Brief aus Amerika: Konser­vative Intel­lek­tuelle in Zeiten des Trumpismus

By Fronteiras do Pensa­mento – Niall Ferguson no Fronteiras do Pensa­mento Porto Alegre 2017, CC BY-SA 2.0

Ein neuer „Brief aus Amerika“ – diesmal zu den intel­lek­tu­ellen Partei­gängern von Donald Trump. Wie kommen renom­mierte Profes­soren und Publi­zisten dazu, sich mit einem solchen Präsi­denten gemein zu machen? Rüdiger Bachmann zieht Paral­lelen zu den 30er-Jahren, als das konser­vative Bürgertum in Europa aus Furcht vor einem Links­rutsch gemeinsame Sache mit Faschisten machte.

Vor kurzem habe ich zufällig eine Diskus­si­ons­runde aus der Reihe GoodFellows von der konser­va­tiven Denkfabrik Hoover an der Stanford Univer­sitat angeschaut. Es ging dabei um den gerade zu Ende gegan­genen Wahlpar­teitag der Republi­ka­ni­schen Partei in den USA. Gastgeber ist Bill Whalen, ein Urgestein des konser­va­tiven Journa­lismus in den USA. Die beiden regel­mä­ßigen Gäste sind noch andere Kaliber, John Cochrane und Niall Ferguson. John Cochrane ist in den USA einer der bekann­testen konser­vativ-liber­tären Ökonomen mit seinem Grumpy Economist Blog und regel­mä­ßigen Beiträgen im Wallstreet Journal. Der schot­tische Histo­riker Niall Ferguson dürfte dem deutsch­spra­chigen Publikum durch seine vielen Inter­views und Debat­ten­bei­träge in den deutschen Print­medien bekannt sein. Die Runde wurde komplet­tiert mit dem special guest Lanhee Chen, einem alten republi­ka­ni­schen Wahlkampf­hasen, der unter anderem der politische Leiter der Wahlkam­pagne von Mitt Romney 2012 war, der ja bekann­ter­maßen gegen den damaligen Amtsin­haber Barack Obama verlor.

Portrait von Rüdiger Bachmann

Rüdiger Bachmann ist Professor am Department of Economics an der Univer­sität Notre Dame, USA

Man muss sich dabei klarmachen, wer da in Stanford zusam­menkam: eine (inzwi­schen zugunsten von Hoover aufge­gebene) Lebens­zeit­pro­fessur für Finanz­wirt­schaft an der Univer­sität Chicago, Autor eines wichtigen Textbuchs zu Asset Pricing, ehema­liger Heraus­geber einer der wichtigsten ökono­mi­schen Fachzeit­schriften und Ehren­doktor der Univer­sität St. Gallen im Falle von John Cochrane; ebenfalls inzwi­schen aufge­gebene Lebens­zeit­pro­fes­suren für Geschichte und Wirtschafts­ge­schichte an der London School of Economics, der New York University und in Harvard, Autor zahlreicher Bücher und gefragter Kommen­tator in den Medien auf beiden Seiten des Atlantiks im Falle von Niall Ferguson; bei Lanhee Chen steht neben der Arbeit für Mitt Romney immerhin die Univer­sität Harvard im Lebenslauf. Hier handelt es sich also keines­falls um irgend­welche dritt­ran­gigen Leute von vorgestern.

Aber alle vier sind beken­nende Anhänger Donald Trumps. Natürlich wurden die Steuer­sen­kungen Trumps gelobt, was bei konser­vativ-liber­tären Ökonomen nicht überra­schen mag. Man war auch sehr positiv gestimmt über die Erfolgs­aus­sichten Trumps bei der Wahl im November, weil eben das „wahre“ Amerika nicht in den Standard­medien zu finden sei, sondern auf Facebook und in Trumps Haussender Fox News. Niall Ferguson schwärmte geradezu von Ben Shapiro, einem populären, aber krawal­ligen Rechts­au­ßen­ak­ti­visten in den Sozialen Medien, und von Tucker Carlson, dem lautstark-populis­ti­schen Meinungsstar bei Fox News. Bemer­kenswert ist, dass hier die Zukunft der republi­ka­ni­schen Partei und damit des politi­schen Konser­va­ti­vismus in den USA von renom­mierten konser­va­tiven Intel­lek­tu­ellen auf der krawal­ligen Trumpis­mus­seite gesehen wird. Natürlich seien Trumps Handels- und Immigra­ti­ons­po­litik nicht optimal und seine Tweets seien doch etwas idiosyn­kra­tisch, zany, wie sich John Cochrane ausdrückt, aber am Ende des Tages werden solche Minibe­denken dann schnell wieder beiseitegeschoben.

Das eigent­liche Verdienst Trumps bezie­hungs­weise seine eigent­liche Aufgabe für die zweite Amtszeit sei jedoch – und das wird in der Sendung schnell klar – die Kommu­nis­ten­abwehr. Man legt sich in etwa folgende Erzählung zurecht: der Kandidat der Demokraten, Joe Biden, sei zwar ein Kandidat der linken Mitte und ein bisschen alt und langsam, aber am Ende harmlos. Aller­dings stünden hinter ihm Sozia­listen und (Neu-)Marxisten – da diffe­ren­ziert man in Amerika nicht allzuzsehr –, die das Land bei seinem Sieg übernehmen würden. Die Städte und Vorstädte würden von einer plündernden Allianz aus jungen Schwarzen und weißen Anarchos überrannt und verwüstet, das Institut des Privat­ei­gentums mindestens schwer beschädigt, weil die Polizei finan­ziell atrophiert würde. Dabei hat Joe Biden ganz klar gesagt, dass er die Parole Defund the Police für völlig inakzep­tabel hält. Das Privat­ei­gentum wäre aber auch noch durch einen überbor­denden Steuer­staat gefährdet, um die links­so­zia­lis­tische Agenda der hinter Biden stehenden Demokraten zu finan­zieren: Kranken­ver­si­cherung für alle – wobei auch Biden die radikalere Position einer Natio­na­li­sierung des Gesund­heits­systems ablehnt –, kosten­loses oder jeden­falls erschwing­li­cheres Studium für Amerikas Jugend. Dazu die Kritik rassis­tisch motivierter Polizei­gewalt und die verstärkte Einbe­ziehung von people of color in den demokra­ti­schen Prozess: In Europa wären das alles richti­ger­weise Positionen der politi­schen Mitte, in den USA dienen sie dem Schüren der Angst vor einem Linksruck. Das Inter­es­sante dabei ist: diese Intel­lek­tu­ellen übernehmen dabei ganz unkri­tisch, wenn auch vielleicht etwas artiku­lierter, die Position Trumps, der Biden immer und immer wieder als Mario­nette der radikalen Linken brandmarkt.

Dieses Schüren von Kommu­nis­ten­angst von republi­ka­ni­scher Seite ist nicht ganz neu und hat durchaus Tradition in den USA, vor allem in Wahlkampf­zeiten. Was aller­dings neu ist, ist für welchen Kandi­daten man dies tut. Trump ist immerhin ein Präsident, der russische Kopfgelder auf ameri­ka­nische Soldaten mindestens schweigend hinnimmt. Er ist ein Präsident, der im Krieg gefallene oder in Gefan­gen­schaft geratene ameri­ka­nische Soldaten als Loser bezeichnet. Das schwer ins Deutsche zu überset­zende Schimpfwort sucker, das eine etwas dümmliche, leicht zu übervor­tei­lende Person bezeichnet, soll auch gefallen sein. Trump hat seine Anhänger mehrfach offen zum Wahlbetrug aufge­rufen, wenn er sie auffordert, einfach zwei Stimmen abzugeben. Er spielt öffentlich mit dem verfas­sungs­wid­rigen Gedanken einer dritten Amtszeit, weil er sich ungerecht behandelt fühlt von der Obama-Adminis­tration. Trump hat eine offen­sichtlich miserable Covid-19 Bilanz, was sich an den hohen und weiterhin schnell wachsenden Todes­zahlen ablesen lässt. Das kürzlich veröf­fent­lichte Enthül­lungsbuch des Watergate-Journa­listen Bob Woodward hat nun zweifelsfrei belegt, dass Trump über die Gefähr­lichkeit von Covid-19 zwar Bescheid wusste, aber darüber öffentlich gelogen hat. Covid-19 ist besonders inter­essant, weil John Cochrane, der keineswegs zu den Covid-19-Leugnern gehört, sondern sich immer wieder sehr besorgt über die Auswir­kungen des Virus geäußert hat, in der oben genannten Diskussion mehrmals die unfähige öffent­liche Gesund­heits­in­fra­struktur in den USA kriti­siert, dabei aber niemals auf Trump zu sprechen kommt.

Diese Ereig­nisse sind alle nur höchstens ein paar Wochen alt, von den weiter zurück­lie­genden Ausfällen Trumps und seiner Kritik von konser­va­tiven Ikonen wie etwa dem ehema­ligen ameri­ka­ni­schen UN-Botschafter John Bolton und mehrerer hoher ameri­ka­ni­scher Militärs, sowie überhaupt seinem postmo­dernen Verhältnis zu Wahrheit und Fakten, das ja eigentlich gerade konser­vative Intel­lek­tuelle zur Weißglut bringen müsste, ganz zu schweigen. Für mich war einer der Tiefpunkte dieser Adminis­tration die Übernahme der Vertei­digung Trumps durch das Justiz­mi­nis­terium in einem Verfahren, in dem Trump sexueller Missbrauch, der weit vor seiner Amtszeit statt­ge­funden haben soll, vorge­worfen wird. Ist es nicht geradezu das Marken­zeichen eines despo­ti­schen Systems, wenn der gesamte Staats­ap­parat dem Despoten zur Bewäl­tigung seiner persön­lichen Eskapaden zur Verfügung gestellt wird? Ähnliches gilt für das Begna­digen persön­licher Cronies wie Roger Stone. Hier sollte man als Konser­vativ-Liber­tärer einen unver­zeih­lichen Dammbruch sehen. Aber das Schweigen der intel­lek­tu­ellen Trumpistas dröhnt.

Diese vermeint­liche Kommu­nis­ten­abwehr ist das intel­lek­tuelle Pendant des own the libs, ein Schlachtruf der etwas weniger intel­lek­tu­ellen, mehr emotional motivierten Trumpfans, die durchaus Kritik an Trumps Verhalten äußern, ihn aber dennoch wählen aus purem Hass auf die Linken, die man in den USA ja liberals, abwertend libs, nennt, und auf deren Tränen am 3. November man sich schon freut.

Was bringt gerade das konser­vative akade­mische Millieu zu dieser Version des own the libs? Ich vermute, hier handelt es sich um eine gewisse durch die Covid-19 bedingte Isolation verstärkte défor­mation profes­si­on­nelle. Es stimmt schon, dass es im akade­mi­schen Millieu der USA tonan­ge­bende kultu­relle Neumar­xisten gibt, die im Verbund mit leicht entflamm­baren Studenten mit ihrer cancel culture, safe spaces, ihrer überzo­genen Identi­täts­fi­xierung sowie ihrer Ablehnung ratio­nalen Argumen­tierens auch ganz mittig-liberale Akade­miker wie mich zur Verzweiflung bringen können. Das absur­deste Beispiel der letzten Zeit war dazu die Kritik an einem Professor der Kommu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaften an der University of Southern California, der seinen Studenten die kultu­relle Bedeutung von Pausen­wörtern, den ähms, beibringen wollte und dazu das chine­sische ni gei („das da“) verwendete, was je nach Aussprache an ein rassis­ti­sches Schimpfwort erinnern kann, was wiederum dem Professor nach eigenem Bekunden nicht bewusst war. Die woken akade­mi­schen Linken bauen hier absurde, unmöglich zu lösende Dilem­ma­si­tua­tionen auf: wenn man ni gei nicht kriti­siert, ist man ein Rassist, und wenn man es kriti­siert ist man ein Sinophobiker.

Allein, und darauf kommt es mir an: diese akade­mi­schen Verrückt­heiten gibt es zwar, aber die gesell­schaft­liche Gesamt­si­tuation in den USA ist doch eindeutig durch den rechts­po­pu­lis­ti­schen Trumpismus gefährdet, währende akade­mische Neumar­xisten außerhalb des Elfen­bein­turms und vielleicht noch einiger Medien kaum eine Rolle spielen. Hier die Haupt­gefahr für das Land zu sehen und damit die Wiederwahl einer Adminis­tration in Kauf zu nehmen, die bewusst mit dem Feuer der Polari­sierung, Ausgrenzung und Dämoni­sierung spielt und eine mentale Bürger­kriegs­stimmung anheizt, zeugt zumindest von großer politi­scher Naivität. Selbst­ver­ständlich ist Amerika unter Trump kein faschis­ti­sches Regime und dieser strebt vermutlich auch kein solches an. Aber die oben genannten Taktiken sind durchaus Merkmale faschis­ti­scher Bewegungen, die darauf abzielen, die Axt an die demokra­ti­schen Insti­tu­tionen zu legen.

Man muss mit histo­ri­schen Vergleichen immer vorsichtig sein. Aber man sollte aus der Geschichte doch lernen. Ich fühle mich jeden­falls an das Chile Allendes erinnert, in dem auch die konser­va­tiven Großgrund­be­sitzer aus Kommu­nis­ten­angst mit dem Pinochet Regime paktierten, nur um dann ein langes, brutales Militär­regime zu bekommen, von dem nicht einmal klar war, ob es wirklich ihren Inter­essen diente. Ganz besonders, und ich schreibe dies mit aller Vorsicht, bin ich aus deutscher Sicht an die späte Weimarer Republik erinnert, die Zeit der Kabinette Franz von Papen und Kurt von Schleicher sowie an die Diskus­sionen, die damals in konser­va­tiven, natio­nal­li­be­ralen und bürger­lichen Zirkeln statt­ge­funden haben müssen. Auch damals wurde aus – im Unter­schied zu heute durchaus realer – Kommu­nis­ten­furcht mit einer politi­schen Bewegung paktiert, die man eigentlich hätte verab­scheuen müssen. Und dennoch hat man sich das irgendwie durch­ra­tio­na­li­siert. Als Bürger­licher finde ich diese sich in der Geschichte des Bürgertums so oft wieder­ho­lende Gedan­ken­figur immer wieder faszi­nierend und gleich­zeitig so gefährlich, dass ich gerade von John Cochrane, den ich auch persönlich kenne und als Ökonom sehr schätze, sehr enttäuscht bin.

Die gute Nachricht: es gibt auch noch aufrechte Konser­vative in den USA. Republi­kaner und Ex-Republi­kaner, die sich entsetzt abwenden und den politi­schen Kampf gegen Trump und damit de facto für Biden aufge­nommen haben; teilweise wohl weil sie wie ich im Trumpismus eine proto­fa­schis­toide Bewegung sehen, die gegen alles gerichtet ist, wofür die ameri­ka­nische Idee tradi­tionell steht. Einer der Haupt­ver­treter dieser Bewegung ist Bill Kristol, Sohn des konser­va­tiven Urgesteins Irvin Kristol, inzwi­schen selbst ein Nestor des ameri­ka­ni­schen Neokon­ser­va­ti­vismus, dem man aller­dings aus europäisch-liberaler Sicht durchaus auch kritisch gegen­über­stehen kann. Er agitiert mit aller Kraft und im Verein mit neuen Bewegungen wie den Republicans for the Rule of Law und den Republican Voters Against Trump publi­zis­tisch gegen Trump und trumpis­tische Republi­kaner. Das Lincoln Project ist ein Zusam­men­schluss von (ehema­ligen) Republi­kanern, der sich die Verhin­derung der Wiederwahl Trumps zum Ziel gesetzt hat und entspre­chende Wahlwerbung schaltet. Colin Powell, Ex-General und Außen­mi­nister des Kabinetts Bush I, hat sich offen für Joe Biden als Präsi­denten ausge­sprochen. Die Beispiele ließen sich vermehren.

Hier ist ein Angebot an John Cochrane und Niall Ferguson: lasst uns gemeinsam Amerika und die Welt von Trump befreien, und wenn das Land dann wieder zentris­tisch regiert wird, dann setzen wir uns daheim an unseren Univer­si­täten wieder mit den akade­mi­schen Neumar­xisten ausein­ander. Deal?

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