„Den demokratischen Akteuren vor Ort den Rücken stärken“
Er gehört zu jenen Menschen, die sich aktiv für Demokratie und gegen ein Erstarken rechtsextremistischer Kräfte engagieren: David Begrich. Im Interview mit Till Schmidt erörtert er, welche Gefahren von einem Erstarken der AfD ausgehen und welche Art der Unterstützung Politiker:innen und Menschen, die sich pro-demokratisch engagieren, ganz konkret benötigen.
David Begrich, geboren 1972 in Erfurt, ist Theologe und Sozialwissenschaftler und Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus beim Verein Miteinander in Magdeburg und gilt als einer der profundesten Kenner des ostdeutschen Rechtsextremismus.
Bei den Europawahlen im Juni hat die AfD gerade in Ostdeutschland gut abgeschnitten. Für die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sagen die Prognosen einen massiven Machtzuwachs der Rechtsextremen voraus. Wie blicken Sie persönlich auf das Wahljahr 2024?
Ohne Übertreibung: 2024 ist für Ostdeutschland wohl das wichtigste Wahljahr seit der ersten demokratischen Volkskammerwahl 1990. Nach den Landtagswahlen im Herbst dürften tiefgreifende politischen Veränderungen anstehen. Davon machen sich aber nach wie vor zu wenige Menschen ein realistisches Bild.
Wie sähe ein solches realistisches Bild aus?
Die AfD ist keine Partei, die nur einige Akzente durchsetzen will, so wie andere Parteien das tun. Die AfD ist eine fundamental antidemokratische Partei mit einer mittel- und langfristigen Strategie zum Umbau von Staat und Gesellschaft. In dessen Zentrum sollen Ethnozentrismus und Autoritarismus stehen. Das hätte erhebliche Folgen für gesellschaftliche und politische Minderheiten, für die Gleichstellungspolitik, für Kulturinitiativen, den Bildungsbereich und den gesamten gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Wie wirkt sich diese düstere Aussicht auf die politische Stimmung unter den demokratischen Wähler:innen und zivilgesellschaftlich Engagierten in Ostdeutschland aus?
Es herrscht eine besorgte Erwartung. Denn selbstverständlich ist den meisten bewusst, was passieren wird, wenn der Machtzuwachs der AfD weiter anhält. Gleichzeitig fühlen sich viele Engagierte in ihrem Tun, ihren Sorgen und Nöten nicht ausreichend gesehen. Es frustriert, wie viele Politiker:innen stattdessen auf das Agenda-Setting der AfD aufspringen. Vor allem bei der Migration als zentralem Agitationsthema der AfD, wo man ihr ein Stück weit entgegenkommen will.
Nach dem Bekanntwerden der sogenannten „Remigrationspläne“ haben Anfang 2024 auch in ostdeutschen Mittel- und Kleinstädten zehntausende Bürger:innen gegen die AfD protestiert. Wie bewerten Sie diese Demonstrationen heute, knapp ein halbes Jahr später?
Die Demonstrationen fanden zu früh und zu spontan statt. In ihre Vorbereitung und Durchführung sind enorm viel Kraft und Ressourcen geflossen. Doch gerade in Strukturen, die nicht so stark aufgestellt sind, führt das schnell zu Erschöpfung. Dazu kommt: Schon seit Jahren demonstriert das politische Vorfeld der AfD gerade in den Mittel- und Kleinstädten unermüdlich – gegen die Asylpolitik, gegen die Coronapolitik oder zu den Themen Russland, Ukraine und Krieg. Der AfD und ihrem Vorfeld gelingt es vielerorts, den öffentlichen Diskurs zu dominieren.
Was genau bedeutet das für demokratische Akteure?
Die AfD und ihr Vorfeld zeichnen sich durch Penetranz sowie ein kalkuliertes Spiel aus Tabubruch und Provokation aus. Das macht es für Demokrat:innen häufig sehr schwer, ihre Meinungsführerschaft zu durchbrechen – selbst wenn sie rein rechnerisch in der Mehrheit sind. Dass sich in Ostdeutschland die Gegner der AfD häufig öffentlich und privat dafür rechtfertigen müssen, ist vielen in Westdeutschland nicht so bewusst. In den dortigen Metropolen gehört es vielleicht zum guten Ton, sich gegen die AfD zu positionieren. In Ostdeutschland ist das in jedem Fall anders.
In der Debatte über den Umgang mit der AfD werden neben einem Verbot zwei Strategien diskutiert: ihr entweder keine Bühnen zu bieten oder aber ihre Protagonisten in öffentlichen Debatten inhaltlich zu entlarven und souverän vorzuführen. Welcher Ansatz hat sich ihrer Einschätzung nach bewährt?
Grundsätzlich würde ich davon abraten, die AfD in die eigenen Sprechräume zu holen. Seit langem hat sie die sehr erfolgreiche Praxis eingeübt, permanent und lauthals darüber zu klagen, angeblich nicht gehört zu werden. Daraufhin werden ihr immer wieder und letztlich immer mehr Diskursräume bereitwillig geöffnet. Das ist kontraproduktiv. Es muss auch Diskursräume ohne AfD geben.
Nicht immer lässt sich die AfD aber so einfach und auch rechtssicher aus Debatten oder Gremien ausschließen. Was dann?
In einer inhaltlichen Auseinandersetzung müsste klar kommuniziert werden, dass die AfD ihre unrealistischen und demagogischen Wahlversprechen in der Regel nicht einlöst und gar nicht einlösen kann. In Ostdeutschland bräuchte es für eine solche Kommunikation allerdings eine wesentlich stärkere Präsenz der demokratischen Parteien. Doch die sind gerade in ländlichen, klein- und mittelstädtischen Regionen seit langem unsichtbar. Das liegt oft daran, dass ihnen einfach die Leute fehlen. Insgesamt wird die AfD dort schwächer, wo eine lebendige demokratische Kultur existiert, in der ganz unterschiedliche Menschen gesellschaftlich aktiv sind und dabei den Eindruck haben, dass ihr Engagement etwas bewirkt.
In der letzten Zeit wurde immer wieder vorgeschlagen, Bürgerräte zu stärken – auch und gerade in Ostdeutschland. Was halten Sie von der Idee, innovative Teilhabe-Formate zur Förderung von politischer Selbstwirksamkeit auszubauen?
In den Bürgerräten bräuchten wir Menschen, die nicht nur am Rand stehen und schimpfen. In Ostdeutschland haben wir allerdings seit jeher das Problem, dass insbesondere die Jungen, gut Qualifizierten, sozial Mobilen und Engagierten abwandern. Das sind aber genau die, die eigentlich gestalten wollen und kreativ sind; die Verantwortung übernehmen wollen und das auch können. Aus der Kommunalpolitik weiß ich, wie schwierig es ohnehin ist, Menschen zu finden, die bereit sind, in ihrer Freizeit gesellschaftspolitisch mitzuwirken.
Woran liegt das?
Sicherlich auch an der geringen Vergütung, in Ostdeutschland vor allem aber am unzureichenden Schutz. Ein ehrenamtlicher Bürgermeister erhält weder Personenschutz und Dienstwagen – sondern allenfalls ein Fahrrad.
Wie hat sich die Gefährdungslage für demokratisch Engagierte in den letzten Jahren verändert?
Das rhetorische Klima ist verroht und die Hemmschwelle für An- oder Übergriffe jeder Art niedriger geworden. Das betrifft engagierte Kirchenvorstände, Polizisten, Ärzte oder Übungsleiter im Sportbereich gleichermaßen. In der ostdeutschen Gesellschaft fungieren Menschen, die sich gesellschaftlich engagieren und Verantwortung übernehmen, häufig als Projektionsfläche. Bei ihnen wird viel Wut, Frust und Ohnmachtserfahrung abgeladen.
Daher braucht es für Mandatsträger und ehrenamtlich Engagierte mehr Schutz sowie und erfahrbare Rückendeckung bei konkreten Bedrohungslagen. Ich wünsche mir, dass der nächste ehrenamtliche Bürgermeister, der öffentlich an den Pranger gestellt und bedroht wird, am nächsten Tag vom Bundespräsidenten besucht wird, der deutlich macht: „Ich bin hier, weil Sie angegriffen werden.“
Was konkret bräuchte es denn zum Schutz von Engagierten, die noch mehr vor Ort, bei den Menschen, aktiv sind – etwa in Beratungsstellen, wie Sie das bei Miteinander e.V. in Magdeburg tun?
Mehr Planungssicherheit. In den Beratungsprojekten und in allen anderen Bereichen der Demokratieförderung können wir unsere Arbeit nur sehr selten längerfristig anlegen. Insgesamt wissen die Engagierten aber selbst am besten, was genau sie jeweils brauchen. Daher müssen sie mehr gehört werden. Im politisch-medialen Diskurs würde das bedeuten, die Aufmerksamkeit anders zu gewichten und den Scheinwerfer umzudrehen: weg von der extremen Rechten und ihren Selbstinszenierungen – und hin zu den Engagierten. Talkshow-Interviews mit Tino Chrupalla und Alice Weidel mögen ihre Legitimität haben, weil sie ja das demokratisch gewählte politische Spektrum abbilden. Doch warum nicht Sprecher einer regionalen Bürgerinitiative für Demokratie dazuholen und fragen: Wie ist eure Situation?
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