Corona: Eine Seuche im Wettbewerb der Systeme

(U.S. Army photo by Spc. Miguel Pena)

Der Kampf gegen das Corona­virus ist auch ein Wettbewerb zwischen liberaler Demokratie und Autokratie um die Frage, welches Gesell­schafts­system das Virus am erfolg­reichsten bekämpft. Roderick Kefferpütz zeigt auf, wie in Pande­mie­zeiten die Geopo­litik weiter läuft. In den ersten Wochen machte Europa keine gute Figur. Wird es sich in den nächsten Monaten gegen seine autori­tären Gegner bewähren?

Die Welt kämpft gegen ein Virus. Mit hoher Geschwin­digkeit breitet es sich aus. Zahlreiche Länder hat es im Griff. Regie­rungen stemmen sich gegen den Zusam­men­bruch der Gesund­heits­systeme, der Wirtschaft und der Gesellschaft. 

Portrait von Roderick Kefferpütz

Roderick Kefferpütz ist stell­ver­tre­tender Leiter des Grund­satz­re­ferats im Staats­mi­nis­terium Baden-Württemberg.

Das Corona­virus dominiert die Weltpo­litik. Aber es verdrängt nicht die Macht­po­litik in der Welt. Geopo­li­ti­scher Wettstreit kennt keine Ruhepausen.

Im Gegenteil: Das Corona­virus ist ein geopo­li­ti­scher Brand­be­schleu­niger. Es verstärkt die bestehenden Grund­dy­na­miken. Das globale Macht­vakuum ist noch deutlicher spürbar.

Das Corona­virus führt die Macht­lo­sigkeit der USA vor Augen. Die Verei­nigten Staaten sind das weltweit am schwersten von der Pandemie betroffene Land. Die Trump Adminis­tration ist nicht früh genug Herr der Lage geworden. Eine Großmacht, die den Eindruck vermittelt, sie könne die  eigene Gesell­schaft nicht schützen, wird nicht als inter­na­tionale Schutz­macht wahrge­nommen werden. Zahlreiche Staaten sind auf der Suche nach Orien­tierung und Führung. Dritt­länder suchen Schutz in der Krise. Sie werden ihn wohl jenseits der USA suchen.

Es gibt keine globale Ordnungs­kraft mehr. Die USA hat sich unter der Trump-Adminis­tration von dieser Position verab­schiedet. Hatte die USA im Kampf gegen die Ebola-Epidemie 2014 noch eine Führungs­rolle einge­nommen, ist sie heute auf der globalen Bühne eklatant abwesend. Globaler Gestal­tungs­wille ist nicht sichtbar. Der Westen führt nicht den globalen Kampf gegen das Virus an. Keiner übernimmt die Last globaler Verant­wortung. Die alte, vertraute geopo­li­tische Ordnung erlischt wie ein zu kurzer Kerzen­docht im flüssigen Wachs. Willkommen im Zeitalter der Weltunordnung.

Das Corona­virus stiftet Chaos. Aber für manche ist Chaos kein Abgrund, sondern eine Leiter, wie es Little­finger in der HBO-Serie Game of Thrones ausdrückt. Gerade China wittert in der Gesund­heits­krise eine geopo­li­tische Chance. Das Reich der Mitte folgt der zynischen Game of Thrones Denke mit einer alten Mao Devise: „Es herrscht große Unordnung unter dem Himmel, die Lage ist ausgezeichnet.“

China betrachtet Corona­di­plo­matie als weltge­schicht­liche Chance

Peking stili­sierte sich als Retter in Not. Öffent­lich­keits­wirksam wurde Staaten wie Italien und Spanien, die mit der Corona­krise hart zu kämpfen haben, Hilfe und Schutz­aus­rüstung angeboten. Im Rahmen seiner geowirt­schaft­lichen Infra­struktur- und Vernet­zungs­of­fensive – der Neuen Seiden­straße – hatte Peking auch die Idee einer „Seiden­straße der Gesundheit“ ausge­packt. Gerade im Medizin­be­reich sind viele Staaten auf China angewiesen. Schutz­aus­rüstung, Masken, Medika­mente – alle brauchen was China produ­ziert. Xi Jinpings Konzept einer „Schick­sals­ge­mein­schaft der Menschheit“ wird wieder in den Vorder­grund gestellt. Der Tenor: Im Kampf gegen das Virus liegt das Schicksal der Menschheit in Chinas Händen. Während man den Ausbruch des Corona­virus in Wuhan vertuschte, prahlt man nun mit der Rettung der Welt.

Natürlich ist es gut und lobenswert, dass China zahlreichen Staaten im Kampf gegen das Virus hilft. Aber man sollte nicht blauäugig sein. In der inter­na­tio­nalen Arena sind Staaten keine karita­tiven Einrich­tungen. Die Volks­re­publik etabliert sich als globale „Diskurs­macht“ (huayuquan) und will der Welt ihr Narrativ aufdrücken. Peking formu­liert seinen Führungs­an­spruch in der führungs­losen Welt.

Es geht sogar noch einen Schritt weiter und stiftet Chaos und Misstrauen in den Gesell­schaften demokra­ti­scher Staaten. „Chinas konfron­ta­tivere Haltung zu COVID-19 stellt eine klare Abkehr von seinem früheren Verhalten dar und signa­li­siert eine Verla­gerung hin zu einem eher russi­schen Stil der Infor­ma­ti­ons­ma­ni­pu­lation“, schreiben Experten des German Marshall Fund. 

Hamstern statt helfen

Europa war für Chinas Masken­di­plo­matie ein gefun­denes Fressen. Als das Corona­virus den Kontinent überfiel, war die Europäische Union plan- und sprachlos. In den Feuil­le­ton­seiten wurde das Hohelied der Solida­rität angestimmt, aber in den Regie­rungs­zen­tralen der EU-Mitglieds­staaten herrschte political distancing. Hamstern statt helfen war die Devise. Frank­reich beschlag­nahmte Masken, die für Belgien, die Nieder­lande, Portugal, Spanien und Italien vorge­sehen waren. Deutschland verhängte ein Export­verbot für medizi­nische Schutz­güter. Der italie­nische Hilfe­schrei – die Aktivierung des Europäi­schen Zivil- und Katastro­phen­schutzes mit Bitte um materi­eller Unter­stützung – blieb unbeantwortet.

China, und auch Russland, nutzten die Situation aus. Ihre Hilfe­leis­tungen dienten humani­tären und hegemo­nialen Zielen. Sie verschickten Material und vertieften zugleich die bestehenden Risse zwischen den Ländern der EU. Die proeu­ro­päische Stimmung ist in Italien während der Corona­krise gekippt. Einer Umfrage zufolge würden 50% nun einen EU-Austritt befür­worten. Auch Länder mit EU-Beitritts­ver­hand­lungen, wie Serbien, fühlen sich allein gelassen. Die Solida­rität Europas sei „ein Märchen auf Papier … Es hat sich gezeigt, dass Europa sich ohne China kaum selbst schützen kann“, sagte Serbiens Präsident Aleksandar Vučić zynisch. Europas Einfluss in seiner Peripherie schmilzt. Das ermutigt andere Akteure vorzupreschen.

Mittler­weile hat die Volks­re­publik ihr Blatt überreizt. Zu großspurig und aggressiv war die chine­sische Rhetorik. Hilfs­ma­terial war defekt, ein chine­si­scher Diplomat griff die franzö­sische Regierung hart an, mit der Behauptung, sie habe Bewohner von Alters­heimen an „Hunger und Krankheit sterben lassen“. Und letztlich haben die Menschen den Ursprungsort des Virus nicht vergessen. „China lost Europe“, so Reinhard Bütikofer, Vorsit­zender der China-Delegation des Europaparlaments.

Aber die Pandemie hielt uns die geopo­li­tische Verwund­barkeit und Zerbrech­lichkeit der EU vor Augen. Sie verwan­delte Europa zum Schach­brett auf dem die Großmächte ihre hegemo­nialen Züge spielen. Es war ein geopo­li­ti­scher Weckruf, der Frank­reich, Deutschland und die selbst­er­nannte „geopo­li­tische“ EU-Kommission wachrüt­telte. Es offen­barte wie klein­ka­riert, egozen­trisch und sogar unpoli­tisch viele EU-Regie­rungen denken und handeln. Die EU hat in der Tat, wie Kommis­si­ons­prä­si­dentin von der Leyen sagte, tief „in den Abgrund geschaut“.

Wir leben in einem geopo­li­ti­schen Zeitalter. Der System­kon­flikt zwischen dem Westen und autokra­ti­schen Staaten dominiert die Weltpo­litik. Seuchen pausieren nicht den geopo­li­ti­schen Wettbewerb, sie prägen ihn. In der Geschichte des Pelopon­ne­si­schen Krieges war auch der Ausbruch der Pest in Athen kriegsentscheidend.

Deswegen ist der Kampf gegen das Corona­virus auch ein Wettbewerb zwischen liberaler Demokratie und Autokratie, und welches Gesell­schafts­system das Virus am erfolg­reichsten bekämpft. Die Europäische Union hat in der Krise, wenn auch verspätet, ihre Schock­starre überwunden und eine aktivere Rolle eingenommen.

Aber diese Krise wird ihre europäi­schen, sozialen, gesell­schaft­lichen und wirtschaft­lichen Wunden hinter­lassen. Es droht eine Phase wirtschaft­licher Schwäche, finan­zi­eller Nöte und politi­scher Insta­bi­lität. Zahlreiche EU-Staaten werden mit hohen Schulden, Arbeits­lo­sigkeit und Populismus konfron­tiert sein. Europa könnte der kranke Mann der Welt werden; ein armer, alter, abgeschla­gener Kontinent auf den sich andere Mächte wie die Geier stürzen.

Das forciert Europas Blick nach innen. Und das zu einem Zeitpunkt, wo außen alles im Fluss ist.

Nach der Pandemie bloß Zaungast der Weltpo­litik zu sein, kann sich Europa nicht erlauben. Es ist daher umso notwen­diger, dass die Corona­krise die Union stärker zusam­men­schweißt, vor allem finan­ziell, denn einige Staaten werden höchst­wahr­scheinlich nicht die Last ihrer Schul­den­tilgung alleine tragen können. Die Frage der Corona- oder Wieder­aufbau-Bonds hat eine geopo­li­tische Dimension! Die Europäische Union muss aus eigener Anstrengung, nicht mit chine­si­schem Geld oder sonstiger Unter­stützung, aufstehen und sich zu neuer Stärke verhelfen. Der European Green Deal muss als großan­ge­legte grüne und digitale Infra­struk­tur­of­fensive und Wieder­auf­bau­pro­gramm starten, um Europa wirtschaftlich und techno­lo­gisch auf starke Beine zu stellen und die Resilienz der Gesell­schaft zu stärken. Deutschland, als finan­ziell und wirtschaftlich stärkstes Mitgliedsland, kommt eine zentrale Rolle zu – die EU innen­po­li­tisch zu stärken, um außen­po­li­tisch nicht verwundbar zu sein.

Europa wird sich schnell zusam­men­finden und ordnen müssen, um in Zukunft außen­po­li­tisch überhaupt noch eine relevante Rolle zu spielen. Gerade den Ländern in Afrika oder im Mittleren Osten – dort wo die Gesund­heits­systeme erst recht nicht dem Corona­virus stand­halten werden – sollte es sich widmen und diese nicht der Pande­mie­po­litik Chinas oder Russlands überlassen. Eine „Pande­mie­wirt­schaft“, wie von der Grünen-Vorsit­zenden Annalena Baerbock gefordert, könnte auch auf europäi­scher Ebene voran­ge­bracht werden, um eine relevante Rolle im Kampf gegen das Virus in anderen Teilen der Welt zu spielen. Und damit zugleich zu zeigen, dass liberale Demokratien die Last globaler Verant­wortung übernehmen.

Der Text gibt die per­sön­li­che Meinung des Autors wieder.

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­tische Arbeit von LibMod.

Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spenden­be­schei­nigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

 

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.