Poli­ti­sche Einstel­lungen in Ostdeutsch­land:
Ein beun­ru­hi­gender Befund

Foto: Imago Images

Die ostdeut­schen Bundes­länder sind für die Demo­kratie nicht verloren. Aber eine demo­kra­ti­sche poli­ti­sche Kultur muss erst noch aufgebaut werden.

Am 28. Juni 2023 stellte das Else Frenkel-Brunswik Institut die Studie „Auto­ri­täre Dynamiken und Unzu­frie­den­heit mit der Demo­kratie – Die rechts­extreme Einstel­lung in den Ostdeut­schen Bundes­län­dern“ vor. Das Institut an der Univer­sität Leipzig veröf­fent­licht seit gut 20 Jahren die Auto­ri­ta­rismus-Studie (früher „Mitte-Studie“). Sie zeigt, dass popu­lis­ti­sches und anti­de­mo­kra­ti­sches Denken bis in die bürger­liche Mitte der Gesell­schaft vertreten sind. Die nun vorge­stellte Studie beleuchtet die Stim­mungs­lage in Ostdeutsch­land und kann dabei Vergleichs­daten der letzten 20 Jahre heranziehen.

Die Ergeb­nisse der Befragung sind beun­ru­hi­gend. Sie zeigen, wie stark Auto­ri­ta­rismus, Natio­na­lismus und Auslän­der­feind­lich­keit in Ostdeutsch­land ausge­prägt sind. 8,6 Prozent halten unter bestimmten Umständen eine Diktatur für die bessere Staats­form. Jeder Fünfte wollten diese Aussagen nicht ausdrück­lich ablehnen. Mehr als ein Viertel (26,3%) meinte, Deutsch­land brauche jetzt eine starke Partei, die die Volks­ge­mein­schaft verkör­pere. Ein weiteres Viertel (24,9%) stimmte dem latent zu. Damit ist rund die Hälfte der Befragten poten­tiell für eine völkisch-auto­ri­täre Partei offen. 14 Prozent wollten einen Führer, der mit starker Hand regiert. Jeder Fünfte (19,1%) stimmte dem latent zu. Die Studi­en­au­toren weisen darauf hin, dass eine „latente Zustim­mung“ auch die Unent­schlos­senen mitein­schließt, die mit „stimme teils zu/​stimme teils nicht zu“ antwor­teten, weil sie sich zu keiner eindeu­tigen Ablehnung der jewei­ligen Aussage durch­ringen konnten. Insofern klingen die Zahlen viel­leicht drama­ti­scher, als die Lage ist. Aber sie sind auch so besorg­nis­er­re­gend genug.

Diese Trends setzten sich auch bei anderen Aussagen fort, die von den Autoren der Studie  als „Neo-NS-Ideologie“ bezeichnet werden. Sozi­al­dar­wi­nis­ti­schen Ansichten, wonach sich wie in der Natur immer der Stärkere durch­setzen solle, stimmten 12,4 Prozent manifest und jeder Fünfte (22,5%) latent zu. Auch Anti­se­mi­tismus ist weit verbreitet. 11,2 Prozent meinten, auch heute sei der Einfluss der Juden zu groß. Jeder Fünfte (22,6%) sah das zumindest latent so. Ähnliche Zustim­mung erfuhren Aussagen, dass Juden mit üblen Tricks arbei­teten, etwas Eigen­tüm­li­ches an sich hätten und nicht zu uns passten (je 8,9 % manifest und 19,2% bzw. 19,8% latent).

Besonders ausge­prägt sind chau­vi­nis­ti­sche und auslän­der­feind­liche Ansichten, die von den Studi­en­au­toren unter dem Begriff „Ethno­zen­trismus“ zusam­men­ge­fasst werden. Über 60 Prozent der befragten Ostdeut­schen wollen endlich wieder ein starkes Natio­nal­ge­fühl (36,7% manifest, 27,7% latent). 70 Prozent fallen durch latente oder manifeste Auslän­der­feind­lich­keit auf. Mehr als 40 Prozent stimmen der Aussage voll zu, Ausländer kämen nur hierher, um unseren Sozi­al­staat auszunutzen.

Rechts­extreme Kontinuität

Bemer­kens­wert ist, dass die Zustim­mung zu latent oder offen rechts­extremen Einstel­lungen (Neo-NS-Ideologie und Ethno­zen­trismus) seit 20 Jahren Erhebung im Prinzip unver­än­dert geblieben ist. Man kann also von einer rechts­extremen Konti­nuität in Ostdeutsch­land sprechen. Sie ist deutlich älter als die AfD, die gerade im Osten zur neuen Volks­partei aufge­stiegen ist. Die Studi­en­au­toren erklärten den aktuellen Erfolg der AfD mit zuneh­menden Krisen­er­fah­rungen. Außerdem seien viele Bürger mit rechts­extremen Einstel­lungen, die jetzt zur AfD abge­wan­dert sind, zuvor in der CDU und SPD gebunden gewesen. Eine mögliche Erklärung könnte auch sein, dass es mit der AfD jetzt einen poli­ti­schen Akteur gibt, den zu wählen tatsäch­lich einen poli­ti­schen Effekt hat und damit Sinn macht.

Inter­es­sant ist der Hinweis der Studi­en­au­toren auf die Korre­la­tion der Befunde mit den Faktoren „Poli­ti­sche Depri­va­tion“ und „Auto­ri­täres Syndrom“. Ersteres meint eine Haltung, keinen Einfluss auf Politik nehmen zu können oder zu wollen. Mehr als Drei­viertel der Befragten (77,4%) sagten aus, Leute wie sie hätten sowieso keinen Einfluss darauf, was die Regierung tue. 64,6 Prozent hielten es für sinnlos, sich politisch zu enga­gieren. Im „Auto­ri­tären Syndrom“ zeigten 15,3 % eine auto­ri­täre Unter­wür­fig­keit (eine starke Führungs­person soll es richten), ein Drittel (32,9%) zeigte auto­ri­täre Aggres­sion (destruk­tive Wut auf „die da oben“) und mehr als ein Drittel (34,8 %) eine Verschwö­rungs­men­ta­lität, an die die AfD gut andocken könne, so der Co-Autor Oliver Decker bei der Vorstel­lung der Studie.

Es gibt noch eine inter­es­sante Unter­su­chung der Studie dazu, was einen großen Einfluss auf die Ausprä­gung einer rechts­extremen Einstel­lung habe. Eine auto­ri­täre Grund­ein­stel­lung schlägt hier signi­fi­kant zu Buche. Die Beur­tei­lung der eigenen wirt­schaft­li­chen Lage ist hingegen kein rele­vanter Faktor. Eine gewisse Korre­la­tion gibt es höchstens bei der Bewertung der allge­meinen wirt­schaft­li­chen Lage. Rechts­extreme Einstel­lungen haben also wenig bis gar nichts mit der Bewertung der eigenen ökono­mi­schen Lage zu tun. Das spiele keine Rolle, so Oliver Decker in der Präsentation.

Auto­ri­täre Prägungen

Erhellend waren Deckers Erklä­rungen zum „auto­ri­tären Syndrom“, das eng mit einem homogenen Gesell­schafts­bild zusam­men­hänge. Es gebe wenig Bereit­schaft, sich in mühsame demo­kra­ti­sche Aushand­lungs­pro­zesse zu begeben, auch weil diese als sinnlos angesehen werden. In der Vorstel­lung einer homogenen Gesell­schaft sei das aber auch gar nicht nötig, weil sich dann alle auf der gleichen Wellen­länge bewegen und sich der „Volks­wille“ quasi auto­ma­tisch herstelle. Dann bedürfe es nur noch einer starken Führungs­per­sön­lich­keit, ihn umzu­setzen. Das entspricht ziemlich genau dem Verständnis von Demo­kratie, wie es Carl Schmitt in Abgren­zung zum Parla­men­ta­rismus formu­liert hat, bei dem ein auto­ri­tärer Führer den „Volks­willen“ erspürt und ihm Geltung verschafft.

Zum Wahl­ver­halten: Neo-NS-Ideologie (Befür­wor­tung einer Diktatur, Anti­se­mi­tismus, Sozi­al­dar­wi­nismus, Verharm­lo­sung des NS) und Ethno­zen­trismus (Chau­vi­nismus, Auslän­der­feind­lich­keit) sind erwar­tungs­gemäß vor allem bei AfD-Wählern vertreten. Rechts­extreme Einstel­lungen sind bei den anderen Parteien auf geringem Niveau relativ gleich­mäßig verteilt. Aller­dings gibt es eine gewisse Konzen­tra­tion bei Wählern der SPD vor allem bei Anti­se­mi­tismus (5,2%), Natio­na­lismus (15,3% neben Wählern der FDP mit 19,3%) und Auslän­der­feind­lich­keit (22,3 % neben Wählern der Linken mit 21,2 %). Bevor die AfD diese Leute an sich zog, sei der Anteil von Wählern mit rechts­extremen Auffas­sungen bei SPD und CDU noch deutlich höher gewesen.

Studi­en­autor Elmar Brähler zog aus dieser Wähler­wan­de­rung auch den Schluss, dass die AfD bald alle Wähler mit rechts­extremen Einstel­lungen einge­sam­melt und demnächst ihr Potential ausge­schöpft habe. Jedoch zeigt die Studie, dass Leute mit einem geschlos­senen rechts­extremen Weltbild (7,1% der Befragten) nur zu gut zwei Drittel (62,7 %) wählen gehen und bei Wahl­teil­nahme dann zu 57,8 Prozent die AfD wählen (10,3% die SPD, Union: 7,7%, FDP, Grüne, Linke jeweils unter 2). Die verblie­benen Rechts­extremen sind zu 15,2 Prozent in ihrer Wahl­teil­nahme noch unsicher; jeder Fünfte (21,7%) ist bislang Nicht­wähler. Da ist also für die AfD noch ein Potential, das sie heben können. Außerdem ist fraglich, ob die AfD ihre Stimmen lediglich aus Milieus mit einem geschlos­senen rechts­extremen Weltbild ziehen kann.

Was tun?

Die Studi­en­au­toren bekräf­tigten, dass sich die Hoffnung als Trug­schluss erwiesen habe, rechts­extreme Einstel­lungen würden schwinden, wenn die noch im Natio­nal­so­zia­lismus Erzogenen nicht mehr lebten. Es gebe entspre­chende Tradi­tionen in den Familien, die sich fort­pflanzen, so Oliver Decker. Umso wichtiger sei es, dass die Schulen Orte der Demo­kratie würden.. Mögli­cher­weise müsste man aber noch früher, bereits in den Kitas ansetzen. Hier feiert 30 Jahre nach der Wende das auto­ri­täre Bildungs­system der DDR fröhliche Urstände und die Eltern finden das in der Regel gut, weil sie das so selbst erlebt haben und die Vorstel­lung vorherrscht, Kinder sollten folgsam sein. Das gesamte primäre und sekundäre Bildungs­system in Ostdeutsch­land gehört auf den kriti­schen Prüfstand.

Das Bildungs­system ist jedoch nur ein Baustein für eine Demo­kra­ti­sie­rung im Osten. Dringend nötig ist auch eine Ausein­an­der­set­zung mit dem auto­ri­tären und anti­de­mo­kra­ti­schen Erbe der DDR-Gesell­schaft. Die vorge­stellte Studie berichtet von einer über­wie­gend positiven Bewertung der DDR unter den Befragten, mit der „auch eine unkri­ti­sche Rückschau auf die eigene Geschichte deutlich“ werde. Mögli­cher­weise liegt hier ein Teil des Problems, warum sich der Osten mit Demo­kratie und offener Gesell­schaft so schwertut.

Eine demo­kra­ti­sche Kultur, in der die Mühen demo­kra­ti­scher Aushand­lungen ange­nommen werden und rechts­extreme Äuße­rungen nicht unwi­der­spro­chen bleiben, muss regel­recht erst aufgebaut werden. Es gilt den von Rechts­extremen domi­nierten öffent­liche Raum zurück­zu­ge­winnen. Und schließ­lich müssen Regie­rungen, Parla­mente und öffent­liche Verwal­tung in Krisen Hand­lungs­fä­hig­keit beweisen und für die Bürger ansprechbar sein. Wie die Studie fest­stellt, ist das Gefühl, Behörden und Ämtern ausge­lie­fert zu sein, im Osten weit verbreitet. Auch wenn hier noch Ohnmachts­er­fah­rungen aus der DDR mitspielen: eine Politik und Verwal­tung, die Bürge­rinnen und Bürger nicht als Bitt­steller behandelt, würde nicht nur in Ostdeutsch­land dazu beitragen, die Iden­ti­fi­ka­tion mit den demo­kra­ti­schen Insti­tu­tionen zu erhöhen.

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