Haus­auf­gaben in „Xi-Jinping-Gedanken“

Foto: Shut­ter­stock, RomarioIen

Xi Jinpings Doktrin des Sozia­lismus verbreitet sich seit Jahren im ganzen Land. Doch jetzt geht Peking noch einen Schritt weiter – und macht sie zum Bestand­teil des Lehrplans. Gestri­chen wird dafür mancher­orts Englisch. Wie will China so zur Weltmacht aufsteigen?

Der Schritt ziele darauf ab, die „Entschlos­sen­heit, auf die Partei zu hören und ihr zu folgen“ zu stärken. Auch müssten Unter­richts­ma­te­ria­lien „patrio­ti­sche Gefühle kulti­vieren“. So fordern es Leit­li­nien, die das chine­si­sche Bildungs­mi­nis­te­rium jüngst veröf­fent­licht hat. Der Schritt, um den es in den Leit­li­nien geht, besagt: China wird die Ideen seines poli­ti­schen Anführers, die „Xi-Jinping-Gedanken“, in seinen natio­nalen Lehrplan aufnehmen – um, so das Bildungs­mi­nis­te­rium, der Jugend des Landes zu helfen, „marxis­ti­sche Über­zeu­gungen“ zu entwickeln.

Seit bald zehn Jahren ist Xi Jinping Chef der Kommu­nis­ti­schen Partei Chinas (KPCh) und damit der mäch­tigste Mann des Landes. 2017 stellte er auf einem Parteitag eine in schönster kommu­nis­ti­scher Partei­prosa verfasste Doktrin vor, die den Namen trägt: „Xi Jinpings Ideen des Sozia­lismus chine­si­scher Prägung im neuen Zeitalter“. Zum Abschluss des Partei­tags wurden diese Ideen ins Partei­statut aufge­nommen, ein Jahr später sogar in die Verfas­sung. Zusam­men­ge­fasst handelt es sich bei der Doktrin um einen Plan zur Konso­li­die­rung von Macht auf drei Ebenen: der Nation, der Partei und von Xi Jinping selbst. Anders ausge­drückt: Make China great again. And the party. And Xi Jinping.

Seit 2017 verbreitet sich diese Doktrin im ganzen Land. Sie steht in Zeitungen, läuft im Fernsehen und schreit von Plakaten und Bannern. Doch jetzt geht die Volks­re­pu­blik einen Schritt weiter: Sie macht die „Xi-Jinping-Gedanken“ offiziell zum Bestand­teil des Lehrplans. Ab September werden die etwa 300 Millionen Schüler des Landes die Doktrin zu büffeln haben – von der Grund­schule bis zur Uni. Doch manchen Städten schien das noch nicht genug zu sein: Die Wirt­schafts­me­tro­pole Shanghai gab bekannt, für Schüler der dritten bis zur fünften Klasse nur noch Abschluss­prü­fungen in Mathe­matik und Chine­sisch durch­zu­führen – und Englisch als Prüfungs­fach zu streichen. Und die Haupt­stadt Peking kündigte an, die Verwen­dung nicht geneh­migter auslän­di­scher Schul­bü­cher in Grund- und Mittel­schulen zu verbieten.

Wie eine Umfrage des briti­schen Meinungs­for­schungs­in­sti­tuts YouGov aus dem vergan­genen Jahr zeigt, wird die Volks­re­pu­blik in Deutsch­land als aufstre­bende Super­macht wahr­ge­nommen. Demnach sind mehr als 40 Prozent der Deutschen der Meinung, dass China die USA in den kommenden Jahr­zehnten als mäch­tigster Staat ablösen wird. Doch die Frage lautet: Wie will ein Land, das seine Jugend mit sozia­lis­ti­scher Ideologie und Perso­nen­kult beschallt, zur Weltmacht aufsteigen? Und ist der Verzicht auf die Welt­sprache Englisch nicht der schnellste Weg in die Isolation?

Die Bildungs­re­form fällt in eine Zeit, in der Peking die „Xi-Jinping-Gedanken“ mit viel Nachdruck verbreitet. Am Anfang des Sommers richteten mehrere Minis­te­rien und Abtei­lungen 200 Konten auf WeChat ein, dem größten sozialen Netzwerk des Landes. Die Konten sollen die Doktrin im Internet zirku­lieren lassen. Im Juli veröf­fent­lichte das Bildungs­mi­nis­te­rium zudem ein Schulbuch über die „Xi-Jinping-Gedanken“.

Auch fällt die Reform in eine Zeit, in der die Volks­re­pu­blik viele Bereiche des öffent­li­chen Lebens – von der IT-Branche bis hin zur Unter­hal­tungs­in­dus­trie – brutal maßregelt. So erschwert Peking chine­si­schen Tech­no­lo­gie­un­ter­nehmen seit einiger Zeit Börsen­gänge im Ausland. Einem Pres­se­be­richt zufolge ist sogar ein pauschales Verbot von IPOs in den USA geplant. Auch geht Peking massiv gegen das Show­busi­ness vor. Den Popstar Kris Wu nahm die Polizei unter dem Vorwurf der Verge­wal­ti­gung fest. Dieser Tage verschwanden zudem Kinofilme und Fern­seh­se­rien, in denen die Schau­spie­lerin Zhao Wei mitge­spielt hatte, von sämt­li­chen chine­si­schen Streaming-Platt­formen. Der Grund für die Ausra­die­rung des Stars ist unklar.

China entkop­pelt sich

In der Summe zeigen diese nur auf den ersten Blick zusam­men­hang­losen Entwick­lungen, dass sich China – siehe das drohende Verbot von Börsen­gängen in den USA – vom Westen abkoppelt. Und dass Peking – siehe das Canceln von Filmstars – seine Jugend vor Exzessen bewahren will, die als westlich wahr­ge­nommen werden, etwa Starkult, Super­reichtum und Moral­ver­fall. Ein natio­na­lis­ti­scher Blogger beschwor zuletzt einen „tief­grei­fenden Wandel in Wirt­schaft, Finanzen, Kultur und Politik“, eine „tief­grei­fende Revo­lu­tion“ und eine „Rück­be­sin­nung von den Kapi­ta­listen zu den Massen“. Partei­me­dien teilten den Text – was darauf hindeutet, dass die Partei­zen­trale der Analyse zustimmt.

Vor dem Hinter­grund dieser Entwick­lungen sei die Lehr­plan­re­form gar nicht besonders über­ra­schend, sagt Caspar Welbergen, Geschäfts­führer beim Bildungs­netz­werk China, einer Initia­tive, die den schu­li­schen Austausch zwischen Deutsch­land und China inten­si­vieren will. „Die Betonung der ‚Xi-Jinping-Gedanken‘ ist eine Maßnahme, die sich mitt­ler­weile durch alle Gesell­schafts­be­reiche zieht“, sagt er: „Es ist fast schon konse­quent, dass sie jetzt auch im Bildungs­system ankommt.“ Den Austausch mit China mache die Doktrin nicht einfacher.

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