Interview mit Richard C. Schneider: Europas Rechtspopulisten und „die Sache mit den Juden“
Europas Rechtspopulisten wissen geschickt das Erstarken des Antisemitismus für sich zu instrumentalisieren und suchen zugleich Nähe zu Netanjahu. In ihrem jüngsten Buch „Das Sterben der Demokratie“ widmen der Extremismus-Experte Peter Neumann und der Nahost-Autor und Kolumnist Richard C. Schneider diesem Phänomen ein eigenes Kapitel: „Die Sache mit den Juden“. Im Interview mit Till Schmidt spricht Richard C. Schneider über diese neue Allianz und den Antisemitismus der Neuen Rechten.
Peter Neumann und Richard C. Schneider: „Das Sterben der Demokratie: Das Erstarken der Rechtspopulisten in Europa und den USA“, Rowohlt Berlin, August 2025, 224 Seiten
In ihrem neuen Buch analysieren Sie, Richard Schneider, und ihr Co-Autor Peter Neumann das Erstarken, die Machterlangung und die Herrschaftssicherung von Rechtspopulisten in Europa. Welche Bedeutung haben dabei „die Juden“ – als europäische Bürger wie auch als Projektionsfläche?
Das ist je nach Partei und je nach länderspezifischen Entwicklungen durchaus unterschiedlich. Geert Wilders von der Partij voor de Vrijheid (PVV) in Holland ist zum Beispiel ein selbst erklärter Israelfreund. Er hat sogar einige Zeit vor Ort gelebt und bewundert Israel mit einer 150-prozentigen Loyalität und Solidarität. Bei der FPÖ, der AfD, beim Rassemblement National (RN) oder auch bei Giorgia Meloni ist das anders. Da gibt es natürlich auch Antisemitismus. Allerdings haben die meisten der rechtspopulistischen Parteien verstanden, dass sich mit Antisemitismus heute keine Wahlen mehr gewinnen lassen, weil offener Judenhass nach dem Holocaust in der Politik ein Tabu ist. Zudem wird das Thema Migration bzw. „die Muslime“ – was nicht immer, aber sehr oft identisch gesetzt wird – als ein viel größeres Problem angesehen als „die Juden“. Manche Rechtspopulisten betonen sogar, es gehe ihnen um die Rettung des „judeo-christlichen Abendlandes“. Mit dieser Floskel inkludiert man das Jüdische, um sich von der von Nationalsozialisten oder dem Rechtsextremismus des 20. Jahrhunderts abzugrenzen. Daneben wird diese Floskel aber auch benutzt, um sich nicht nur gegen Migranten zu positionieren, sondern auch gegen den Islam – um sich dann wiederum als politische Kraft zu inszenieren, die die Juden am besten schützen kann.
Wer das in großer Deutlichkeit immer wieder formuliert hat, ist die Chefin des RN, Marine Le Pen.
Hier ist die Entwicklung besonders interessant zu sehen, weil der Name des RN im Jahr 2018 bewusst geändert worden war, um sich vom Parteigründer, ihrem Vater, abzugrenzen, der ein Antisemit, Holocaustleugner und Rechtsextremer der ganz alten Schule war. Marine Le Pen hat alle Parteifunktionäre, die sich irgendwann antisemitisch geäußert haben, aus der Partei entfernt – inklusive des eigenen Vaters. Das bedeutet aber nicht, dass der RN nicht trotzdem eine ganze Reihe von Antisemiten in den eigenen Reihen hat. Zudem hat Marine Le Pen den französischen Juden klargemacht, dass sie die Schächtung – und damit ein wichtiges rituelles Gebot jüdischer Religiosität und Kultur – verbieten will. Gleichzeitig inszeniert sie sich als die einzig schützende Kraft gegenüber Islamismus und den Muslimen. Das verfängt auch bei vielen französischen Juden. Der muslimische Antisemitismus und der radikale Antisemitismus von La France Insoumise ist mittlerweile so laut, so stark und er beinhaltet vor allem auch physische Bedrohung, dass diejenigen, die noch nicht ausgewandert sind, versuchen, irgendeinen Strohhalm zu ergreifen. Für manche bedeutet das, Rechtsaußen zu wählen. Das ist, glaube ich, aber eine sehr gefährliche Entscheidung, weil das alles Wölfe im Schafspelz sind.
Welche Rolle spielt Israel im Weltbild dieser Akteure?
Israel ist für diese europäischen rechtspopulistischen Parteien ein Alibi: Indem man für den jüdischen Staat ist, glaubt man den Vorwurf, antisemitisch zu sein zu entkräften – um dann möglicherweise aber trotzdem gegenüber der eigenen jüdischen Bevölkerung zu agitieren oder antisemitische Kampagnen zu betreiben. Das macht etwa Viktor Orbán mit seiner Hetze gegenüber dem liberalen, jüdischen Philanthropen George Soros, um ein antisemitisches Ressentiment in der Bevölkerung zu triggern. Ein Beispiel dafür ist seine Plakataktion 2017, bei der überall in Budapest ein Plakat zu sehen war, auf dem auf der einen Seite eine lachende Fratze von Soros zu sehen war und auf der anderen Seite stand: „Lass nicht zu, dass er als Letzter lacht“. Später wurden auf den Böden der U‑Bahnen Plakate mit dem Gesicht von Soros geklebt, so dass die die Passagiere buchstäblich mit ihren Füßen über dessen Gesicht trampeln mussten. Gleichzeitig ist das rechtspopulistische Weltbild des israelischen Premiers und seiner Koalition im Prinzip äußerst ähnlich zu dem von Orbán, Le Pen oder Meloni. So etwa in ihrem Hass auf die „liberalen Eliten“.
Ist die positive Bezugnahme auf Israel auch ein Weg, sich gegen die arabische Welt und gegen die Muslime in Nahost zu positionieren?
Auf jeden Fall. Aber damit wird etwas insinuiert, was eigentlich gar nicht stimmt: nämlich ein gemeinsamer Kampf mit Israel gegen den Islam. Das stimmte noch nie, weil Israel nie gegen den Islam als solchen kämpfte, sondern gegen seine Feinde, aber nicht, weil sie Muslime waren. Zudem sind in Israel 20 Prozent der Bevölkerung selbst arabisch, was von den Rechtspopulisten gern ausgeklammert wird. Umgekehrt hat sich Netanjahu aber auch der europäischen Rechtspopulisten bedient. Indem er sich mit den Visegrád-Staaten verbündete, hat er einen Keil hineintreiben können in die EU. Gegen Israel gerichtete oder pro-palästinensische Resolutionen oder Entscheidungen in Brüssel können so durch ein Veto beispielsweise von Ungarn, aber auch von Polen blockiert werden. Da hat eine Hand die andere gewaschen.
Der 7. Oktober und alles, was danach folgte, hat in Europa und in den USA auch den linken und muslimischen Antisemitismus besonders sichtbar gemacht. Hat das den Blick der europäischen Rechten auf Israel beeinflusst?
Alle diese Parteien – außer Orbán in Ungarn natürlich – müssen sich immer auch ein bisschen nach der Stimmung in der Bevölkerung richten und sind angewiesen auf Koalitionen, weil sie nirgendwo eine Chance auf eine Zweidrittelmehrheit haben, um die Verfassungen zu ändern und dann ohne checks and balances durchzuregieren. Die Orientierung an der Stimmung in der Bevölkerung, beobachte ich zum Beispiel in der Debatte um Waffenlieferungen nach Israel angesichts des wirklich brutalen Krieges in Gaza. So hat sich auch AfD-Chef Tino Chrupalla nun öffentlich gegen jedwede Waffenlieferungen an Israel ausgesprochen. Giorgia Meloni und ihr Außenminister haben sich hierzu kürzlich ebenfalls erstmalig äußerst kritisch geäußert.
Bis zum 7. Oktober gab es in Israel massiven, beeindruckende BürgerInnen-Proteste gegen die illiberale Justizreform. Der Widerstand aus der israelischen Bevölkerung hat das rechtspopulistische Weltbild eigentlich ad absurdum geführt und gezeigt, dass sich Probleme in einer Demokratie nur deliberativ lösen lassen – und nicht identitär und von oben. Wie haben die europäischen Rechtspopulisten auf die Proteste in Israel geblickt?
Die Rechtspopulisten schauen mit einem gewissen Neid auf Netanjahu, weil der nach wie vor in einer unglaublichen Konsequenz versucht, die illiberale Justizreform durchzusetzen. Sollte er die nächsten Wahlen, die für 2026 angesetzt sind, gewinnen, wird ihm das wohl auch gelingen. Zudem bewundern die europäischen Rechtspopulisten Netanjahus Betonung eines ethnischen Nationalitätsprinzips zulasten eines liberalen Prinzips, nach dem israelische Staatsbürger, die nicht jüdisch sind, genauso gleichberechtigt sind wie alle anderen. Das versucht Netanjahu zu verändern. Dazu kommt das Nationalstaatsgesetz von 2018, das beispielsweise den Status der arabischen Sprache und der arabischen Minderheit niedriger einstufte. Das war eine Form von identitärer Politik, die ja all diesen Rechtspopulisten in Europa genauso vorschwebt – basierend auf dem Weltbild, dass allein diese Parteien mit ihrem Nationalismus den wahren Volkswillen vertreten und gegen die liberalen Eliten in den eigenen Ländern sowie in Brüssel mit ihren ganzen Machenschaften und Verschwörungen durchsetzen müssen. Bei so einem Politik-Verständnis ist klar: Wenn man dann mal an der Macht ist, kann alles ganz schnell autokratische und möglicherweise sogar diktatorische Züge bekommen.
Im März 2025 hat die israelische Regierung mit einer Antisemitismus-Konferenz für viel Wirbel gesorgt, weil sie prominente rechte Politiker aus Europa dazu eingeladen hatte. Wofür steht diese Konferenz – in Israel, in der jüdischen Diaspora, aber auch für die westlichen Rechtspopulisten?
Innerjüdisch ließ sich hier eine sich vertiefende Spaltung beobachten zwischen jüdischen Interessen in der Diaspora und der aktuellen israelischen Regierung beziehungsweise der israelischen Rechten, die sich immer weiter von den Interessen der Diaspora entfernt. Die europäischen Juden und europäischen jüdischen Organisationen, die zu dieser Konferenz eingeladen waren, haben durchweg abgesagt, nachdem sie gehört hatten, wer da alles hinkommt. Ariel Muzicant, damals Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, hat betont, dass das, wofür er und andere seit Jahrzehnten nach 1945 in Europa kämpfen, von der israelischen Rechten niedergerissen wird und die Zukunft der Juden in Europa gefährdet. Aber das alles interessierte den Diasporaminister Amichai Chikli aus genannten Gründen überhaupt nicht. Was in Berlin, Paris, London, Brüssel, Rom geschieht, ist auch Netanjahu ohnehin völlig egal. Das wird den Israelis irgendwann mal auf die Füße fallen, weil die EU der zweitwichtigste wirtschaftliche Handelspartner Israels ist. Und wenn der wegbricht wegen Sanktionen oder anderer Dinge, dann wird Israel mittelfristig in große Probleme kommen. Aber Netanjahu interessiert sich im Augenblick nur bis zum Jahr 2026, wo es in Israel wieder Wahlen geben soll. Alle diese Rechtspopulisten, die dann nach Jerusalem gepilgert sind, haben jetzt einen „Koscher-Stempel“ von der israelischen Regierung geholt. Das ist zynisch von allen Beteiligten und entspringt rein opportunistisches Kalkül für die eigenen Interessen.
Was können, sollten liberale Freunde Israels aus ihrer Sicht in der aktuellen – äußerst schwierigen und komplizierten – Situation tun?
Ich denke, die echten Freunde Israels sollten sich in der Politik, in der Exekutive, in der Judikative sehr deutlich und in jeder Hinsicht gegen jegliche Form von Antisemitismus wehren. Dazu müssen sie ihren Bevölkerungen auch sehr deutlich klar machen, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Staat Israel und jüdischen Europäern. Gerade in Frankreich, wo der Antisemitismus innerhalb Europas besonders schlimm wütet, ist erstmal die wichtigste Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sehr klar ist, was im eigenen Land geht und was nicht.
Zweitens müssen sich liberale, demokratische Regierungen in Europa klarer darüber werden, wie sie den israelischen Staat tatsächlich unterstützen können, ohne die aktuelle Netanjahu-Regierung zu stützen und zu stärken. Da bemerke ich häufig, dass die Politiker sehr schwammig sind in ihrer Verunsicherung. Sie müssen zudem aufhören, mit doppelten Standards zu agieren: Bei Israel wird oft sehr genau hingeschaut, bei anderen hingegen nicht. Ich vermisse auch eine viel klarere Aussage der Bundesregierung gegenüber der Hamas, die ja immer noch auch deutsche Staatsbürger als Geiseln hält. Da kommt von Bundeskanzler Merz und anderen viel zu wenig. Und auch die deutsche Öffentlichkeit, ist sich dessen kaum bewusst. Das gilt es zu ändern.
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