Brief aus Amerika: Konservative Intellektuelle in Zeiten des Trumpismus
Ein neuer „Brief aus Amerika“ – diesmal zu den intellektuellen Parteigängern von Donald Trump. Wie kommen renommierte Professoren und Publizisten dazu, sich mit einem solchen Präsidenten gemein zu machen? Rüdiger Bachmann zieht Parallelen zu den 30er-Jahren, als das konservative Bürgertum in Europa aus Furcht vor einem Linksrutsch gemeinsame Sache mit Faschisten machte.
Vor kurzem habe ich zufällig eine Diskussionsrunde aus der Reihe GoodFellows von der konservativen Denkfabrik Hoover an der Stanford Universitat angeschaut. Es ging dabei um den gerade zu Ende gegangenen Wahlparteitag der Republikanischen Partei in den USA. Gastgeber ist Bill Whalen, ein Urgestein des konservativen Journalismus in den USA. Die beiden regelmäßigen Gäste sind noch andere Kaliber, John Cochrane und Niall Ferguson. John Cochrane ist in den USA einer der bekanntesten konservativ-libertären Ökonomen mit seinem Grumpy Economist Blog und regelmäßigen Beiträgen im Wallstreet Journal. Der schottische Historiker Niall Ferguson dürfte dem deutschsprachigen Publikum durch seine vielen Interviews und Debattenbeiträge in den deutschen Printmedien bekannt sein. Die Runde wurde komplettiert mit dem special guest Lanhee Chen, einem alten republikanischen Wahlkampfhasen, der unter anderem der politische Leiter der Wahlkampagne von Mitt Romney 2012 war, der ja bekanntermaßen gegen den damaligen Amtsinhaber Barack Obama verlor.
Man muss sich dabei klarmachen, wer da in Stanford zusammenkam: eine (inzwischen zugunsten von Hoover aufgegebene) Lebenszeitprofessur für Finanzwirtschaft an der Universität Chicago, Autor eines wichtigen Textbuchs zu Asset Pricing, ehemaliger Herausgeber einer der wichtigsten ökonomischen Fachzeitschriften und Ehrendoktor der Universität St. Gallen im Falle von John Cochrane; ebenfalls inzwischen aufgegebene Lebenszeitprofessuren für Geschichte und Wirtschaftsgeschichte an der London School of Economics, der New York University und in Harvard, Autor zahlreicher Bücher und gefragter Kommentator in den Medien auf beiden Seiten des Atlantiks im Falle von Niall Ferguson; bei Lanhee Chen steht neben der Arbeit für Mitt Romney immerhin die Universität Harvard im Lebenslauf. Hier handelt es sich also keinesfalls um irgendwelche drittrangigen Leute von vorgestern.
Aber alle vier sind bekennende Anhänger Donald Trumps. Natürlich wurden die Steuersenkungen Trumps gelobt, was bei konservativ-libertären Ökonomen nicht überraschen mag. Man war auch sehr positiv gestimmt über die Erfolgsaussichten Trumps bei der Wahl im November, weil eben das „wahre“ Amerika nicht in den Standardmedien zu finden sei, sondern auf Facebook und in Trumps Haussender Fox News. Niall Ferguson schwärmte geradezu von Ben Shapiro, einem populären, aber krawalligen Rechtsaußenaktivisten in den Sozialen Medien, und von Tucker Carlson, dem lautstark-populistischen Meinungsstar bei Fox News. Bemerkenswert ist, dass hier die Zukunft der republikanischen Partei und damit des politischen Konservativismus in den USA von renommierten konservativen Intellektuellen auf der krawalligen Trumpismusseite gesehen wird. Natürlich seien Trumps Handels- und Immigrationspolitik nicht optimal und seine Tweets seien doch etwas idiosynkratisch, zany, wie sich John Cochrane ausdrückt, aber am Ende des Tages werden solche Minibedenken dann schnell wieder beiseitegeschoben.
Das eigentliche Verdienst Trumps beziehungsweise seine eigentliche Aufgabe für die zweite Amtszeit sei jedoch – und das wird in der Sendung schnell klar – die Kommunistenabwehr. Man legt sich in etwa folgende Erzählung zurecht: der Kandidat der Demokraten, Joe Biden, sei zwar ein Kandidat der linken Mitte und ein bisschen alt und langsam, aber am Ende harmlos. Allerdings stünden hinter ihm Sozialisten und (Neu-)Marxisten – da differenziert man in Amerika nicht allzuzsehr –, die das Land bei seinem Sieg übernehmen würden. Die Städte und Vorstädte würden von einer plündernden Allianz aus jungen Schwarzen und weißen Anarchos überrannt und verwüstet, das Institut des Privateigentums mindestens schwer beschädigt, weil die Polizei finanziell atrophiert würde. Dabei hat Joe Biden ganz klar gesagt, dass er die Parole Defund the Police für völlig inakzeptabel hält. Das Privateigentum wäre aber auch noch durch einen überbordenden Steuerstaat gefährdet, um die linkssozialistische Agenda der hinter Biden stehenden Demokraten zu finanzieren: Krankenversicherung für alle – wobei auch Biden die radikalere Position einer Nationalisierung des Gesundheitssystems ablehnt –, kostenloses oder jedenfalls erschwinglicheres Studium für Amerikas Jugend. Dazu die Kritik rassistisch motivierter Polizeigewalt und die verstärkte Einbeziehung von people of color in den demokratischen Prozess: In Europa wären das alles richtigerweise Positionen der politischen Mitte, in den USA dienen sie dem Schüren der Angst vor einem Linksruck. Das Interessante dabei ist: diese Intellektuellen übernehmen dabei ganz unkritisch, wenn auch vielleicht etwas artikulierter, die Position Trumps, der Biden immer und immer wieder als Marionette der radikalen Linken brandmarkt.
Dieses Schüren von Kommunistenangst von republikanischer Seite ist nicht ganz neu und hat durchaus Tradition in den USA, vor allem in Wahlkampfzeiten. Was allerdings neu ist, ist für welchen Kandidaten man dies tut. Trump ist immerhin ein Präsident, der russische Kopfgelder auf amerikanische Soldaten mindestens schweigend hinnimmt. Er ist ein Präsident, der im Krieg gefallene oder in Gefangenschaft geratene amerikanische Soldaten als Loser bezeichnet. Das schwer ins Deutsche zu übersetzende Schimpfwort sucker, das eine etwas dümmliche, leicht zu übervorteilende Person bezeichnet, soll auch gefallen sein. Trump hat seine Anhänger mehrfach offen zum Wahlbetrug aufgerufen, wenn er sie auffordert, einfach zwei Stimmen abzugeben. Er spielt öffentlich mit dem verfassungswidrigen Gedanken einer dritten Amtszeit, weil er sich ungerecht behandelt fühlt von der Obama-Administration. Trump hat eine offensichtlich miserable Covid-19 Bilanz, was sich an den hohen und weiterhin schnell wachsenden Todeszahlen ablesen lässt. Das kürzlich veröffentlichte Enthüllungsbuch des Watergate-Journalisten Bob Woodward hat nun zweifelsfrei belegt, dass Trump über die Gefährlichkeit von Covid-19 zwar Bescheid wusste, aber darüber öffentlich gelogen hat. Covid-19 ist besonders interessant, weil John Cochrane, der keineswegs zu den Covid-19-Leugnern gehört, sondern sich immer wieder sehr besorgt über die Auswirkungen des Virus geäußert hat, in der oben genannten Diskussion mehrmals die unfähige öffentliche Gesundheitsinfrastruktur in den USA kritisiert, dabei aber niemals auf Trump zu sprechen kommt.
Diese Ereignisse sind alle nur höchstens ein paar Wochen alt, von den weiter zurückliegenden Ausfällen Trumps und seiner Kritik von konservativen Ikonen wie etwa dem ehemaligen amerikanischen UN-Botschafter John Bolton und mehrerer hoher amerikanischer Militärs, sowie überhaupt seinem postmodernen Verhältnis zu Wahrheit und Fakten, das ja eigentlich gerade konservative Intellektuelle zur Weißglut bringen müsste, ganz zu schweigen. Für mich war einer der Tiefpunkte dieser Administration die Übernahme der Verteidigung Trumps durch das Justizministerium in einem Verfahren, in dem Trump sexueller Missbrauch, der weit vor seiner Amtszeit stattgefunden haben soll, vorgeworfen wird. Ist es nicht geradezu das Markenzeichen eines despotischen Systems, wenn der gesamte Staatsapparat dem Despoten zur Bewältigung seiner persönlichen Eskapaden zur Verfügung gestellt wird? Ähnliches gilt für das Begnadigen persönlicher Cronies wie Roger Stone. Hier sollte man als Konservativ-Libertärer einen unverzeihlichen Dammbruch sehen. Aber das Schweigen der intellektuellen Trumpistas dröhnt.
Diese vermeintliche Kommunistenabwehr ist das intellektuelle Pendant des own the libs, ein Schlachtruf der etwas weniger intellektuellen, mehr emotional motivierten Trumpfans, die durchaus Kritik an Trumps Verhalten äußern, ihn aber dennoch wählen aus purem Hass auf die Linken, die man in den USA ja liberals, abwertend libs, nennt, und auf deren Tränen am 3. November man sich schon freut.
Was bringt gerade das konservative akademische Millieu zu dieser Version des own the libs? Ich vermute, hier handelt es sich um eine gewisse durch die Covid-19 bedingte Isolation verstärkte déformation professionnelle. Es stimmt schon, dass es im akademischen Millieu der USA tonangebende kulturelle Neumarxisten gibt, die im Verbund mit leicht entflammbaren Studenten mit ihrer cancel culture, safe spaces, ihrer überzogenen Identitätsfixierung sowie ihrer Ablehnung rationalen Argumentierens auch ganz mittig-liberale Akademiker wie mich zur Verzweiflung bringen können. Das absurdeste Beispiel der letzten Zeit war dazu die Kritik an einem Professor der Kommunikationswissenschaften an der University of Southern California, der seinen Studenten die kulturelle Bedeutung von Pausenwörtern, den ähms, beibringen wollte und dazu das chinesische ni gei („das da“) verwendete, was je nach Aussprache an ein rassistisches Schimpfwort erinnern kann, was wiederum dem Professor nach eigenem Bekunden nicht bewusst war. Die woken akademischen Linken bauen hier absurde, unmöglich zu lösende Dilemmasituationen auf: wenn man ni gei nicht kritisiert, ist man ein Rassist, und wenn man es kritisiert ist man ein Sinophobiker.
Allein, und darauf kommt es mir an: diese akademischen Verrücktheiten gibt es zwar, aber die gesellschaftliche Gesamtsituation in den USA ist doch eindeutig durch den rechtspopulistischen Trumpismus gefährdet, währende akademische Neumarxisten außerhalb des Elfenbeinturms und vielleicht noch einiger Medien kaum eine Rolle spielen. Hier die Hauptgefahr für das Land zu sehen und damit die Wiederwahl einer Administration in Kauf zu nehmen, die bewusst mit dem Feuer der Polarisierung, Ausgrenzung und Dämonisierung spielt und eine mentale Bürgerkriegsstimmung anheizt, zeugt zumindest von großer politischer Naivität. Selbstverständlich ist Amerika unter Trump kein faschistisches Regime und dieser strebt vermutlich auch kein solches an. Aber die oben genannten Taktiken sind durchaus Merkmale faschistischer Bewegungen, die darauf abzielen, die Axt an die demokratischen Institutionen zu legen.
Man muss mit historischen Vergleichen immer vorsichtig sein. Aber man sollte aus der Geschichte doch lernen. Ich fühle mich jedenfalls an das Chile Allendes erinnert, in dem auch die konservativen Großgrundbesitzer aus Kommunistenangst mit dem Pinochet Regime paktierten, nur um dann ein langes, brutales Militärregime zu bekommen, von dem nicht einmal klar war, ob es wirklich ihren Interessen diente. Ganz besonders, und ich schreibe dies mit aller Vorsicht, bin ich aus deutscher Sicht an die späte Weimarer Republik erinnert, die Zeit der Kabinette Franz von Papen und Kurt von Schleicher sowie an die Diskussionen, die damals in konservativen, nationalliberalen und bürgerlichen Zirkeln stattgefunden haben müssen. Auch damals wurde aus – im Unterschied zu heute durchaus realer – Kommunistenfurcht mit einer politischen Bewegung paktiert, die man eigentlich hätte verabscheuen müssen. Und dennoch hat man sich das irgendwie durchrationalisiert. Als Bürgerlicher finde ich diese sich in der Geschichte des Bürgertums so oft wiederholende Gedankenfigur immer wieder faszinierend und gleichzeitig so gefährlich, dass ich gerade von John Cochrane, den ich auch persönlich kenne und als Ökonom sehr schätze, sehr enttäuscht bin.
Die gute Nachricht: es gibt auch noch aufrechte Konservative in den USA. Republikaner und Ex-Republikaner, die sich entsetzt abwenden und den politischen Kampf gegen Trump und damit de facto für Biden aufgenommen haben; teilweise wohl weil sie wie ich im Trumpismus eine protofaschistoide Bewegung sehen, die gegen alles gerichtet ist, wofür die amerikanische Idee traditionell steht. Einer der Hauptvertreter dieser Bewegung ist Bill Kristol, Sohn des konservativen Urgesteins Irvin Kristol, inzwischen selbst ein Nestor des amerikanischen Neokonservativismus, dem man allerdings aus europäisch-liberaler Sicht durchaus auch kritisch gegenüberstehen kann. Er agitiert mit aller Kraft und im Verein mit neuen Bewegungen wie den Republicans for the Rule of Law und den Republican Voters Against Trump publizistisch gegen Trump und trumpistische Republikaner. Das Lincoln Project ist ein Zusammenschluss von (ehemaligen) Republikanern, der sich die Verhinderung der Wiederwahl Trumps zum Ziel gesetzt hat und entsprechende Wahlwerbung schaltet. Colin Powell, Ex-General und Außenminister des Kabinetts Bush I, hat sich offen für Joe Biden als Präsidenten ausgesprochen. Die Beispiele ließen sich vermehren.
Hier ist ein Angebot an John Cochrane und Niall Ferguson: lasst uns gemeinsam Amerika und die Welt von Trump befreien, und wenn das Land dann wieder zentristisch regiert wird, dann setzen wir uns daheim an unseren Universitäten wieder mit den akademischen Neumarxisten auseinander. Deal?
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