KI made in Germany? Fehlanzeige!

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Eine Erfindung, so bahnbre­chend wie die Elektri­zität: Künst­liche Intel­ligenz (KI) wird unsere Volks­wirt­schaften umkrempeln. Doch Deutschland droht auf dem Sprung ins KI-Zeitalter den Anschluss zu verlieren.

Techno­logie prägt die globale wirtschaft­liche Hackordnung. Sie entscheidet über Wirtschafts­kraft, Wertschöpfung und Wohlstand. Die Prospe­rität Deutsch­lands ruht auf seinen techno­lo­gi­schen Durch­brüchen. Ob Automobil, Maschinen, Elektro­technik oder Chemie – deutsche Erfin­dungen haben die Welt geprägt. Aber dieser techno­lo­gische Vorsprung gilt nicht mehr; eine weltver­än­dernde Basis­tech­no­logie ist auf dem Vormarsch und schreibt ein neues Kapitel der Techno­lo­gie­ge­schichte. Mit ihr betreten wir eine neue Welt. Computer lernen zu lernen: Alles, was künstlich ist, wird intelligent. 

Portrait von Roderick Kefferpütz

Roderick Kefferpütz ist stell­ver­tre­tender Leiter des Grund­satz­re­ferats im Staats­mi­nis­terium Baden-Württemberg.

Mit Künst­licher Intel­ligenz (KI) lassen sich Daten­ana­lysen verbessern, Abläufe automa­ti­sieren und optimieren, Muster finden und daraus Vorher­sagen treffen. Sie ist Grundlage für das autonome Fahren, neue gesund­heit­liche Diagno­se­mög­lich­keiten und die Robotik. KI verändert die Art zu leben, zu arbeiten und zu wirtschaften. Für den Google-CEO Sundar Pichai ist die Erfindung der Künst­lichen Intel­ligenz sogar tiefgrei­fender als die Erfindung der Elektri­zität oder des Feuers. Diese Basis­tech­no­logie wird ganze Branchen umkrempeln, neue Geschäfts­mo­delle schaffen und eine neue Wirtschafts­dy­namik auslösen. Laut den Wirtschafts­prüfern von Price­wa­ter­hous­e­Coopers kann KI das deutsche Brutto­in­lands­produkt bis 2030 um 430 Milli­arden Euro steigern. Die Frage ist: Wer macht zuerst den Sprung ins KI-Zeitalter – und mit KI das große Geschäft?

Was Öl für Saudi-Arabien ist, sind Daten für China

Deutschland und der alte Kontinent Europa drohen den Anschluss zu verlieren. Es könnte das erste Mal in der modernen Techno­lo­gie­ge­schichte sein, dass eine indus­trielle Revolution außerhalb Europas statt­findet. Denn die gegen­wärtige KI-Weltordnung ist von Bipola­rität geprägt: die USA und China dominieren. Sie liefern sich einen Wettkampf um die KI-Vorherr­schaft. 2017 gingen 50 Prozent der weltweiten KI-Inves­ti­tionen nach China und rund 40 Prozent in die USA. Europa rangiert unter ferner liefen. Laut der Denkfabrik Merics hat China 2018 sogar zweieinhalb Mal so viele Patente im Bereich KI angemeldet wie die USA.

China ist stolz auf diesen techno­lo­gi­schen Fortschritt. Zum ersten Mal seit langer Zeit ist das Land wieder Techno­lo­gie­führer und kann bei einer indus­tri­ellen Revolution mitmi­schen. Bei KI hat China gute Voraus­set­zungen. Es ist das Saudi-Arabien der Daten, hat keine Schul­den­bremse, inves­tiert Milli­arden in den Bereich, bildet jedes Jahr zahlreiche KI-Forscher aus und hat eine junge, hungrige Unternehmerschicht.

Deutschland wird allem Anschein nach als analoge, verlän­gerte Werkbank betrachtet. Chine­sische Partei­kader haben mir – leicht schmun­zelnd – gesagt, dass sich Deutschland und China wirtschaftlich gut ergänzen: Deutschland habe die Indus­trie­pro­dukte, China die Techno­logie. Deutschland kümmere sich um das Künst­liche, China um die Intel­ligenz. Wenn uns dieses Szenario als zukünf­tiger Zulie­ferer erspart bleiben soll, müssen wir Gas geben, um auf Augenhöhe mitspielen zu können.

China lacht über unsere KI-Strategie

Dabei sollten die Chancen eigentlich nicht schlecht stehen. Schließlich ist Europa die Wiege zahlreicher techno­lo­gi­scher Grund­lagen der KI. Das automa­tische Rechnen, die Muster­er­kennung, der Transistor, all das ist auf dem Kontinent erfunden worden. Am autonomen Fahren wurde in Deutschland schon in den Achtzi­ger­jahren getüftelt. Woran es fehlt, ist die Umsetzung. Wir haben die Erfin­dungs­phase der KI hinter uns gelassen und befinden uns nun in einer Umset­zungs­phase, mahnt Kai-Fu Lee, der frühere Präsident von Google China, in seinem jüngsten Buch „AI Super­powers: China, Silicon Valley, and the New World Order“. Das ist kein Marathonlauf, sondern ein Sprint. Wer als erster mit KI neue Geschäfte erschließt, wird die Nase vorn haben.

Aber genau in diesem Bereich tut sich Deutschland tradi­tionell schwer. Es ist beängs­tigend, wie wenig die deutsche Wirtschaft anscheinend auf KI setzt. Laut einer aktuellen Umfrage des Digital­ver­bands Bitkom ist nur jedes vierte deutsche Unter­nehmen an KI inter­es­siert, 50 Prozent glauben nicht, dass KI disruptive Verän­de­rungen mit sich bringen wird. Eine beauf­tragte Studie der Bundes­re­gierung kommt sogar zu dem Schluss, dass nur fünf Prozent der Indus­trie­be­triebe in Deutschland KI einsetzen.

Nach langem Zögern hat die Bundes­re­publik die Notwen­digkeit des Handelns erkannt. Es wurde eine KI-Strategie, „KI made in Germany“, veröf­fent­licht und Kanzlerin Angela Merkel mahnte, man wolle im Wettbewerb bestehen und vorne mit dabei sein. Bis 2025 will die Bundes­re­gierung drei Milli­arden Euro zur Verfügung stellen. Angesichts dieser Kampf­ansage wird den chine­si­schen Partei­stra­tegen in Zhongnanhai, der Zentrale der Kommu­nis­ti­schen Partei, die Teetasse aus der Hand gefallen sein. Nicht vor Schreck natürlich, sondern vor Lachen. Die chine­sische Hafen­stadt Tianjin allein plant einen KI-Fond von rund 13 Milli­arden Euro zu gründen. Und bisher hat Finanz­mi­nister Olaf Scholz sowieso nur 500 Millionen Euro in seinem Finanzplan vorge­sehen. Wir zählen in Reiskörnern, die Chinesen in Reissäcken.

Wenn wir Standards setzen wollen, müssen wir KI können

Mithalten kann man nur im europäi­schen Verbund. Aber auch hier geht die Bundes­re­gierung nicht voran. Das groß angekün­digte deutsch-franzö­sische KI-Zentrum ist zu einem virtu­ellen Netzwerk mit einem Budget von 500 Tausend Euro degra­diert worden.

Zahlreiche Baustellen werden in der KI-Strategie nicht behandelt. Die Hardware ist komplett unter­be­leuchtet. KI ohne leistungs­starke Chips ist wie rechnen ohne Rechner – man kommt nicht weit. Diese Erkenntnis macht gerade Huawei. Nachdem US-Präsident Donald Trump den Smart­phone-Hersteller auf eine schwarze Liste von Unter­nehmen gesetzt hat, haben zahlreiche Halblei­ter­firmen ihre Liefe­rungen einge­stellt. Das berührt den Kern Chinas digitaler Wirtschaft. Denn Halbleiter sind für China ein wichti­geres Importgut als Erdöl. Deutsch­lands KI-Strategie redet von „Techno­lo­gie­sou­ve­rä­nität“ und hebt zu Recht die Bedeutung der Hardware hervor, macht diesbe­züglich aller­dings nicht einen einzigen Maßnahmenvorschlag.

Auch im Kampf der Talente droht Deutschland ins Hinter­treffen zu geraten. Die Stellen­an­zeigen für KI-Experten, zeigt der Job-Monitor des Handels­blatts, verdoppeln sich jedes Jahr. Die Großkon­zerne der Welt suchen hände­ringend nach KI-Talenten. Die ameri­ka­ni­schen Tech-Konzerne bieten Traum­ge­hälter, um die besten Forscher anzulocken. Deutschland hat keine Strategie, wie es in diesem Feld bestehen, den brain drain bremsen und neue KI-Talente anwerben kann. Das kanadische Vector-Institute, ein globaler KI-Hotspot in Toronto, allein hat eine Abteilung mit etwa 25 Personen, die sich nur um die weltweite Akquise talen­tierter KI-Köpfe kümmert. Auch KI-Experten ohne Doktor­titel wird der rote Teppich ausgerollt.

Um im KI-Wettlauf zu bestehen, braucht es Daten, Hardware, Talente und Finan­zierung. Aber in keinem dieser Bereiche kommen wir angemessen voran. Wir müssen bei der KI inter­na­tional konkur­rieren können. Gleich­zeitig darf der Wettbewerb nicht aus dem Ruder laufen und zu einer race to the bottom verkommen. Ethische Fragen sollten nicht auf dem Altar der Wettbe­werbs­fä­higkeit geopfert werden. Davor warnte Alibaba-Gründer Jack Ma auf dem Weltwirt­schafts­forum in Davos 2019, denn techno­lo­gische Innovation sei auch ein Faktor für globale Konflikte. „Der erste Weltkrieg hat seinen Ausgang nach der ersten techno­lo­gi­schen Revolution genommen. Die zweite Techno­lo­gie­re­vo­lution war die Grundlage für den zweiten Weltkrieg,“ so Ma. Die techno­lo­gische Ausein­an­der­setzung erinnert schnell an Liu Cixins dysto­pische Drei-Sonnen-Trilogie. Dort müssen sich Zivili­sa­tionen ständig techno­lo­gisch weiter­ent­wi­ckeln, um zu überleben und nicht von höher­ste­henden Wesen ausge­löscht zu werden. Deswegen sollte auch eine inter­na­tionale KI-Koope­ra­ti­ons­stra­tegie verfolgt werden. Aber auch da bewegt sich bei der Bundes­re­gierung wenig.

KI berührt nicht nur die Zukunft unserer Wirtschaft, sondern auch die Zukunft unserer gesell­schaft­lichen Ordnung und die Frage, wer das Techno­lo­gie­zeit­alter ordnungs­rechtlich prägt. Wenn wir ethische Leitlinien und inter­na­tionale Standards für KI setzen wollen, wenn wir den inter­na­tio­nalen Wettbewerb in fruchtbare Bahnen lenken und den Mensch in den Mittel­punkt stellen wollen, dann müssen wir auch diese Techno­logie beherr­schen. Und zwar so gut, dass die anderen KI-Mächte uns mitspielen lassen.

Der Text gibt die persön­liche Meinung des Autors wieder.

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