Nach Corona: Globa­li­sierung am Ende?

Globalisierung in Zeiten von Corona
Foto: Shutter­stock

Seit Ausbruch der Corona-Krise häufen sich die Stimmen, die einen Abgesang auf die Globa­li­sierung anstimmen. Deren Krise zeichnete sich aller­dings schon lange zuvor ab. Das Globa­li­sie­rungs­modell der 90er Jahre ist tot – aber was ist die Alter­native, wenn wir einen Rückfall in ökono­mi­schen Natio­na­lismus vermeiden wollen? Ein Diskus­si­ons­beitrag von Roderick Kefferpütz.

Die Globa­li­sierung, wie wir sie kannten, ist tot. Friede, Freude, Freihandel – das war die Devise in den Neunziger- und Nuller­jahren. Die Globa­li­sierung würde die Natio­nal­staaten zusam­men­bringen, Frieden stiften, und für Wohlstand und Freiheit sorgen. Aber diese Art der Schulbuch-Globa­li­sierung funktio­niert nur unter geord­neten Macht­ver­hält­nissen. Es ist kein Wunder, dass sie sich in Zeiten ameri­ka­ni­scher Unipo­la­rität etablierte. Aber diese Zeiten sind vorbei. Zentrale Entwick­lungen erschüttern die Globalisierung.

Erstens, die Rückkehr des geopo­li­ti­schen Wettbe­werbs. Revisio­nis­tische Kräfte, wie China und Russland, versuchen die Welt neu zu ordnen. Die Verei­nigten Staaten und die Volks­re­publik befinden sich längst in einem hegemo­nialen Systemwettbewerb.

Die Globa­li­sierung ist kein macht­freies Spiel. Sie vernetzt und schafft zugleich Abhän­gig­keiten und macht verletzlich. Solange man einander vertraut, sich an die Regeln hält und keinen Hegemo­ni­al­kon­flikt austrägt, mag das kein größeres Problem sein.  An die Regeln hält man sich in den inter­na­tio­nalen Bezie­hungen schon länger nicht. Die Macht­haber in Peking waren Spieler im System, die nur so taten, als würden sie mitspielen. China nutzte die Globa­li­sierung zu seinem Vorteil, drang in alle offenen Räume ein und hielt gleich­zeitig seinen Markt größten­teils geschlossen. Der ökono­mische Effizi­enz­denken spielte der Kommu­nis­ti­schen Partei Chinas (KPCh) in die Karten. Über Jahre hat sich die Welt engma­schig mit der chine­si­schen Volks­wirt­schaft aus Kosten­ef­fi­zi­enz­gründen verflochten. Damit wurden stille Depen­denzen geschaffen. China erkaufte sich politische Freund­schaften, so wie es Yan Xuetong, geostra­te­gi­scher Vordenker Pekings, in einem Meinungs­beitrag “Wie China Amerika besiegen kann” der Regierung empfahl.

Gleich­zeitig hat sich die Trump-Adminis­tration von der maßgeblich durch die USA geschaf­fenen offenen Weltwirt­schaft verab­schiedet. „America first“ ist ökono­mische Macht­po­litik. Die USA tragen einen Hegemo­ni­al­kon­flikt mit einem Kontra­henten aus, mit dem sie gleich­zeitig eng verflochten sind. Eine isolierte, binäre Block­kon­fron­tation, wie zu Zeiten des Kalten Krieges, ist nicht möglich. Im Clinch lässt es sich nicht boxen.

Wirtschaft­liche Abhän­gigkeit als politische Waffe

Damit wird, zweitens, die Inter­de­pendenz der Globa­li­sierung zum Macht­mittel. “Wirtschaft­liche Netzwerke und grenz­über­schrei­tende Finanz‑, Daten- und Energie­ströme können sich eben auch in Waffen verwandeln”, schreibt Jana Puglierin, Leiterin des ECFR-Berlin. Inter­de­pendenz vermischt die Grenze zwischen Front und zivilem Hinterland. Das verstärkt Bestre­bungen nach Eigen­stän­digkeit. Wenn Trump chine­sische High-Tech-Firmen zittern lässt, indem er deren Halbleiter-Importe verbietet, arbeitet China an einer eigen­stän­digen Halblei­ter­pro­duktion. Wenn Trump den Dollar als Waffe gegen den Iran einsetzt und europäische Unter­nehmen damit unter Druck setzt, stärkt dass die Stimmen, die den Euro als Leitwährung neben den Dollar etablieren wollen.

Eine politische Antwort Washingtons auf Pekings Vernet­zungs­stra­tegie ist Entkopplung – „decou­pling“. Denn das erlaubt eine offenere, einfa­chere Art der Konfron­tation. Auch die KPCh fuhr jahrelang zweigleisig: sie vernetzten sich mit der Welt und verrin­gerten zugleich die eigene Abhän­gigkeit. Bis 2025 soll der einhei­mische Markt­anteil chine­si­scher Unter­nehmen in Schlüs­sel­branchen 70 Prozent betragen. Das ist kein Staats­ge­heimnis, sondern Kernziel der Made in China 2025 Strategie. Laut Alicia Garcia-Herrero, Cheföko­nomin für den asiatisch-pazifi­schen Raum bei der franzö­si­schen Invest­mentbank Natixis, ist “die Welt heute mehr denn je mit China verbunden...während China rasant weniger abhängig vom Rest der Welt wird.” Und die Volks­re­publik gibt jetzt Vollgas. Bis 2022 will die kommu­nis­tische Führung auslän­dische Computer sowie Software­an­wen­dungen aus sämtlichen Behörden entfernen. Xi Jinping hat Maos altes Konzept der Autonomie und Eigen­stän­digkeit (zili gengsheng) wieder­belebt.

Die globa­li­sierten Verflech­tungen stehen im Zentrum geopo­li­ti­scher Spiele. Konnek­ti­vität – das Ausmaß und die Art der Vernetzung – ist Macht. Das stellt Liefer­ketten unter politi­schen Recht­fer­ti­gungs­druck, denn diese wurden die letzten Jahrzehnte unter dem Gesichts­punkt der Kosten­ef­fi­zienz, nicht der gesell­schaft­lichen Resilienz, etabliert.

Corona-Krise als Wendepunkt

Drittens zerreißt das Corona­virus die Liefer­ketten. Die Pandemie führt die Anfäl­ligkeit einer vom Effizi­enz­ge­danken beherrschten Globa­li­sierung vor Augen. Wenn in China die Fließ­bänder still­stehen, hat das Auswir­kungen auf die ganze Welt. Zahlreiche inter­na­tionale Automo­bil­her­steller, wie Toyota und Nissan, müssen wegen mangelnder Vorräte ihre Produktion drosseln.  Das Corona­virus wird zum Auslöser der lange befürch­teten Rezession.

Die Art der Globa­li­sierung, alles dorthin zu legen, wo die Produktion am effizi­en­testen ist, ist vorbei“ 

Brisant wird für viele Staaten vor allem die hohe Abhän­gigkeit von Medika­men­ten­im­porten. So ist Frank­reich zum Beispiel zu 80 Prozent von Liefe­rungen aus dem Ausland abhängig. Unter­nehmen und Regie­rungen müssen sich dringend fragen, wie sie Liefer­ketten diver­si­fi­zieren und elementare Produkte sicher­stellen wollen. Wir erleben das Endspiel der bishe­rigen Globa­li­sierung. “Die Art der Globa­li­sierung, alles dorthin zu legen, wo die Produktion am effizi­en­testen ist, das ist vorbei”, meint Jörg Wuttke, Präsident der europäi­schen Handels­kammer in China.

Die Vorstellung, dass eine globa­li­sierte Welt die Staaten zwangs­läufig näher zusam­men­bringt und Frieden, Freiheit und Libera­lismus befördert, ist fragwürdig geworden.

Es ist unklar, ob Europas Entschei­dungs­träger diese Realität vollständig verstanden haben. Am deutlichsten erkennt es bislang Emmanuel Macron. In seiner vertei­di­gungs­po­li­ti­schen Grund­satzrede wies der franzö­sische Präsident daraufhin, dass wir uns „mit den direkten und indirekten Auswir­kungen der Globa­li­sierung auf unsere Souve­rä­nität und Sicherheit ausein­an­der­setzen [müssen]...Die Kontrolle materi­eller und immate­ri­eller Ressourcen und Ströme ist der Schlüssel zu neuen Machtstrategien...und schließlich ist die Grenze zwischen Konkurrenz und Konfron­tation, die es uns ermög­licht hatte, zwischen Friedens- und Krisen- oder Kriegs­zeiten zu unter­scheiden, heute völlig verwischt. Es gibt jetzt mehr Grauzonen, in denen hybride oder asymme­trische Aktionen zur Einfluss­nahme, Störung oder gar Einschüch­terung einge­setzt werden...Ein Erwachen ist notwendig.”

Wenn wir auf eine unüber­sicht­liche, verflochtene Welt parti­eller Ordnungen zusteuern, in der es unter­schied­liche Wirtschafts­blöcke gibt, in der es einen ameri­ka­ni­schen und einen chine­si­schen Technik-Orbit mit unter­schied­lichen Standards gibt, dann steht Europa unter Zugzwang und muss sich unbequemen Fragen stellen. Was bedeutet europäische Souve­rä­nität im vernetzten 21. Jahrhundert? Was ist das richtige Maß an Globa­li­sierung? Wie gewähr­leisten wir offene Märkte und die liberale Gesell­schaft, ohne uns erpressbar zu machen?  Und was wollen wir in dieser Welt eigentlich sein? Ein eigen­stän­diger Akteur der weltpo­li­tik­fähig ist, ein global Player im Verbund mit den USA, ein Akteur, der eine Schau­kel­po­litik zwischen den Super­mächten betreibt, oder ein Spielfeld für andere Mächte?

Die syste­mische Heraus­for­derung, vor der China uns stellt, könnte durchaus der Klebstoff der trans­at­lan­ti­schen Allianz im 21. Jahrhundert sein, der die europäisch-ameri­ka­ni­schen Bezie­hungen stärkt. Diese Debatte müssen wir auf beiden Seiten des Atlantiks führen.


Der Text gibt die persön­liche Meinung des Autors wieder.

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