Green Deal: Moder­ni­sie­rungs- oder Konfliktverstärker?

Die EU braucht einen Green Deal zur ökologischen Modernisierung.
Der Green Deal das Potential Europa ökolo­gisch zu Moder­ni­sieren und zugleich die Konflikte zu vertiefen. Foto © European Union 2015 – European Parliament“. (Attri­bution-NonCom­mercial-NoDeri­va­tives Creative­Commons licenses creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/)

Der Green Deal und die neuen Klima­schutz­ziele haben das Potential, Europas Meinungs- und Techno­lo­gie­füh­rer­schaft in Sachen ökolo­gische Moder­ni­sierung zu sichern. Freuen sich die einen über die ambitio­nierten Klima­schutz­ziele der EU, drohen die Ziele in den Augen der anderen eine nicht zu bewäl­ti­gende Heraus­for­derung zu werden. Damit die Konflikte zwischen den Mitglied­staaten lösbar bleiben, ist weitrei­chende Unter­stützung für die ökolo­gische Moder­ni­sierung der bishe­rigen klima­po­li­ti­schen Bremser notwendig, analy­siert Lukas Daubner.

Der von der Europäi­schen Kommission vorge­stellt Green Deal soll laut Kommis­si­ons­prä­si­dentin Ursula von der Leyen der europäische „man on the moon moment“ sein. Seit der Vorstellung wird viel über die Pläne speku­liert und gestritten. Weitest­gehend unbestritten ist die Notwen­digkeit der ökolo­gi­schen Moder­ni­sierung vieler gesell­schaft­licher Bereiche, will Europa einen robusten Klima­schutz gewähr­leisten und die Rolle des Klima­vor­reiters vertei­digen. Die Begeis­terung ist zwischen den Mitglieds­staaten aller­dings ungleich verteilt.

Da die Klima­schutz­am­bi­tionen alle Politik­felder betreffen, droht dieses ambitio­nierte Vorhaben bestehende Konflikt­linien zu vertiefen und neue zu provo­zieren. Je ambitio­nierter die Klima­ziele werden, desto schmerz­hafter sind sie für die Länder und Regionen, die besonders abhängig von fossilen Energie­trägern sind. Staaten mit starkem Dienst­leis­tungs­sektor haben deutlich weniger Probleme mit höheren Einspar­zielen als solche mit einem hohen Anteil an Industrie, wie Deutschland, Italien, aber auch die Visegrad-Gruppe.

Es stellt sich die Frage, ob der Green Deal als gemeinsame Kraft­an­strengung das Potential hat, die EU-Staaten zu einen oder trägt er im Gegenteil dazu bei, sie weiter auseinanderzutreiben.

Der Green Deal als klima­po­li­ti­scher Treiber

Es ist richtig, dass die EU-Insti­tu­tionen – wie zuletzt das Europäische Parlament – als klima­po­li­ti­scher Treiber auftreten. Nicht nur die aktua­li­sierten CO₂-Einspar­ziele bis 2030, auch die im Recovery-Paket vorge­se­henen Summen für eine nachhaltige Trans­for­mation der Ökonomien senden das Signal, dass Klima­schutz in Brüssel mittler­weile ernst genommen wird. Ein Signal, welches nicht nur an den Märkten, sondern auch im außer­eu­ro­päi­schen Ausland wahr- und ernst­ge­nommen wird. Zugleich sind die Pläne Kriti­ke­rinnen und Kritikern immer noch zu unambi­tio­niert. Viele Staaten sowie Branchen reali­sieren jedoch, dass sie kaum über weitrei­chende Pläne verfügen, die bevor­ste­henden Verän­de­rungen erfolg­reich zu meistern.

Wenig überra­schend betrachten insbe­sondere dieje­nigen Staaten die Klima­ziele und den Green Deal als unrea­lis­tisch, die die ökolo­gische Moder­ni­sierung ihrer Wirtschaft bisher ignoriert haben oder aufgrund ökono­mi­scher Bedin­gungen ignorieren mussten. Aus den Regie­rungs­zen­tralen der Visegrád-Gruppe und allen voran von der polni­schen Regierung sind vor allem kritische bis ableh­nende Äußerungen zu vernehmen. So argumen­tiert Warschau, dass in jedem Szenario für Klima­neu­tra­lität die Kosten für ihr Land doppelt so hoch sein werden, wie für den europäi­schen Durch­schnitt. Polen bezieht etwa 80 Prozent seiner Energie aus fossilen Brenn­stoffen, insbe­sondere Kohle. Heraus­for­dernd für die natio­nal­kon­ser­vative Regierung ist die stetige Abnahme der ökono­mi­schen Relevanz der ostpol­ni­schen Kohle­ge­biete, bei einem weithin hohen kultu­rellen Stellenwert dieser.

Ausgleich und Unter­stützung für die ökolo­gische Modernisierung 

Die Konflikte um das Erreichen der neuen Klima­ziele überlagen sich mit bereits bestehenden Konflikten, etwa um den Zustand der Recht­staat­lichkeit. Die klima­po­li­ti­schen Ambitionen werden somit zum Baustein der komplexen europäi­schen Macht­ar­chi­tektur. Außer dem Selbst­zweck Klima­schutz braucht es daher weitere Mittel, um die ökolo­gische Trans­for­mation zu unter­stützen, ohne dass Vertei­lungs­kämpfe eskalieren und dieje­nigen Staaten, die besonders von Kohle und anderen fossilen Energien abhängig sind, sich einer schnellen Verän­derung gänzlich verschließen.

Hier kommt der im Zuge des Green Deals vorge­schlagene und 17,5 Mrd. € umfas­sende Just Transition Fonds ins Spiel. Ergänzend zu den Krediten der Europäi­schen Inves­ti­ti­onsbank sollen diese Mittel etwa Kohle­re­gionen – auch in Deutschland – beim Übergang in klima­freund­liches Wirtschaften unter­stützen. Ob die geplanten Inves­ti­tionen in Gasin­fra­struktur klima­po­li­tisch sinnvoll ist und, ob die vorge­se­henen Mittel ausreichen, kann bezweifelt werden. Der Fonds trägt aber dazu bei, gezielt neue Geschäfts­felder zu entwi­ckeln. Daneben ist für den Erfolg oder Misserfolg einer ökolo­gi­schen Moder­ni­sierung zentral, dass die Um- und Weiter­bildung der betrof­fenen Bevöl­kerung im Mittel­punkt stehen. Allein hierfür wäre ein eigen­stän­diges Programm sinnvoll.

Wird den „fossilen“ Staaten keine substan­tielle Hilfe für eine grüne Moder­ni­sierung angeboten, drohen sie den Anschluss an eine moderne, digitale und effiziente Wirtschaft des 21. Jahrhun­derts zu verlieren. Damit würden Märkte schrumpfen und mittel­fristig der gesamte EU-Binnen­markt leiden. Staaten wie Spanien, die bereits in eine „grüne“ Infra­struktur inves­tiert haben, fragen sich zwar – nicht zu Unrecht, warum dieje­nigen, die bisher dahin­gehend kaum Engagement gezeigt haben, jetzt unter­stützt werden sollen. Es ist aller­dings im gemein­samen Interesse aller europäi­schen Mitglied­staaten, die bestehenden ökono­mi­schen Unter­schiede nicht noch weiter zu vertiefen.

Immer höhere Ziele allein helfen nicht

Die Bereit­stellung von Fonds und Krediten für die Inves­tition in neue Infra­struktur können als Anreize und Argumente dienen, die notwendige Trans­for­mation anzugehen. Gleich­zeitig hängt es von den jewei­ligen Regie­rungen und den Akteuren der Zivil­ge­sell­schaft ab, die Weichen zu stellen. Sie müssen die Betrof­fenen auf die bevor­ste­henden Verän­de­rungen in unter­schied­lichen Lebens­be­reichen einstellen und Insti­tu­tionen aufbauen, die die Folgen abfedern – die EU kann dies nicht alles leisten. Die Mitglieds­staaten sowie Brüssel können aber die Chancen aufzeigen, die eine ökolo­gische Moder­ni­sierung bietet. Inves­ti­tionen in erneu­erbare Energien, Kreis­lauf­wirt­schaft sowie Effizienz sind zwar teuer, bieten aber auch neue Jobs in vielen Branchen, Autonomie sowie saubere Luft und Wasser.

Der Green Deal hat das Potential die Europäische Union zum Meinungs- sowie Techno­lo­gie­führer in Sachen ökolo­gische Moder­ni­sierung zu machen. Davon würden alle Mitglieder profi­tieren, auch die, die einen besonders langen Weg dorthin vor sich haben. Dieje­nigen, die den Deal für zu wenig ambitio­niert halten, sollten bedenken, dass die Ziele nur erreichbar sein werden, wenn eine Mehrheit der Mitglieds­staaten sowie der Bevöl­ke­rungen sie mittragen und sie mit Leben füllen. Das Ausgeben immer höherer Reduk­ti­ons­ziele für Klimagase ist nur sinnvoll, wenn entspre­chende Konzepte erarbeitet werden, wie diese enormen Verän­de­rungen erreicht werden können. Die EU sollte hier auf Unter­stützung der besonders betrof­fenen Regionen sowie Erfah­rungs­aus­tausch setzen und Innova­tionen fördern. Wird dies versäumt, besteht die Gefahr, dass Vertei­lungs­kon­flikte um CO₂-Budgets und Förder­mittel in einer Form eskalieren, dass die notwen­digen Moder­ni­sie­rungs­pro­zesse blockiert und die Klima­ziele letzten Endes noch langsamer erreicht werden.

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