Demokratie in der Bewährungsprobe

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„In Zeiten wachsender Zukunfts­ängste und tiefgrei­fender Verän­de­rungen kommt es entscheidend auf die Handlungs­fä­higkeit demokra­ti­scher Politik an“ – Ralf Fücks in seinem Beitrag für den neuen Sammelband des Wirtschafts­forums der SPD: „Future­nomics – Zukunft des Geschäfts­mo­dells und des Standorts Deutschland und Europa“.

„Es herrscht große Unruhe unter dem Himmel, die Lage ist ausge­zeichnet.“ Dieses geflügelte Wort Mao Zedongs stammt vom Ende der 60er Jahre, als im Westen die Studen­ten­re­volte und im Süden der „antiim­pe­ria­lis­tische Befrei­ungs­kampf“ in vollem Gang waren. Es war eine Zeit der stürmischen Veränderung des politi­schen Status quo. Unruhe herrscht auch heute, wenn auch aus anderen Gründen. Dass die Lage ausge­zeichnet wäre, würde aller­dings kaum jemand behaupten. Der Zukunfts­op­ti­mismus von einst ist einer großen Verun­si­cherung gewichen. Das gilt zumindest für das „alte Europa“. Klima­krise und demogra­phi­scher Wandel stellen das bisherige Wachs­tums­modell infrage, auf den öffentlichen Haushalten lastet eine histo­risch hohe Verschuldung. Bei der digitalen Revolution hinkt Europa hinterher.

Das Vertrauen in demokra­tische Insti­tu­tionen bröckelt

Überall auf dem Kontinent mischen populis­tische Protest­be­we­gungen und Parteien die politische Landschaft auf, das Vertrauen in die demokra­ti­schen Insti­tu­tionen bröckelt. Selbst eine vermeint­liche Bastion der Demokratie wie Frank­reich bewegt sich am Rand einer System­krise. Die Symptome sind bekannt: Zur wachsenden Kluft zwischen prospe­rie­renden Metro­polen und ländlichen Regionen, Globa­li­sie­rungs­ge­winnern und ‑verlieren kommen kultu­relle Konflikte um Einwan­derung und Geschlech­ter­po­litik und eine wachsende Entfremdung zwischen politisch‑ökonomischen Eliten und Gesellschaft.

„Deutschland wurde genötigt, aus seinem sicher­heits­po­li­ti­schen Tiefschlaf aufzuwachen“

Zu alledem hat der brutale russische Angriff auf die Ukraine die postso­wje­tische europäische Ordnung zertrümmert. Deutschland wurde genötigt, aus seinem sicher­heits­po­li­ti­schen Tiefschlaf aufzu­wachen und seine energie­wirt­schaft­liche Abhängigkeit von Russland binnen eines Jahres abzuschütteln. Was bleibt sind hohe Energie­preise, die an der Wettbewerbsfähigkeit der energie­in­ten­siven Indus­trien nagen. In Kombi­nation mit inter­na­tional hohen Unter­neh­mens­steuern, einem Dickicht von kosten­trei­benden Auflagen, langge­zo­genen Geneh­mi­gungs­ver­fahren, einer unter­fi­nan­zierten öffentlichen Infra­struktur und einer wachsenden Fachkräftelücke ergeben sie ein gefährliches Gebräu. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, der Indus­trie­standort Deutschland sei unkaputtbar.

Demokra­tische Legiti­mation braucht Vertrauen in die reprä­sen­tative Demokratie

Politisch scheint Deutschland noch eine Insel der Stabilität. Aber das kann rasch kippen, wenn sich in größeren Teilen der Bevölkerung der Eindruck verfestigt, dass die demokra­ti­schen Parteien, Parla­mente und die Regie­rungen den multiplen Krisen nicht Herr werden, sondern sie allen­falls verwalten. In Zeiten wachsender Zukunftsängste und tiefgrei­fender Veränderungen kommt es entscheidend auf die Handlungsfähigkeit demokra­ti­scher Politik an. Demokra­tische Legiti­mation entsteht nicht nur durch Wahlen, sondern durch das Vertrauen, dass die repräsentative Demokratie mit den Heraus­for­de­rungen fertig wird, die auf die Gesell­schaft zurollen.

Die letzten Jahre haben das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit demokra­ti­scher Politik nicht unbedingt gestärkt. Die große Flucht­be­wegung von 2015 wurde erstaunlich gut bewältigt, aber die überfällige Moder­ni­sierung unserer Einwan­de­rungs- und Integra­ti­ons­po­litik blieb aus. Europa hat nicht zu einer gemein­samen Migra­ti­ons­po­litik gefunden. Das Problem der Armuts­mi­gration bleibt ungelöst, die Integration von Migranten in das Bildungs­system und den Arbeits­markt ist stark verbesserungsbedürftig. Die Folge­pro­bleme des demogra­phi­schen Wandels sind lange bekannt, von den wachsenden Ansprüchen an das Renten- und Gesund­heits­system bis zur Notwen­digkeit einer Bildungs- und Innova­ti­ons­of­fensive, um dem sinkenden Erwerbs­po­tential mit steigender Produktivität zu begegnen. Dennoch hat die Politik versäumt, sie voraus­schauend anzugehen. Die Renten­re­formen der verbli­chenen Großen Koalition haben sie sogar noch verschärft. Auch die Unter­fi­nan­zierung der öffentlichen Infra­struktur, der Bundeswehr, der Hochschulen und der Pflege schürt die Zweifel an der Fähigkeit demokra­ti­scher Politik, die notwen­digen Prioritäten zu setzen und über den Tag hinaus zu handeln.

Klima­wandel: Lackmustest für Zukunftsfähigkeit der Demokratie

Das gilt erst recht für den Klima­wandel. Er ist der Prüfstein schlechthin für die Fähigkeit der Demokratie, zukunfts­ori­en­tiert zu handeln. Und er hat das Zeug die Gesell­schaft zu spalten wie kaum eine andere Frage. Die Anzeichen sind bereits sichtbar, und sie werden umso stärker, je mehr die Ausein­an­der­setzung um die Klima­po­litik als Kultur­kampf geführt wird – Autogegner gegen Autofahrer, Vegetarier gegen Fleisch­esser, Ferien­flieger gegen Flugas­keten, Verzichts­pre­diger gegen Wohlstands­ver­tei­diger. Die moralische Überhitzung der Klima­frage und ihre Zuspitzung auf eine Lebens­stil­frage blockieren am Ende die nötigen Veränderungen eher als sie zu beschleu­nigen. Die Ampel-Koalition steckt in der Klemme zwischen ambitio­nierten Klima­zielen, einem schlep­penden Ausbau erneu­er­barer Energien und einer veränderungsresistenten Verkehrs­po­litik. In einer Situation hoher Energie­preise und wachsendem Strom­bedarf die letzten Atomkraft­werke vom Netz zu nehmen, hat das Vertrauen in die Rationalität unserer Energie­po­litik nicht gestärkt.

Selbst­tra­gende Dynamik ökolo­gi­scher Innova­tionen und Investitionen

Es bleibt der Eindruck einer errati­schen Politik ohne klaren ordnungs­po­li­ti­schen Kompass. Die Flucht in Klein-Klein-Regulierung und immer engma­schigere staat­liche Vorgaben kann eine langfristig angelegte Strategie nicht ersetzen. Planvor­gaben mit jährlichen, sektor­spe­zi­fi­schen CO2-Reduk­ti­ons­zielen sind bloße Klima­me­chanik, die der Komplexität einer global verfloch­tenen Indus­trie­ge­sell­schaft nicht gerecht wird. Statt­dessen kommt es darauf an, eine selbst­tra­gende Dynamik ökologischer Innova­tionen und Inves­ti­tionen zu erzeugen. Sie muss vorrangig vom privaten Sektor getragen werden, der über das nötige Kapital und Know-how verfügt.

Die ökologische Trans­for­mation braucht einen aktiven, regula­tiven und inves­tiven Staat. Aber wir sollten uns vor der Illusion hüten, der Umbau in eine klima­neu­trale Ökonomie und Gesell­schaft könnte bis ins Detail geplant und staatlich finan­ziert werden. Politik muss dafür sorgen, dass »die Preise die ökologische Wahrheit sagen« (eine alte Maxime der Umwelt­be­wegung). Sie muss die ökologische Moder­ni­sierung der Infra­struktur voran­treiben, in Forschung und Entwicklung inves­tieren, ökologische Pilot­pro­jekte anschieben und die Markteinführung innova­tiver Techno­logien fördern. Aber die Neuauflage verstaubter Konzepte einer gelenkten Ökonomie führt heute ebenso in die Sackgasse wie eh und je.

Die ökolo­gische Erneuerung muss auch eine ökono­mische und soziale Erfolgs­ge­schichte werden

Die ökologische Erneuerung der Indus­trie­ge­sell­schaft wird nur gelingen, wenn sie auch eine ökonomische und soziale Erfolgs­ge­schichte wird. Wer unter Berufung auf die drohende Unbewohn­barkeit unseres Planeten ein absolutes Primat für Klima­schutz fordert, zerstört seine gesell­schaft­liche Akzeptanz. Auch die Klima­po­litik entkommt nicht dem Nachhal­tig­keits-Dreieck aus ökologischen Zielen, wirtschaft­lichem Erfolg und sozialer Teilhabe. Das gilt erst recht mit Blick auf die aufstre­benden »neuen Ökonomien« Asiens, Latein­ame­rikas und Afrikas, in denen die große Mehrheit der Weltbevölkerung lebt. Für sie sind Wirtschafts­wachstum und steigender Lebens­standard nicht verhan­delbar. Es bleibt deshalb nur die Flucht nach vorn zu einer Entkopplung von Wohlstand und Natur­ver­brauch. Sie ist der Kern der anste­henden grünen indus­tri­ellen Revolution. Wenn wir gut sind, zeigen wir, wie es geht und sichern damit zugleich den Wohlstand und die Grund­lagen des Sozial­staats in Deutschland. Das wäre auch der beste Nachweis für die Zukunftsfähigkeit der liberalen Demokratie.


 

Der Text ist ein Auszug aus dem neuen Sammelband des Wirtschafts­forums der SPD e.V. „Future­nomics – Zukunft des Geschäfts­mo­dells und des Standorts Deutschland und Europa“, der Anfang Juli erschienen ist.

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