Europa­wahlen: Wie gespalten sind die Rechtsaußen-Parteien?

Foto: Imago

Für das Europa­par­lament ist nach den Wahlen eine deutliche Verschiebung nach rechts abzusehen. Die meisten Rechts­außen-Parteien haben ihre Positionen abgeschwächt – zumindest rheto­risch. Die AfD hingegen ist weitgehend isoliert. Der Politik­wis­sen­schaftler Nicolai von Ondarza über Strategien, mögliche Allianzen – und das Kalkül von Marine Le Pen.

Nicolai von Ondarza ist Politik­wis­sen­schaftler und leitet die Forschungs­gruppe EU/​Europa der Stiftung Wissen­schaft und Politik (SWP) in Berlin. Seine Schwer­punkte sind: Insti­tu­tionen und politi­sches System der EU, europäische politische Parteien und demokra­tische Legiti­mation der EU, post-Brexit Bezie­hungen zwischen EU und dem Verei­nigten Königreich.

Herr Ondarza, lange galten Wahlen zum Europäi­schen Parlament (EP) als wenig relevant, allen­falls als Instrument zur Bestrafung natio­naler Regie­rungen. Ist das aus ihrer Sicht immer noch so?

In den letzten Jahren ist die EU für unser Leben immer bedeut­samer geworden. So etwa wegen der vielen bedeu­tenden Entschei­dungen zur Klima­po­litik, zum Kauf von Impfstoffen, zur Unter­stützung der Ukraine oder in Bezug auf die Sanktionen gegenüber Russland. Bei vielen dieser Entschei­dungen hat das Europäische Parlament eine sehr wichtige Rolle gespielt, auch wenn seine Arbeit häufig wenig öffent­lich­keits­wirksam passiert. Trotzdem gelten die Wahlen vielen natio­nalen Parteien und Medien in der Tat nach wie vor als zweit­rangig, in Deutschland etwa als eine Art Vorlauf­übung für die Bundes­tagswahl 2025. Das ist paradox.

Diese Einschätzung erstaunt gerade vor dem Hinter­grund der Umfragen: rechte bis rechts­extreme Parteien dürften durch die Wahlen am 9. Juni stark dazuge­winnen. Was steht auf dem Spiel, wenn sich dadurch die Mehrheits­ver­hält­nisse im EP deutlich nach rechts verschieben?

Lange Zeit beruhten die EU und auch das EP auf einer Art europäi­scher Großer Koalition aus Christ­de­mo­kraten und Konser­va­tiven sowie Sozial­de­mo­kraten. Diese Mehrheit wurde zwar schon 2019 verloren, für die Wahlen am 9. Juni ist jedoch in der Tat eine weitere, deutliche Verschiebung nach rechts abzusehen. Vor diesem Hinter­grund disku­tieren die Konser­va­tiven und Christ­de­mo­kraten, die in der Fraktion „Europäi­schen Volks­partei“ (EVP) zusam­men­ge­schlossen sind, nun öffentlich darüber, unter welchen Bedin­gungen man mit Rechts­außen-Parteien zusam­men­ar­beiten kann.

Für wie wahrscheinlich halten Sie eine Zusam­men­arbeit der EVP mit Rechtsaußen-Parteien?

Aktuell dürfte es noch keine dauer­hafte Koalition mit Rechts­außen geben. Statt­dessen aber einen starken Einfluss dieser Parteien auf einzelne Politik­felder, vor allem in den Bereichen Klima­schutz, Soziales und Migration. Im Zusam­men­spiel mit den kommenden natio­nalen Wahlen etwa in Frank­reich 2027 begreife ich die Wahlen zum EP als Teil eines schlei­chenden Prozesses hin zu einem stärker illiberal geprägten Europa.

Über welche zentralen Allianzen und Koali­ti­ons­op­tionen verfügen die Rechtsaußen-Parteien?

Aktuell diffe­ren­ziert sich dieses Spektrum in drei Gruppen: Da ist zum einen die natio­nal­kon­ser­vative Fraktion „Konser­vative und Reformer“ (EKR) mit Georgia Melonis Fratelli D’Italia oder der polni­schen PiS. Diese Parteien lehnen die EU nicht per se ab und bevor­zugen zum Beispiel den EU-Binnen­markt, wollen aber wieder stärker zum Natio­nal­staat zurück – sowie vor allen Dingen eine härtere europäische Migra­ti­ons­po­litik und eine weniger ambitio­nierte Klima­po­litik. Für künftige Mehrheiten im EP ist es entscheidend, inwieweit es irgendwann zu einer Koalition zwischen EKR und EVP kommt oder ob beide Fraktionen zusammenarbeiten.

Die zweite Gruppe im Recht­außen-Spektrum ist die Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID). Unter der Führung des franzö­si­schen Rassem­blement National von Marine Le Pen sammeln sich in der ID rechts­po­pu­lis­tische bis rechts­extreme Parteien wie etwa Geert Wilders‘ Partei PVV, die FPÖ oder die italie­nische Lega. Im Vergleich zur EKR sind diese Parteien zwar deutlich EU-skepti­scher, fordern in der Regel aber kein Ende der EU. Einige Parteien des Rechts­außen-Spektrums haben aktuell keine politi­schen Partner und sind daher frakti­onslos. So etwa die Fidesz-Partei von Viktor Orban. Und seit kurzem auch die AfD.

Laut Umfragen könnte die AfD bei den EU-Wahlen 15 bis 17 % der deutschen Wähler­stimmen erhalten. Welche Rolle spielt die Partei im Geflecht der europäi­schen Rechtsaußen-Parteien?

Die meisten Rechts­außen-Parteien in Europa haben ihre Positionen inzwi­schen zumindest rheto­risch abgeschwächt. Diese Norma­li­sie­rungs­ver­suche stehen auch im Kontext der vielen Regie­rungs­be­tei­li­gungen und ‑ambitionen auf natio­naler Ebene. Die AfD hingegen hat sich nicht nur auf natio­naler, sondern auch auf europäi­scher Ebene immer weiter radika­li­siert. In ihrer ersten EP-Legis­latur ab 2014 war die AfD als eher moderat EU-skeptische Partei Teil der EKR-Fraktion. Wegen ihrer Radika­li­sierung wurde sie aber 2019 aus der EKR ausge­schlossen. Und nun auch aus der ID-Fraktion. Nach den Wahlen dürfte die AfD entweder frakti­onslos bleiben oder eine sehr kleine neue Rechts­außen-Fraktion ohne große politische Bedeutung aufbauen.

Was kriti­sieren die anderen Rechts­außen-Parteien der ID an der AfD?

Der Ausschluss der AfD erfolgte aus strate­gi­schem Kalkül von Marine Le Pen. Sie möchte die AfD in die Schmud­delecke stellen, um sich selbst als respek­tabler Akteur aufzu­werten. Doch auch inhaltlich gibt es Dissens: Alle Parteien der ID postu­lieren zwar eine enorme Härte in Migra­ti­ons­fragen, radikale Auswei­sungs­pläne etwa unter dem Stichwort „Remigration“ verfolgt aber fast nur die AfD. Von einem EU- oder Euro-Austritt hat Le Pen gerade nach ihren beiden Nieder­lagen in den franzö­si­schen Präsi­dent­schafts­wahlen Abstand genommen. Die AfD hingegen disku­tiert das zumindest dekla­ra­to­risch als Option. Dazu kommen die apolo­ge­ti­schen Äußerungen des AfD-Spitzen­kan­di­daten Maximilian Krah zur Waffen-SS. Für die anderen, um Serio­sität bemühten Recht­außen-Parteien ist das inakzeptabel.

Auf natio­naler Ebene agiert die AfD vor allem als rechts­extreme Funda­men­tal­op­po­sition. Wie bewerten Sie die Arbeit der neun AfD-Abgeord­neten im EP? 

Auch im EP machen die AfD-Abgeord­neten wenig bis gar keine der klassi­schen parla­men­ta­ri­schen Arbeit. Und das, obwohl sich dort viel mehr Betei­li­gungs­mög­lich­keiten als auf natio­naler Ebene auftun. Hier sehe ich einen weiteren Unter­schied zu anderen Rechts­außen-Parteien. So versucht etwa Le Pens Rassem­blement National seit neuerem, im franzö­si­schen Parlament durch aktive Mitge­staltung und konstruktive Opposi­ti­ons­arbeit aufzu­fallen. Damit will sie ihren eigenen Macht­an­spruch unter­mauern und die langjährige Kritik ihrer Arbeit als destruktive Funda­men­tal­op­po­sition entkräften. Ähnliches lässt sich auch bei anderen Parteien beobachten.

Was bedeutet das für die im Kontext des geostra­te­gi­schen Drucks so wichtige Außen- und Sicherheitspolitik?

Auch hier sind die Rechts­au­ßen­par­teien gespalten. Meloni von den Fratelli D’Italia oder die PiS sind in außen- und sicher­heits­po­li­ti­schen Fragen relativ nah am europäi­schen Mainstream. Etwa in der ihrer kriti­schen Haltung gegenüber Russland im Ukraine-Krieg, gegenüber China und durch ihre Unter­stützung der trans­at­lan­ti­schen Bindung. Die AfD steht in diesen Fragen genau auf der anderen Seite. Geschlossen und teilweise sogar gegen die eigene Fraktion hat sie in diesen Fragen gegen die meisten EP-Beschlüsse gestimmt. Marine Le Pen hingegen sucht mittler­weile den Abstand zu Putin, setzt insgesamt aber immer noch auf eine außen­po­li­tische Abgrenzung vom trans­at­lan­ti­schen Mainstream. Auch Geert Wilders, dessen PVV nun die neue nieder­län­dische Koalition anführt, hat im dortigen Koali­ti­ons­vertrag sogar eine stärkere Unter­stützung der Ukraine mitgetragen.

 

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