nur Kali­for­nien) und große Städte sind längst auf dem Weg, ihre CO2-Emis­sionen zügig zu senken. Mit lokalen Partnern ist poli­ti­sche, wissen­schaft­liche und tech­ni­sche Koope­ra­tion auch unab­hängig von Washington möglich. An Klima-Alli­ierten, die etwas bewegen können, ist in den Verei­nigten Staaten kein Mangel, nicht in der Wirt­schaft und schon gar nicht in der Zivil­ge­sell­schaft. Hier gilt es, in die Offensive zu gehen, Geld zu inves­tieren und Netzwerke zu bauen, die eine Trump-Regierung überdauern.

Auch auf dem Gebiet der Digi­tal­po­litik zeichnet sich eine Konfron­ta­tion ab – über regu­la­to­ri­sche Fragen wie über Markt­an­teile. Auch hier gilt es, möglichst früh­zeitig Konflikt­felder zu erkennen und unnötige Eska­la­tion zu vermeiden. Jede gegen­sei­tige Abschot­tung der digitalen Märkte Europas und Amerikas würde auf beiden Seiten gravie­rende negative Konse­quenzen für Wachstum und Arbeits­märkte auslösen. Euro­päi­sche Verbrau­cher und Daten­schutz­stan­dards werden sich global vor allem mit, aber kaum gegen die Verei­nigten Staaten durch­setzen lassen.

12. Schluss­punkt – mehr euro­päi­sche Selbst­ver­ant­wor­tung im Bündnis

Wo immer möglich Fort­schritte auch mit der Regierung Trump erzielen, Konflikte mode­rieren und nicht eska­lieren lassen, das Spektrum trans­at­lan­ti­scher Koope­ra­ti­ons­partner über die gegen­wär­tige Regierung hinaus erweitern – das ist der Kern einer Amerika-Strategie, die erlaubt, das trans­at­lan­ti­sche Verhältnis mit und notfalls gegen diesen ameri­ka­ni­schen Präsi­denten zu bewahren und über ihn hinaus zu denken. Die USA haben immer wieder ihre beein­dru­ckende Fähigkeit zur Selbst­kor­rektur bewiesen. Sie bleiben Anker­macht für jene Staaten, die für Freiheit und Demo­kratie einstehen und eine offene Ordnung der Welt wünschen. Für diese Ziele wird Europa – und damit auch Deutsch­land – verstärkt eintreten müssen. Mehr euro­päi­sche Selbst­ver­ant­wor­tung und Eigen­in­itia­tive sind uner­läss­lich. Aber es wäre ein histo­ri­scher Irrtum, „mehr Europa“ gegen die trans­at­lan­ti­sche Allianz auszu­spielen. Die Außen­po­litik der neuen Bundes­re­gie­rung wird daran zu messen sein, wie klar sie diesen Kurs verfolgt.

Unter­zeichner

Deidre Berger, American Jewish Comittee
J.D. Bindenagel, Univer­sität Bonn
Ralf Fücks, Zentrum Liberale Moderne
Stefan Heumann, Stiftung Neue Verantwortung
Patrick Keller, Konrad-Adenauer-Stiftung
Thomas Kleine-Brockhoff, German Marshall Fund of the United States
Anna Kuchen­be­cker, Aspen Institute Deutschland
Sergey Lagodinsky, Heinrich-Böll-Stiftung
Rüdiger Lentz, Aspen Institute Deutschland
Daniela Schwarzer, Deutsche Gesell­schaft für Auswär­tige Politik e.V.
Jan Techau, American Academy in Berlin
Sylke Tempel, Deutsche Gesell­schaft für Auswär­tige Politik e.V. †

Der Text gibt ausschließ­lich die persön­liche Meinung der Autoren wider und ist zuerst hier erschienen.
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