Green Deal: Modernisierungs- oder Konfliktverstärker?
Der Green Deal und die neuen Klimaschutzziele haben das Potential, Europas Meinungs- und Technologieführerschaft in Sachen ökologische Modernisierung zu sichern. Freuen sich die einen über die ambitionierten Klimaschutzziele der EU, drohen die Ziele in den Augen der anderen eine nicht zu bewältigende Herausforderung zu werden. Damit die Konflikte zwischen den Mitgliedstaaten lösbar bleiben, ist weitreichende Unterstützung für die ökologische Modernisierung der bisherigen klimapolitischen Bremser notwendig, analysiert Lukas Daubner.
Der von der Europäischen Kommission vorgestellt Green Deal soll laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der europäische „man on the moon moment“ sein. Seit der Vorstellung wird viel über die Pläne spekuliert und gestritten. Weitestgehend unbestritten ist die Notwendigkeit der ökologischen Modernisierung vieler gesellschaftlicher Bereiche, will Europa einen robusten Klimaschutz gewährleisten und die Rolle des Klimavorreiters verteidigen. Die Begeisterung ist zwischen den Mitgliedsstaaten allerdings ungleich verteilt.
Da die Klimaschutzambitionen alle Politikfelder betreffen, droht dieses ambitionierte Vorhaben bestehende Konfliktlinien zu vertiefen und neue zu provozieren. Je ambitionierter die Klimaziele werden, desto schmerzhafter sind sie für die Länder und Regionen, die besonders abhängig von fossilen Energieträgern sind. Staaten mit starkem Dienstleistungssektor haben deutlich weniger Probleme mit höheren Einsparzielen als solche mit einem hohen Anteil an Industrie, wie Deutschland, Italien, aber auch die Visegrad-Gruppe.
Es stellt sich die Frage, ob der Green Deal als gemeinsame Kraftanstrengung das Potential hat, die EU-Staaten zu einen oder trägt er im Gegenteil dazu bei, sie weiter auseinanderzutreiben.
Der Green Deal als klimapolitischer Treiber
Es ist richtig, dass die EU-Institutionen – wie zuletzt das Europäische Parlament – als klimapolitischer Treiber auftreten. Nicht nur die aktualisierten CO₂-Einsparziele bis 2030, auch die im Recovery-Paket vorgesehenen Summen für eine nachhaltige Transformation der Ökonomien senden das Signal, dass Klimaschutz in Brüssel mittlerweile ernst genommen wird. Ein Signal, welches nicht nur an den Märkten, sondern auch im außereuropäischen Ausland wahr- und ernstgenommen wird. Zugleich sind die Pläne Kritikerinnen und Kritikern immer noch zu unambitioniert. Viele Staaten sowie Branchen realisieren jedoch, dass sie kaum über weitreichende Pläne verfügen, die bevorstehenden Veränderungen erfolgreich zu meistern.
Wenig überraschend betrachten insbesondere diejenigen Staaten die Klimaziele und den Green Deal als unrealistisch, die die ökologische Modernisierung ihrer Wirtschaft bisher ignoriert haben oder aufgrund ökonomischer Bedingungen ignorieren mussten. Aus den Regierungszentralen der Visegrád-Gruppe und allen voran von der polnischen Regierung sind vor allem kritische bis ablehnende Äußerungen zu vernehmen. So argumentiert Warschau, dass in jedem Szenario für Klimaneutralität die Kosten für ihr Land doppelt so hoch sein werden, wie für den europäischen Durchschnitt. Polen bezieht etwa 80 Prozent seiner Energie aus fossilen Brennstoffen, insbesondere Kohle. Herausfordernd für die nationalkonservative Regierung ist die stetige Abnahme der ökonomischen Relevanz der ostpolnischen Kohlegebiete, bei einem weithin hohen kulturellen Stellenwert dieser.
Ausgleich und Unterstützung für die ökologische Modernisierung
Die Konflikte um das Erreichen der neuen Klimaziele überlagen sich mit bereits bestehenden Konflikten, etwa um den Zustand der Rechtstaatlichkeit. Die klimapolitischen Ambitionen werden somit zum Baustein der komplexen europäischen Machtarchitektur. Außer dem Selbstzweck Klimaschutz braucht es daher weitere Mittel, um die ökologische Transformation zu unterstützen, ohne dass Verteilungskämpfe eskalieren und diejenigen Staaten, die besonders von Kohle und anderen fossilen Energien abhängig sind, sich einer schnellen Veränderung gänzlich verschließen.
Hier kommt der im Zuge des Green Deals vorgeschlagene und 17,5 Mrd. € umfassende Just Transition Fonds ins Spiel. Ergänzend zu den Krediten der Europäischen Investitionsbank sollen diese Mittel etwa Kohleregionen – auch in Deutschland – beim Übergang in klimafreundliches Wirtschaften unterstützen. Ob die geplanten Investitionen in Gasinfrastruktur klimapolitisch sinnvoll ist und, ob die vorgesehenen Mittel ausreichen, kann bezweifelt werden. Der Fonds trägt aber dazu bei, gezielt neue Geschäftsfelder zu entwickeln. Daneben ist für den Erfolg oder Misserfolg einer ökologischen Modernisierung zentral, dass die Um- und Weiterbildung der betroffenen Bevölkerung im Mittelpunkt stehen. Allein hierfür wäre ein eigenständiges Programm sinnvoll.
Wird den „fossilen“ Staaten keine substantielle Hilfe für eine grüne Modernisierung angeboten, drohen sie den Anschluss an eine moderne, digitale und effiziente Wirtschaft des 21. Jahrhunderts zu verlieren. Damit würden Märkte schrumpfen und mittelfristig der gesamte EU-Binnenmarkt leiden. Staaten wie Spanien, die bereits in eine „grüne“ Infrastruktur investiert haben, fragen sich zwar – nicht zu Unrecht, warum diejenigen, die bisher dahingehend kaum Engagement gezeigt haben, jetzt unterstützt werden sollen. Es ist allerdings im gemeinsamen Interesse aller europäischen Mitgliedstaaten, die bestehenden ökonomischen Unterschiede nicht noch weiter zu vertiefen.
Immer höhere Ziele allein helfen nicht
Die Bereitstellung von Fonds und Krediten für die Investition in neue Infrastruktur können als Anreize und Argumente dienen, die notwendige Transformation anzugehen. Gleichzeitig hängt es von den jeweiligen Regierungen und den Akteuren der Zivilgesellschaft ab, die Weichen zu stellen. Sie müssen die Betroffenen auf die bevorstehenden Veränderungen in unterschiedlichen Lebensbereichen einstellen und Institutionen aufbauen, die die Folgen abfedern – die EU kann dies nicht alles leisten. Die Mitgliedsstaaten sowie Brüssel können aber die Chancen aufzeigen, die eine ökologische Modernisierung bietet. Investitionen in erneuerbare Energien, Kreislaufwirtschaft sowie Effizienz sind zwar teuer, bieten aber auch neue Jobs in vielen Branchen, Autonomie sowie saubere Luft und Wasser.
Der Green Deal hat das Potential die Europäische Union zum Meinungs- sowie Technologieführer in Sachen ökologische Modernisierung zu machen. Davon würden alle Mitglieder profitieren, auch die, die einen besonders langen Weg dorthin vor sich haben. Diejenigen, die den Deal für zu wenig ambitioniert halten, sollten bedenken, dass die Ziele nur erreichbar sein werden, wenn eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten sowie der Bevölkerungen sie mittragen und sie mit Leben füllen. Das Ausgeben immer höherer Reduktionsziele für Klimagase ist nur sinnvoll, wenn entsprechende Konzepte erarbeitet werden, wie diese enormen Veränderungen erreicht werden können. Die EU sollte hier auf Unterstützung der besonders betroffenen Regionen sowie Erfahrungsaustausch setzen und Innovationen fördern. Wird dies versäumt, besteht die Gefahr, dass Verteilungskonflikte um CO₂-Budgets und Fördermittel in einer Form eskalieren, dass die notwendigen Modernisierungsprozesse blockiert und die Klimaziele letzten Endes noch langsamer erreicht werden.
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